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Full text of "Wanderungen durch die nordöstlichen und centralen Provinzen Spaniens : Reiseerinnerungen aus dem Jahre 1850"

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Wanderungen 


durch die 


nordöſtlichen und centralen 


Provinzen Spaniens. 


Reiſeerinnerungen aus dem Jahre 1850 


von 


Dr. Moritz Willkomm, 


Privatdocenten an der Univerfität zu Leipzig. 


——— 


Leipzig, 
Arnoldiſche Buchhandlung. 
852. 


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Inhalt zum zweiten Theile. 


Erſtes Kapitel. Zaragoza und das Ebrobecken. 

Zweites Kapitel. Die Abtei Beruela und das . 
bing . 

Drittes Kapitel. Die Aragon. bennett. ea. 
Die, LER 

Viertes Kapitel. Reise von benden us Molina de 
Aragon und Teruel. i ES. 

Fünftes Kapitel. Das Thal von ech Balencie zur 
Zeit der Seebäder. 

Sechſtes Kapitel. Cuenca und 5 Wölder. Reife ei 
Madrid. e 

Siebentes Kapitel. Bilder aus Madrid und Umgegend. 
(Die Feria de las Calles. — Der Namenstag der Kö— 
nigin. — Die Eröffnung der Cortes. — Die Vispera 
de los Difuntos (Tag aller Seelen). — Die Eiſenbahn 
nach Aranjuez. — Die Forſtacademie von Villavicioſa.) 

Achtes Kapitel. Das Guadarramagebirge und Segovia. 

Neuntes Kapitel. Pt nach Toledo, Walle und Sa⸗ 
lamancaa 2 85 . 

Zehntes Kapitel. Die Silbergruben von 1 8 


Seite 


295 
359 


VI Inhalt. 

Seite 

Elftes Kapitel. Vergleichende Schilderung der Volksſtämme 
von Leon, Eſtremadura, Neu- und Altcaſtilien . 380 

Zwölftes Kapitel. Winterreiſe von Madrid nach Prun. 
Abſchied von Spanien e 

Anhang. I. Die wandernden Schaafbeerden n Gen. 
tralſpaniens 446 

II. Spanien im Jahre 1850. (Schilderung der De 

maligen politiſchen, ſocialen, induſtriellen, in⸗ 
tellectuellen ꝛc. Zuſtände ))) 1424 


Erſtes Kapitel. 


Reiſe nach Zaragoza und Aufenthalt daſelbſt. 


Der Name Zaragoza gehört zu denjenigen, bei 
deren Nennung die Phantaſie der Bewohner des Nordens 
unwillkührlich erregt, gleichſam galvaniſirt zu werden pflegt. 
Zaragoza, die alte hochberühmte Römerſtadt, die üppige 
Reſidenz orientaliſcher Fürſten, das reiche Hoflager mäch— 
tiger Könige; Zaragoza, der Gegenſtand ſo mancher lieb— 
lichen Dichtung, ſo mancher Romanze und Novelle; Za— 
ragoza, der Schauplatz des größten Heldenkampfes eines 
edlen, für ſeine Unabhängigkeit ſich aufopfernden Volkes, 
deſſen die Geſchichte der Neuzeit gedenkt; Zaragoza, in 
dem glücklichen Klima und unter dem heitern Himmel 
des Südens, am Ufer eines der gefeierteſten Ströme 
Europa's inmitten weiter Gefilde gelegen — „wo die 
ſchattigen Kaſtanien rauſchen an des Ebro Strand“ — 
wie Geibel eben ſo ſchön als unwahr dichtet: — wer 
dächte bei Nennung dieſes Namens nicht an eine Stadt 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. A 


2 Zaragoza in der Phautaſte und in der Wirklichkeit. 


voll Palläſte, mit breiten Straßen und impoſanten Plätzen; 
wer ſtellte ſich nicht unter dem Ebro einen majeſtätiſchen 
Strom, von ſchweren Schiffen und eleganten Gondeln 
wimmelnd, vor; wer träumte da nicht von duftenden 
Blumengärten, von Rebenhügeln, von Lorbeer- und Myr⸗ 
thengebüſchen, von dunkeln Orangenhainen, mit einem 
Worte, von einem irdiſchen Paradieſe? — Aber wie gar 
anders ſieht es in der Wirklichkeit aus! Da iſt nichts 
von Palläſten, nichts von breiten, ſchönen Straßen, nichts 
von großartigen Plätzen zu gewahren; kein Kahn, ges 
ſchweige denn ein Schiff, furcht die trüben Gewäſſer des 
ſchmalen, von Sandbänken wimmelnden Ebro; vergeblich 
ſucht das Auge die üppigen Orangenhaine, die ſchattigen 
Lorbeergebüſche und Kaſtanienwälder, die duftenden Gär- 
ten, die weiten, von Fruchtbarkeit ſtrotzenden Fluren: 
Zaragoza, die alte Cäſar-Auguſta, die üppige Mauren⸗ 
ſtadt, das moderne Numantia, iſt ein Gewirr von ſchmu⸗ 
zigen, krummen, finſtern Gaſſen, und liegt im Schooße 
einer baum- und waſſerloſen, öden und unbewohnten 
Steppe! — Einige wenige Bemerkungen über die Natur 
des gewaltigen, vom Ebro durchſtrömten Beckens werden 
hinreichen, um meine Leſer zu überzeugen, daß die oben 
ausgeſprochene Behauptung, die Hauptſtadt Aragoniens 
liege inmitten einer Einöde, keine Unwahrheit iſt. 

Es dürfte im Süden von Europa ſchwerlich zwei 
andere unmittelbar an einander gränzende Landſtriche 


Bodenbeſchaffenheit des Ebrobaſſins. 3 


geben, welche ſo grell contraſtirten, wie Hocharagonien 
und das Ebrobecken. Während noch der letzte Abſatz der 
maleriſchen, den Pyrenäen gegenüber liegenden Bergter— 
raſſe das Auge durch das anmuthige Grün ſeines reichen 
Buſchwerkes erfreut, tragen bereits die längs ſeines Fußes 
ſich hinziehenden Ebenen den Stempel der traurigſten 
Oede und Nacktheit, und je mehr man ſich dem Ebro 
nähert, deſto ſteriler wird der Boden, deſto kahler das 
Land. Der bei weitem größte Theil der gewaltigen Ebe— 
nen, durch welche der Ebro in vielfach gekrümmtem Laufe 
dem Meere entgegeneilt, beſteht nämlich aus ſandigen 
Mergeln, aus Thon und Lehm, aus Geſchieben, die 
häufig durch ein erdiges, kalkiges Bindemittel zu einem 
lockern Conglomerat verkittet ſind, und aus mächtigen 
Ablagerungen von Gyps. Letztere, desgleichen die Mergel— 
und Thonſchichten, pflegen mit Salz geſchwängert zu ſein, 
bisweilen in einem ſo hohen Grade, daß ſich nach Regen— 
güſſen bei heißem Sonnenſchein die Oberfläche des nack— 
ten Erdreichs mit einem weißen Ueberzuge kryſtalliſirten 
Koch- und Glauberſalzes bedeckt und die durch ſolches 
Terrain fließenden Bäche geſalzenes Waſſer führen. In 
dergleichen ſalzgeſchwängerten Gegenden trifft man häufig 
meilenweit im Umkreiſe nicht einen Tropfen Trinkwaſſer; 
kein einziger Baum ſchützt gegen die verſengende Son— 
nengluth, keine gaſtliche Hütte bietet dem einſamen Wan— 
derer ein Aſyl bei dem im Ebrobaſſin nicht ſeltenen, oft 


1 * 


4 Salzſteppen des Ebrobaſſins. 


urplötzlich entſtehenden Gewitterſtürmen dar; kein freunde 
liches Grün, keine bunten Blumen, ſondern nur mißfar⸗ 
bige, in ſparſam zerſtreuten Büſcheln wachſende Steppen—⸗ 
pflanzen bedecken den nackten, hellfarbigen Boden: kahl 
und öde dehnt ſich die ebene oder hügliche Fläche, oft 
ſo weit das Auge reicht, nach allen Seiten hin aus, eine 
wüſte, dem Ackerbau unzugängliche, und deshalb unbe— 
wohnte Salzſteppe! Solche Salzniederungen erfüllen 
beſonders die ſüdliche Hälfte des Ebrobaſſins, doch auch 
in der nördlichen beſitzen dieſelben eine große Ausdeh— 
nung. So zieht ſich längs des Fußes des das Ebro— 
becken gegen Weſten begränzenden Abhanges des centralen 
Tafellandes eine breite Salzſteppe hin, welche ſich nord— 
wärts bis nach Navarra hinein, in ſüdöſtlicher Richtung 
aber bis an die Thore von Zaragoza erſtreckt. Eine 
andere, nicht ſo ſtark geſalzene, aber deshalb nicht minder 
kahle und öde Fläche breitet ſich auf der entgegengeſetzten 
Seite zwiſchen Tudela und Huescar aus, und gelangt 
zwiſchen Alagon und Zaragoza bis an die Geſtade 
des Ebro, weshalb jener Theil des Ebrothales öde und 
baumlos iſt und des Anbaues und der Bevölkerung faſt 
gänzlich entbehrt. Ueberhaupt ſind die Ufer des Ebro 
innerhalb Aragoniens mit Ausnahme der unmittelbaren 
Umgebungen von Zaragoza und des rechten, durch den 
kaiſerlichen Kanal bewäſſerten Uferſaumes kahl und me 
bebaut, und deshalb nichts weniger als anmuthig; ja 


„Mangel an Bevölkerung und Anbau. 5 


von Pina an, einem kleinen, einige Meilen unterhalb 
der Hauptſtadt gelegenen Städtchen, bis Me quinenza, 
wo der Fluß in die Gebirge von Catalonien eintritt, 
ſtrömt derſelbe faſt ununterbrochen durch eine nackte und 
entvölkerte Salzſteppe, die der Beſchreibung nach zu den 
furchtbarſten Einöden gehören muß, welche Spanien auf— 
zuweiſen hat!) Es iſt jedoch nicht die Sterilität des 
Bodens allein, welche die geräumigen Ebenen des Ebro— 
beckens oder Niederaragoniens zu einem der unwirthlich— 
ſten und traurigſten Landſtriche Europa's macht, ſondern 
auch der große Mangel an Bevölkerung und die Trägheit 
der vorhandenen. Viele jetzt wüſt und unbebaut liegende 
Ländereien, beſonders der nordöſtlichen Gegenden, könn— 
ten alle Früchte des Südens in reicher Fülle hervorbrin— 
gen, wenn der Boden bewäſſert würde, was mittelſt der 
vielen, von den Pyrenäen herabſtrömenden, durch Waſſer— 
reichthum ausgezeichneten Flüſſe und Bäche mit größter 
Bequemlichkeit geſchehen könnte. Allein es fehlt in jenen 
Gegenden an Menſchen, und die wenigen Bewohner der— 
ſelben fühlen ſich nicht veranlaßt, Kanäle und Waſſerlei— 
tungen, deren Anlegung immer mit Koſten verknüpft iſt, zu 
bauen, um ihren Wohnungen fern liegende Fluren dem 
Ackerbau zugänglich zu machen, da ſie dies längs der Ufer 


) Mehr über die Bodenbeſchaffenheit des Ebrobaſſin findet 
ſich in meiner Schrift: „Die Strand- und Steppengebiete der 
iberiſchen Halbinſel und deren Vegetation“. Leipzig, 1852. 


6 Einzelne Gegenden durch Fruchtbarkeit ausgezeichnet. 


der Flüſſe, in deren unmittelbaren Nähe die meiſten Ort⸗ 
ſchaften gelegen ſind, viel leichter haben können. Auch hier 
beſchränkt ſich die Betriebſamkeit der Bewohner meiſt blos 
darauf, Getreide zu ſäen und Oelbäume zu pflanzen, 
welche letztere gewöhnlich ſich ſelbſt überlaſſen werden. 
Nur einzelne Landſtriche machen eine rühmliche Ausnahme. 
Dahin gehören der nächſte Umkreis der Hauptſtadt im 
Durchmeſſer von etwa einer halben Stunde, ferner der 
ſchmale, zwiſchen dem Ebro und dem Kaiſerkanal gelegene 
Streifen Landes und die breiten Thalflächen des Rio 
Bällego, Huerva und anderer Flüſſe. Hier gedeihen ſo— 
wohl der Weizen, als der Oelbaum, Maulbeerbaum und 
die Weinrebe auf das Ueppigſte, auch werden daſelbſt 
Gemüſe und Baumfrüchte aller Art, beſonders Pfirſichen, 
welche in ganz Spanien berühmt ſind, in Menge produ— 
cirt. Dieſe Gegenden machen auf den Reiſenden den 
Eindruck von Oaſen in einer Wüſte, und in der That, 
verglichen mit den ungeheuern Einöden, welche den bei 
weitem größten Theil der Ebroebene einnehmen, ſind ſie 
auch nichts weiter als Oaſen. In Zaragoza ſelbſt be— 
merkt man wenig von der wahren Beſchaffenheit des 
Bodens, weil ein breiter, von einem Walde von Oelbäu— 
men beſchatteter Gürtel üppigen Gartenlandes die Stadt 
auf drei Seiten umgiebt; nur gegen Norden erinnert das 
kahle, baumloſe linke Ebroufer, begränzt in geringer Ent— 
fernung von einer niedrigen Reihe ſteil abfallender, nack— 


Zaragoza liegt in einer Einöde. Abreiſe von Jaca. 7 


ter, weißgrauer Mergelhügel, an die Nähe des Steppen— 
bodens. Allein ein kurzer Spaziergang genügt, um ſich 
zu überzeugen, daß man von einer Einöde umringt iſt, 
denn ſobald man den kaiſerlichen Kanal oder die Thal— 
fläche des Gaͤllego überſchritten hat, verſchwindet augen— 
blicklich alle Cultur, und auf die ſchattigen Olivenhaine 
und grünen Gemüſefluren folgen nackte, ſtaubige, ſonnen— 
verbrannte, baumloſe Ebenen, welche ſich unüberſehbar 
ausbreiten und ſich ſcheinbar bis an den Fuß der das 
Ebrobaſſin umwallenden Gebirge und Plateaus hinziehen. 
Die Huerta oder das Gartenland von Zaragoza ſelbſt 
macht trotz ihrer ſorgfältigen Bebauung keinen ſo ange— 
nehmen Eindruck, als man erwarten ſollte, weil in der— 
ſelben den entſchieden vorherrſchenden Theil der Vegeta— 
tion der Oelbaum bildet, deſſen mattes, graues Grün 
nicht dazu dienen kann, die Landſchaft zu beleben und 
zu verſchönern. 

Nach dieſen Bemerkungen über die Lage Zaragoza's 
und die Beſchaffenheit des Ebrobeckens will ich, bevor 
ich weiter von der Hauptſtadt Aragoniens ſpreche, eine 
kurze Erzählung meiner Reiſe von Jaca nach den Ufern 
des Ebro einſchalten. Ich verließ jene Stadt am frühen 
Morgen des 5. Juli, in Begleitung eines Arriero mit 
einem Maulthiere, da mein Packpferd zum Transport 
meiner gewaltig angeſchwollenen Sammlungen nicht aus— 
reichte. Es war ein ſchöner Morgen, ich aber ſehr ver— 


8 Unangenehmes Abenteuer mit Carabineros. 


ſtimmt, weil mich der Wirth der Poſada in Jaca auf 
unverſchämte Weiſe geprellt hatte. Mein Mißmuth ſtieg 
aber noch höher, als ich bei der Venta de Fontezo— 
nes, einem einſamen, an dem weſtlichen Fuße der Pena 
de Oroél, zwei Stunden von Jaca gelegenen Wirths— 
hauſe, einen unerwarteten, höchſt unangenehmen Aufent⸗ 
halt erfuhr. In der genannten Venta befindet ſich näm— 
lich das Contraregiſtro der Route von Jaca nach Zuras 
goza. Der commandirende Cabo, ein, wie ich ſpäter 
erfuhr, ſchlechter, habſüchtiger und ränkevoller Menſch, 
verlangte gerichtlich beglaubigte Ausweiſe über meine 
Pferde, darüber, wo ich dieſelben gekauft habe, zu ſehen, 
und wollte mich, da ich dergleichen nicht beſaß, durchaus 
nicht paſſiren laſſen. Vergeblich verſuchte ich ihm aus 
meinem Paſſe nachzuweiſen, daß ich ſeit meinem Eintritte 
in die baskiſchen Provinzen die Gränze Frankreichs nicht 
wieder überſchritten habe, umſonſt betheuerte mein Be— 
dienter, in deſſen Paſſe ausdrücklich bemerkt war, daß er 
mich als Reitknecht begleite, die Pferde ſeien in Bilbao 
gekauft worden: der Cabo wollte von alle dem nichts 
hören, erklärte die Pferde für aus Frankreich eingeſchmug— 
gelte Waare, berief ſich auf eine Menge mir unbekannter 
Verordnungen, verſchanzte ſich hinter die auf ihm laſtende 
Verantwortlichkeit und verſicherte, mich nicht paſſiren laſ— 
fen zu können, bis ich ihm einen Paſſirſchein vom Zoll- 
amte zu Jaca überbrächte. Wohl ließ einer der anwe— 


Unangenehmes Abenteuer mit Carabineros. 9 


ſenden Carabinero's merken, daß man mich ſofort weiter 
reiſen laſſen würde, wenn ich dem Cabo ein paar Fünf— 
frankenſtücke in die Hand drücken wollte; ich konnte dies 
aber nicht thun, da die unverſchämte Prellerei des Wir— 
thes zu Jaca meine Kaſſe dergeſtalt erſchöpft hatte, daß 
ich mich in jeder Weiſe einſchränken mußte, um mit mei— 
nem Gelde bis Zaragoza zu reichen. Auch war ich ſo 
aufgebracht über die offenbare Geldgier des Cabo, daß 
ich keine Luſt hatte, mein Geld an einen ſo gemeinen 
Wicht zu verſchwenden. Nach einer ſehr heftigen Scene 
zwiſchen mir und dem Cabo, welcher Miene machte, mich 
arretiren zu laſſen, befahl ich daher, mein Packpferd ab— 
zuladen, ließ mein ſämmtliches Gepäck unter Aufſicht des 
Arriero in der Venta, beſtieg mein Pferd und ſprengte 
mit meinem Bedienten wieder nach Jaca zurück. Hier 
angelangt, ward ich von einer Behörde zur andern ge— 
ſchickt, ehe es mir gelang, eine Ordre an den Cabo, 
mich ſofort ungehindert ziehen zu laſſen, auszuwirken. 
In der glühendſten Mittagshitze ritten wir hierauf wie— 
der von Jaca fort und waren um zwei Uhr wieder in 
der Venta. Der Cabo konnte mir nun freilich keine 
weitern Hinderniſſe in den Weg legen und betrug ſich 
jetzt ſehr artig; ich ſah es ihm aber an, daß er im höch— 
ſten Grade darüber erbittert war, daß er kein Geld von 
mir hatte erpreſſen können. Da ſowohl er, als die an— 
dern Carabinero's mein verpacktes Barometer mit miß— 


10 Das Thal des Gällego. Der Flecken Adſaneta. 


trauiſchen Blicken betrachteten, ſo öffnete ich die Kapſel, 
nahm das Inſtrument heraus, erklärte den Gebrauch deſ— 
ſelben, fo gut es ging, und machte die nöthigen Beob- 
achtungen, um die Höhe der auf einem Bergkamme lie— 
genden Venta berechnen zu können. Ich packte dann das 
Inſtrument wieder vorſichtig ein, ſtellte es an einen ſichern 
Ort und legte mich, da ich von dem ſchnellen Ritte in 
der Mittagshitze furchtbar erſchöpft war, nieder, um Sieſta 
zu halten, ſchlief auch wirklich vor Ermüdung ſehr bald ein. 

Um 1 Uhr ſetzte ich meine Reiſe weiter fort, ohne 
das Barometer vorher zu unterſuchen, welches mein Be— 
dienter, wie gewöhnlich, ſich um die Schulter hing. Der 
Weg führte durch einſames, meiſt dicht mit Buſchwerk 
bedecktes Hügelland, welches den ſüdlichen Fuß der rie— 
ſigen Pena de Oroél umgiebt, nach dem Thale des Gäͤl— 
lego hinab. Es war 11 Uhr, als wir den großen 
Flecken Ad ſaneta erreichten, woſelbſt wir in einer 
ſchmuzigen Poſada einige Stunden raſteten. Sobald 
der Tag graute, brachen wir wieder auf. Adſaneta liegt 
recht maleriſch zu beiden Seiten des breit dahinſtrömen— 
den Gallego, über den eine hölzerne Brücke geſchlagen 
iſt. Dieſer Fluß fließt in einem viel engern Thale, als 
der Aragon; die mit Wieſen und Getreidefeldern bedeckte 
Sohle des Thales iſt kaum eine Viertelſtunde breit, die 
ſteilen Gehänge find dünn mit immergrünem Geſträuch“) 


*) Beſonders mit der Kermeseiche, Quercus coceifera L. 


Der Paß und die Venta von Béquera. 14 


und einzelnen Bäumen“) bekleidet. Nachdem wir eine 
Zeit lang im Flußthale hinabgeritten waren, lenkte der 
Weg links in einen waldigen Grund, aus dem er bald 
in vielen Zickzacks an dem ſteilen Thalgehänge zu einem 
hohen Bergkamme emporſtieg. Man nennt dieſen Paß 
die Vuelta de Bͤquera. Bon feiner Höhe überſchaut 
man einen großen Theil des Gallegothales, ſowie ein 
weites, theils bewaldetes, theils bebuſchtes, theils kahles 
Bergland, allein die Ausſicht iſt nicht anmuthig, indem 
es der Landſchaft an Ortſchaften und Anbau fehlt. Nach 
kurzem Hinabſteigen kommt man in eine von Triften und 
Aeckern erfüllte Ausweitung, woſelbſt die Venta de 
Begquera, ein einſames Gehöft, am Rande einer ſehr 
ſchönen, großen, baſſinartigen Quelle, eines ſogenannten 
„Nacimiento“, ſteht. Während meine Begleiter das 
Frühſtück zubereiteten, ſchickte ich mich an, die Höhe der 
Venta barometriſch zu beſtimmen. Wie groß war aber 
mein Schreck, als ich bemerkte, daß mein Barometer 
zerbrochen ſei! Aus dem Umſtande, daß das meſſingene 
Gehäuſe der Röhre ein großes Stück von dem Gefäße 
losgeſchraubt, die Röhre unmittelbar über dem Gefäße 
abgebrochen und das Queckſilber gänzlich ausgelaufen war, 
leuchtete es deutlich ein, daß irgend Jemand das Inſtru— 
ment in den Händen gehabt und damit handthiert haben 
müſſe. Nun erzählte mir der mich begleitende Arriero, 


) Quercus lex, Quercus Tozza, Fraxinus angustifoliä u. a. 


12 Verluſt meines Barometers, 


er glaube bemerkt zu haben, daß, während ich in der 
Venta de Fontezones ſchlief und er ſelbſt vor derſelben 
im Schatten der Bäume gelegen habe, die Carabineros 
ſich mit dem Inſtrumente im Garten beſchäftigt hätten. 
Möglich, daß dieſelben es aus Ungeſchick zerbrochen hat— 
ten; es kann aber auch ſein, daß der Cabo dadurch, daß 
er das Inſtrument, welches ich unvorſichtigerweiſe als ein 
ſehr koſtbares und theures bezeichnet hatte, zertrümmern 
ließ, Rache an mir dafür nehmen wollte, daß ich ihm 
kein Geld gegeben hatte. Dieſe fatale Entdeckung raubte 
mir allen Muth und Frohſinn, um ſo mehr, als ich mit 
Grund vermuthete, daß es mir unmöglich ſein werde, das 
Inſtrument nochmals repariren zu laſſen, und daß ich 
folglich auf fernere Höhenbeſtimmungen würde verzichten 
müſſen. In der That beſtätigte ſich dieſe Vermuthung, 
denn ich konnte in Zaragoza keinen Mechanteus finden, 
der geſchickt geweſen wäre, ein ſo delicates Inſtrument 
wieder in guten Stand zu ſetzen. Ich entſchloß mich 
deshalb, es von dort aus nochmals nach Bordeaux zu 
ſchicken, von wo aus ich es erſt, kurz bevor ich Spanien 
verließ, in Madrid erhielt, und zwar abermals zerbrochen! 

Bald hinter der Venta de Beégquera windet ſich der 
Weg durch eine felſige Schlucht abermals zu einer Berg— 
kette empor, welche die ſüdlichſte der Parallelketten Hoch— 
aragoniens bildet und an der entgegengeſetzten Seite in 
mehrern treppenartigen Stufen zu den weiten Ebenen 


Los Mudos del Niglo. Ueberblick des Ebrobaſſins. 13 


des Ebrobaſſins abfällt. Das wenig bewaldete Gebirge 
beſteht der Hauptſache nach aus Kreidekalk und einem 
weichen, rothen Sandſteine. Letzterer iſt in dicke Bänke 
geſchichtet, welche von zahlloſen Klüften und Riſſen ſenk— 
recht durchſpalten ſind. An einer Stelle, — in einem 
tiefen Thale, rechts vom Paſſe, unweit des Dorfes 
Riglo —, haben ſich dieſe Spalten, wahrſcheinlich durch 
die Gewalt der Regenwäſſer, zu großen Schluchten er— 
weitert, weshalb die Gebirgsmaſſe in eine Reihe iſolirter 
Felskoloſſe von meiſt kegelförmiger Geſtalt zertheilt er— 
ſcheint. Dieſe intereſſanten Felsgeſtalten führen den ſelt— 
ſamen Namen „Los Mudos del Riglo“ (die Stummen 
von Riglo), eine wahrſcheinlich auf einer Volksſage be— 
ruhende Benennung. Nachdem wir mehrere parallele 
Kämme, die terraſſenförmig über einander liegen, über— 
ſtiegen hatten, kamen wir auf den letzten Abſatz des 
Gebirges, der die Geſtalt eines kleinen Plateau's beſitzt. 
Auf dieſem Plateau erhebt ſich ein ſteiler, nackter Hügel, 
welcher einen verfallenen Thurm von mauriſcher Bauart 
und daneben eine Hermita auf ſeinem Scheitel trägt. 
Hier ward ich nicht wenig durch den plötzlichen Anblick 
der gewaltigen Ebenen des Ebrobeckens überraſcht, welche 
ſich nach Süden, Oſten und Weſten hin ausbreiten. Man 
überſchaut ein enormes Stück Land, allein die Ausſicht 
iſt nicht ſchön zu nennen, da die endloſen Ebenen wegen 
der hellen Farbe ihres nur ſpärlich mit Vegetation bedeck— 


14 Eintritt in die Ebenen Niederaragoniens. Das Dorf Saſa. 


ten Bodens ein graues, düſteres Colorit beſitzen. Dazu 
kam an jenem Tage, daß die Horizonte durch jenen, den 
Ebenen Central- und Südſpaniens während des hohen 
Sommers eigenthümlichen Hitzedunſt, den die Spanier 
„Calina“ nennen, getrübt waren und daher die grauen 
Flächen faſt überall unmerklich mit dem fahlen Blau des 
Himmels verſchwammen. Nur gegen Nordweſt erſchienen 
dieſelben undeutlich durch die ungewiſſen Umriſſe des 
hohen Moncayogebirges begränzt. 

Der Saumpfad ſenkt ſich nun raſch abwärts und 
bald gelangten wir an den Fuß des Gebirges, woſelbſt 
der Flecken Saſa, ein ſchlecht gebauter Ort von erdfah- 
lem Ausſehen, umringt von einigen dürftigen Oliven⸗ 
pflanzungen, liegt. Hier ändert ſich die Scenerie der 
Landſchaft. Die Laubgehölze und Grasmatten, welche die 
Thäler und Gründe der hocharagoneſiſchen Gebirge aus— 
kleiden, ſind verſchwunden; kurzbegraſte Triften oder mit 
einzelnen Büſcheln aromatiſcher Halbſträucher und Diſteln 
dünn beſtreute Gerölle-, Thon- und Sandfluren bedecken, 
ſo weit das Auge reicht, das flache Land, deſſen Mono— 
tonie nur ſtellenweiſe durch eine ärmliche Oelbaumpflan⸗ 
zung oder ein lichtes Gehölz kleiner, dürftiger Immer— 
grüneichen (Quercus Ilex L) unterbrochen wird. Nach 
einer mehrſtündigen, höchſt ermüdenden Wanderung durch 
völlig unbewohnte und faſt ganz unbebaute Ebenen er⸗ 
reichten wir gegen Mittag eine elende, ſchmuzige Venta, 


Unfruchtbarkeit des Bodens. Nacht in Gurrea. 15 


woſelbſt wir bis um drei Uhr blieben, um die Zeit der 
größten Hitze vorübergehen zu laſſen. Das Wirthshaus 
liegt zwiſchen dürren, nackten Mergelhügeln, welche einen 
Abſatz, eine Stufe der Ebene, krönen und einen niedrigen 
Höhenzug bilden. Von hier an wird das Land immer 
ebener, der Boden immer ſteriler. Der Weg führt lange 
Zeit am Rande eines großen, aus ſtrauchartigen Immer— 
grüneichen beſtehenden Gehölzes, deſſen Boden mit Ros— 
maringebüſch bedeckt iſt, hin, ſpäter durch daſſelbe hin— 
durch, worauf man ganz kahle Fluren betritt. Ueberall 
war hier die ſpärliche Vegetation von der Sonnengluth 
verſengt und mit Staub überzogen. Die Landſchaft iſt 
entſetzlich triſt; rechts in geringer Entfernung gewahrt 
man nackte, weiße Mergelabhänge, welche das flache Thal 
des Gallego begränzen, und darüber den Caſtellär, 
einen niedrigen, bebuſchten Höhenzug, der ſich zwiſchen 
dem genannten Fluſſe und dem Ebro erhebt. Wir über— 
nachteten in Gurrea, einem ſchmuzigen Flecken von häß— 
licher Bauart, welcher auf dürrem, ſtaubigem Boden über 
dem ſteilen Rande eines waſſerloſen Barranco, umringt 
von Weizenfluren, liegt. In ſeinen Umgebungen bemerkt 
man nicht einen einzigen Baum! — Ich war froh, als 
der Morgen graute und ich die ſchmuzige Poſada, in 
deren niedrigen Gemächern eine erſtickende Hitze herrſchte, 
und ihre mürriſchen, unhöflichen Bewohner verlaſſen konnte. 
Es war ein Sonntag, der 7. Juli. Die ganze Gegend 


16 Der Barranco ſalado. Das Städtchen Zuera. 


lag bereits vom frühen Morgen an in den Nebel der 
Calina gehüllt, und bot daher einen ſehr trüben, faſt 
unheimlichen Anblick dar; die Hitze war ſchon um ſechs 
Uhr Morgens ermattend. Nach einem zweiſtündigen Ritt 
über nackte, ſalzhaltige Mergelebenen gelangten wir nach 
der großen, am Rande des Gaͤllegothales gelegenen Venta 
de la Camarera, und einige Stunden ſpäter in eine 
von Erdhügeln umgürtete Schlucht, wo wir am Rande 
einer aus dem Gaͤllego kommenden Waſſerleitung, die 
auf einer Brücke über den Barranco geführt iſt, raſteten, 
um unſer Frühſtück einzunehmen. Die Erdwände der 
Schlucht waren faſt überall mit fingersdicken Salzkruſten 
überzogen, und ſowohl das Waſſer des die Schlucht durch— 
ſtrömenden Baches, als das der Tümpel, welche hier und 
da am Fuße der ſteilen Abhänge lagen, ſtark geſalzen. 
Deshalb führt dieſe Schlucht den Namen Barranco 
ſalado. Gleich darauf ſenkt ſich der Weg zu den Ufern 
des Gallego hinab, deſſen breiten und tiefen Waſſerſpie— 
gel man in einer ſchlechten Fähre überſchreiten muß. Am 
jenſeitigen Ufer liegt das Städtchen Zuera, in deſſen 
Umgebungen die Weizenernte in vollem Gange war. Der 
Ort iſt von einigen Bäumen umgeben und ziemlich gut 
gebaut, aber von eben ſo erdfahler Farbe, wie Gurrea und 
Saſa. Zuera iſt mit Zaragoza durch eine Fahrſtraße 
verbunden. Dieſelbe folgt bis Villanueva dem Fuße der 
kahlen Erdhügel, welche die Ebene des Gällegothales 


Villanueva del Ebro. Anſicht von Zaragoza. 17 


gegen Weſten fortwährend begränzen. Dieſe iſt gut an— 
gebaut, doch anfangs ziemlich kahl, erſt um Penaflor, 
einem von einer olivenreichen Huerta umringten Städt— 
chen mit ſehr hohem Kirchthurme, welches hart am Gäl- 
lego liegt, beginnen zahlreiche Oel- und Maulbeerbaum— 
pflanzungen, ſowie Weingärten. Villanueva del Ebro 
iſt ein hübſch gebauter Flecken mit reinlichen, weiß an— 
geſtrichenen und mit Balcons geſchmückten Häuſern, um— 
ringt von einer Menge von Oelbäumen. Wir verweilten 
hier ein paar Stunden, da die Hitze auf's Höchſte ge— 
ſtiegen war und wir daſelbſt ein gutes Wirthshaus an— 
trafen. Sobald man aus den Olivenplantagen heraus— 
tritt, erblickt man vor ſich in einigen Stunden Entfernung, 
aus einem Walde von Oelbäumen emportauchend, die 
Hauptſtadt Aragoniens. 

Zaragoza nimmt ſich aus der Ferne von keiner 
Seite weder maleriſch, noch großartig aus, weil man 
wegen der die Stadt umgebenden und größtentheils höher 
als ſie gelegenen Olivenpflanzungen Nichts ſieht, als 
eine Reihe hoher Thürme, die wegen ihrer abgeſtumpften 
Spitzen wie Eſſen ausſehen, und weil es dem Bilde an 
einem Hintergrunde gänzlich gebricht. Bald entzogen mir 
die Baumpflanzungen des Gällegothales den Anblick der 
Stadt, die man von dieſer Seite nicht eher wieder ſieht, 
als bis man ſich dicht vor ihren Thoren befindet. Eine 
Reihe von Mühlen und Gartenhäuſern verkünden den 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 2 


18 Die Vorſtadt Arrabal. Der Ebro. 


Anfang des Arrabal oder der am linken Ufer des Ebro 
gelegenen Vorſtadt, welche fat nur von Bauern, Hand⸗ 
werkern, Gaſtwirthen und Arrieros bewohnt, aber regel— 
mäßiger gebaut iſt, als die eigentliche Stadt, mit der ſie 
durch eine hohe Steinbrücke von ſieben Bogen in Ver⸗ 
bindung ſteht. Dieſe Vorſtadt beſitzt mehrere Kirchen 
und Klöſter, zum Theil von ſchönen architectoniſchen Ver⸗ 
hältniſſen, macht aber wegen ihrer ſchmuzigen Gaſſen und 
der fahlen Farbe ihrer Gebäude keinen freundlichen Ein- 
druck. Es herrſcht hier fortwährend ein ſehr reges Le— 
ben, indem der Arrabal der Hauptſammelplatz der zahl- 
reichen, aus Hocharagonien und Frankreich kommenden 
Arrieros und der noch zahlreicheren cataloniſchen Fuhr— 
leute iſt, deren leichte Wagen durch ihre bunt bemalten 
Wachstuchplanen und ihre einzeln hinter einander geſpann⸗ 
ten Maulthiere ſich eben ſo grell von den ſchwerfälligen 
Ochſenkarren uuterſcheiden, die bei den Bewohnern des 
Ebrobaſſin beliebt ſind, als die blutrothen Sackmützen 
und die buntcarrirten Manteldecken der lebhaften, fröh— 
lichen Catalonier von den ſchwarzen, breitkrämpigen Filz— 
hüten und den dunkeln Mänteln der gebräunten, düſter 
blickenden Aragoneſen. Ich war froh, als ich die wegen 
der vielen Zug- und Laſtthiere fortwährend mit dicken 
Staubwolken erfüllten Straßen des Arrabal hinter mir 
hatte und mich am Ufer des Ebro befand, den ich hier 
zum erſten Male erblickte; denn von fern kann man den⸗ 


Ankunft in Zaragoza. 19 


ſelben, weil er meiſt in einem tief eingeriſſenen Bette 
fließt und eine geringe Breite beſitzt, faſt nirgends ſehen. 
Von dem linken Ebroufer aus bietet die Hauptſtadt Ara- 
goniens einen impoſanten Anblick dar. Lang hin ziehen 
ſich dicht am gegenüber liegenden Ufer hohe, ſtolze Ge— 
bäude, unter denen ſich namentlich die große, oberhalb 
der Brücke gelegene, mit vielen Thürmen und Kuppeln 
geſchmückte Kirche der Madonna del Pilar, und der weit— 
läufige, unterhalb der Brücke befindliche erzbiſchöfliche 
Pallaſt, überragt von dem hohen Thurme und den go— 
thiſchen Zinnen der hinter demſelben ſtehenden Cathedrale, 
am meiſten auszeichnen. Schade, daß der Ebro eine ſo 
geringe Breite beſitzt (er iſt kaum halb ſo breit, als die 
Elbe bei Dresden) und des bunten Lebens der Schifffahrt 
entbehrt; ſonſt würde der Anblick von Zaragoza vom 
Arabal aus noch viel großartiger ſein, als er es gegen— 
wärtig iſt. Durch ein hohes Thor gelangt man am jen— 
ſeitigen Ufer auf einen kleinen, unregelmäßigen, von 
alten, finſtern Gebäuden umringten Platz, der durch eine 
kurze Gaſſe mit der großen regelmäßig viereckigen Plaza 
del Pilar, dem ſchönſten Platze, den die innere Stadt 
aufzuweiſen hat, in Verbindung ſteht, woſelbſt ich in 
einem alterthümlichen, aber leidlich eingerichteten Gaſthofe 
mein Quartier nahm. 

Zaragoza gehört zu den älteſten Städten der Halb— 
inſel. Ueber den Urſprung der Stadt iſt nichts Sicheres 

2 


20 Geſchichte von Zaragoza. 


bekannt: der Sage nach ſoll ſie von den Phöniziern er⸗ 
baut worden ſein. In der Geſchichte wird ſie zuerſt zur 
Zeit der römiſchen Kaiſer genannt, die ſie zu einer rö— 
miſchen Colonie unter dem ſchon erwähnten Namen Cä— 
jar-Augufta erhoben. Den alten Geſchichtsſchreibern 
zufolge war dieſe Colonie eine große und blühende, einen 
ausgebreiteten Handel treibende Stadt; doch iſt dieſelbe 
ſchwerlich ſo groß geweſen, als die gegenwärtige, da die 
Hauptſtraße von Zaragoza, der Coſo, an deren Stelle 
ſich der Wallgraben der ehemaligen Römerſtadt befunden 
haben ſoll (der Name Coso ſoll nämlich durch Corruption 
aus fossa entſtauden fein), jetzt mitten in der Stadt liegt. 
Im Jahre 467 ward die Stadt von dem Weſtgothenfür— 
ſten Eurich erobert, und im Jahre 712 von den Ara⸗ 
bern unter Muſa, welche den römiſchen Namen in den 
jetzigen corrumpirten. Während der arabiſchen Herrſchaft 
gehörte Zaragoza zuerſt zu dem großen Reiche der Ka— 
liphen von Damascus, ſpäter zum Kaliphat von Cordova, 
bis es im Jahre 1047 die Hauptſtadt eines kleinen, un⸗ 
abhängigen Königreichs wurde, welches ſich beinahe ein 
ganzes Jahrhundert lang inmitten der zahlloſen Revolu— 
tionen, innern und äußern Kriege, die im elften Jahr⸗ 
hunderte das arabiſche Spanien erſchütterten, durch die 
Tüchtigkeit ſeiner Fürſten erhielt und allen Angriffen der 
Chriſten Trotz bot. Endlich am Ende eines fünfjährigen 
Krieges und einer neunmonatlichen Belagerung öffnete 


Geſchichte von Zaragoza. 21 


die ausgehungerte Stadt am 18. October 1448 dem Kö— 
nige Alphons J. von Aragonien die Thore. Der letzte 
Maurenkönig, Abdelmelek Ammaddola, hatte ſich 
ſchon einige Monate vorher aus der Stadt und aus dem 
Lande geflüchtet. Nun wurde Zaragoza die Reſidenz der 
Könige von Aragonien und bei der raſchen Vergrößerung 
dieſes Reiches bald die größte und mächtigſte Stadt des 
damaligen chriſtlichen Spanien. Dies blieb ſie bis in 
das funfzehnte Jahrhundert, bis zur Vereinigung der 
Reiche Aragonien und Caſtilien durch die Vermählung 
Ferdinands mit Iſabella. Dieſes für das geſammte 
chriſtliche Spanien ſo überaus günſtige Ereigniß, welches 
den Grundſtein zu der weltbeherrſchenden ſpaniſchen Mo— 
narchie legte, war für Zaragoza ein empfindlicher Schlag, 
weil Ferdinand ſeiner Gemahlin zu Liebe das Hoflager 
nach den großen Städten Caſtiliens verlegte, wo es auch 
für immer blieb. Seit jener Zeit nahm der Glanz von 
Zaragoza mehr und mehr ab. Der hohe Adel ſiedelte 
nach den neuen Reſidenzen über, und nach der Entdeckung 
von Amerika wanderte auch der reiche Handelsſtand aus, 
indem ſich in Folge derſelben der geſammte Handel Spa— 
niens in Sevilla, und überhaupt in Südſpanien, concen— 
trirte. So hörte Zaragoza auch auf, ein Emporium des 
Handels zu ſein, was es Jahrhunderte lang geweſen war 
und wozu es durch ſeine Lage an einem ſchiffbaren Strome, 
im Centrum weiter, eine allſeitige Communication begün— 


22 Geſchichte von Zaragoza. 


ſtigender Ebenen, berechtigt zu ſein ſcheint. Der geringe 
Verkehr lohnte nicht mehr die Koſten, welche man bisher 
auf die Flußſchifffahrt verwendet hatte, und bald verſan— 
dete der Ebro, ſich ſelbſt überlaſſen, ſo ſehr, daß an eine 
Schifffahrt gar nicht mehr zu denken war. In dieſem 
Zuſtande iſt der Strom bis auf den heutigen Tag ge— 
blieben. Noch ſchwerere Schläge drohten aber der Haupt⸗ 
ſtadt Aragoniens in den kommenden Jahrhunderten. Der 
ſpaniſche Succeſſionskrieg, während dem die Aragoneſen 
dem Haufe Oeſtreich anhingen, beraubte fie und ihre Haupt⸗ 
ſtadt ihrer uralten Freiheiten, Vorrechte und Privilegien. 
Endlich kam der napoleoniſche Krieg und mit ihm ein na— 
menloſes Elend über die unglückliche Stadt durch die bei— 
den furchtbaren Belagerungen von 1808 und 1809, in Folge 
deren ganze Straßen in Schutthaufen verwandelt wurden 
und ein Drittheil der heldenmüthigen Bevölkerung durch 
die Waffen, durch Hunger und Seuchen zu Grunde ging. 
Noch erinnern zahlloſe Spuren an jene Schreckensjahre, 
wo Zaragoza mehr gelitten hat, als irgend eine andere 
Stadt Europa's in neuerer Zeit, an jenen ungleichen 
Kampf, welcher um ſo mehr Bewunderung verdient, als 
die Hauptſtadt Aragoniens keine Feſtung iſt, und es größ⸗ 
tentheils nicht waffengeübte Krieger waren, welche die 
offene Stadt gegen die überlegene Macht ſieggewohnter, 
in hundert Kämpfen erprobter Truppen Monate lang ver⸗ 
theidigten, ſondern friedliche Bürger. Zaragoza hat ge⸗ 


Einwohnerzahl und Bauart von Zaragoza. 23 


zeigt, was ein wehrloſes, aber edles Volk vermag, wenn 
es will, — hat aber ſeinen unſterblichen Ruhm auch 
theuer erkauft, denn noch jetzt blutet die Stadt aus den 
Wunden, die ihr jene Kämpfe ſchlugen. 

Wenn man die Schickſale von Zaragoza in Erwä— 
gung zieht, ſo iſt es nicht wunderbar, daß dieſe Stadt 
gegenwärtig nicht den Erwartungen entſpricht, zu denen 
ihre große Vergangenheit berechtigt. Zaragoza iſt zwar 
noch immer, was den Umfang anlangt, eine der größten 
Städte Spaniens; allein hinſichtlich der Einwohnerzahl 
gehört es jetzt zu den Städten zweiten Ranges. Sie 
zählt nämlich gegenwärtig mit Inbegriff der Vorſtädte 
nur gegen 60000 Seelen, d. h. kaum die Hälfte der Be— 
völkerung, die ſie ihrer Größe und Bauart nach faſſen 
könnte. Denn allein die eigentliche Stadt, d. h. der am 
rechten Ebroufer gelegene und von Mauern umſchloſſene 
Theil von Zaragoza, mißt eine Stunde im Umfange, 
und da das Innere, wie das aller ſpaniſchen Städte, die 
Jahrhunderte lang unter der Herrſchaft der Mauren ge— 
ſtanden haben und dieſen ihre Größe verdanken, eng zu— 
ſammengebaut, ein Gewirr kleiner Plätze und enger Gaſ— 
ſen iſt, und aus hohen, mehrſtöckigen Gebäuden beſteht, 
ſo liegt es auf der Hand, daß die Stadt eine ſehr große 
Menge von Bewohnern zu faſſen im Stande ſein muß. 
In der That reicht ein Spaziergang durch die von dem 
belebten Centrum entfernteren Theile der Stadt hin, um 


24 Spuren der Belagerungen durch die Franzoſen. 


ſich von dem Mangel an Bevölkerung zu überzeugen. Da 
ſtößt man auf ganz verödete Gaſſen, auf in Ruinen lie— 
gende oder verlaſſene, den Einſturz drohende Häuſer, auf 
Schutthaufen und Brandſtellen. Die meiſten dieſer Rui— 
nen rühren noch von den Bombardements und den Stra= 
ßenkämpfen der erwähnten Belagerungen her. Selbſt in 
den belebteren Stadttheilen trifft man noch häufige Spu— 
ren von jenen wiederholten furchtbaren Straßenkämpfen. 
Manche Häuſer, die weniger den Kugeln des ſchweren 
Geſchützes, als dem Kleingewehrfeuer ausgeſetzt geweſen 
ſein mögen und deshalb nicht zerſtört worden ſind, hat 
man zum Andenken an jene Schreckenstage gelaſſen, wie 
ſie waren, oder wenigſtens die Kugelſpuren nur mit 
Mörtel zugeſtrichen, ohne die zerſchoſſenen Wände abzu⸗ 
putzen. Dergleichen Gebäude, die ganz ſo ausſehen, wie 
die Häuſer mancher Gaſſen in Dresden nach den Maita— 
gen von 1849, habe ich beſonders auf dem Coſo getroffen, 
dem Hauptſchauplatze des Kampfes während beider Bela— 
gerungen. Hier, desgleichen an einigen andern Stellen 
des Centrums der Stadt, liegen auch ganze Gebäude 
noch in Ruinen, zumal Klöſter; denn dieſe haben am 
meiſten gelitten, weil ſie theils wegen ihrer feſten Bau— 
art, theils wegen ihrer relativen Lage die ſtrategiſch 
wichtigſten Puncte ſowohl für die Belagerten als für die 
Belagerer bildeten“). Unter denſelben verdient nament— 


) Unter den öffentlichen Gebäuden wurden während der bei⸗ 
den Belagerungen gänzlich zerſtört: elf Klöſter, eine Kirche und der 


Das Kloſter Santa Engracia. 25 


lich das ehemals durch ſeine Pracht und feine Kunſtſchätze 
berühmte Hieronymiterkloſter Santa Engracia, dicht 
am Thore gleiches Namens in der Nähe des Coſo gele— 
gen, eine Erwähnung, weil es während beider Belage— 
rungen das Centrum des Kampfes und der Schauplatz 
zahlloſer Heldenthaten ſowohl als Gräuel geweſen iſt. 
Das Kloſter Santa Engracia war eines der feſteſten 
Gebäude von Zaragoza und bot, da es im höchſten Theile 
der Stadt liegt und dieſe deshalb beherrſcht, den geeig— 
netſten Punet dar, um die Stadt aus der Nähe zu be— 
ſchießen. Die Franzoſen richteten daher gleich während 
der erſten Belagerung ihr Augenmerk ganz vorzüglich auf 
dieſes Kloſter. Nach monatelangem Kampfe gelang es 
ihnen endlich, deſſelben habhaft zu werden, nachdem ſeine 
Vertheidiger bis auf den letzten Mann gefallen waren. 
Als die Franzoſen die Belagerung aufheben und ſich zu— 
rückziehen mußten, ſprengten ſie das Kloſter in die Luft, 
wahrſcheinlich, um ſich für das nächſte Mal einen ſo viel 
Zeit und Menſchen raubenden Kampf zu erſparen. Allein 
fie hatten ſich verrechnet; denn die Zaragozaner beeilten 
ſich, ſofort nach dem Abzuge der Franzoſen die Ruinen 
des Kloſters durch Schanzen und Gräben, welche noch 
jetzt exiſtiren, in einen feſten und haltbaren Punct zu 
verwandeln, Auf dieſen Wällen war es, wo während der 


Pallaſt der „Audiencia real“ (königlicher Gerichtshof). Mehrere 
der zerſtörten Klöſter ſind weggeriſſen worden, die andern liegen 
noch jetzt in Ruinen. 


26 Aguſtina de Aragon. Die Kirche der heiligen Märtvrer. 


zweiten und furchtbarſten Belagerung die ſchöne Aguſtina 
de Aragon, jene unter dem Namen „das Mädchen von 
Zaragoza“ ſo berühmt gewordene Heldenjungfrau, als 
Kanonier in die Reihen der Kämpfenden trat, nachdem 
ihr Bräutigam durch die feindlichen Kugeln gefallen war, 
ja nach Tödtung der Offiziere die ganze Batterie eine 
Zeit lang commandirte, eine Bravour, für welche ihr 
ſpäter von der Centraljunta das Adelsdiplom und der 
Oberſtenrang verliehen wurde. Von dieſem ewig denk— 
würdigen Kloſter entging blos die unter der Kirche be— 
findliche Katakombe, die ſogenannte Kirche der heiligen 
Märtyrer, der Zerſtörung. Es ſollen ſich daſelbſt viele 
Koſtbarkeiten befinden, wie z. B. eine Menge Reliquien 
und das Haupt der heiligen Engracia, umſchloſſen von 
einer ſilbernen, mit Edelſteinen verzierten Kapſel, des— 
gleichen ein Brunnen, welcher der Sage nach aus dem 
Blute der Chriſten, die Dacian enthaupten ließ, entſtan⸗ 
den iſt, und andere Dinge; ich ſelbſt habe dieſe Kata— 
kombe nicht geſehen, da ſie bei meiner Anweſenheit un— 
zugänglich war. Die eigentliche Kirche des Kloſters ſtürzte 
nur theilweis ein und iſt deshalb wieder hergeſtellt wor— 
den. In derſelben befindet ſich das Grabmal des be— 
rühmten aragoneſiſchen Geſchichtsſchreibers Geronimo 
Zurita. Der Reſt des Kloſters liegt in Ruinen und 
ſoll in dieſem Zuſtande, zum Andenken an jenen Helden— 
kampf, auf ewige Zeiten verbleiben. Neben die Kirche 


Das Caſtillo de la Aljaferia. 27 


und zwiſchen die koloſſalen Ruinen iſt eine Artillerieka— 
ſerne gebaut worden. 

Die Wälle von Santa Engracia ſind die einzigen 
modernen Feſtungswerke, welche die Stadt ſelbſt beſitzt. 
Der bei weitem größte Theil derſelben iſt blos von einer 
hohen und dicken alten Mauer, und zwar nur auf der 
dem Ebro entgegengeſetzten Seite, umſchloſſen. Einzelne 
Stücke dieſer Mauer ſcheinen, der Bauart nach zu ur— 
theilen, noch aus der Zeit der Römer und Araber her— 
zurühren. Außerhalb der Stadt, an ihrer weſtlichen 
Seite, liegt ein altes, mit Wall und Graben verſehenes 
Schloß, das Caſtillo de la Aljaferia, die ehemalige 
Reſidenz der Könige von Aragonien. Dieſes Schloß gilt 
zwar noch jetzt für eine Citadelle, iſt aber viel zu wenig 
befeſtigt und liegt auch viel zu tief, um die Stadt im 
Falle eines Angriffes beſchützen oder bei einem Aufruhr 
bezwingen zu können. Seiner ungünſtigen Lage halber 
hat es ſich auch während beider Belagerungen nur kurze 
Zeit gehalten. Sonſt wird Zaragoza durch kein Außen— 
werk vertheidigt; im Gegentheil iſt die Stadt gegen Weſt, 
Südweſt und Nord von nahe gelegenen Höhen vollkom— 
men beherrſcht. Um ſo unbegreiflcher iſt es, wie ſich 
dieſelbe gegen die kriegserfahrenen Truppen des napo— 
leoniſchen Heeres binnen einem Jahre zweimal mehrere 
Monate lang halten konnte. Es läßt ſich dieſer uner— 
hörte Widerſtand nur aus dem glühenden Haſſe gegen alles 


28 Die Calle del Coſo und ihre Umgebungen. 


Fremde, aus dem unzähmbaren Trotze und hohen Un— 
abhängigkeitsſinne erklären, welcher die Bewohner Ara- 
goniens ſeit den älteſten Zeiten charakteriſirt hat und 
dieſelben noch jetzt bewegen würde, lieber Hab' und Ver—⸗ 
mögen, Weib und Kind zu opfern, als ihren Nacken un— 
ter das Joch der Fremdherrſchaft zu beugen. 

Unter den Gaſſen und Plätzen der innern Stadt 
nimmt die ſchon mehrfach erwähnte Calle del Coſo 
die erſte Stelle ein. Dieſelbe erſtreckt ſich in krummer 
Linie faſt durch die ganze Stadt und bildet, da die Mehr— 
zahl ihrer Gebäude während der zweiten Belagerung 
gänzlich eingeäſchert wurde und daher von Neuem erbaut 
werden mußte, gegenwärtig den ſchönſten und eleganteſten 
Theil von Zaragoza. Namentlich zeichnet ſich der mitt— 
lere Theil des Coſo durch bedeutende Breite, ſchöne Trot— 
toirs und ſtattliche Häuſer aus, deren geſchmackvolle Kauf— 
hallen einen Culturzuſtand zur Schau tragen, von dem 
man ſonſt in Zaragoza wenig bemerkt. Eine breite, in 
ihrer Mitte mit einer Promenade geſchmückte Straße 
erſtreckt ſich von dem mittlern Theile des Coſo bis zu 
dem ſchönen, neuerbauten Thore von Santa Engracia. 
An dieſer Straße liegen mehrere ſchöne, ganz moderne 
Gebäude, unter andern ein von einem Schweizer erbautes, 
mit großem Luxus eingerichtetes Kaffeehaus, welches der 
Reunionspunkt der faſhionablen Männerwelt von Zara 
goza und der Fremden iſt. Da, wo die Straße in den 


Der Blutbrunnen. Die Caſa de los Gigantes. 29 


Coſo einmündet, befindet ſich ein geſchmackvoller Marmor— 
brunnen, von dem Volke der „Blutbrunnen“ (fuente de 
la sangre) genannt, weil an dieſer Stelle, der tiefſten 
des Coſo, während des Kampfes von 1809 das Blut 
der Gefallenen zu einem großen Tümpel zuſammenfloß. 
Die übrigen Parthieen des Coſo ſind weniger ſchön, in— 
dem ſich daſelbſt mehr alte Gebäude erhalten haben. 
Unter denſelben fällt ein weitläufiger, finſterer Pallaſt 
von alterthümlicher Bauart am meiſten in die Augen, 
welcher den ſeltſamen Namen Caſa de los Gigantes 
führt. Sein großes Portal wird nämlich von zwei koloſ— 
ſalen männlichen Figuren in mauriſchem Coſtüme getragen. 
Dieſes merkwürdige Gebäude, über deſſen Urſprung nichts 
Sicheres bekannt zu ſein ſcheint, war das Hauptquartier 
des General Palafox. Noch jetzt dient es als Reſidenz 
der Generalcapitäns von Aragonien. 

Mehr als die Straßen und Plätze zeugen von dem 
ehemaligen Glanze Zaragoza's die öffentlichen Gebäude, 
namentlich die Kirchen und Klöſter. Erſtere, an Zahl 
einundzwanzig, ſind ſämmtlich groß und prachtvoll, nur 
leider faſt alle durch Ueberladung mit geſchmackloſen Zier— 
rathen verunſtaltet. Unter ihnen verdienen beſonders 
zwei den Beſuch des Fremden, nämlich die Metropolitan— 
kirche San Salvador und die Kirche Nueſtra Se— 
flora del Pilar. Die Metropolitankirche, vom Volke 
la Catedral de la Seo genannt, die älteſte Kirche von 


30 Die Metropolitankirche San Salvador oder la Seo 


Zaragoza, ſteht auf einem leider ſehr kleinen Platze hart 


neben dem erzbiſchöflichen Pallaſte, einem weitläufigen 
Gebäude von geringem architectoniſchem Werthe. Das 
Aeußere des Domes iſt ſehr einfach, gothiſch, das Haupt⸗ 
portal mit korinthiſchen Säulen und den lebensgroßen 
Statuen des Erlöſers und der Apoſtel Petrus und Pau— 
lus geſchmückt. Neben demſelben erhebt ſich der Thurm, 
welcher erſt im ſiebzehnten Jahrhunderte erbaut wurde 
und eine bedeutende Höhe beſitzt. Er iſt gänzlich aus 
Ziegeln ausgeführt, viereckig, und endet in eine Plate— 
form, auf welcher vier koloſſale Steinbilder, allegoriſche 
Figuren der vier Cardinaltugenden, ſtehen. Das Innere 
der Kirche, eine weite, düſtere, in fünf hohe Schiffe zer— 
fallende Halle ſtammt aus den beſten Zeiten der gothi— 
ſchen Architectur. Schade, daß die Harmonie der hohen 
Spitzbogengewölbe durch große, vergoldete, jedenfalls erſt 
in ſpäterer Zeit hinzugefügte Roſetten, die man an den 
Schlußſtein befeſtigt hat, geſtört wird. Die im Verhält— 
niß zur Größe des Domes ſehr kleinen und meiſt nur 
zur Hälfte ausgeführten Fenſter enthalten alte Glasge— 
mälde, welche das wenige Licht, das in die Kirche ge— 
langen kann, ſo ſehr dämpfen, daß es unmöglich iſt, die 
in den zahlreichen Kapellen befindlichen Gemälde und 
andern Kunſtſchätze ordentlich zu ſehen. Die Kapellen 
und die Umgebungen des Chor, welcher ſich nach ſpani— 


ſcher Sitte im Centrum der Kirche befindet, umſchließen 


Die Kirche der Madonna del Pilar. 31 


die Grabmäler vieler Könige und Prinzen von Aragonien. 
Die Außenſeite des Chor iſt mit Heiligengeſchichten vor— 
ſtellenden Basreliefs aus weißem Marmor geziert. Auch 
befindet ſich hier das Altar des Criſto de la Seo, 
einer ſehr ſchön gearbeiteten Holzſtatue, von der die Gläu— 
bigen behaupten, daß fie mit einem Canonicus der Kirche, 
Namens Funes, deſſen Figur neben dem Crucifix in knieen— 
der Stellung zu ſehen iſt, geſprochen habe! Ueber dem 
Platze zwiſchen dem Chor und dem Hochaltar erhebt ſich 
eine hohe achteckige Kuppel, die der Gegenpabſt Luna, 
welcher Erzbiſchof von Zaragoza war, hat erbauen laſſen. 
Der Boden der Kirche iſt ſehr ſchön mit polirtem Mar— 
mor von verſchiedener Farbe getäfelt. 

Bei weitem nicht ſo ſchön, aber viel berühmter und 
beſuchter, als die Metropolitankirche, iſt die Kirche der 
Madonna del Pilar oder die Catedral de la Vir— 
gen, wie ſie das Volk ſchlechtweg nennt. Die Madonna 
del Pilar de Zaragoza erfreut ſich in ganz Spanien, ja 
ſelbſt in den benachbarten katholiſchen Ländern, einer gro— 
ßen Verehrung; bei den Aragoneſen aber concentrirt ſich 
das ganze Chriſtenthum, die ganze Religion lediglich in 
dem Cultus dieſes wunberthätig fein ſollenden Marien— 
bildes. In Aragonien trifft man keine Hütte, wo nicht 
ein Bild, ſei es auch noch ſo ſchlecht, von dieſer Madonna 
hinge, und den Ablaßprivilegien zufolge, welche die Päbſte 
zu Rom und die Erzbiſchöfe von Zaragoza der Kirche der 


32 Verehrung der Madonna del Pilar in Aragonien. 


Jungfrau bewilligt haben, reicht es, um ſich die ewige 
Seligkeit zu ſichern, vollkommen hin, täglich ein Pater⸗ 
noſter und Avemaria in gläubiger Andacht vor einem 
ſolchen Bilde zu beten. Den Aragoneſen iſt folglich der 
Himmel gewiß, zumal den Zaragozanern, welche das Glück 
genießen, dieſe unvergleichliche Madonna in ihren Mauern 
zu haben. Dieſelbe hilft auch für Alles, für Krankheit, 
Gebrechen aller Art, Armuth, Hagelſchlag, Dürre, Theu— 
rung, Feuers- und Waſſersnoth, kurz, für alles Elend, 
was es auf Erden giebt. Nur ein Uebel ſcheint ſie nicht 
heilen zu können, das iſt die Blindheit, denn für dieſes 
Uebel giebt es eine beſondere Heilige, nämlich Santa 
Lucia, welche in Aragonien ebenfalls eine bedeutende Gunſt 
und Verehrung genießt. In dem Dome der Jungfrau 
werden alltäglich, außer den gewöhnlichen Meſſen am 
Hochaltar, von früh drei Uhr an bis Mittags zwölf Uhr 
ununterbrochen Meſſen an dem Altar des Madonnenbildes 
geleſen, und man mag in dieſen Tempel kommen, zu 
welcher Stunde man wolle, immer wird man den Platz 
vor jenem Altare mit einer Menge Menſchen beiderlei Ge— 
ſchlechts bedeckt finden, die, auf den Knieen liegend, ihr 
Gebet verrichten. Selbſt die vornehmſten Damen, die 
höchſten Beamten und Offiziere, die Profeſſoren der Uni— 
verſität, kurz, die gebildetſten Leute, knieen gleich dem 
zerlumpteſten Bettler täglich, oder wenigſtens alle Sonn— 
tage, vor dieſem Bilde, ob aus Bedürfniß, oder aus An⸗ 


Einfluß des Madonnendienſtes auf die Aragoneſen. 33 


gewohnheit, ob aus Glauben, oder aus Klugheit, will 
ich dahin geſtellt ſein laſſen. Der Name Gottes oder 
Chriſti wird in Zaragoza und überhaupt in Aragonien 
kaum gehört, ſondern blos der der „Santiſima Virgen 
del Pilar“. Wird man angebettelt, ſo iſt es dieſe Ma— 
donna, die das Herz zur Mildthätigkeit erweichen ſoll, 
und dankt ein Bettler, ſo iſt ſie es wieder, welche die 
Wünſche deſſelben verwirklichen ſoll. Dieſer ſeit undenk— 
lichen Zeiten von der Geiſtlichkeit gehegte und gepflegte 
Madonnendienſt iſt jedenfalls die Haupturſache der Igno— 
ranz, der Unduldſamkeit und Bigotterie, durch welche ſich 
das ſonſt ſo treffliche und begabte Volk der Aragoneſen 
ſo unvortheilhaft von den übrigen Volksſtämmen Spaniens 
unterſcheidet. Denn die Aragoneſen ſind der einzige ſpa— 
niſche Volksſtamm, der ſich noch gegenwärtig durch reli— 
giöſen Fanatismus und grimmigen Ketzerhaß auszeichnet. 
Die beiſpielloſe Verehrung, welche der Madonna del Pilar 
erwieſen wird, hat ihren Grund in der folgenden Legende, 
deren Wahrheit durch päbſtliche Bullen u. ſ. w. verbrieft 
und beſiegelt iſt. Nach Chriſti Tode kam die heilige 
Jungfrau in Perſon nach Spanien, als Führerin des 
Apoſtels Jacobus, welcher die Spanier zum Chriſtenthum 
bekehren ſollte, was er auch der Behauptung des Clerus 
zufolge wirklich gethan hat, und wofür ihm die Ehre zu 
Theil geworden iſt, Schutzpatron der geſammten ſpaniſchen 
Nation dieſſeits und jenſeits des Meeres zu ſein. Nach— 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 3 


34 Legende von der Madonna del Pilar. 


dem die Jungfrau die ganze Halbinſel durchſtreift hatte 
— nur in die Mancha iſt ſie der Volksſage nach nicht 
gekommen, weil ihr dieſelbe gar zu ſchlecht war —, kam ſie 
zuletzt auch nach Zaragoza, wo es ihr ſo gefiel, daß ſie 
beſchloß, daſelbſt zu bleiben, wenn nicht in Perſon, doch 
wenigſtens in effigie. Kurz, fie bezeichnete dem Apoſtel 
Jacobus die Stelle, wo ſie wünſche, daß ihr Haus er⸗ 
baut werde, und ſiehe da, an derſelben Stelle fand ſich 
in ſpäterer Zeit ein überaus wunderbares Madonnenbild,“ 
denn daſſelbe beſtand nicht, gleich andern, aus Stein oder 
Holz, nein, aus Fleiſch und Bein, und heilte die Kranken] 
und Krüppel, welche zufällig bei deſſen Auffindung zu⸗ 
gegen waren, auf der Stelle durch das bloße Anſchauen.“ 
Das Bild wurde neben oder unter einem Waſſertroge am 
Ufer des Ebro gefunden, und daher kommt ſein Name, 
denn pilar heißt ein Waſſertrog. | 
Die Catedral de la Virgen ſtammt erſt aus dem 
ſiebzehnten Jahrhunderte und tft ein wunderliches Ge- 
bäude. An Größe mangelt es ihr nicht, denn fie bilden 
ein längliches Viereck von 500 Fuß Länge, auch nicht ar 
Pracht und an Kunſtſchätzen, wohl aber an Geſchmack und 
an Styl. Das Innere der Kirche, aus drei geräumiger 
Schiffen beſtehend, iſt nämlich entſetzlich mit Verzierun 
gen überladen, welche, da ſie meiſt in Stein gehauen ſind 
Unſummen von Geld gekoſtet haben müſſen, und, wie dae 
ganze Gebäude, in einem Style ausgeführt, der ſich nich 


Bauart der Catedral de la Virgen. 35 


anders, als mit dem Namen Perückenſtyl charakteriſiren 
läßt. So beſtehen die Kapitäle der gewaltigen Pfeiler, 
welche das Gewölbe der drei Schiffe tragen und zu bei— 
den Seiten derſelben ſieben geräumige Kapellen von einan— 
der ſcheiden, aus Engelsköpfen und Blumenwerk und ſind 
die zum Theil mit herrlichen Fresken geſchmückten Kuppeln 
der Kapellen mit en hautrelief ausgeführten Guirlanden 
umzogen! Anſtatt gewöhnlicher Kirchenfenſter beſitzt jede 
Kapelle eine kreisrunde Oeffnung hoch oben am Gewölbe, 
durch welche das Licht in die Kirche hereinfällt. Da dieſe 
runden Fenſter faſt immer mit Vorhängen verhüllt zu 
ſein pflegen, ſo herrſcht in der Kirche beinahe dieſelbe 
Dunkelheit, wie in der Catedral de la Seo. Ueber jeder 
Kapelle wölbt ſich eine kleine Kuppel empor, die mit 
einem Thürmchen gekrönt iſt. Je zwei der ſieben Kapel- 
len einer jeden Längenſeite dienen als Eingangshallen, 
zwei von der Seite des Ebro, die beiden andern von der 
Seite der Plaza del Pilar. Ein Hauptportal giebt es 
ſeltſamerweiſe nicht; kurz, die ganze Kirche iſt nach einem 
allen Geſetzen der Architectur Hohn ſprechenden Plane 
gebaut. Auch die einzelnen Parthieen des Innern, wie 
die Kapellen, das Hochaltar und der Chor tragen dieſen 
Charakter von Verkehrtheit und Geſchmackloſigkeit. Das 
Hochaltar z. B. iſt ein mixtum compositum aus allen mög— 
lichen Stylen, überladen mit Sculpturen, welche, für ſich 
betrachtet, zum Theil Meiſterwerke der Bildhauerkunſt und 
3 * 


36 Kunſtſchätze dieſer Kirche. 


ſämmtlich in Marmor und Alabaſter ausgeführt ſind. Eine 


beſondere Zierde deſſelben ſind drei marmorne, von dem | 
valencianiſchen Künſtler Damian Format herrührende | 


Basreliefs, von denen das mittelſte die Geburt Chriſti, 
die beiden andern die Präſentation Chriſti im Tempel 
und die Himmelfahrt Chriſti darſtellen. Der Chor, wel— 
cher ſich hier am weſtlichen Ende des Hauptſchiffes, dem 


Hochaltar gegenüber befindet, verdient wegen der pracht⸗ 


vollen Holzſchnitzereien, welche die Lehnen und Seiten— 


wände der 145 aus Eichenholz verfertigten Armſeſſel der 
Canonici bedecken, alles Lob; der Kunſtgenuß, den der 
Anblick dieſer herrlichen Seulpturen gewährt, wird aber 


durch die abgeſchmackten Verzierungen des koloſſalen bron— 
zenen Gitterthors, das den Chor von dem Schiffe der 
Kirche abſperrt, bedeutend geſtört. Die Gitterſtäbe ſind 
nämlich mit einer Menge kleiner vergoldeter Vögel, Am— 
phibien, Fiſche, Blumen, Arabesken u. ſ. w. beſetzt. Sehr 
ſchön iſt ein in der Kapelle des heiligen Joachim ſtehen— 
des Grabmonument, welches Karl III einem feiner ver— 
dienteſten Generale, dem 1747 verſtorbenen Herzoge von 
Montemar, Don Joſef Carillo de Albornoz, ſetzen 
ließ. Daſſelbe beſteht aus einem Obelisken, der auf 
einem geſchmackvollen, mit den allegoriſchen Figuren der 
Tapferkeit und Gerechtigkeit geſchmückten Sockel ruht, 
und iſt ganz und gar aus weißem, carrariſchem Marmor 
ausgeführt. Der Bildhauer war ein Spanier, Namens 


Die Kapelle der Jungfrau. 815 


Lamberto Martinez. Der ſehenswertheſte oder viel— 
mehr der durch ſeine Pracht imponirendſte Theil der 
Kirche iſt die Kapelle der Jungfrau. Dieſelbe befindet 
ſich hinter dem Hochaltar am öſtlichen Ende der Kirche 
und bildet einen Tempel für ſich, ſo zu ſagen, ein Aller— 
heiligſtes. Sie hat eine ovale Form und ſoll nach der 
Caſa ſanta di Loretto gebaut fein. Korinthiſche Säulen 
von prachtvollem buntem Marmor mit vergoldeten Kapi— 
tälen, welche drei von Rundbogen überwölbte Eingänge 
zwiſchen ſich laſſen, tragen eine impoſante Kuppel, durch 
deren Laterne das Licht von oben her in das Heiligthum 
hereinfällt. Im Umkreiſe dieſer großen Kuppel ſind noch 
vier kleinere, ebenfalls in Laternen endigende Kuppeln 
angebracht, weshalb die Kapelle der Jungfrau von Außen 
als ein Conglomerat von Kuppeln und Thürmchen er— 
ſcheint. Alle fünf Kuppeln ſind mit den prachtvollſten 
Fresken, von der Meiſterhand der berühmten ſpaniſchen 
Freskomaler des achtzehnten Jahrhunderts, Franziseco 
Bayeu, Franzisco Goya und Antonio VBelazquez 
geziert. Die Fresken der Hauptkuppel ſtellen die Jung— 
frau, umgeben von einer Glorie himmliſcher Heerſchaaren, 
vor, die der vier Seitenkuppeln myſteriöſe Scenen aus 
ihrem Leben. Die Geſimſe, Wände und Fußböden des 
Tempels ſind gänzlich aus den koſtbarſten Marmorarten 
verfertigt und ſpiegelblank polirt. An der dem mittlern 
Eingange gegenüber liegenden, dem Hochaltar zugekehrten 


38 Das wunderthätige Madonnenbild. 


Seite erheben ſich drei Altäre neben einander. Das mit: 
telfte beſitzt anſtatt eines Gemäldes ein ſehr ſchönes Bas— 
relief von weißem Marmor in Geſtalt eines großen Me— 
daillons, welches den Augenblick verewigt, wo die heilige 
Jungfrau dem Apoſtel Jacobus die Stelle zeigt, an der 
ſie ihren Tempel erbaut wiſſen wollte. Auf dem Altar 
rechts daneben befindet ſich der Gegenſtand der ſtupiden 
Verehrung der Aragoneſen, das wunderbare und wunder— 
thätige Marienbild, welches man nicht gut anders, als 
knieend zu betrachten wagen darf, will man nicht Gefahr 
laufen, von den bigotten Gläubigen inſultirt zu werden. 
Die Madonna del Pilar iſt eine Puppe von der Größe 
eines vierjährigen Kindes, mit einem recht hübſchen friſchen 
Mädchengeſichte, welches nur durch die enorme goldene 
Krone, die ſie auf dem Haupte trägt, verunſtaltet iſt, 
ſowie durch den glockenförmigen Mantel, der die ganze 
Figur bis an das Kinn verhüllt. Dieſer Mantel iſt von 
ſchwerer Seide und ſtrotzt von Perlen und Edelſteinen. 
Eine Menge Kerzen auf hohen Leuchtern von maſſivem 
| 
| 
| 


Silber brennen fortwährend auf dem Altar der Jungfrau, 
wodurch es möglich wird, ſowohl das Bild, als das er— 
wähnte Basrelief, ſowie die übrigen Verzierungen und 
Kunſtſchätze der Kapelle zu ſehen; denn das von oben 
hereinfallende Licht iſt zu ſchwach, um die geräumige 
Halle vollſtändig zu erleuchten. Außer dem beſchriebenen 
Medaillon giebt es noch andere Basreliefs an den Wän— 


Runſtſchätze der Kapelle der Jungfrau. Klöfter von Zaragoza. 39 


den des Tempels, welche Myſterien aus dem Leben der 
Jungfrau veranſchaulichen, ſowie acht Heiligenſtatuen, 
Alles von weißem Marmor, Werke der ſpaniſchen Bild— 
hauer Manuel Alvarez, Carlos Salas, Joſef 
Ramirez, Juan de Leon und Leon Lozano. Kurz, 
es herrſcht eine unbeſchreibliche Pracht in dieſem Tempel, 
aber ſchön dürfte ihn das prüfende Künſtlerauge trotz der 
Vortrefflichkeit ſeiner Einzelnheiten ſchwerlich finden. Un— 
ter der Kapelle der Jungfrau befinden ſich die Grüfte 
der Canonici. Am weſtlichen Ende der Kirche erhebt 
ſich der Glockenthurm, welcher wie das ganze Gebäude 
aus Ziegeln erbaut iſt und mit einem ebenfalls ziegelge— 
deckten Dache von der Geſtalt einer flachen, vierſeitigen 
Pyramide endet. An Höhe kommt dieſer Thurm dem der 
Metropolitankirche ziemlich gleich. 

Zaragoza beſaß ehedem 41 Klöfter, nämlich 28 Mönchs— 
und 13 Nonnenklöſter. Letztere exiſtiren noch, mit Aus— 
nahme des Kloſters der Kapuzinerinnen, welches im Fran— 
zoſenkriege zerſtört und ſpäter weggeriſſen wurde; die 
Mönchsklöſter dagegen ſind, wie überall in Spanien, ſämmt— 
lich aufgehoben. In vielen derſelben ſollen große Kunſtſchätze 
enthalten, oder, vielleicht richtiger, enthalten geweſen ſein. 
Unter den öffentlichen, nicht für religiöſe Zwecke beſtimm— 
ten Gebäuden iſt namentlich die Lonja oder der alte 
Börſenpallaſt ſehenswerth. Derſelbe liegt an der Puerta 
del Angel und bildet ein großes Viereck von alterthüm— 


40 Der Pallaſt der Lonja. Die Torre nueva. 


licher Bauart. Die Außenwände des von der Zeit ge— 
ſchwärzten Gebäudes ſind mit den koloſſalen Bruſtbildern 
der Könige von Aragonien geſchmückt; im Innern befindet 
ſich eine große Halle, welche durch funfzig doriſche Säulen 
von vierzig Fuß Höhe in drei Schiffe geſchieden iſt. Hier 
verſammelten ſich zur Zeit des aragoneſiſchen Königthums, 
als Zaragoza's Handel noch blühte, die Kaufleute; jetzt 
dient dieſe Halle dem Rathe der Stadt, dem Ayunta⸗ 
miento, als Sitzungslocal. Ein anderes der Beachtung 
würdiges Bauwerk iſt die Torre nueva, der höchſte 
Thurm von Zaragoza. Derſelbe ſteht vollkommen iſolirt 
auf einem kleinen Platze und iſt außer ſeiner Höhe und 
der großen, in ſeiner durchbrochenen Spitze hängenden 
Glocke, welche als Seigerſchelle dient, beſonders deshalb 
berühmt, weil er bedeutend nach der einen Seite hin 
überhängt, ähnlich wie der ſchiefe Thurm zu Piſa. Doch 
iſt die Torre nueva keineswegs abſichtlich ſchief gebaut, 
wie der Thurm zu Piſa, ſondern hat ſich blos auf der 
einen Seite geſenkt, befindet ſich aber ſeit undenklicher 
Zeit in dieſem Zuſtande. Dieſer Thurm gehört jeden— 
falls, trotz ſeines Namens, zu den älteſten Gebäuden von 
Zaragoza. Er iſt achteckig, mit gothiſchen Verzierungen 
bedeckt und von ſehr bedeutender Dicke. Eine bequeme 
ſteinerne Wendeltreppe führt in ſeinem Innern zu dem 
Kranze empor, über welchem ſich eine hohe, ſteile, mit 


Kupferblech gedeckte und mit gothiſchen Zierrathen aus 


* 


Promenaden von Zaragoza. Salou de Santa Engracia. 44 


Zink geſchmückte Spitze erhebt. Der Kranz bietet eine 
ſehr weite Ausſicht dar, die ſchöner ſein würde, wären die 
Ebenen des Ebrobaſſins weniger ſteril und mehr bevöl— 
kert. Bei heller Luft ſieht man die Pyrenäen ſehr deutlich. 

Obwohl Zaragoza im Mittelpunkte einer öden Steppe 
liegt, ſo ſind ſeine nächſten Umgebungen, ſo weit die 
baumreiche und wohlangebaute Huerta reicht, doch ſehr 
anmuthig. Auch iſt durch Anlegung von Promenaden 
ſehr viel für die Verſchönerung der Stadt gethan wor— 
den. Faſt rings um ihre Mauern ſchlingen ſich ſchattige 
Alleen; der ſchönſte Spaziergang befindet ſich aber vor 
der Puerta de Santa Engracia. Hier verſammelt ſich 
allabendlich die elegante Welt von Zaragoza auf dem 
geräumigen Platze des Salon de Santa Engracia, 
einer großen, von Alleen umringten und in ihrer Mitte 
mit einem hübſchen Blumengarten gezierten Rotunde. 
Mehr, als dieſe, wie es ſcheint, erſt vor wenigen Jahren 
angelegte Promenade, gefiel mir der Paſeo del Monte 
Torrero, eine prächtige vierfache Allee alter, ſtattlicher 
Ulmen, welche ſich, von dem Ufer des Huerva, der 
nahe bei der Puerta de Santa Engracia vorbeifließt, ſanft 
anſteigend, eine halbe Stunde weit bis zum Kaiſerkanal 
erſtreckt und ihren Namen von dem Kloſter Monte Tor— 
rero erhalten hat, das dicht am Rande des Kanals, an 
einer der höchſten und anmuthigſten Stellen der Huerta, 
im Schooße fruchtbarer Gärten, Oliven- und Obſthaine 


142 Das Kloſter Monte Torrero. 


liegt. Dieſes Kloſter ſieht ſehr modern aus und iſt in 
florentiniſchem Style erbaut. Die mit zwei ganz gleich 
geformten Glockenthürmen verzierte Façade würde noch 
ſchöner fein, wären die Kapitäle der fie ſchmückenden Säu⸗ 
len nicht verunſtaltet. Sie ſind nämlich korinthiſch, ha— 
ben aber anſtatt der maleriſchen Acanthusblätter geſchmack— 
loſe Blumenguirlanden. Ueber dem Innern der Kirche, 
einer ſchönen, doch ebenfalls mit Verzierungen überlade— 
nen Rotunde, wölbt ſich eine große und ſehr edel geformte 
Kuppel empor, die mit jenen blos in Spanien gebräuch⸗ 
lichen glacirten Buntziegeln, welche „Azulejos“ genannt 
und vorzüglich in Valencia in großer Menge fabrizirt 
werden, gedeckt iſt. Dieſe Azulejos ſind gewöhnlich dun— 
kelblau (daher der Name) und beſitzen einen eigenthüm⸗ 
lichen, in's Goldige ſpielenden Glanz, weshalb eine mit 
dergleichen Ziegeln gedeckte Kuppel, wenn die Sonne auf 
dieſelbe ſcheint, einen ungemein ſchönen Anblick darbietet, 
beſonders, wenn ſie ſich zwiſchen üppigem Baumwuchſe 
erhebt oder gar von Palmen umringt iſt, wie man dies 
häufig im Königreiche von Valencia ſehen kann. Nahe 
bei dem Monte Torrero erheben ſich am Ufer des Kanals 
eine Reihe ſtattlicher Gebäude, welche Niederlagen, Ma— 
gazine, Tabernen, ein Wachlocal u. ſ. w. enthalten. Es 
befindet ſich hier nämlich der Hafen von Zaragoza, der | 
Hauptſtapelplatz des kaiſerlichen Kanals. Da man diefen | 
Kanal außerhalb Spaniens wenig kennt, ſo will ich hier 


Der kaiſerliche Kanal von Aragonien. 43 


einige Bemerkungen über denſelben einfchalten. Der Ca— 
nal imperial de Aragon wurde auf Befehl Kaiſer 
Carls V. zu bauen begonnen, in der doppelten Abſicht, 
die durch die Verſandung des Ebro unmöglich gewordene 
Schifffahrt wieder herzuſtellen und den Boden zu bewäſ— 
ſern, um ihn dadurch zum Anbau fähig zu machen. Nach 
dem Tode des Kaiſers, während deſſen Regierung er auf 
eine Strecke von zehn Leguas vollendet worden war, 
wurde der Bau eingeſtellt und der angefangene Kanal 
ſeinem Schickſal überlaſſen. Erſt zweihundert Jahre ſpä— 
ter nahm man die Arbeiten wieder auf, reſtaurirte das 
angefangene Stück und führte den Kanal achtzehn Leguas 
weiter, d. h. ſo weit, als er ſich gegenwärtig erſtreckt, 
denn ſeit dem Ende des vorigen Jahrhunderts iſt nicht 
mehr daran gebaut worden. Dem urſprünglichen Plane 
nach ſollte er noch zehn Leguas weiter, bis zur Mündung 
des Fluſſes Martin, geführt und von dort aus der Ebro 
wieder ſchiffbar gemacht werden. Der Kanal von Ara— 
gonien beginnt in Navarra eine Meile unterhalb Tudela. 
Dort hat man ein rieſiges Wehr, Bocal del Rey ge 
nannt, errichtet, durch welches der Ebro hoch aufgeſtaut 
und dadurch eine hinreichende Waſſermaſſe in den Kanal 
geleitet wird, um denſelben gleichzeitig zum Transport 
und zur Bewäſſerung benutzen zu können. Von dort läuft 
der Kanal fortwährend in einer Entfernung von einer 
halben bis zwei Meilen von dem rechten Ufer des Ebro 


44 Die Caſa blanca. Anficht der Stadt vom Ufer des Kaiſerkanals. 


im Zickzack bis einige Meilen unterhalb Zaragoza's, wo—⸗ 
ſelbſt er aufhört. Auf ſeinem Wege überſchreitet er drei 
Flüſſe und mehrere Thäler auf koloſſalen Brücken. Er 
iſt 10 ½ ſpaniſche Fuß tief, an ſeiner Oberfläche 74½ 
Fuß breit, trägt große Fahrzeuge und bewäſſert mehr als 
30000 Morgen Landes. Gegenwärtig wird dieſes groß— 
artige Werk faſt nur zum Transport von Getreide und 
Gemüſe, ſowie von Kriegsmaterial benutzt. Die Ufer des 
Kaiſerkanals, beſonders das Stück zwiſchen dem Monte 
Torrero und der Caſa blanca, einem großen Gaſthofe 
nebſt Mühle und Waſſerkunſt, von wo aus die Gaſſen 
und Gärten der Stadt mit Waſſer verſorgt werden, bie— 
ten die ſchönſte Anſicht von Zaragoza dar. Man überſieht 
hier nämlich die in der Tiefe ruhende Stadt faſt ganz 
und gar, ſowie einen großen Theil der baumreichen, von 
weißgetünchten Landhäuſern wimmelnden Huerta; auch 
fehlt es hier dem Bilde nicht an einem Hintergrunde, 
indem die ſchöngeformten Gebirge Hocharagoniens, welche 
bei heller Luft, namentlich in der duftigen Beleuchtung 
des Morgens, viel näher erſcheinen, als ſie wirklich ſind, 
den Horizont, jo weit er ſichtbar it, begränzen. — Auch 
in den Umgebungen des Arrabal exiſtiren einige Prome— 
naden, die jedoch denen der Stadt an Schönheit weit 
nachſtehen. Noch am meiſten verdient die Allee beſucht 
zu werden, welche ſich längs der Straße von Catalonien 
bis zur Brücke über den Gaͤllego erſtreckt, weil fie durch 


Promenaden und Umgebungen des Arrabal. 45 


einen der ſchönſten Theile der Huerta von Zaragoza führt, 
welche hier, mehr als anderwärts, mit freundlichen Land— 
häuſern, von den Zaragozanern „Torres“ genannt, über— 
ſät iſt, und außer Oliven, Obſt und Gemüſe auch Süd— 
früchte, beſonders Feigen und Mandeln, in Menge her— 
vorbringt. Dieſe Ebene war am 20. Auguſt 4740 der 
Schauplatz der blutigen Schlacht von Zaragoza, in wel— 
cher Philipp V. von dem ſpaniſch-deutſchen Heere des 
Erzherzogs Carl von Oeſtreich total geſchlagen wurde. — 


Zweites Kapitel. 


Die Abtei Beruela und der Montayo. 


Unter den Gebirgen, welche das geräumige Flachland 
des Ebrobaſſins umgeben, zeichnet ſich die anderthalb 
Tagereiſen weſtlich von Zaragoza auf den Gränzen von 
Aragonien, Navarra und Altcaſtilien gelegene Sierra 
de Moncayo durch Umfang und Höhe am meiſten aus. 
Dieſes Gebirge iſt zugleich außerordentlich berühmt, theils 
wegen ſeines Reichthums an vortrefflichem Waſſer und 


an heilſamen Kräutern, theils wegen eines wunderthä- 


tigen Madonnenbildes, welches dort gefunden worden 
ſein ſoll und in einer am aragoneſiſchen Abhange erbauten 
Hermita aufbewahrt wird. Noch jetzt wallfahren alljähr⸗ 
lich eine Menge von Gläubigen, beſonders aus Aragonien, 
nach jener Kapelle, obwohl bei weitem nicht mehr ſo viele, 


wie in früherer Zeit, wo oft Tauſende von Wallfahrern | 


aus allen Landſchaften Spaniens dort zuſammengeſtrömt 
ſein ſollen. Da ich zwei Wochen in Zaragoza verweilen 


| 


i 
| 


Weg von Zaragoza nach Alagon. 47 


mußte, und deſſen Umgebungen im hohen Sommer dem 
Botaniker ſo viel wie gar nichts darbieten, ſo verwendete 
ich fünf Tage auf einen Ausflug nach dieſem in jeder 
Hinſicht höchſt intereſſanten Gebirge. 

Ich verließ Zaragoza am Mittage des 12. Juni in 
Begleitung meines Basken und brachte die Nacht in der 
kleinen, aber recht freundlichen Stadt Alagon zu, welche, 
vier Leguas von Zaragoza entfernt, zwiſchen dem Ebro 
und dem Kaiſerkanal inmitten einer fruchtbaren, großen— 
theils von Oelbäumen bedeckten Ebene liegt. Der Weg 
iſt bis dahin die ſchön gebaute und gut gepflegte Heer— 
ſtraße nach Navarra und recht anmuthig, da die genannte 
Chauſſee fortwährend durch die vom Kaiſerkanal bewäſ— 
ſerte Ebene führt. Selbſt der Anblick der nackten, jen— 
ſeits des Ebro ſich hinziehenden, von den Regenwäſſern 
bizarr zerriſſenen Mergelhügel, welche die Nähe der Steppe 
verrathen, beleidigt das Auge nicht, da dieſelben wegen 
der warmen, duftig violetten Beleuchtung, welche dem nach— 
mittäglichen Sonnenlichte im Süden Europa's eigenthüm— 
lich iſt, gar nicht ſo unfruchtbar, öde und traurig aus— 
ſehen, als ſie es in der That ſind. Ueberhaupt liegt ein 
Hauptreiz aller ſüdlichen Landſchaften in der Beleuchtung. 
Viele der geprieſenſten Landſchaften Südeuropa's würden, 
wenn man ſie in das kalte, matte Licht des Nordens ver— 
ſetzen könnte, unendlich an ihrer Schönheit verlieren und 
vielleicht mancher, viel weniger beachteten Landſchaft des 


48 Einfluß der Beleuchtung auf die Landſchaften des Südens. 


Nordens weit nachſtehen. Denn was verleiht denn eigent— 
lich den Landſchaften des Südens einen ſo eigenthüm— 


lichen, den Bewohner des Nordens ſo mächtig ergreifen- 


den Reiz? Es iſt der Contraſt zwiſchen der Kahlheit der 
Berge und dem üppigen Vegetationsſchmucke der Thäler 
und Niederungen, gemildert durch den farbenreichen Duft 


des hellen Sonnenlichts. Man nehme den zauberifchen - 


Landſchaften des Golfs von Neapel oder der Vega von 
Granada die Beleuchtung und laſſe die nordiſche Sonne 


ſie erhellen: gewiß, auch dann noch würden ſie reizend 


ſein wegen der ſchönen Contouren ihrer Berge, wegen 
der anmuthigen Gruppirung der Vegetation, der Städte, 
Flecken und Villen; allein dieſelben Gebirge, welche jetzt 
in der wunderbaren, unaufhörlich wechſelnden Farbenpracht 
des ſüdlichen Sonnenlichts, die hier ein Thal in ſchwarz— 
violette Schatten vergräbt, dort eine nackte Felskuppe in 
das zarteſte, duftigſte Himmelblau taucht und purpurne 
Flammenmäntel um die Schultern der höchſten Schnee— 
koloſſe legt, den hervorſtechendſten Reiz jener Landſchaften 
bilden; dieſelben Gebirge würden dann kalt, finſter und 
unheimlich die durch Vegetation und Menſchenwerke ſo 
prächtige Gegend beherrſchen; der Contraſt, den ihre 
Sterilität mit der Ueppigkeit der Thäler hervorbringt, 
würde dann viel zu grell ſein und daher nicht mehr das 
Auge erfreuen, ſondern es beleidigen. Der unbeſchreib— 
liche Farbenduft der ſüdlichen Beleuchtung, den kein Pinſel 


Einfluß der Beleuchtung auf die ſüdlichen Landſchaften. 49 


in ſeiner ganzen Wahrheit wiederzugeben im Stande iſt, 
verſöhnt das Auge ſelbſt mit der wüſteſten und unſchön— 
ſten Gegend. Ich habe mehr als eine Landſchaft in Spa— 
nien geſehen, welche wegen der fürchterlichen Dürre des 
Bodens, wegen des völligen Mangels an menſchlichen 
Wohnungen, an Anbau und überhaupt an vegetativer 
Scenerie die endloſen braunen Moorbrüche der Lünebur— 
ger Heide an Oede und Verlaſſenheit noch weit übertref— 
fen: und dennoch, wie intereſſant, ja ſogar wie ſchön er— 
ſcheinen jene unwirthlichen Einöden in dem warmen, viel— 
tonigen Lichte der ſpaniſchen Sonne; ſei es am Morgen, 
wo die Fernen hellblau gefärbt und zart von Roſenroth 
angehaucht erſcheinen; ſei es am Mittage, wo ein blen— 
dendes Lichtmeer über das ganze Land ausgegoſſen iſt 
und alle Gegenſtände ſcharf contourirt und dennoch von 
weichem Duft umfloſſen hervortreten; oder gar am Abend 
hei Sonnenuntergang, wenn tiefblaue Schatten ſich über 
die kahlen, hellen Gefilde hinwälzen und alle Hügel und 
hervorragenden Puncte, je nach ihrer Lage und Entfer— 
tung, von einer vom hellſten Roſenroth bis zum dunkel— 
ten Violettpurpur nuancirten Lichtglorie umſtrahlt find, 
Dieſe farbenreiche Beleuchtung, welche am ſtärkſten, am 
harakteriſtiſchſten in jener Länderzone der alten Welt 
hervortritt, die man in geographiſcher Hinſicht wegen des 
n ihrem Schooße ſich ausbreitenden Beckens des mittel— 
ländiſchen Meeres mit dem Namen der „mediterranen“ 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. k 


50 Auftreten der ſüdlichen Beleuchtung in Spanien. 


bezeichnet hat, beginnt auf der pyrenäiſchen Halbinſel erſt 
in viel niedrigeren Breiten, als im Centrum Europa's. 
Denn während ſich z. B. das ſüdliche Tyrol und die 
ſüdliche Schweiz bereits einer völlig italieniſchen Beleuch⸗ 
tung erfreuen, laſſen die um volle drei Breitegrade ſüd⸗ 
licher gelegenen Gegenden des cantabriſchen Litorale den 
Farbenduft der ſüdlichen Sonne noch nicht ausgeprägt 
erkennen. Zwar iſt die Beleuchtung in den prachtvollen 
Gebirgslandſchaften der baskiſchen Provinzen eine andere, 
eine hellere und wärmere, als in den Landſchaften des 
ſüdlichen Deutſchland und der nördlichen Schweiz, denen 
jene Gegenden hinſichtlich des Vegetationsſchmuckes und 
ihres ganzen landſchaftlichen Charakters jo auffallend glei⸗ 
chen; dennoch aber noch ganz verſchieden von dem Farben- 
reichthume, welcher ſich in den Ebenen von Navarra, des 
Ebrobaſſins und Altcaſtiliens zu entzünden beginnt und 
jenſeits des centralen Scheidegebirges mit jeder Meile, 
die man gen Süden reiſt, immer wechſelvoller und glü⸗ 
hender hervortritt, bis er endlich in den Mediterranpro⸗ 
vinzen, zumal in Südvalencia, Murcia und Andaluſien 
jene unbeſchreibliche Pracht und Wärme erreicht, deren 
ſich eben nur die ſüdlichſten Gegenden der mediterranen 
Zone rühmen können. Noch bemerke ich, daß ſich die 
Farbenpracht der ſüdlichen Beleuchtung am reinſten und 
ſchönſten im Herbſt und Winter zeigt. Im Frühlinge iſt 
ſie bei weitem nicht ſo ausgeprägt, und im Sommer — 


Alagon. Unruhige Nacht. 54 


wenigſtens in Spanien — oft Wochen, ja Monate lang 
durch den fahlen, in Folge der furchtbaren Hitze ſich er— 
zeugenden Nebel der Calina ſo ſtark gedämpft, daß die 
ganze Landſchaft in ein monotones, unheimliches Grau 
gehüllt erſcheint. 

Ich traf in Alagon wider Erwarten eine recht gute, 
ſogar reinliche Poſada, — eine Seltenheit in Aragonien! —, 
nur, wie überall in dieſer Provinz, mürriſche, unhöfliche 
Leute mit mißtrauiſchen Geſichtern. Da kurz vor unſerer 
Ankunft eine Compagnie Soldaten eingerückt war, welche 
die dienſtbaren Schönen des Ortes in den zahlreichen 
Weinkneipen bis Mitternacht mit unmelodiſchem Geſang 
und ſchrillendem Guitarrenſpiel unterhielten, auch eine 
Menge Fuhrleute, die in den Poſaden keinen Raum ge— 
funden hatten, auf dem Platze vor unſerm Gaſthofe bi— 
vouakirten: ſo konnte ich die ganze Nacht hindurch kein 
Auge ſchließen. Dazu kam, daß ich, wahrſcheinlich in 
Folge der Erhitzung beim Botaniſiren in der Sonnen— 
gluth, hefitge mit Fieber verbundene Anfälle von Kolik 
bekam, die mich bis zum Morgen peinigten. Noch mit 
vollem Fieber behaftet, beſtieg ich am Morgen mein Pferd, 
in der Hoffnung, daß mir durch die Bewegung in der 
freien Luft beſſer werden würde, was auch wirklich der 
Fall war. Vielleicht mochten auch die Eislimonaden, 
welche ich nach Landesſitte gegen jenes durch die Hitze 
erzeugte Uebel genommen hatte, das Ihrige zur Beſeiti— 
4 * 


32 Die Salzſteppe von Plaſencia. 


gung deſſelben beigetragen haben. Wir verließen in Ala- 
gon die Straße nach Navarra, da dieſelbe, den Ufern 
des Ebro folgend, einen ſehr bedeutenden Umweg bis 
nach der Stadt Borja, die unſer nächſtes Ziel war, 
macht, und ſchlugen einen Saumpfad ein, welcher in ziem⸗ 


lich gerader Richtung dahin führt. Nach einſtündiger 
Wanderung zwiſchen Olivenhainen und gut angebauten 
Ackerfluren überſchritten wir den Kaiſerkanal und betraten 
nun jenes früher erwähnte Steppengebiet, welches ſich 
von Zaragoza an zwiſchen dem Kanal und den das Ebro⸗ 
baſſin gegen Weſten umſchließenden Gebirgen bis Tudela 
hinzieht und zum Theil unter dem Namen der Llanura 
de Plaſencia bekannt iſt. Die Cultur und die Bäume 
hörten augenblicklich auf; wohin wir blickten, nirgends 


war ein grüner Halm zu ſehen; nur halb verdorrte Diſteln, 


vertrocknete Grasbüſchel und graugrüne Steppenkräuter 
bedeckten dünn zerſtreut den von Eiſenoxyd rothbraun 
gefärbten, unter der Sonnengluth zerſprungenen Mergel- 
boden des wellenförmig geſtalteten Terrains. Nachdem 
wir bei einer ſchlechten Venta vorbeigekommen waren, 
die am Rande eines aus dem Kanal abgeleiteten Waſſer⸗ 
grabens neben einigen Gemüſefeldern liegt, wurde die 
Farbe des Bodens allmälig heller und heller, und endlich 
kreideweiß. Die Oberfläche des Bodens erhob ſich nun 
in Form niedriger, abgerundeter Hügel mit ſteilen Ab⸗ 


hängen; Stücke von Fraueneis (blättrigem Gyps) und 


Die Salzſteppe von Plaſencia. Wirkung der Calina. 33 


Knollen ſchneeweißen, dichten Gypſes zeigten ſich in die 
horizontalen Schichten des grauweißen Mergels einge— 
bettet, und die Riſſe und Spalten des Bodens erſchie— 
nen häufig mit einem weißen, kryſtalliniſch glänzenden 
Pulver erfüllt, welches ſich bei genauerer Unterſuchung 
als ein Gemiſch aus verſchiedenen Salzen zu erkennen 
gab. Die Hitze erreichte bald einen furchtbaren Grad in 
dieſem nackten, kreideweißen Hügellande, deſſen triſter 
Charakter noch durch den Nebelſchleier der Calinag geſtei— 
gert wurde, welcher die Horizonte gegen Weſten und Oſten 
in ungewiſſe Dämmerung hüllte, ſo daß die Steppe gegen 
dieſe Himmelsgegenden hin von endloſer Ausdehnung zu 
fein ſchien. Wie ein rieſiges Gefpenft dämmerte gerade 
vor uns der hohe Wall des immer näher rückenden Mon— 
cayogebirges durch den Hitzenebel, der ſeine Baſis gänz— 
lich verſchleierte, ſelbſt das Himmelsgewölbe war von 
einem durchſichtigen grauen Dunſt erfüllt, durch den das 
Licht der Sonne ſo gedämpft wurde, daß die Schatten 
aller Gegenſtände grau erſchienen; eine lautloſe Stille 
ruhte über der todten, unter der Sonnengluth ſchmach— 
tenden Einöde: es war eine intereſſante, aber unheim— 
liche Landſchaft! — Endlich gelangten wir an den Rand 
eines aus ſieben ſteilen Hügeln gebildeten und deshalb 
„die ſieben Köpfe“ (los siete cabezos) genannten Ab— 
ſatzes des Plateau's und erblickten von hier aus zu uns 
ſern Füßen eine breite Niederung, durch deren gelbgrün 


34 Ein gefalzener Bach. Magallon. Der Rio Huecha. 


gefärbten, ſcheinbar mit hohem, halbverwelktem Graswuchs 
bedeckten Grund das Silberband eines Baches in anmu⸗ 
thigen Krümmungen ſich hinſchlängelte. Die durſtigen 
Pferde wieherten vor Freude beim Anblick des klaren 
Waſſers; allein die armen Thiere hatten ſich getäuſcht, 
denn das Waſſer war ſtark geſalzen. Die ganze Niede- 
rung beſtand aus ſchwarzem, zähem, ſalzigem Schlamme 
und das dieſelbe bedeckende Grün rührte nicht von Wie⸗ 
ſengräſern, ſondern von den ſteifen, binſenartigen, dem 
Vieh ſchädlichen Blattbüſcheln eines in den ſalzigen Nies 
derungen Central- und Südſpaniens in unglaublicher 
Menge geſellig wachſenden Steppengraſes (das Lygeum 
Spartum Löfl.) her. Von neuem nahm uns das nackte 
Gypsgelände in ſeinen glühenden Schooß auf; doch er— 
blickten wir nunmehr in der Ferne einige von ſpärlichem 
Baumwuchs umringte Ortſchaften, unter denen ſich na 
mentlich das Städtchen Ma gallon durch feine Lage auf 
einem iſolirten Mergelhügel auszeichnet. Nach fünfſtün⸗ 
diger Wanderung durch die unwirthliche Steppe erreichten 
wir endlich um 11 Uhr bei größter Sonnengluth die grü— 
nen Ufer des Rio Huecha, eines klaren Gebirgswaſſers, 
welches bei einem ſchmuzigen Dorfe vorbeiſtrömt, und 
das einzige Trinkwaſſer iſt, das man zwiſchen der eben 
erwähnten Venta und Borja, d. h. innerhalb eines Rau⸗ 
mes von ſechs Stunden Weges, trifft. Nach kurzer Raſt 
ſetzten wir unſere Wanderung weiter fort. Bald ſtiegen 


Die Stadt Borja und ihre Huerta. 35 


die hohen Zinnen des wohlerhaltenen mauriſchen Caſtells 
von Borja hinter den kahlen, das grüne Thal des Huecha 


einfaſſenden Gypshügeln empor, an deren Abhange unſer 


Weg hinlief. Eine Viertelſtunde ſpäter trafen wir in 


Borja ein, wo wir bis zwei Uhr verweilten, um die 


größte Hitze vorübergehen zu laſſen. 


Borja iſt eine kleine, aber wohlhabend ausſehende 
und ſehr lebhafte Stadt, deren krumme und enge Gaſſen 
die Herkunft ihrer Gründer verrathen. Sie liegt am 
Abhange eines nackten, ſteilen Kalkhügels, auf dem das 


ſchon erwähnte, noch jetzt als Bergveſte dienende Caſtell 


ſteht, und am Anfange einer äußerſt fruchtbaren und ziem— 


lich ſorgfältig angebauten, von einem Walde von Oelbäu— 


men umringten Ebene, welche ſich zwiſchen dem Gyps— 
hügellande der Steppe und der Sierra de Moncayo aus— 
breitet und durch das klare Waſſer des auf dem genannten 
Gebirge entſpringenden Huecha befruchtet wird. Schattige, 
mit ſteinernen Ruhebänken verſehene Ulmenalleen umringen 
die alterthümlich gebaute Stadt, deren Inneres mehrere 


ſtattliche Kirchen und Klöſter beherbergt, faſt auf allen 


Seiten und bieten herrliche Ausſichten über die zum größ— 
ten Theil mit Hanf- und Gemüſefeldern bedeckte und des— 
halb ſelbſt während der heißeſten Sommermonate im üp— 
pigſten Grün prangende Niederung der Huerta und auf 
die Kette des Moncayogebirges dar, welches ſich hier in 
ſeiner ganzen Majeſtät entfaltet und in einer Entfernung 


56 Landſchaftliche Contraſte. 


von blos zwei Leguas den weſtlichen Horizont weithin 
umwallt. Wie ganz verſchieden iſt der Charakter dieſer 


ſchönen Gebirgslandſchaft von dem der öden Steppe, 


welche Borja von der Thalebene des Ebro ſcheidet und 
ſelbſt noch das linke Gehänge des reizenden Huechathales 
bildet! Hier, wie an vielen andern Stellen Central- und 
Südſpaniens, liegen die üppigſte Fruchtbarkeit und die 
traurigſte Sterilität unmittelbar neben einander und brin- 


gen einen Contraſt hervor, der an der Gränze der beiden 
Landſtriche wegen feiner Grellheit von entſchieden unan- 


genehmer Wirkung iſt, in der Ferne dagegen durch den 
Duft der ſüdlichen Beleuchtung, welche gerade an ſolchen 
nackten Erdhügeln, ſobald dieſelben vielfach von Schluch— 


ten durchfurcht ſind, ihren ganzen Farbenzauber in unge— 


ahnter Pracht zu entwickeln pflegt, ſo gemildert wird, daß 
er nicht nur das Auge nicht beleidigt, ſondern im Gegen— 
theil den Reiz der Landſchaft bedeutend erhöht. Noch 
viel ſtärkeren landſchaftlichen Contraſten begegnet man in 
den ſüdlichen Provinzen Spaniens. So iſt z. B. ganz 
Murcia nichts als ein Aggregat von fruchtbaren, Orangen 
und Südfrüchte aller Art in unglaublicher Menge produ⸗ 
zirenden Thälern und nackten, öden Steppenplateaus oder 
kahlen, unwirthlichen Felsgebirgen. 

Borja iſt fünf Stunden von Bera entfernt, einem 
nahe am Fuße des höchſten Theiles des Moncayogebirges 
gelegenen Flecken, den wir zu unſerm Nachtquartier erko⸗ 


Weg von Borja nach Bera. 57 


ren hatten. Der Weg führte uns am Fuße der dürren 
Erdhügel längs einer Acequia hin, welche den größten 
Theil der Waſſermaſſe des Huecha aufnimmt und die ein— 
zelnen Felder der fruchtbaren Thalebene bewäſſert. Mit 
Ausnahme eines kleinen Dorfes berührt der Pfad keinen 
einzigen bewohnten Ort. Nach einigen Stunden gelangten 
wir an den Ausgangspunct der Waſſerleitung. Die ſchö— 
nen dunkelgrünen, von ſchattigen Nußbäumen umringten 
Hanffluren hörten hier auf und es begannen Weinpflan— 
zungen, die von hier an die ganze Thalebene und die 
benachbarten Abhänge, im Ganzen wohl mehr als eine 
Quadratmeile Landes, gänzlich bedecken. Es wächſt hier 
eine der beſten Sorten des dunkelfarbigen, durch bedeu— 
tenden Spiritusgehalt ausgezeichneten, und deshalb ſehr 
chweren und feurigen aragoneſiſchen Rothweins. Da ich 
in Bera, einem finſtern, ſchlecht gebauten und entſetzlich 
ſchmuzigen Flecken, welcher auf einem nackten Kalkhügel 
über dem linken Ufer des Huecha liegt, kein Unterkom— 
men finden konnte, indem die einzige Poſada, die es 
daſelbſt gab, ſammt ihren Bewohnern von Schmuz und 
Ungeziefer ſtarrte, ſo ritt ich wieder fort, um in dem 
blos eine Viertelſtunde entfernten Beruela (Klein-Berah, 
einer ehemals ſehr berühmten, jetzt in den Händen eines 
Privatmanns befindlichen Abtei des Ordens der Bern— 
hardiner ein Nachtquartier zu ſuchen. Eine ſchattige Ul— 
menallee führt von Bera ſchnurgerade nach dieſem Kloſter, 


58 Die Bernhardinerabtei Beruela. 


welches mit ſeinen weitläufigen Nebengebäuden und ſeiner 
feſtungsartigen, von drei Thürmen mit Azulejosſpitzen 
überragten Ringmauer einer kleinen Stadt gleicht und 
im Schooße einer äußerſt fruchtbaren und ſorgfältig an⸗ 
gebauten, von vielen Ulmenalleen durchkreuzten Ebene, 
etwa eine halbe Stunde in gerader Richtung vom Fuße 
des Moncayogebirges entfernt, höchſt anmuthig gelegen 
iſt. Die Allee von Bera mündet in einen großen, run⸗ 
den, von hohen alten Ulmen umgebenen und in ſeiner 
Mitte mit einem ſteinernen Kreuze von koloſſaler Größe 
geſchmückten Platz, von dem nach drei Seiten hin eine 
Menge Alleen ſtrahlenförmig ausgehen, die zu den ver— 
ſchiedenen Abtheilungen des umfangreichen, zu der Abtei 
gehörigen Territoriums führen. Dieſem Platze gegenüber 
erhebt ſich ein dicker, mit einer hübſchen gothiſchen Stein- 
ſpitze gezierter Thurm, unter dem ſich der Eingang zum 
Kloſter, ein hohes gothiſches Thor von ſehr ſchönen archi— 
tectoniſchen Verhältniſſen befindet. Es war in dem wei— 
ten, beiderſeits von Wirthſchaftsgebäuden eingeſchloſſenem 
Hofe, deſſen Hintergrund die Kirche bildet, kein Menſch 
zu ſehen. Erſt nach längerem Rufen erſchien der Pfört⸗ 
ner, welcher uns die Pferde abnahm und eine Magd her 
beirief, die er beauftragte, für mein Unterkommen zu ſor⸗ 
gen. Sie führte mich durch den weitläufigen Kloſtergar⸗ 
ten zu einer gothiſchen Pforte, durch die man in den 
Kreuzgang gelangt. Die Kloſtergebäude ſehen von außen 


Der Kreuzgang, das Treppenhaus und die Mönchszellen. 59 


ziemlich unſcheinbar aus. Um ſo mehr war ich überraſcht, 
als ich den Kreuzgang betrat, denn dieſer iſt eines der 
ſchönſten gothiſchen Bauwerke, die ich je geſehen habe. 
Zahlloſe ſchlanke Säulenbündel löſen ſich in hohe, ſich 
kreuzende und unter einander zierlich veräſtelnde Spitz— 
bögen auf und bilden eine große Menge von prächtigen 
Hallen, die ſich zu langen Gallerieen an einander reihen. 
Noch impoſanter iſt die Halle der Haupttreppe mit ihrem 
erhabenen, von alten berühmten Meiſtern auf das Pracht— 
vollſte al fresco gemalten Kuppelgewölbe. Die flüchtig 
vorauseilende Dienerin geſtattete mir nicht, mich aufzu— 
| halten, und geleitete mich die breiten Stufen der doppel— 
ten, ganz und gar aus weißem Marmor erbauten Treppe 
hinauf bis in einen weiten, über dem Kreuzgange befind— 
lichen, mit polirtem ſchwarzem und weißem Marmor zier— 
| lich getäfelten Corridor, wo mich der Wirthſchaftsinſpector 
empfing und mir eine der ehemaligen Mönchszellen zu 
meiner Wohnung anwies. Beſſer als hier haben Mönche 
wohl ſchwerlich gewohnt. Jede Zelle beſteht nämlich aus 
einem großen gewölbten Gemache nebſt einem Vorzimmer, 
einem Alkoven und einer kleinen Küche. Eine hohe Glas— 
thüre führt auf eine offene, oben bedeckte Gallerie, welche 
die herrlichſte Ausſicht, ſei es nach dem Moncayogebirge, 
ſei es nach Bera zu, gewährt. Der gegenwärtige Beſitzer 
der Abtei hat eine Anzahl Zellen ausmalen und meubli— 
| ren laſſen, um fie als Fremdenzimmer benutzen zu können. 


60 Zuſammentreffen mit Fremden in der Abtei. 


Eine ſolche wurde auch mir zu meinem Quartier ange 
wieſen, und ich muß geſtehen, daß ich in Spanien ſelten 
bequemer und angenehmer logirt habe, als in jener ehe— 
maligen Mönchszelle. 

Ich war nicht der einzige Gaſt in jener Abtei. Be⸗ 
ruela wird nämlich wegen ſeiner angenehmen Lage, ſeines 
vortrefflichen Waſſers und ſeiner erfriſchenden Bergluft 
während der heißeſten Monate von den bemittelten Be— 
wohnern von Zaragoza und den benachbarten Städten 
häufig als Sommeraufenthalt benutzt. Es waren bereits 
mehrere Familien aus Zaragoza und Tarazona zugegen, 
und noch mehr wurden erwartet. Da das Kloſter einige 
funfzig Zellen der beſchriebenen Art enthält, ſo kann es 
viele Familien faſſen, ohne daß eine die andere incom— 
modirt. Es dauerte nicht lange, ſo machte mir der Pfar— 
rer der Abtei, der einzige, welcher von den Mönchen 
übrig geblieben iſt, aber jetzt als Weltgeiſtlicher fungirt, 
ſeine Aufwartung, wahrſcheinlich um zu erfahren, wer ich 
ſei und was ich wohl in Beruela wollte, und lockte durch 
ſeine Geſchwätzigkeit und ſeine lauten Ausrufe der Ver— 
wunderung, die er über meine Inſtrumente und Samm— 
lungen äußerte, auch die übrigen Gäſte herbei. Anſtatt 
an meinen Sammlungen arbeiten zu können, wie ich be— 
abſichtigt hatte, mußte ich nun Rede ſtehen, erzählen und 
erklären, zumal da ſich unter den Gäſten einige junge 
Damen befanden, welche die Neugierde ſehr zu plagen 


Geſchichte der Abtei. Die Kloſterkirche. 6A 


ſchien. Glücklicherweiſe gehörten die anweſenden Familien 
ſämmtlich den höhern Ständen an, ſonſt würde mir dieſe 
zahlreiche Geſellſchaft bald ſehr läſtig geworden ſein. 
Die Abtei Beruela gehört zu den älteſten Klöſtern 
Aragoniens. Sie wurde gegen das Ende des elften Jahr— 
hunderts von dem Prinzen Don Pedro el Atares, 
Urenkel des Königs Ramiro J. von Aragon, genannt 
El eriſtianiſimo, gegründet, und führt deshalb den Titel 
einer königlichen Abtei: Real abadia de San Bernardo 
de Beruela. Die in Form eines Kreuzes aus Sandſtein 
erbaute Kirche, welche den älteſten Theil des Kloſters 
bildet, beſteht aus drei geräumigen Schiffen, deren ſchlanke, 
zierliche Pfeiler und hohe Spitzbogengewölbe das Gepräge 
des reinſten gothiſchen Styles tragen. Ein prächtiger, 
halbkreisförmiger Säulengang geht hinter dem Hochaltar 
weg, welches ebenfalls von gothiſchem Geſchmack und aus 
verſchiedenen koſtbaren Marmorarten conſtruirt iſt. Die 
hohen, prächtig geſtäbten Fenſter mögen in früherer Zeit 
mit Glasgemälden geſchmückt geweſen ſein, worauf noch 
einige bunte, in denſelben ſteckende Scheiben deuten; da— 
mals waren ſie mit ölgetränktem Papier verklebt! Die 
Betſtühle der Mönche im Chor ſind aus Eichenholze ver— 
fertigt und zeichnen ſich, wie die ganze Kirche, durch Ein— 
fachheit, aber ſchöne Formen aus. Unter den zahlreichen 
Grabdenkmälern, welche dieſes Gotteshaus enthält, feſſel— 
ten namentlich zwei, die ſich zu beiden Seiten des Hoch— 


62 Grabdenkmäler. Excurſion nach dem Moncayogebirge. 


altars befinden, wegen der ſchönen Marmorſculpturen, mit 
denen ſie geſchmückt ſind, meine Aufmerkſamkeit in hohem 
Grade. Das eine birgt die Gebeine des ſchon genannten 
Gründers dieſes Kloſters, welcher zugleich erſter Abt von 
Beruela war und im Jahre 1440 hier beſtattet wurde; 
das andere umſchließt die Reſte des Infanten Don 
Alonſo, älteſten Sohnes des kriegeriſchen Königs Ja— 
cob I. von Aragonien, welcher der Inſchrift zufolge im 
Jahre 1260 während ſeiner Hochzeit ſtarb. Außerdem 


ruhen in dieſer Kirche die Gebeine mehrerer Fürſten und 


Granden von Aragonien, ſowie die ſämmtlichen Aebte 
von Beruela. Die Außenſeite der Kirche iſt, mit Aus⸗ 
nahme des Portals, gar nicht verziert. Der Glockenthurm 
hat früher wahrſcheinlich eine durchbrochene gothiſche Py- 
ramide beſeſſen; jetzt iſt die Spitze blos mit Azulejos 
gedeckt. 

Den folgenden Morgen, — Sonntags, den 14. Juli —, 
verließ ich, nachdem ich der Frühmeſſe beigewohnt hatte, 
die Abtei wieder, um den Moncavyo zu beſteigen. Ein 
zweiſtündiger Ritt über felſige, mit aromatiſchem Labiaten⸗ 
geſträuch bedeckte Kalkhöhen brachte uns nach dem Flecken 


Pasmö, welcher zwar ſehr dürr, aber ungemein male⸗ 


riſch am ſteilen Abhange eines nackten Felshügels gelegen 
iſt, deſſen Scheitel die Ruinen einer großen Burg von 
arabiſcher Bauart krönen. Hier betritt man wieder das 
grüne Thal des Huecha, an welchem Bache der Pfad nach 


Der aragoneſiſche Abhang des Moncayo. Die Hermita. 63 


der Hermita des Moncayo emporführt. Dicht am Fuße 
des Gebirges liegt noch ein Dorf, Namens Alitau. Der 
dem Ebrobaſſin zugekehrte Abhang des Moncayo tft bis 
zur halben Höhe des Gebirges mit Laubwaldung bedeckt. 
Bis zu einer Höhe von ungefähr 2000 Fuß beſteht die— 
ſelbe aus Eichen mit filzigen Blättern (Quercus Tozza P.), 
weiter hinauf aus unſerer gemeinen Rothbuche. Schon 
von fern gaben ſich dieſe beiden, ſcharf von einander ab— 
gegränzten Waldzonen durch das verſchiedene Grün ihres 
Laubes deutlich zu erkennen. Die obere Hälfte des Ge— 
birges iſt völlig kahl, von waſſerloſen Schluchten durch— 
furcht und mit grauem Gerölle und Felsblöcken überſchüt— 
tet. Bald oberhalb der Baumgränze liegt hart am Fuße 
| einer rieſigen, ſenkrecht aufragenden, fait würfelförmigen 
Felsmaſſe, auf deren höchſtem Puncte ſich ein eiſernes 
Kreuz erhebt, ein langes, ſchuppenähnliches, einſtöckiges, 
mit Ziegeln gedecktes Gebäude. Es iſt der berühmte 
Wallfahrtsort, die Hermita de Nueſtra Senñora del 
Moncayo. Da hier fortwährend ein Pfarrer und Sa— 
kriſtan nebſt dem erforderlichen Dienſtperſonale leben, 
auch nicht ſelten Reconvalescenten von den Aerzten hier— 
her geſendet werden, um ſich durch die Bergluft und das 
herrliche Waſſer, welches nahe bei der Hermita in reich— 
licher Menge quillt, zu ſtärken, ſo pflegt die Hermita immer 
gut verproviantirt zu ſein. Von Wallfahrern wird ſie jetzt 
nur im Auguſt, am Jahrestage der Auffindung des wunder— 


64 Die Hermita. Zuſammentreffen mit Prieftern. 


baren Madonnenbildes, beſucht. Dann aber reicht der 
Raum der Hermita, obwohl dieſelbe eine ziemliche Anzahl 
von Gemächern und geräumige Stallungen enthält, nicht 
hin, um die Menſchen und die Reit- und Laſtthiere zu 
faſſen, weshalb dann Zelte und Hütten in den Umge— 
bungen der Hermita errichtet werden. Die Hermita des 
Moncapo eignet ſich wegen ihrer Lage am obern Abhange 
des Hochgebirgs wie kein anderer Punet zum Standquar- 
tier für einen Naturforſcher, welcher den Moncayo unters 
ſuchen will. Man logirt daſelbſt ganz gut und verhält— 
nißmäßig billig. Auch hier wurde ich durch die Neugierde 
ſehr geplagt. Es waren nämlich außer dem Pfarrer, einem 
höchſt unwiſſenden und ganz ungebildeten Menſchen, meh— 
rere Prieſter aus Tarazona zugegen, welche, wie ich aus 
ihren Geſprächen entnahm, gleich vielen andern Geiſtlichen 
Spaniens, in Bergwerksactien ſpeculirten. Da dieſelben 
bemerkt hatten, daß ich mineralogiſche Werkzeuge bei mir 
führte, Steine zerſchlug und Beobachtungen mit dem Kom— 
pas machte, ſo mochten ſie auf den Gedanken kommen, 
ich ſei ein Bergingenieur oder Minenſpeculant. Wenig⸗ 
ſtens folgten ſie mir auf jedem Schritte und Tritte, und 
ließen mich keinen Augenblick aus den Augen, wahrſchein— 
lich, um gleich zugegen zu ſein, wenn ich etwa einen der 
fabelhaft reichen Gold- oder Silbergänge, die der Volks— 
ſage nach in den Eingeweiden des Moncayo exiſtiren, 
auffinden ſollte. N 


Höhe und Geftaltung der Sierra de Moncayo. 65 


erheben. Ihre Höhe iſt noch unbekannt; ich ſelbſt habe 
fie leider, da ich mein Barometer nicht beſaß, nicht meſ— 
ſſen können. Der Vegetation ihres Gipfels nach zu ur— 
theilen, dürfte fie indeffen mehr als 5000 Fuß über den 
Spiegel des Meeres aufragen. Der Moncavo bildet den 
eulminirenden Theil einer längern Gebirgskette, welche 
ſich in faſt nordſüdlicher Richtung aus der Gegend von 
Fitero in Navarra (vom 42. Breitegrade an) bis nahe 
Jan das Thal des Rio Jalon, der die Mauern von 
Calataynd beſpült und durch die Steppe von Plaſen— 
eia ſtrömt, erſtreckt und ungefähr eine Länge von acht 
geographiſchen Meilen beſitzt. Das Hochgebirge iſt eine 
chroffe, ungegliederte, blos von ſeichten Gründen durch— 
furchte, wallartige Maſſe, deren breiter, aus fanft gewölb— 
ten Plateaus gebildeter Kamm an ſeinen gen NNO. und 
SS W. ſchauenden Endpuncten zu zwei flachen pyramida— 
len Kuppen anſchwillt, von denen die nördliche die größte 
Höhe erreicht. Gerade über die Mitte des Kammes läuft 
die Gränze zwiſchen den beiden Landſchaften Aragon und 
Alteaſtilien. Der öſtliche oder aragoneſiſche Abhang iſt 
lang und ſteil, der weſtliche oder caſtilianiſche dagegen 
kurz und ſanft geneigt. Die Verſchiedenheit des Neigungs— 
winkels beider Abhänge erklärt ſich aus der Lage der das 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 5 


66 Verſchiedenheit der Abbänge. Zuſammenſetzung des Gebirges. 


Gebirge zuſammenſetzenden Geſteinsſchichten; der im erſten 
Augenblicke auffallende Umſtand dagegen, daß gerade der 
ſanft geneigte Abhang am kürzeſten, der ſteile am längſten 
iſt, hat feinen Grund in der bedeutenden Niveauverſchie⸗ 
denheit der Ebenen des Ebrobaſſins und Alteaſtiliens. 
Denn während das Flachland am öſtlichen Fuße des Mon— 
cayo höchſtens eine abſolute Höhe von 1000 Fuß beſitzt, 
iſt das am entgegengeſetzten Fuße ſich ausbreitende Pla— 
teau von Soria mindeſtens 3500 Fuß über den Spiegel 
des Meeres erhaben. Jedermann, der den Gipfel des 
Moncavyo beſucht, muß dieſe bedeutende Niveauverſchieden— 
heit beider Flachländer auf den erſten Blick wahrneh— 
men, und in der That entging ſie auch weder meinem 
Bedienten, noch den Hirten, die ich auf dem Gebirge traf. 

Die Sierra de Moncayo beſteht, ſo weit ich fie kenne, 
aus einer ziemlich undeutlich geſchichteten Grauwacke, welche 
häufig in Grauwackenſchiefer und durch dieſen in Thon— 
ſchiefer übergeht. Da die dichte Grauwacke, welche die 
Hauptmaſſe des Gebirges ausmacht, eine hellgraue Farbe 
— wenigſtens an ihrer der Atmoſphäre ausgeſetzten Ober— 
fläche — und eine unregelmäßig-polyedriſche Abſonderung 
beſitzt, ſo ſehen die Fels- und Geröllemaſſen von fern aus, 
als beſtünden ſie aus Granit, wofür auch die ſanft con— 
tourirten Formen des Gebirges zu ſprechen ſcheinen. Die 
nach Norden und Süden gekehrten Verlängerungen des 
Hochgebirges, welche die Höhe von 3500 Fuß kaum über⸗ 


zuſammenſetzung des Gebirges. Beſteigung des höchſten Gipfels. 67 


teigen dürften, find mehr gegliedert und haben ſcharf ge— 
zackte Contouren. Dieſelben follen aus Kalk und rothem 
Sandſtein (wahrſcheinlich der devoniſchen Formation) zu— 
ammengeſetzt fein und mehrere bauwürdige Erzgänge 
edler Metalle in ihrem Innern beherbergen. Noch will 
ch erwähnen, daß der Moncayo nicht blos die Waſſer— 
cheide zwiſchen den Gebieten des Ebro und Duero, und 
olglich zwiſchen dem mittelländiſchen und atlantiſchen 
Meere, ſondern auch eine entſchiedene Wetterſcheide bil— 
det. Die im Ebrobaſſin äußerſt häufig entſtehenden Ge— 
vitter pflegen nämlich nur ſelten oder faſt nie den Mon— 
zayo zu überſchreiten, wohl aber ſehr oft daſelbſt ihren 
Anfang zu nehmen. Letztere ſind wegen ihrer Furchtbar— 
eit, beſonders wegen des fie gewöhnlich begleitenden Ha— 
zelſchlags, das Schrecken der am Fuße des Gebirges ge— 
egenen Ortſchaften Aragoniens. 

Ich beſtieg den höchſten Gipfel des Moncayo am 
Vormittage des 45. Juli. Die Beſteigung iſt zwar mit 
‘einer Gefahr verbunden, aber höchſt ermüdend, da enorme 
Maſſen von loſem Gerölle, welches auf jeden Tritt unter 
ben Füßen wegrollt, den ſchroffen Oſtabhang faſt gänzlich 
bedecken. Es befinden ſich hier mehrere künſtliche Neve— 
kas und Schneegruben, welche der Stadt Tarazona ge— 
hören. Es ſind dies tiefe, trichterförmige Löcher, die 
nan in das Gerölle gegraben und an ihrem Rande mit 
einer Mauer von Steinblöcken umgeben hat. Dieſe Löcher 
5 


68 Schneegruben. Ausſicht vom Gipfel. 


füllt man in den Frühlingsmonaten, wo noch Schnee an 
den obern Abhängen des Gebirges vorhanden tft, bis zum 
Rande der Mauer mit feſtgeſtampftem Schnee an und 
bedeckt die Oberfläche deſſelben mit grünem Geſträuch und 
Reißig. Unter einer ſolchen Decke erhält ſich der Schnee 
den ganzen Sommer hindurch, ohne zu ſchmelzen. Der 
nöthige Bedarf wird bei Nacht aus den Neveras her- 
ausgeholt. — Um 10 Uhr erreichten wir den Kamm. 
Es war windiges, kühles Wetter und die Atmoſphäre 
nicht frei von Wolken. Mehrmals ſtrichen dieſelben über 
das Gebirge hinweg und hüllten uns eine Zeit lang in 
ihren feuchten Nebel. Doch waren die Luftſchichten kla- 
rer, als an den vergangenen Tagen und deshalb die Fer- 
nen deutlich zu erkennen. Die Ausſicht iſt ſehr umfaſf- 
ſend, doch keineswegs ſchön. Die den Horizont begrän⸗ 
zenden Gebirge ſind nämlich, mit Ausnahme der vom 
Moncayo ſelbſt auslaufenden Bergreihen, viel zu ſehr fi 
entfernt, um einen maleriſchen Anblick zu gewähren, und # 
die zu beiden Seiten des Gebirges ſich ausbreitenden 
Ebenen zu kahl, als daß ſie das Auge erfreuen könnten. 
Dies gilt beſonders von den Ebenen des Ebrobaſſins, fi 
welches man vom Moncayo aus beinahe in feiner ganzen 
Ausdehnung überſchaut. Die angebauten Strecken ver 
bergen ſich nämlich, da fie meiſt in den Flußthälern lie— 
gen, faſt gänzlich, fo daß man nichts erblickt, als die . 
öden, nackten, unbewohnten und unbebauten, oder höch— 


Ausſicht vom Gipfel des Moncayo. 69 


tens mit Getreidefeldern bedeckten Fluren der die Fluß— 
haler und Niederungen ſcheidenden Plateau's und Hügel— 
zelände. Beſſer und heiterer iſt der Anblick der Hochebene 
yon Altcaſtilien. Dieſe iſt hier, fo weit man fie über— 
chauen kann, faſt überall angebaut und mit zahlloſen 
Ortſchaften beſtreut. Unter letzteren zeichnet ſich die dicht 
im nördlichen Fuße des Hochgebirges aus einer üppig— 
zrünen Huerta emporblickende Stadt Agreda durch ihre 
naleriſche Lage und die vielen alterthümlichen Kirchen 
ind Klöſter, die ihr Inneres zieren, aus. Weſtwärts, 
n größerer Ferne, ſchimmern die Thürme der Biſchofs— 
tadt Soria, die an der Stelle des alten hochberühmten 
Rumantia ſteht. Am freundlichſten nehmen ſich die 
mmittelbaren Umgebungen des Moncayo auf der arago— 
eſiſchen Seite aus. Eine ununterbrochene Reihe von 
Zaumpflanzungen, Gemüſefeldern und Weingärten ſchlingt 
ich gleich einem breiten, grünen Gürtel um den Fuß des 
ebirges herum und beherbergt eine Menge Ortſchaften, 
velche dieſen grünen Fluren ein ſehr heiteres Anſehen 
erleihen würden, beſäßen dieſelben nicht das in Arago— 
den und auch in Caſtilien gewöhnliche erdfahle Colorit. 
Inter denſelben verdienen die Städte Borja, Tara— 
ona, Cascante und Tudela genannt zu werden. Der 
Horizont wird in weiter Ferne, gegen Oſten und Nord— 
ſten durch die Gebirge Hocharagoniens und die Kette 
ger Pyrenäen, gegen Norden durch die Gebirge von Na— 


70 Rückkehr nach Zaragoza. 


varra und Vizcava und gegen Südweſt durch die Sierra 
de Guadarrama und die übrigen Glieder des großen cen— 
tralen Scheidegebirges begränzt. Gegen Weſten und Sü⸗ 
den verſchwimmen die hüglichen, in endloſe Ferne ſich 
ausbreitenden Plateau's allmälig mit dem Blau des Him⸗ 
mels. — Um zwei Uhr kam ich wieder nach der Hermita 
zurück, welche ich einige Stunden ſpäter verließ, um mich 
abermals nach der Abtei zu verfügen. Von dort reiſte 
ich den folgenden Tag über Borja und Plaſencia nach 
Zaragoza zurück. — 


Drittes Kapitel. 


Reife nach Molina de Aragon und Teruel. 


Die Verpackung und Verſendung der in Hocharago— 
nien und auf dem Moncayo geſammelten Naturalien hielt 
mich länger in Zaragoza zurück, als es meine Abſicht ge— 
weſen war. Ich konnte deshalb die Hauptſtadt Arago— 
niens erſt am Morgen des 24. Juli verlaſſen, an wel— 
chem Tage ich bereits in der Serrania de Cuenca zu ſein 
gehofft hatte. Ich wollte nämlich urſprünglich von mei— 
nem nächſten Reiſeziele, Molina de Aragon, aus die 
innerhalb des wilden, waldbedeckten Berglandes der Ser— 
rania de Cuenca gelegenen Quellen des Tajo beſuchen, 
von dort über Albarrarin nach Teruel gehen und ſodann 
die Gebirge des nördlichen Valencia bereiſen. Alle dieſe 
ſpeciellen Unterſuchungen mußte ich aus Mangel an Zeit 
und auch an Geld aufgeben und mich entſchließen, von 
Molina auf geradem Wege über Teruel und nie 
nach Valencia zu reifen. 3 


72 Die Straße nach Valencia. Das Thal des Huerva. 


Der Weg nach Molina de Aragon iſt bis Daroca 
die von Zaragoza nach Teruel und Valencia führende 
aragoneſiſch-valencianiſche Heerſtraße. Dieſelbe beſtand 
damals noch aus einem weder gepflaſterten, noch chauſſir- 
ten, bald ſchmalen, bald breiten Fahrwege; gegenwärtig 
dürfte die neue Chauſſee vollendet ſein, an welcher bereits 
damals an vielen Stellen, beſonders innerhalb des Kö- 
nigreichs Valencia gebaut wurde. Es war ein ſchöner, 
wenn auch heißer Morgen, auch die Luft rein, da Tags 
zuvor ein heftiges Gewitter den Dunſt der Calina ver— 
trieben hatte. Bei der Caſa blanca tritt die Straße 
aus der Huerta von Zaragoza heraus und geht nun durch 
baumloſes und meiſt unangebautes Terrain, iſt jedoch recht 
unterhaltend, da ſie fortwährend am Rande eines flachen, 
ſehr gut angebauten Thales hinläuft, durch deſſen mit 
Getreide- und Gemüſefeldern, mit Wein- und Baumpflan⸗ 
zungen und beſonders mit Olivenhainen erfüllten Schooß 
der Rio Huerva fließt. Unter den Ortſchaften dieſer 
anmuthigen, auf der entgegengeſetzten Seite von nackten, 
ſteilen, oft wunderlich geſtalteten Mergelhügeln eingefaß⸗ 
ten Thalfläche zeichnet ſich beſonders ein großes Kloſter 
mit einer prächtigen Azulejoskuppel aus, welches inmit⸗ 
ten einer äußerſt baumreichen Huerta ruht. Die übrigen 
meiſt ſehr kleinen Oerter kleben an dem Abhange der 
ſchon erwähnten Hügelreihe und unterſcheiden ſich wegen i 
ihrer erdfahlen Farbe kaum von dem Boden, auf dem ö 


1 
| 


Steppenboden. Wüſte Gegend. Die Flecken Mueln. Longares. 73 


ſie ſtehen. Nachdem die Straße das Dorf Maria ge— 
kreuzt hat, erhebt ſie ſich allmälig zu einem Höhenzug, 
der aus nackten, dürren, völlig unfruchtbaren Erdhügeln 
beſteht, die aus Schichten von Mergel, Thon und Gyps— 
klumpen zuſammengeſetzt und ſalzhaltig ſind. Dieſe Hügel 
bezeichnen den erſten Abſatz der breiten Terraſſe, welche 
| der Oſtabhang des Plateau's von Neucaftilien gegen das 
Ebrobaſſin zu bildet. Es liegt hier zwiſchen dieſen dür— 
ren Mergelhügeln der Flecken Muél, ein ſchmuziger, un— 
freundlicher Ort, woſelbſt wir in einer des Ortes wür— 
| digen Poſada einige Stunden raſteten, um ein kaum 
| genießbares Mittagsbrot uns zubereiten zu laffen. Hinter 
| Muel wird die Gegend ſehr triſt, obwohl kein eigentlicher 
Steppenboden vorhanden iſt. Es fehlt hier blos an An— 
N bau, dem ſich allerdings wegen des Mangels an Waſſer 
unüberſteigliche Hinderniſſe entgegenſtellen. Mehrere Stun— 
den weit, nach allen Richtungen hin, breitet ſich eine 
völlig baumloſe und unangebaute, nur mit Diſteln und 
| aromatischen Labiatengeſtrüpp beſtreute, kieſige Ebene aus, 
in welcher man kein Obdach, auch keinen Bach oder Brun— 
| nen findet. Dieſe Einöde erſtreckt ſich bis in die Nähe 
des wegen ſeines hohen Kirchthurms weithin ſichtbaren 
Fleckens Longares, der von alterthümlichen Mauern um— 
gürtet, groß und ziemlich gut gebaut iſt. Der erwähnte 
Kirchthurm iſt von unten bis oben viereckig und endet 
in eine von Mauerzinnen umgebene Plattform. Unmit— 


74 Die Stadt Carinena. Die Garnacha. 


telbar hinter Longares beginnen einzelne, gut gepflegte 
Weingärten ſich zu zeigen, welche die Nähe der durch 
ihre vorzüglichen Weinſorten berühmt gewordenen Stadt 
Carinena verkündigen. Bald betritt man das eigent- 
liche Campo de Carinena, eine weite, gleich einem 
Tiſche ebene Fläche, die faſt gänzlich, ſo weit das Auge 
reicht, mit Weinreben bedeckt iſt, und daher einen ſehr 
heitern Anblick darbietet. Gegen Südweſt erſcheint dieſe 
fruchtbare Ebene von einer niedrigen, aber maleriſch ge- 
formten und theilweis bebuſchten Bergreihe begränzt, uns 
weit deren Fuße Carinena in einem Kranze von Oliven: 
hainen, Obſt- und Gemüſegärten liegt, woſelbſt ich zu mei— 
ner Freude eine recht wohnliche und reinliche Poſada 
antraf. Garitiena iſt eine kleine, freundliche, ziemlich 
regelmäßig gebaute Stadt von etwa viertehalb tauſend 
Einwohnern, welche meiſt vom Weinbau leben, der hier 
mit größerer Sorgfalt betrieben wird, als es ſonſt in 
Aragonien zu geſchehen pflegt. Unter den Weinen von 
Carinena nimmt die ſogenannte „Garnacha“ den erſten 
Rang ein. Es iſt dies ein öliger, ſüßer, feuriger Wein 
von roſenrother Farbe, von höchſt aromatiſchem Geruch und 
Geſchmack. Derſelbe wird vorzüglich in Centralſpanien, 
beſonders in Madrid, conſumirt, woſelbſt er, und mit 
vollem Rechte, in großem Anſehen ſteht. Den folgenden 
Morgen reiſte ich bis Daroca. Eine hügliche, faſt durch— 
gängig von Olivenplantagen und Rebenpflanzungen bedeckte 


Der Puerto de San Martin. Dede Gegend. Maynar. 75 


und mit einzelnen Häuſern beſtreute und deshalb ſehr hei— 
tere Gegend von etwa einer Stunde Durchmeſſer trennt 
Carinena von der bereits erwähnten Bergreihe, welche 
die zweite Stufe der Terraſſe von Neucaftilien bildet. 
Dieſelbe erhebt ſich ſteil aus dem eben geſchilderten Hü— 
gellande, während ſie ſich auf der entgegengeſetzten Seite 
in ſanften Abhängen zu dem darauf folgenden, mindeſtens 
um 500 Fuß höher als das Campo de Carinena gelege— 
nen Plateau abdacht. Sie beſteht aus Grauwackenſchiefer, 
einem Geſtein, welches auch bereits in der Ebene von 
Carinena häufig zu Tage ausgeht, und iſt theilweis mit 
niedrigen Immergrüneichen und Gebüſch (beſonders mit 
Cistus laurifvlius L) bedeckt. Die Schlucht, durch welche 
ſich die Straße nach dem Kamme emporwindet, führt den 
Namen Puerto de San Martin und war ehedem eine 
wegen der vielen Raubanfälle, die daſelbſt verübt wurden, 
ſehr berüchtigte Localität. Die auf dem Puerto folgende 
Hochfläche iſt hüglich, baumlos, ſehr wenig angebaut und 
noch ſpärlicher bevölkert, und erſtreckt ſich nach allen Him— 
melsgegenden hin als eine triſte graue Fläche, deren Con— 
touren in der Ferne mit dem Blau des Himmels ver— 
ſchwimmen. Einige elende Venta's, von Getreidefeldern 
umgeben, ſind die einzigen bewohnteu Orte, welche die 
Straße berührt. Wir machten Mittag in Maynar, 
einem großen, aber ſehr ſchlecht gebauten und entſetzlich 
ſchmuzigen Flecken, welcher in ganz Aragonien wegen der 


76 Die Rüben von Maynar. Das Dorf Retascon. 


vorzüglichen Rüben, die in ſeinen Umgebungen in großer 
Menge erbaut werden, eine gewiſſe Berühmtheit erlangt 
hat. Er liegt innerhalb der beſchriebenen Ebene, nahe 
bei einem andern Flecken, Namens Villareal. Beide 
Orte ſind von einem breiten Gürtel von Getreidefeldern 
umringt; dagegen bemerkt man nur ſehr wenige Bäume 
in ihren Umgebungen. Nachdem wir in Maynar der 
ſengenden Hitze halber eine lange Sieſta gehalten hatten, 
ritten wir in der vierten Nachmittagsſtunde weiter. Bald 
verſchwand der Anbau, und abermals folgte eine weite, 
nackte, mit Diſteln und Geſtrüpp bedeckte Fläche. Gegen 
Südweſt zeigte ſich dieſelbe in der Ferne von einer Hü- 
gelreihe begränzt, welche ganz dieſelben Contouren und 
daſſelbe Anſehen beſitzt, wie die Kette des Puerto de San 
Martin. Nach einer Stunde geſtaltet ſich die Oberfläche 
des Bodens wellenförmig und ſchwillt bald zu größern 
Hügeln an. Nachdem die Straße einige derſelben über⸗ 
ſtiegen hat, ſenkt ſie ſich in eine enge, von ſteilen, nack— 
ten Abhängen eingeſchloſſene Schlucht, in welcher die zer— 
ſtreuten Häuſer des Dorfes Retascon auf und zwiſchen 
Sandſteinklippen von kreideweißer Farbe zwar entſetzlich 
dürr, doch nicht unmaleriſch, gelegen ſind. Die Schlucht 
von Retascon öffnet ſich bald in eine kleine, von Hügeln 
umringte Ebene, welche mit Getreide und Wein bedeckt 
iſt. Dem Ausgange der Schlucht gegenüber erblickt man 
auf einem Hügel die Mauern und Thürme des mauriſchen 


Ankunft in Daroca. Lage, Bauart, Thore der Stadt. 77 


Caſtells von Daroca, wohin wir um ſechs Uhr ge— 
langten. 

Daroca, eine Stadt von 6000 Einwohnern, liegt 
zwiſchen zwei ſteilen Hügeln in eine tiefe Schlucht ver— 
ſteckt, welche in das fruchtbare Thal des Giloca mün— 
det. Es ſoll von den Celtiberern erbaut worden fein 
und wurde im Jahre 1423 durch König Alphons I. von 
Aragonien den Mauren entriſſen, an deren Herrſchaft der 
Hufeiſenbogen des Portals der Hauptkirche noch jetzt er— 
innert. Außer dieſer Hauptkirche, deren Inneres aus drei 
gothiſchen Schiffen beſteht, beſitzt die Stadt noch fünf 
andere Kirchen, ſowie ſechs Klöſter, welche aber gegen— 
wärtig aufgehoben ſind. Daroca iſt ziemlich gut gebaut, 
aber ſehr abſchüſſig gelegen, indem ſich die Sohle der 
Schlucht raſch nach dem Thale des Giloca hinabſenkt. 
Es iſt ganz und gar von alterthümlichen Mauern um— 
gürtet, die bis zum Kamme der beiden, die Schlucht ein— 
ſchließenden Hügel emporſteigen, die Stadt mit dem: 
Caſtell verbinden und mit einer Menge dicker, viereckiger 
Thürme verſehen ſind. Doroca beſitzt blos zwei Thore, 
ein oberes und ein unteres, welche ſich an den beiden, 
dem Ein- und dem Ausgange der Schlucht entſprechenden 
Enden der Stadt befinden. Beide Thore zeichnen ſich 
durch ihre pittoreske alterthümliche Bauart, das obere 
vorzüglich durch ſein ſchönes gothiſches Gewölbe aus, und 
ſind mit zwei dicken, viereckigen, zinnengekrönten Thür— 


78 Die Hauptſtraße. Die Alameda. 


men geſchmückt. Von einem Thore zum andern erſtreckt 
ſich eine breite, zum Theil von ſtattlichen Häuſern ein⸗ 
gefaßte, aber entſetzlich ſchlecht gepflaſterte und ſchmuzige 
Gaſſe, welche die ſchmale Stadt in zwei ziemlich gleiche 
Hälften ſcheidet. In der Mitte dieſer Gaſſe befindet ſich 
der Conſtitutionsplatz, an welchem die Hauptkirche ſteht. 
Vor dem untern Thore liegt ein großer Brunnen, wel— 
cher aus zwanzig bleiernen Röhren gleichzeitig armsdicke 
Waſſerſtrahlen ergießt. Hier beginnt die Alameda, eine 
vierfache Ulmenallee, die ſich bis an das Ufer des Jiloca 
erſtreckt. Da gerade ein hoher Feſttag war, als ich nach 
Daroca kam, nämlich das Feſt St. Jacobi, des Schuß: 
patrons von Spanien, ſo wimmelte dieſe Promenade von 
ſonntäglich gekleideten Spaziergängern, beſonders aus den 
höhern Ständen. Ich bemerkte unter denſelben mehrere 
ſehr hübſche und elegant gekleidete Damen, wie ich ſie 
in dem alterthümlichen Daroca nicht vermuthet hätte. 
Daroca iſt wegen ſeiner eigenthümlichen Lage ſehr häufig 
Ueberſchwemmungen ausgeſetzt. Da nämlich die baſſin— 
artige Ebene, welche ſich zwiſchen Daroca und Retascon 
befindet, keinen andern natürlichen Ausgang nach dem 
Thale des Giloca hin hat, als die Stadtſchlucht, ſo er— 
gießt ſich bei heftigem Platzregen, von dem in jenen Ge— 
genden faſt alle Gewitter begleitet zu ſein pflegen, alles 
Waſſer, welches ſich in jenem Thalbecken anſammelt, in 
dieſe Schlucht, wo es wegen der geneigten Sohle der— 


Die Mina de Daroca. Das Thal des Giloca. 79 


ſelben ſehr bald zu einem reißenden Bache anwächſt. Um 
dieſem Uebelſtande, durch den in früherer Zeit die Stadt 
ſehr gelitten haben ſoll, abzuhelfen, hat man, ich glaube, 
im 17. Jahrhunderte, vor dem obern Thore einen Tun— 
nel von 2340 ſpan. Fuß Länge und 24 Fuß Höhe und 
Breite durch den die linke Wand der Stadtſchlucht bil— 
denden Bergwall gebrochen, durch den jetzt im Falle eines 
ſtarken Regenguſſes alles im obern Thalbeckeu ſich an— 
ſammelnde Waſſer nach dem Thale des Giloca abfließt. 
Man nennt dieſen ſehenswerthen Tunnel die Mina 
de Daroca. Sein Baumeiſter war ein Franzoſe, Na- 
mens Pierres Vedel. 

Daroca liegt, wie ſchon bemerkt, am Rande des 
Gilocathales. Dieſes etwa eine Viertelſtunde breite, 
unter dem Namen der Ribera de Daroca bekannte und 
berühmte Thal iſt einer von jenen von der Natur privi— 
legirten Diſtricte, wie man dergleichen in Europa nur 
in der Mediterranzone findet. Während die benachbar— 
ten aus rothem und weißem tertiären Mergelſandſtein 
zuſammengeſetzten Plateau's, deren ſteile, von vielen 
Schluchten tief durchfurchten Abhänge die beiden Thal— 
wände der Ribera bilden, der Bäume faſt gänzlich ent— 
behren und faſt nur die Cultur des Getreides geſtatten, 
prangt die aus ſchwarzer Dammerde beſtehende und fort— 
während durch das in eine Menge von Kanälen und 
Gräben zertheilte Waſſer des Giloca getränkte Ebene der 


— —— — —— — nn 


I 


80 Das Thal des Giloca oder die Ribera de Daroca. 


Ribera mit der üppigſten Vegetation. Gartenfrüchte und 
Gemüſe aller Art, Lein und Hanf bedecken den Boden, 
welcher von Tauſenden von Pfirſich-, Aprikoſen-, Nuß⸗, 
Maulbeer-, Mandel- und Feigenbäumen beſchattet iſt. 
Um die Stämme der Ulmen, welche längs der Wege und 
Waſſerleitungen nach ſüdeuropäiſcher Sitte gepflanzt zu 
ſein pflegen, ſchlingt ſich die Weinrebe in reichbelaubten 
Guirlanden, oft bis zu den Wipfeln emporſteigend und 
von hier in langen, maleriſchen Feſtons bis wieder auf 
den Boden herabhängend. Auch die das Thal einfaſſen⸗ 
den Mergelhügel ſind zum Theil mit Reben bepflanzt, 
deren Trauben einen faſt eben ſo guten Wein liefern, 
wie die des Campo de Carinena. In dieſem reizenden 
Thale verließen wir die Straße nach Teruel, welche ſich 
ſüdwärts wendet, und ſchlugen einen Saumpfad ein, der 
bald an der Daroca gegenüber liegenden Thalwand em— 
porſteigt. Von der Höhe aus genießt man einen reizen— 
den Ueberblick des prachtvollen Thales; auch nimmt ſich 
hier Daroca mit ſeiner terraſſenförmig aufſteigenden Häu— 
ſermaſſe und ſeinen alterthümlichen Kirchen, Klöſtern und 
Mauern zwiſchen den beiden rothbraunen Felsbergen, von 
denen der nördliche das ſchon erwähnte Caſtell auf ſeinem 
Scheitel trägt, ſehr hübſch aus. Sobald man die Wein— 
gärten paſſirt hat, welche den obern Rand des Thalge— 
hänges bedecken, entſchwindet dieſe ſchöne Landſchaft dem 
Auge und man ſieht ſich abermals von dürren, kahlen, 


Anficht des Moncayo. Dede Plateau's. Eintritt in Neucaſtilien. 84 


wellenförmigen Flächen umgeben, die gegen Südweſt all— 
mälig anſteigen und in einigen Stunden Entfernung von 
der ſchon erwähnten Hügelreihe begränzt ſind, welche 
Nichts als der Abhang der dritten Stufe der caſtiliani— 
ſchen Terraſſe iſt und gleich der Kette von Carinena aus 
Grauwackenſchiefer beſteht. Dieſes Plateau iſt ſehr öde 
und bietet wenig Ausſicht dar; nur der Moncayo, der 
ſich am nördlichen Horizont erhebt und den man von hier 
aus en profil erblickt, in welcher Weiſe er täuſchend aus— 
ſieht wie der Brocken von Halberſtadt aus, gewährte in 
der duftigen Morgenbeleuchtung eine ſchöne Gebirgsan— 
ſicht. Etwas beſſer wird die Gegend, nachdem man jene, 
die dritte Terraſſenſtufe krönende Hügelreihe überſtiegen 
hat, deren dem Ebrobaſſin zugekehrter Abhang ſpärlich 
mit Immergrüneicheu bewachſen iſt. Man befindet ſich 
nun auf einem welligen Plateau, welches von einer be— 
waldeten Hügelreihe umgeben und mit Getreidefeldern 
bedeckt iſt. Jene Hügelreihe bildet die Gränze zwiſchen 
Aragonien und Neucaſtilien. Nachdem man dieſelbe in— 
nerhalb eines flachen Thales paſſirt hat, in welchem ein 
kleines Dorf, die letzte aragoneſiſche Ortſchaft, verſteckt 
liegt, gelangt man auf eine ſehr geräumige, gegen Nor— 
den und Süden ſich endlos ausdehnende Ebene von wel— 
lenförmiger Geſtaltung, die einen ſehr triſten Eindruck 
hervorbringt, da ſie faſt gar nicht bewohnt und daher 
auch nur ſehr wenig bebaut iſt. Salvien, Thymian und 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 6 


82 Die Laguna de Gallocauta. Der Flecken Layunta. 


andere aromatiſche Halbſträucher ſproſſen in ſpärlichen 
Büſcheln aus dem thonigen Boden, welcher an manchen 
Stellen einen ſtarken Salzgehalt verräth, indem die Lachen 
und Teiche, die ſich hier und da in ſeinen Depreſſionen 
befinden, ſämmtlich geſalzenes Waſſer führen. Gegen 
Süden erblickt man in der Ferne den Spiegel der La— 
gung de Gallocanta, eines ziemlich großen Sees, 
deſſen Waſſer eine ſo geſättigte Salzauflöſung iſt, daß 
der See als Saline benutzt werden kann. An ſeinen 


baumloſen, von ſchwarzem Schlamme umringten Ufern 


liegen mehrere einzelne Häuſer, auch ein kleines Dorf. 

Nach einer mehrſtündigen, wegen der Oede der Ge— 
gend und der Sonnengluth höchſt ermüdenden Wanderung 
nahm uns ein lichtes Gehölz von Immergrüneichen auf, 
welches eine Grauwackenhügelreihe überzieht. Auf Die 
ſelbe folgte eine weite, theilweiſe mit Weizenfeldern, die 
hier noch nicht gemäht waren, bedeckte Ebene; allein 
außer einigen leer ſtehenden, aus loſen Steinen errichte— 
ten und mit Stroh gedeckten Hütten war weit und breit 
keine menſchliche Wohnung und auch kein Menſch zu ſehen. 
Endlich, nachdem wir ein zweites Eichengehölz durchritten 
hatten, öffnete ſich eine gänzlich mit Getreidefluren er⸗ 
füllte, gegen Süd und Weſt von bebuſchten Felshügeln 
umſchloſſene Ebene, in welcher innerhalb eines die Ebene 


durchſetzenden Barranco die erſte Ortſchaft Neucaſtiliens, 


Lay unta, ein großer, aber häßlicher, aus Lehmhütten 


—ͤ — — — —ꝗ-mäů——— nn eat we 


Armſeligkeit des Ortes und der Poſada. 83 


beſtehender Ort von armſeligem Ausſehen, der nichtsdeſto— 
weniger den Titel einer „villa“ führt, gelegen iſt. Es 
war gerade zur Zeit der größten Hitze, als wir dort an— 
kamen. Außer einigen Kindern, die im Naturzuſtande 
ſich in dem Straßenkothe herumwälzten, war kein Menſch 
in den engen, ſchmuzigen Gaſſen zu ſehen, indem alle 
Welt Sieſta hielt. Die einzige Poſada, ein ſchuppen— 
ähnliches Gebäude, welches blos aus einem Stalle und 
einem Küchenraume beſtand, war verſchloſſen und wurde 
erſt nach wiederholtem Pochen von einer entſetzlich ſchmu— 

zigen Magd geöffnet, welche, ſich den Schlaf aus den 
Augen reibend, mürriſch nach unſerm Begehren fragte. 
Mit Noth und Mühe wurden ein paar Eier und etwas 
Sallat zu einem kärglichen Mittagsbrode aufgetrieben; 
da nicht einmal Eſſig in der Kneipe vorhanden und auch 
nicht bei dem einzigen Krämer des Ortes zu bekommen 
war, ſo mußte mein Bedienter den Pfarrer aus dem 
Schlafe pochen, der, wie die Magd ſchnippiſch bemerkte, 
die einzige Perſon in der „Stadt“ ſei, welche den Sallat 
mit Eſſig zu eſſen pflege! Auch meinen Pferden erging 
es nicht beſſer. Aguſtin mußte erſt den halben Ort durch— 
wandern, ehe er Gerſte bekommen konnte, denn in der 
Poſada war blos Hechſel zu haben. Den Durſt mußten 
die armen Thiere in einem eine halbe Viertelſtunde ent⸗ 
fernten Teiche ſtillen, da weder ein Bach, noch Quell⸗ 
waſſer in der Nähe iſt. Dieſer letztere Uebelſtand wie⸗ 

6* 


84 Cubillejo de la Sierra. Buntſandſteinplateau's. 


derholt ſich bei ſehr vielen Ortſchaften Centralſpaniens. 
Ich muß geſtehen, daß Layunta mir keinen hohen Be- 
griff von dem Culturzuſtande Neucaſtiliens beibrachte, 
denn ſo erbärmlich, wie hier, hatte ich es ſelbſt in Ara⸗ 
gonien, wo die Cultur doch auf einer ſehr niedern Stufe 
ſteht, nirgends gefunden. Indeſſen ſind nicht alle Ort— 
ſchaften Neucaſtiliens fo ſchlecht beſtellt, wie Layunta, 
deſſen Uncultur ſich aus ſeiner einſamen, verſteckten Lage 
in einer vom Weltverkehr ganz unberührten Gegend hin⸗ 
länglich erklärt, und im Allgemeinen muß man zugeben, 
daß in Neucaſtilien mehr Cultur zu Hauſe iſt, als in 
Aragonien. 

Zwei Stunden weſtlich von Layunta liegt am Fuße 
der erwähnten waldigen Bergkette der Flecken Gubil- 
lejo de la Sierra, der ein beſſeres Ausſehen hat, als 
Layunta. Es beginnt hier ein hügliches, aus einem ſehr 
feſten, weißen, quarzreichen Sandſteine zuſammengeſetztes 
Terrain, welches mit Immergrüneichen und Buſchwerk 
bedeckt iſt. Es dunkelte ſchon, als wir aus dieſem wal- 
digen Gelände heraustraten. Nun folgte eine aus hoch— 
gewölbten Plateau's von Buntſandſtein gebildete Gegend, 
in der ich faſt gar keine Spur von Anbau und, mit Aus⸗ 
nahme einer einſamen, verlaſſenen Venta, kein einziges 
Haus, geſchweige denn ein Dorf entdecken konnte. Dieſe 
öde Gegend, deren rother Ockerboden nur ſehr ſpärlich 
mit Vegetation beſtreut iſt, erſcheint gegen Süden von 


Ankunft in Molina de Aragon. Das Kaſtell. 85 


niedrigen, felſigen Gebirgsketten begränzt, welche bereits 
zu der Serrania de Cuenca gehören, gegen Norden 
von mit Nadelholz bedeckten Höhenzügen. Nachdem wir 
etwa eine Stunde weit geritten waren, tauchten die 
Thürme des Caſtells von Molina hinter den braunen 
Hügeln empor und bald öffnete ſich zu unſerer Linken 
das tiefe und weite Thal des Gallo, in welchem Mo— 
lina liegt. Es war beinahe neun Uhr, als wir in die— 
ſer Stadt eintrafen, in welcher ich zu meiner Freude 
einen großen, ziemlich bequem eingerichteten, recht guten 
und billigen Gaſthof fand. 

Molina de Aragon, ſo genannt, weil es unweit 
der Gränzen Aragoniens liegt, um es von andern Ort— 
ſchaften gleiches Namens zu unterſcheiden, iſt eine kleine, 
aber ſehr alte, lebhafte und auch wohlhabende Stadt von 
etwa 5000 bis 6000 Einwohnern, welche zur Provinz 
von Guadalajara gehört. Ihre ſehr alterthümlichen, je— 
doch mitunter recht ſtattlichen, von der Zeit und dem 
Wetter geſchwärzten Gebäude ziehen ſich terraſſenförmig 
am Fuße eines hohen, dürren Hügels empor, auf deſſen 
Gipfel das Caſtell ſteht, welches noch jetzt als Feſtung 
dient und deshalb mit Geſchütz und mit einer Garniſon 
verſehen iſt. Daſſelbe iſt ganz unregelmäßig gebaut, von 
alten Mauern umringt, in der ſich mehrere dicke, vier— 
eckige, zinnengekrönte Thürme mit kleinen gothiſchen Fen— 
ſtern erheben und beſitzt eine kleine Kirche von gothiſcher 


86 Lage und Bauart der Stadt. Das Thal des Gallo. 


Bauart. Ohne einen Paſſirzettel von Seiten des in der 
Stadt wohnenden Commandanten wird man in dieſe 
Bergveſte nicht eingelaſſen. Die Stadt ſelbſt beſteht aus 
einem Gewirr enger, finſterer Gaſſen mit hohen, zum 
Theil aus Holz erbauten Häuſern, iſt von Mauern um⸗ 
ringt, beſitzt einen großen Marktplatz, fünf hochgethürmte 
Thore und mehrere anſehnliche Kirchen und Klöſter, 
ſämmtlich von gothiſcher Bauart. An ihrer ſüdlichen, 
dem Caſtellberge entgegengeſetzten Seite fließt der Rio 
Gallo vorbei, ein kleiner Fluß, welcher von Süden her, 
aus der Serrania de Cuenca, kommt, einige Leguas un- 
terhalb Molina's wieder nach Süden umbiegt und in 
den Tajo mündet. Derſelbe bewäſſert ein ziemlich weites 
Thal, deſſen ebene Sohle recht gut angebaut iſt und bes | 
ſonders Gartenfrüchte, Gemüſe, Kartoffeln, Hanf, auch 
etwas Obſt erzeugt. Oelbäume giebt es hier nicht, da 
der Winter wegen der bedeutenden Höhe des Plateau’s, 
welches der Gallo durchfurcht, (Molina liegt 3250 par. 
Fuß über dem Spiegel des Meeres!) zu kalt und ſtreng 
iſt, als daß der Oelbaum gedeihen könnte; dagegen be— 
merkte ich an geſchützten Stellen noch einige Mandel- 
und Feigenbäume. Die Hauptproducte des Bodens ſind 
Gartenfrüchte, Hanf und Getreide, beſonders Weizen, 
welcher auf den wellenförmig geſtalteten Plateau's und 
in den dieſelben trennenden Niederungen, die Molina 
umringen und ſich zu beiden Seiten des ſtark bevölkerten 


Höhe, Vegetation und Klima des Plateau’? von Molina. 87 


Gallothales ausbreiten, in großer Menge erbaut wird, 


obgleich jene Plateau's mitunter bis nahe an 4000 Fuß 
emporſchwellen. Die gewaltige Höhe der Gegend von 


Molina verräth ſich theils in der Vegetation, theils in dem 


dieſelbe bedingenden Klima. Der ſpärliche Pflanzenwuchs, 
welcher die unbebauten, mit Geſchieben und Kies beſtreu— 
ten Höhen bedeckt, beſteht faſt aus lauter niedrigen, oft 
kaum handhohen Halbſträuchern und dem Boden ange— 
drückten Kräutern, wie man dergleichen auf den Kämmen 
höherer Gebirge zu ſehen gewohnt iſt. Das Klima iſt 
ein ächt continentales, d. h. durch Trockenheit der Luft 
und ſchroffe Temperaturwechſel ausgezeichnet. Dieſe un— 
angenehme Eigenſchaft habe ich während meines kurzen 
Aufenthaltes in Molina zur Genüge kennen gelernt. Den 
erſten Morgen, den ich daſelbſt zubrachte, herrſchte noch 
eine erſtickende Hitze; Nachmittags ſetzte der Wind plötz— 
lich nach Norden um und den folgenden Tag zeigte das 
Thermometer zu Mittag blos + 14° R. im Schatten- 
Später ſank die Temperatur noch tiefer, ſo daß ich in 
Molina Ende Juli gezwungen war, im Mantel gehüllt 
auszugehen; denn wenn man Wochen lang an Tempera⸗ 
turen von + 20% bis 25° R. im Schatten gewöhnt ge— 
weſen iſt, ſo wirkt eine ſo plötzliche Temperaturerniedri— 
gung von mehr als 10 Graden höchſt nachtheilig auf den 


Körper ein. 


Der eigentliche Zweck meiner Reiſe nach Molina 


88 Geognoſtiſche Beſchaffenheit des Plateau von Molina. 


war, die in deſſen Nachbarſchaft befindlichen, von Alters 


her berühmten Kupferminen zu beſichtigen und Beobach⸗ 
tungen über die geologiſchen Verhältniſſe jenes geſamm⸗ 
ten Hochlandes zu machen. Letzteres veranlaßte der Um⸗ 
ſtand, daß die Umgebungen Molina's in ganz Spanien 
als eine an Verſteinerungen überaus reiche Gegend be— 
rühmt ſind. Ich verweilte deshalb vier Tage in dieſer 
Stadt und unternahm mehrere Ausflüge in die Umgegend, 
um die Geſteine, aus denen das Plateau von Molina 


beſteht, und deren Lagerungsverhältniſſe kennen zu lernen. 


Das Reſultat meiner Unterſuchungen war, daß die ge— 


ſammten Plateau's, welche ſich vom Thale des Gallo an 


ſüd⸗ und weſtwärts ausbreiten, aus Kalkſchichten zuſam⸗ 
mengeſetzt find, die den von ihnen eingeſchloſſenen Ver- 
ſteinerungen zufolge der älteſten Epoche der juraſſiſchen 
Periode angehören. Dieſe Kalkſchichten ruhen, wie man 
im Thale des Gallo an vielen Stellen deutlich ſehen 
kann, auf bunten Mergeln, die mit Stücken faſrigen, 
bunt gefärbten Gypſes vermengt ſind und offenbar der 
Keuperformation angehören. Unter denſelben liegt das 
älteſte Glied der Triasperiode, der in Spanien ſo mäch⸗ 
tig entwickelte Buntſandſtein, welcher die nord- und oft- 
wärts von Molina ſich erhebenden Plateau's zum großen 
Theil zuſammenſetzt. Was die Verſteinerungen des Jura- 
kalkes anlangt, ſo gehört die Mehrzahl derſelben den 
Conchylien an, beſonders den zweiſchaligen Muſcheln. 


Geognoſtiſche Beſchaffenheit des Plateau von Molina. 89 


An manchen Stellen erſcheint der Kalk gänzlich aus 
Muſcheln zuſammengeſetzt, wie z. B. zwiſchen den Dör— 
fern Torremochuela und Torrecuadrada, wo auch 
der Boden, weil derſelbe aus verwittertem, zerſetztem 
Jurakalk beſteht, mit loſen Petrefacten vermengt iſt. 
Solche loſe, aus dem Geſtein herausgefallene Muſcheln 
finden ſich auch in großer Anzahl auf den Feldern und 
unbebauten Höhen um Pardos und Anchuelas nord— 
weſtlich von Molina, um Anchuela del Pedrigal öſt— 
lich von Molina und an vielen andern Orten. In den 
Thälern und Niederungen, welche das juraſſiſche Plateau 
durchſchneiden, ſind an manchen Stellen, wie z. B. in 
dem Thale des Gallo unmittelbar bei Molina, Tertiär— 
bildungen zur Entwickelung gelangt, die vorzüglich aus 
einem weichen, weißen, ſchiefrigen Kalke beſtehen, der ſich 
wegen der in ihm eingeſchloſſenen Schnecken als ein Süß— 
waſſergebilde zu erkennen giebt. Solcher tertiärer Kalk 
bedeckt den Fuß des Caſtellberges von Molina, welcher 
größtentheils aus einem halbkryſtalliniſchen Dolomit ge— 
bildet iſt. Merkwürdig ſind in der Jurakalkformation 
von Molina, welche ſich ſüdwärts bis Albarracin, nord— 
weſtlich bis an den Fuß des Moncayo und weſtwärts 
bis in die Gegend von Guadalajara erſtreckt, die vielen 
gangartigen Maſſen von Urkalk (Marmor), die gewöhn— 
lich eine fleiſchrothe Färbung beſitzen und Klüfte erfüllen, 
deren Bildung an mehreren Stellen zu bedeutenden Ver— 


90 Die Kupferminen in der Gegend von Molina. Ihr Director. 


werfungen und Störungen der Kalkſchichten Veranlaſſung 4 
gegeben hat. Die Mächtigkeit der Marmorgänge wechſelt 
zwiſchen vier Zoll und drei Fuß; doch tritt das Geſtein 
auch, ähnlich wie der Gyps, in ſtockartigen Maſſen auf. 
Die Kupferminen, die ſchon zu Anfange des acht⸗ 
zehnten Jahrhunderts ausgebeutet wurden, befinden ſich 
innerhalb des Uebergangsgebirges, welches im Norden 
von Molina in mehrern Kuppen aus den juraſſiſchen und 
Triasſedimenten emportaucht. Zu Bowles Zeit“) wur⸗ 
den die Arbeiten auf königliche Koſten betrieben; die 
gegenwärtig in Arbeit befindlichen Gruben ſind nicht kö— 
niglich, ſondern Eigenthum verſchiedener Actiengeſellſchaf⸗ 
ten. Die bedeutendſten liegen drei Stunden nordweſtlich 
von Molina zwiſchen den Dörfern Herreria und Par— 
dos. Der Zufall wollte es, daß ich in meinem Gaſthofe 
mit dem Director derſelben zuſammentraf, in dem ich zu 
meiner Freude einen Deutſchen entdeckte. Er hieß Weſter— 
meyer und war aus dem Elſaß gebürtig, hatte aber ſein 
Vaterland ſchon als neunjähriger Knabe verlaſſen und 
) Der Engländer William Bowles bereiſte Spanien als 
Berginſpector im Dienſte der ſpaniſchen Regierung um die Mitte 
des vorigen Jahrbunderts. Die Reſultate ſeiner ſehr genauen Be⸗ 
obachtungen legte er in einem Werke, betitelt: „Introduecion à la 
historia natural y la geografia fisica de Espana‘ (Madrid, 1775) 
nieder, welches als Grundlage der geſammten Phyſiographie Spa⸗ 
niens zu betrachten iſt. In dieſem Werke befindet ſich auch eine 


ſehr ſorgfältige Beſchreibung der damals exiſtirenden Kupfergruben 
von Molina und der daſelbſt vorkommenden Mineralien. 


> 


Weg nach den Kupferbergwerken. 94 


daher ſeine Mutterſprache ziemlich vergeſſen. Seine mi- 
neralogiſchen und geognoſtiſchen Kenntniſſe ſchienen nicht 
ſehr groß zu ſein; über ſeine bergmänniſche Befähigung 
kann ich nicht urtheilen, doch hörte ich ſpäter in Madrid, 
daß ihm die Direction jener Gruben entzogen worden 
ſei. Er hatte die Bergwiſſenſchaft nicht ſtudirt, ſondern 
blos empiriſch durch die Praxis kennen gelernt und mochte 
deshalb das Mechaniſche des Bergbaues recht gut ver— 
ſtehen, dagegen aus Unkenntniß der Geognoſie manche 
| Fehler bei der Anlage und Direction der Gruben begehen. 
Sei dem, wie ihm wolle, ich für meinen Theil bin dem 
Manne zu großem Danke verpflichtet, da er ſich äußerſt 
gefällig gegen mich bezeigt hat. In ſeiner Begleitung 
unternahm ich den Beſuch der Bergwerke am dritten Tage 
meines Aufenthalts in Molina. Der Weg dahin iſt recht 
angenehm. Man folgt zuerſt eine Zeit lang der Straße 
nach Guadalajara, welche im Thale des Gallo, deſſen 
breite Sohle hier durchgängig angebaut iſt und wegen 
der vielen Hanffelder im üppigſten Dunkelgrün prangte, 
abwärts führt. Bald verließen wir dieſe Straße und 
wählten einen Saumpfad, der in ein weites, waſſerloſes 
Seitenthal einbog, wo drei elende Ortſchaften, Rillo, 
Herreria und Canales, liegen, in deren Umgebungen 
blos Getreide erbaut wird. Die dieſes Thal einſchließen— 
den Höhen beſtehen ebenfalls aus Jurakalk und ſind zum 
Theil, beſonders der weſtliche Kamm, mit lichter Kiefern— 


92 Ausſicht über das Plateau von Neucaſtilien. 


waldung bedeckt. In Herreria vertauſchten wir den er⸗ 
wähnten, nach Siguenza führenden Saumpfad mit einem 
andern ſehr ſchlechten und wenig betretenen, der im Zid- 
zack über den langen Abhang des nordweſtlichen Thalge— 
hänges zu einem hohen Plateau emporſtieg, welches von 
Hügelreihen und Höhenkämmen durchzogen iſt und an- 
fangs aus Jurakalk, ſpäter aus Buntſandſtein, zuletzt aus 
Grauwacke und Quarzit beſteht. Es eröffnete ſich mir 
hier eine gewaltige Ausſicht über das Tafelland von Neu- 
caſtilien, welches in dieſen ſeinen öſtlichen Gegenden, ſo 
weit man ſehen kann, aus hüglichen, durch Thalſchluchten 
geſchiedenen Plateau's zuſammengeſetzt iſt. Gegen Süden 
erſcheint daſſelbe von den nördlichen Ketten der Serrania 
de Cuenca begränzt, die ſich nur als unbedeutende Berg— 
züge präſentiren, obwohl ihre Gipfel ſchon eine Höhe von 
4500 bis 5000 Fuß erreichen, weil die Baſis, auf der 
fie ſtehen, bereits an 3000 bis 4000 Fuß über den Spie- 
gel des Meeres erhaben iſt. In nördlicher Richtung un⸗ 
ſere Wanderung durch völlig unbebautes Land fortſetzend, 
gelangten wir bald auf die Formation des Buntſandſteins. 
Dieſe bildet hier ein hügliches, von felſigen Barrancos 
durchfurchtes Gelände, deſſen Niederungen und Thalſohlen 
mit graſigen Weiden ausgekleidet ſind, während ſchöne 
Nadelwaldung, der Hauptſache nach aus dem langblättri⸗ 
gen Pinus Pinaster beſtehend, die Kämme und Abhänge 
der Hügelreihen bedeckt. Wäre dieſe Gegend bevölkert 


Charakter der nordöftlichen Gegenden Neucaſtiltens. 93 


und angebaut, ſo würde dieſelbe eine ſehr anmuthige 
Landſchaft bilden. Manche Stellen der ſie durchſetzenden 
Thalſchluchten ſind ſogar romantiſch zu nennen, indem 
der Buntſandſtein in maleriſchen, oft abenteuerlich ge— 
formten Felsmaſſen an den Thalgehängen zu Tage aus— 
geht. Ueberhaupt darf man ſich unter Neucaſtilien im 
Allgemeinen gar kein ſo langweiliges, einförmiges Land 
vorſtellen, wie man den Schilderungen der meiſten Rei— 
ſenden zufolge, die jene weite Landſchaft nur von den 
großen Straßen aus geſehen haben, anzunehmen geneigt 
iſt. Das Tafelland Neucaſtiliens kann man nur da lang— 
weilig und einförmig nennen, wo es, wie in der Mancha 
und in ſeinen centralen Parthieen, kurz in den Gegenden, 
durch welche die Straßen von Madrid nach Valencia und 
Andaluſien führen, wirklich vollkommen eben iſt. Allein 
fene Ebenen bilden kaum ein Drittheil der geſammten 
Landſchaft. Alle übrigen Theile des Plateau's von Neu— 
aftilten beſtehen aus wellenförmig geſtalteten oder hüg— 
ichen Geländen oder aus gewölbten Hochflächen, welche 
son tiefen Thälern und Schluchten durchſpalten find, in 
deren Grunde die Flüſſe und Bäche ſtrömen, die von den 
Reucaſtilien umringenden Gebirgen herabkommen. Nicht 
elten, wie beſonders in den nördlichen und öſtlichen Ge— 
zenden Neucaſtiliens, ſind die Gehänge ſolcher Thäler 
nit den maleriſchſten Felsparthieen beſetzt und mit der 
ippigften Vegetation geſchmückt, und da der obere Rand 


94 Beſuch der Kupfermine Santa Barbara. 


der Thalwände ſich immer mehr oder weniger in Geftalt 
von Kuppen und Bergen zu erheben pflegt, ſo glaubt 
man, wenn man ſich in einem ſolchen Thale befindet, oft 
inmitten eines romantiſchen Gebirges zu ſein. Erſt, wenn 
man die Thalwand erſtiegen hat und ſich nun auf ein, 
oft ſcheinbar in weite Ferne ſich erſtreckendes Plateau ver: 
ſetzt ſieht, verſchwindet dieſe Täuſchung. | 
Die geſchilderte Buntſandſteinformation zieht ſich 
nordwärts allmälig zu einem von einer Reihe ſchroffer, 
nackter Quarzitfelſen gekrönten Grauwackenkamm empor, 
an deſſen Abhange die jetzt im Baue brgriffenen Kupfer— 
bergwerke liegen. Die alten, längſt aufgegebenen Baue, 
welche Bowles beſchreibt, befinden ſich weiter oſtwärts 
an dem ſogenannten Cerro de la Platilla, einem 
höhern, ebenfalls mit Quarzitfelſen gekrönten Bergkamme. 
Ich fuhr in Begleitung des Directors in der Hauptgrube 
an, die den Namen Mina de Santa Barbara führt, 
erſt ſeit wenigen Jahren exiſtirt und kunſtgerecht angelegt 
iſt. Die Hauptmaſſe des in Grauwackenſchiefer aufſetzen⸗ 
den Ganges beſteht aus Kupferfahlerz, Kupferlaſur und 
Malachit. Die beiden zuletzt genannten Mineralien er⸗ 
ſcheinen häufig in ſchönen kryſtalliniſchen Ueberzügen, wohl 
auch vollkommen kryſtalliſirt in den Spalten und Höhlun⸗ 
gen des Fahlerzes. Der Abbau des Ganges iſt mit ge⸗ 
ringen Koſten verbunden, da das wenige in den Gruben 
befindliche Waſſer wegen der Lage derſelben an einem 


Das Dorf Pardos. Das Haus des Alcalden. 95 


Bergabhange mit Leichtigkeit nach dem benachbarten Thale 
abgeleitet werden kann. Ueber den Betrag der Ausbeute 
konnte mir der Director nichts Beſtimmtes angeben, da 
unregelmäßig an den Gruben gearbeitet wird, ebenſowe— 
nig über den Kupfergehalt des Erzes. Das zu Tage 
geförderte Erz wird verkauft; eine Schmelzhütte war we— 
nigſtens damals noch nicht vorhanden. 

Nachdem ich die genannten Gruben in Augenſchein 
genommen und eine reiche Sammlung von Erzſtufen und 
Geſteinsproben zuſammengebracht hatte, ritten wir nach 
dem blos eine gute Stunde entfernten Dorfe Pardos, 
woſelbſt mich Herr Weſtermeyer in dem Hauſe des Al— 
calden einquartierte, da ſeine eigne Wohnung nicht für 
den Beſuch eines Fremden eingerichtet war. Pardos, ein 
nur aus wenigen Gaſſen beſtehender Ort, liegt ganz nackt 
auf einer ebenen, kalten Hochfläche, welche gegen Norden 
von breiten, aus Jurakalk zuſammengeſetzten Höhenkäm— 
men, gegen Süden von bewaldeten Buntſandſteinhügeln 
begränzt iſt. Das Haus des Alcalden war das ftatt- 
lichſte Gehöft des Dorfes und ſtammte, einer über dem 
Hofthore befindlichen Inſchrift zufolge, bereits aus dem 
ſiebzehnten Jahrhunderte. Die Männer waren ſämmtlich 
in der Weizenernte beſchäftigt, die hier auf dieſem hohen 
kalten Plateau, deſſen Kuppen ſich gewiß bis gegen 4000 
Fuß über das Meer erheben, eben erſt begonnen hatte. 
Es war daher blos die Hausfrau zugegen, welche mich 


96 Das Haus des Alcalden. Der Alcalde. 


ſehr gaſtfreundlich aufnahm und mir das beſte Gemach 
des Hauſes, die im obern Stockwerke befindliche Sala, 
zum Quartier anwies. Das aus Nußbaumholz verfer⸗ 
tigte Meublement dieſes Gemachs war zwar altväteriſch 
und vom Alter geſchwärzt, aber ſolid gearbeitet und ver— 
rieth, wie das ganze Haus, den Wohlſtand des Beſitzers. 
So gab es einen Glasſchrank, deſſen Thüren und Läden 
mit zierlichen Holzſchnitzereien bedeckt waren und in dem 
ich porzellanene Geſchirre und ſilberne Löffel und Gabeln 
bemerkte, welche letztere mir auch beim Eſſen vorgelegt 
wurden. Unter den rohen bunten Bildern, welche nach 
ſpaniſcher Sitte die Wände ſchmückten, fiel mir ein klei— 
ner, aber ſehr ſchöner Kupferſtich nach einem Gemälde 
von Raphael Mengs, auf, ein Kunſtwerk, welches ich in 
dieſem abgelegenen Winkel Neucaſtiliens wahrlich nicht 
vermuthet hätte! — Ich benutzte die noch übrigen Stun— 
den des Nachmittags, um in Begleitung meines Bedien— 
ten die nahe gelegenen Jurahöhen auf Petrefacten zu 
unterſuchen. Leider zwang uns plötzlich einfallendes und 
ſehr heftiges Regenwetter, welches uns bis auf die Haut 
durchnäßte, bald nach Pardos zurückzukehren. Kurze Zeit 
darauf trafen auch der Alcalde und ſeine Knechte ein, 
die der Regen ebenfalls in der Erntearbeit geſtört hatte. 
Der Alcalde, ein ſchlichter Bauer und bereits ältlicher | 
Mann von ftrengem Anſehen und, wie es ſchien, jehr 
choleriſchem Temperament, begrüßte mich mit ächt caſtilia⸗ 


Der Alcalde von Pardos. Uneigennützigkeit feiner Frau. 97 


niſcher Förmlichkeit, wies mir den Ehrenplatz am Heerd— 


| 


feuer an, den ich auch den ganzen Abend nicht verlaffen 
habe, da ich in Folge der ſtarken Durchnäſſung und der 
tief geſunkenen Temperatur (mein Thermometer zeigte 
blos 8“ R.!) ſehr fror, ließ ſich aber weiter in kein Ge— 

ſpräch mit mir ein, ja, fragte mich nicht einmal, wer ich 
ſei, was ich in Pardos wolle und woher ich komme. Als 

Alcalde hatte er das Recht, meinen Paß zu verlangen; 
er machte aber keinen Gebrauch davon, ſondern meinte, 
als ich ſelbſt davon ſprach und ihm den Paß zum viſiren 
vorlegen wollte, er brauche denſelben nicht zu ſehen, er 
ſehe es mir an, daß ich ein „caballero“ ſei. Billiger, 
als beim Alcalden von Pardos habe ich ſelten logirt! 
Als ich am andern Morgen die Rechnung verlangte, wußte 
die Frau — der Alcalde war ſchon auf das Feld gegan— 
geu — erſt gar nicht, was ſie verlangen ſolle, und be— 
rechnete mir dann Alles im Einzelnen nach den in ihrem 
Dorfe gewöhnlichen Preiſen, die freilich ſehr niedrig wa— 
ren. Sie verlangte demgemäß für drei Metzen Gerſte, 
die meine Pferde gefreſſen hatten, ein aus Suppe, Fleiſch 
mit Gemüſe und Deſert (Roſinen, Mandeln und getrock— 
nete Feigen) beſtehendes Mittagsmahl, einem aus Eiern 
mit Schinken, gebratenem Huhn mit Sallat und ebenfalls 
Deſert zuſammengeſetztes Abendeſſen und der in Spanien 
gebräuchlichen Frühchocolade mit geröſtetem Weißbrod für 
mich und meinen Bedienten, ſowie zwei Betten und Quar— 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien, II. 7 


98 Abreiſe von Molina. Chera und Caſtilnuevo. 


tier Alles in Allem 17 Realen, d. h. 1 Thlr. 4 Silber⸗ 
groſchen! und war ſehr dankbar, als ich noch ein paar 
Realen Trinkgeld für die Bedienung hinzufügte. Bei 
regneriſchem Wetter kehrte ich auf einem andern Wege, 
der keine Ortſchaft berührt, nach Molina zurück. 

Noch denſelben Nachmittag trat ich meine Reiſe nach 
Teruél an. Geleitet von einem Führer begab ich mich 
zunächſt in die Gegend von Torremochuela und Tor— 


recuadrada, um Petrefacten zu ſammeln, und ritt ſo— 
dann nach dem wieder im Thale des Gallo auf dem Wege 


nach Teruél gelegenen Dorfe Chera, woſelbſt ich über— 
nachtete. Da in der Poſada kein Unterkommen zu finden 
war, ſo wurde ich durch den Alcalden, deſſen Beruf es 


mit ſich bringt, Fremden Quartier zu verſchaffen, im 
Hauſe des Pfarrers einlogirt. Chera liegt am Abhange 


eines nackten, dürren Kalkhügels, am Ende der anmuthig 
grünen Ebene von Prados-Redondos, welche das 


ſeichte Thal eines Baches auskleidet, der unweit des 


Fleckens Caſtilnuevo, zwei Stunden oberhalb Molina, 


in den Gallo fällt. In Caſtilnuevo, über welchen Ort 
der Weg von Molina nach Torremochuela führt, ſteht 


auf einem Hügel mitten im Dorfe ein altes, von Außen 


armſelig ausſehendes Grafenſchloß, welches nebſt dem 
Dorfe einem italieniſchen Herzoge, einem Couſin der Kö⸗ 
nigin Criſtina, gehört. Das Thal des Baches verengt 
ſich zwiſchen Caſtilnuevo und Prados-Redondos, wie ich 


Nachtquartier beim Pfarrer von Chera. Sein Kaplan. 99 


auf einer einige Tage früher in die Nähe des letztgenann— 
ten Ortes unternommenen Excurſion zu beobachten Ge— 
legenheit hatte, zu einer ſchmalen Felſenſchlucht, an deren 
Wandungen die Schichtung des Jurakalkes ſehr ſchön 
blosgelegt iſt. Bei dem Pfarrer von Chera fand ich eine 
ſehr gaſtliche Aufnahme. Da er ſelbſt, ein achtzigjähriger 
Greis, wegen Krankheit verhindert war, mich zu ſprechen, 
ſo hatte er ſeinen Kaplan beauftragt, mich zu unterhal— 
ten. Dieſer war ein eben ſo neugieriger, als unwiſſen— 
der und ungebildeter Menſch. Da die Kunde von der 
Ankunft eines „estrangero“, einer in jener abgelegenen 
Gegend Neucaſtiliens ſeltenen Erſcheinung, die Honora— 
tioren des Ortes herbeigelockt hatte, ſo packte er ſeine 
ganze Gelehrſamkeit aus, wahrſcheinlich, um ſeinen Beicht— 
kindern zu imponiren, verrieth aber dabei die graſſeſte 
Ignoranz, was freilich die einfachen, natürlich noch un— 
wiſſenderen Bauern nicht zu beurtheilen vermochten. So 
erzählte der Kaplan unter Anderm mit wichtiger Miene 
als etwas ganz Neues, daß in Preußen das Cölibat von 
dem Pabſte aufgehoben und den Prieſtern erlaubt worden 
ſei, zu heirathen, wobei er unverhohlen die Hoffnung aus— 
ſprach, daß in Spanien dieſe Aenderung wohl auch bald 
erfolgen werde! Da er ſowohl, wie die übrigen Anweſen— 
den mich offenbar für einen Katholiken hielten“) und mir 

) Ich bemerke hierbei, daß das Volk in Spanien im Allge— 
meinen gar keine Ahnung davon hat, daß es in der chriſtlichen 

7 * 


100 Das Plateau von Chera. 


der Kaplan einigen Aeußerungen zufolge ein bigotter 
Menſch zu ſein ſchien, ſo hielt ich mich nicht für berufen, 
denſelben über ſeinen großen Irrthum aufzuklären. 

Den folgenden Tag, am 1. Auguſt, brach ich bei 
Zeiten auf. Es war ein ſchöner, heller Morgen, aber 
die Luft auf jenem hohen Plateau empfindlich kühl, fo 
daß ich bis um 10 Uhr in den Mantel gehüllt bleiben 
mußte. Der Weg führt an der nackten Felslehne, an 
deren Fuße Chera liegt, zu einer wellenförmig geſtalte— 
ten, ebenfalls aus Jurakalk zuſammengeſetzten Hochfläche 
empor, welche faſt ganz unangebaut und ohne Bäume iſt. 
Links, gegen Oſten, begränzt den Horizont in geringer 


Kirche verſchiedene Confeſſionen giebt. Der gemeine Spanier kennt 
außer Heiden, Muhammedanern, die er ſämmtlich „Moros“ (Maus 
ren) nennt, und Juden blos „Cristianos“ und „Hereges“ (Ketzer). 
Mit letzterem Namen belegt er, den Lehren der Prieſter gemäß, 
alle Criſtianos, welche Zweifel in die Wahrheit irgend eines Lehr: 
ſatzes der chriſtlichen, d. i. der katholiſchen Kirche, ſetzen, nicht den 
Vorſchriften des Clerus nachkommen, nicht in die Kirche, nament⸗ 
lich nicht zur Beichte und zum Abendmahl gehen, überhaupt ſich 
nicht an den Cultus binden. In dieſem Sinne gehört jetzt freilich 
die Mehrzahl der gebildeten Spanier zu den „hereges“. Die 
Proteſtanten und Reformirten gehören natürlich ebenfalls zu den 
Ketzern, allein dieſe kennt der gemeine Spanier weder dem Namen 
noch dem Weſen nach. Ja, er nennt ſich ſelbſt nicht einmal einen 
Katholiken, ſondern blos einen Chriſten und kennt den Begriff 
„katholiſch“ blos aus dem Titel des Königs, weſcher in Spanien 
bekanntlich das Prädicat „katholiſche Majeſtät“ führt. Mit Aus⸗ 
nahme der Aragoneſen fällt es übrigens jetzt keinem Spanier ein, 
ſich über einen ſogenannten Ketzer zu erboßen, oder gar einen ſol— 
cheu zu inſultiren. i 


Gegend zwifchen Chera und Setiles. 104 


Entfernung eine niedrige, mit nackten Felszacken beſetzte 
Bergkette, die wahrſcheinlich aus Grauwacke und Quarzit 
beſteht. Dieſe unbedeutend erſcheinende Kette iſt jeden— 
falls dieſelbe, welche man auf den meiſten Karten unter 
dem Namen Sierra de Molina als ein hohes, mächtiges 
Gebirge dargeſtellt findet. Ihre abſolute Höhe dürfte 
allerdings wegen der bedeutenden Erhebung des Plateaus, 
auf dem ſie ſteht, mehr als 4000 Fuß betragen. Bald 
ſenkte ſich der Weg in ein weites, flaches Thal hinab, 
deſſen ebene Sohle mit graſigen Weideplätzen erfüllt war, 
auf denen Heerden von Merinoſchaafen weideten. Kein 
Bach durchrauſcht dieſes Thal, eben ſo wenig iſt weit 
und breit die geringſte Spur von Anbau oder Bevölke— 
rung zu bemerken. Die Wände des Thales beſtehen zum 
Theil aus ſteilen Jurakalkfelſen, welche durch viele Schluch— 
ten wunderlich zerklüftet ſind. Die Vegetation iſt höchſt 
ſpärlich, Bäume ſind gar nicht vorhandeu. Nachdem wir 
eine Zeit lang in dieſem einſamen Thale hingeritten waren, 
führte uns der Weg wieder zum Plateau empor und brachte 
uns über mehrere unbebaute und kahle Höhenkämme nach 
dem Flecken Setiles, wo wir eine Stunde raſteten, um 
unſern Pferden Futter zu geben. Eine gute Stunde öſt— 
lich von dieſem Orte erhebt ſich ein niedriges, mit Epheu— 
gebüſch bedecktes Grauwackengebirge, in welchem ſich eine 
Eiſengrube befindet, die ſchon ſeit Jahrhunderten ausge— 
beutet wird. Da der Weg nach Terueél unweit des Fu— 


102 Beſuch der Eiſengrube von Setiles. 


ßes dieſes Gebirges vorbeigeht, fo machte ich einen Ab- 
ſtecher nach jenem Bergwerke. Daſſelbe baut auf einen 
mächtigen Gang von Brauneiſenſtein, oder richtiger, auf 
ein ganzes Schichtenſyſtem, denn das Gebirge beſteht dort 
auf eine weite Strecke hin aus einem feinkörnigen, von 
Brauneiſenerz gänzlich durchdrungenen Sandſteine, wel⸗ 
cher große Neſter von dichtem Brauneiſenerz umſchließt. 
Die Grube iſt unregelmäßig, planlos angelegt, aus gro— 
ßen Excavationen, wie die Veneras von Somorroſtro, 
zuſammengeſetzt. Aus Mangel an Zeit und an künſtlicher 
Beleuchtung — es wurde nicht gearbeitet — konnte ich 
blos den Eingang der Mine, ſo weit derſelbe vom Tages— 
lichte erhellt wurde, in Augenſchein nehmen. Derſelbe 
hat ganz das Anſehen einer natürlichen Felshöhle und 
bildet eine weite und hohe Halle, deren Felsgewölbe durch 
Pfeiler von maſſivem Erz getragen wird. Von hier aus 
gehen mehrere, ebenfalls ganz unregelmäßige, in das Ge- 
ſtein gehauene Gallerieen aus, welche theils in horizon⸗ 
taler Richtung verlaufen, theils ſich abwärts ſenken. 
Schächte ſcheint es gar keine zu geben. 

Zwiſchen Setiles und Pozondön ſind auf den 
meiſten Karten, ſelbſt noch auf der im Jahre 1849 er⸗ 
ſchienenen Specialkarte von Neucaſtilien des Atlas na- 
cional de Espana, hohe Gebirgsketten verzeichnet, welche 
von einem gemeinſamen, im Centrum der Serrania de 


Cuenca gelegenen Gebirgsknoten auslaufen ſollen. Dieſe a 


Geſtaltung des Plateaus von Setiles und Rodenas. 403 


ö Terraindarſtellung iſt grundfalſch. Es exiſtirt in jener 
ganzen Gegend, die man von den Wellen des Terrains 
aus nach allen Richtungen hin viele Meilen weit über— 
ſchauen kann, gar kein Gebirge, ſondern blos ein immer 
höher anſchwellendes Plateau, auf dem ſich hier und da 
niedrige Höhenzüge und kurze, felſige Hügelreihen erheben. 
Zwiſchen Setiles und Pozondön ſelbſt kommt man auch 
nicht über einen einzigen Hügel von Bedeutung, geſchweige 
denn über eine Gebirgskette, denn die etwa vorhandenen 
Bergreihen bleiben links und rechts vom Wege, indem 
ſie in derſelben Richtung, in welcher der Weg läuft, d. 
h. von Weſt nach Oſt, ſtreichen. Die Gegend iſt öde, 
einſam, meiſt unangebaut und ſehr kahl. Bald hinter 
Setiles überſchreitet man wieder die Gränze Aragoniens. 
Der erſte Ort, den der Weg berührt, iſt der Flecken Ro— 
denas, welcher hart am weſtlichen Fuße einer nackten, 
niedrigen, mit einzelnen pittoresken Felsmaſſen beſtreuten 
Bergkette von Buntſandſtein zwiſchen Klippen deſſelben 
Geſteines liegt. Ein Stück weiter von dem öſtlichen 
Ende jener Bergreihe, ſüdöſtlich von dem Orte, erhebt 
ſich ganz iſolirt ein ſteiler, felsumgürteter Hügel von 
Kegelgeſtalt, welcher eine Hermita auf ſeinem Gipfel trägt, 
höher als die eben erwähnte Buntſandſteinkette iſt und 
wahrſcheinlich den culminirenden Punct jenes enorm hohen 
Plateau's bildet. Meine Zeit erlaubte es mir leider nicht, 
denſelben zu beſteigen, da er über eine Stunde vom Wege 


104 Der Flecken Pozondön. Höhe und Klima der Gegend. 


abliegt, was ich um ſo mehr bedauere, als jener Berg 
eine umfaſſende Ausſicht darbieten und deshalb ein ſehr 
geeigneter Punct fein muß, um ſich über die eigenthüm⸗ 
liche Geſtaltung jener Gegend zu orientiren. Fortwäh— 
rend durch ebenes, meiſt wüſt liegendes Land reitend, 
gelangten wir gegen Abend nach dem großen Flecken Po— 
zondön, wo ich eine leidliche Poſada fand. Ich über- 
nachtete hier, da die nächſte Ortſchaft fünf ſtarke Stunden 
entfernt und dazwiſchen kein Obdach vorhanden iſt. Po⸗ 
zondön liegt im Schooße einer weiten Ebene, die nur 
gegen Weſten und Oſten von niedrigen Bergreihen be— 
gränzt erſcheint. Das Tafelland von Neucaſtilien erreicht 
hier ſeine größte Höhe. Die Ebene von Pozondön liegt 
nämlich den vorhandenen Meſſungen zufolge 4209 par. 
Fuß über dem Spiegel des mittelländiſchen Meeres, alſo 
ſo hoch wie der Kamm des Rieſengebirges! Dieſe enorme 
Höhe mag die Kartenzeichner veranlaßt haben, hierher 
ein hohes Gebirge zu verlegen. Allerdings hat kein 
anderer Theil Europa's ein ſo hohes Plateau aufzuwei⸗ 
ſen. Selten iſt hier die Luft ſtill, meiſt heftig bewegt 
und im Winter ſehr kalt. Deshalb entbehrt dieſe Hoch— 
fläche der Bäume, indem die ſonſt als Bäume auftreten⸗ 
den Gewächſe ſtrauchartig bleiben. Schon von Rodenas 
an iſt das ganze Plateau mit der unter dem Namen Sa⸗ 
debaum bekannten Wachholderart (Juniperus Sabina L.) 
beſtreut; allein dieſes ſonſt zu ziemlich anſehnlichen Bäu⸗ 


f 


Das Plateau von Pozond on u. die nordvalencianiſche Terraſſe. 405 


men anwachſende Gewächs bleibt hier ganz niedrig, in— 
dem die Stämme auf dem Boden hinkriechen, gerade ſo, 
wie bei der Zwerg- oder Knieholzkiefer. Trotz der ge— 
waltigen Höhe des Plateau's von Pozondön kann auf 
demſelben noch der ſchönſte Weizen gebaut werden, weil 
der Sommer ſehr warm iſt. Während des Winters da— 
gegen pflegt jene Hochfläche mehrere Monate lang mit 
tiefen Schneemaſſen bedeckt zu ſein. — 

| Das Plateau von Neucaſtilien ſendet von feiner öft- 
lichen Ecke aus, d. h. da, wo es den ſüdlichſten Theil 
des Ebrobaſſins begränzt, zwei Vorſprünge aus, die ſich 
beide ziemlich parallel gen O No erſtrecken und jeder für 
ſich ein beſonderes Plateau von unebener, doch nur an 
einzelnen Stellen zu wirklichen Bergen ſich erhebender 
Oberfläche darſtellen. Auf dem nördlichen dieſer beiden 
Vorſprünge oder Fortſätze ſteht Pozondöon. Wenige Mei— 
len öſtlich von dieſem Orte ſenkt ſich derſelbe raſch in 
das Flachland Niederaragoniens hinab; der füdliche Fort— 
ſatz dagegen erſtreckt ſich bis an den Ebro, umgiebt das 
Flachland Niederaragoniens gegen Süd und Südweſt in 
Geſtalt eines hohen Walles und iſt auf ſeinem entgegen— 
geſetzten Abhange mit gewaltigen, parallel verlaufenden, 
im Allgemeinen von Weſt nach Oſt oder von Nordweſt 
nach Südoſt ſtreichenden Gebirgsmauern beſetzt, welche 
das nördliche Drittheil der wilden, das Königreich von 
Valencia erfüllenden Gebirgsgruppe bilden und in ihrem 


106 Das zwiſchen beiden gelegene Becken von Teruel. 


kulminirenden Gipfel, dem kühnen Pik der Peñagoloſa, 
bis zu einer abſoluten Höhe von 7000 par. Fuß aufra⸗ 
gen. Eine weite und tiefe beckenförmige Aushöhlung 
trennt die beiden eben geſchilderten Vorſprünge des neu— 
caſtiliſchen Tafellandes. Gegen Nord, Weſt und Süd 
iſt dieſelbe von den treppenförmig terraſſirten Abhängen 
dieſer Vorſprünge faſt vollkommen geſchloſſen, gegen Oſt 
dagegen nur theilweis durch einen kurzen, felſigen Berg— 
wall, welcher ſich iſolirt aus dem Flachlande Südarago— 
niens erhebt und, wenn ich nicht irre, den Namen Sierra 
de las Baylias führt. Dieſes ſehr geräumige Becken 
wird durch die Flüſſe Alfambra und Turia oder Gua— 
dalaviar (arabiſch: weißer Fluß) bewäſſert. Letzterer 
entquillt der Muela de San Juan bei Albarraein, 
einem der höchſten Gipfel der vielverzweigten Serrania 
de Cuenca, welcher ungefähr an der Stelle gelegen iſt, 
wo die beiden beſchriebenen Fortſätze des Plateau's von 
Neucaſtilien beginnen. Der Turia ſtrömt bis zum Cen⸗ 
trum des Beckens in faſt nordöſtlicher Richtung. Anſtatt“ 
aber, wie es naturgemäß ſcheint, ſeinen Lauf weiter in 
dieſer Richtung fortzuſetzen und ſich mit dem Ebro zu 
vereinigen, biegt er, nachdem er den Rio Alfambra auf⸗ 
genommen hat, plötzlich unter rechtem Winkel nach Süden 
um und durchbricht den ungeheuern Wall des füdlichen 
Plateaufortſatzes und der nordvalencianiſchen Gebirge, um 
ſeine befruchtenden Gewäſſer dem Garten Spaniens, der 


Abreiſe von Pozondön. Anſicht des Beckens von Terusl. 407 


Huerta de Valencia, zuzuführen. Da, wo der Turia ſei— 
nen Lauf ſo plötzlich ändert, liegt über ſeinem linken Ufer 
auf einem ſteilen Mergelhügel, hart am Fuße des Ab— 
hanges des valencianiſchen Plateauwalles, die uralte Stadt 
Teruél, der Hauptort der ſüdlichſten Provinz von Ara— 
gonien. 

Der das Becken von Teruél begränzende Abhang 
des neucaſtiliſchen Tafellandes beginnt eine halbe Stunde 
ſüdlich von Pozondön. Hier bot ſich uns ein überraſchen— 
der und eigenthümlicher Anblick dar. Vor uns öffnete 
ſich das weite Becken von Teruel, deſſen beinahe andert— 
halb tauſend Fuß tiefer als Pozondön gelegene Sohle 
wir jedoch nicht erblicken konnten, da die breiten, gegen 
ihre Ränder zu Hügeln anſchwellenden und bewaldeten 
Stufen des Abhanges, auf deſſen oberſtem Rande wir 
uns befanden, den Anblick derſelben entzogen. Rechts 
war das Becken amphitheatraliſch von demſelben terraſſir— 
ten Abhange umgeben, der hier mit wallartigen Gebirgs— 
zügen, den erhabenſten Gliedern der Serrania von Cuenca 
und Albarracin, gekrönt erſchien, links dagegen weit ges 
öffnet gegen das Tiefland des Ebrobaſſins, aus dem in 
geringer Ferne das oben erwähnte iſolirte Gebirge, eine 
maleriſch zerklüftete Buntſandſteinmaſſe, duftig von der 
Morgenſonne beleuchtet, ſchroff emporſtieg. Uns gerade 
gegenüber, jenſeits des breiten Beckens, begränzte die 
Ausſicht der hohe Wall des bereits geſchilderten ſüdlichen 


408 Impoſanter Anblick der valencianiſchen Terraſſe. 


Plateauaſtes, hinter dem die nördlichſten Ketten der va⸗ 
lencianiſchen Gebirge emportauchten. Da dieſe ganze 
Parthie im Schatten lag, ſo erſchienen die einzelnen 
Terraſſenſtufen des dem Becken von Terusl zugekehrten 
Abhanges als eben ſo viele Gebirgsketten und deshalb 
die hinter denſelben emporragenden Gebirgsgipfel Balen- 
cia's viel höher, als fie in der Wirklichkeit find, ein Um⸗ 
ſtand, welcher der ganzen uns gegenüber liegenden Ge— 
birgsmaſſe ein höchſt impoſantes Ausſehen verlieh. So⸗ 
wohl die Abhänge des Plateau's von Pozondön als der 
zur Rechten gelegenen amphitheatraliſchen Terraſſe ſind 
von tiefen Gründen durchfurcht, völlig unbewohnt und“ 
mit lichter Waldung bedeckt, die der Hauptſache nach aus“ 
einer außer in Südſpanien nur noch in Nordafrica, auf 
Sizilien und im Orient vorkommenden Wachholderart 
beſteht, (dem Juniperus sabinoides Griseb. oder Juni- 
perus thurifera L.), die dem Sadebaum fehr ähnlich ift, 
aber größere Beeren trägt und viel größer wird. Ich“ 
bemerkte Bäume dieſes Wachholders, der von den Ein— 
geborenen gleich dem Sadebaum „Sabina“ genannt wird,“ 
mit Stämmen von drei bis vier Fuß Durchmeſſer, dreißig 
bis vierzig Fuß Höhe und gewaltigen Kronen“). In 
Pozondön kennt man gar kein anderes Feuerungsmaterial, 
als Sabinaholz. Daſſelbe iſt roth und weich und giebt 


Ss) Bowles, welcher durch dieſe Gegend auch gekommen iſt, 
nennt dieſe großen Sabinabäume Gedern. 


Sabinawälder. Der Flecken Celda und feine Huerta. 409 


wegen ſeines bedeutenden Harzgehaltes eine ſtarke Hitze, 
verbrennt aber ſehr raſch. Auf dieſe Sabinagehölze fol— 
gen dürre, nackte Mergelhügel, welche ſich ſüdwärts, eine 
halbe Stunde weit, bis Celda erſtrecken. Dieſer große 
Flecken liegt an einem ſogenannten Nacimiento, einem 
großen Baſſin des klarſten, herrlichſten Waſſers, aus dem 
der Rio de Celda hervorſtrömt, welcher, gen Norden flie— 
zend, bald in den Jiloca fällt. Celda tft ſchlecht gebaut 
und ſchmuzig, beſitzt aber eine herrliche, durch das Waſſer 
des Naeimiento befruchtete Huerta, die ſich namentlich 
urch ihren Reichthum an Nußbäumen auszeichnet. Dieſe 
Huerta macht, wenn man Tage lang nur hohe, nackte, 
irre, faſt baumloſe Plateau's geſehen hat, einen unbe— 
chreiblich heitern Eindruck. Nachdem wir in der großen, 
ber ſehr unwohnlichen und ſchmuzigen Poſada des Ortes 
Siefta gehalten hatten, ſetzten wir unſere Reiſe weiter 
ort und gelangten in Kurzem auf ein offenes welliges 
zerrain, das ſich ſanft zu den Ufern des Turia hinab— 
eht und faſt gänzlich mit Weizenfluren, die hier bereits 
bgemäht waren, bedeckt iſt. Es dauerte nicht lange, ſo 
sigte ſich die lang hingeſtreckte Häuſermaſſe von Teruél 
n dem entgegengeſetzten Gehänge des weiten Thalbeckens. 
dieſe Stadt nimmt ſich von fern ſehr ſchlecht aus wegen 
er grauen Farbe ihrer Gebäude und des völligen Man— 
18 an Grün in ihren unmittelbaren Umgebungen, deren 
Narbe mit dem Colorit der Häuſer faſt gänzlich überein— 


110 Anſicht von Terusl. 


ſtimmt. Anders geſtaltet ſich das Bild von Teruel, wenn 
man näher kommt, beſonders von den ſteilen, nackten 
Mergelhügeln aus, welche das rechte Ufer des Alfambra 
einfaſſen. Hier bietet Teruel einen impoſanten Anblick 
dar. Majeſtätiſch thront die alterthümliche Stadt, über⸗ 
ragt von zwölf Thürmen und mehreren ſtattlichen Gebäu- 
den, unter denen ſich beſonders das auf einem ſteilen 
Felsvorſprunge gelegene Jeſuitercollegium durch feine 
Größe und durch feine einfach-edle Architectur auszeich 
net, auf einem felſigen, ſchroff anſteigenden, über 200 
Fuß hohen Mergelhügel jenſeits der breiten, im üppigiter 
Grün prangenden und mit zerſtreuten Bauernhäuſern ge 
ſchmückten Thalebene, durch welche die klaren Gewäſſe 
des Alfambra und Turia in vielfach gekrümmtem Lauf 
dahinziehen. Dicht hinter der Stadt ſteigt eine in ſteil 
Kegel maleriſch geſpaltene Mergelhügelkette in Form eine 
Circus empor, welche den unterſten Abſatz der valeneic 
niſchen Plateauterraſſe bildet. Die Anſicht von Terue 
würde noch ſchöner fein, wären ſowohl der Stadtberg all 
die denſelben gegen Süden umgebenden Kegel des Cirer 
mit Bäumen oder Gebüſch bewachſen. Dies iſt aber nid 
der Fall; im Gegentheil, es entbehren jene Hügel, d 
öſtlich von der Stadt hinziehenden ausgenommen, wo e 
ſchlechter Wein wächſt, der Vegetation faſt vollkomme 
Dieſe fürchterliche Sterilität, die auch den Mergelhüge 
eigen iſt, welche die Sohlen der beiden Flußthäler ei 


Landſchaftliche Contraſte. Ankunft in Terusl. 114 


| faſſen, contraſtirt ſeltſam mit der üppigen Fruchtbarkeit 
der wohlbewäſſerten und durchgängig angebauten Thal- 
ebene, die beſonders Hanf und Wallnüſſe in großer Menge 
producirt. Der Contraſt iſt um ſo ſtärker, als die Thal- 
ſohlen wegen der eben genannten Gewächſe ein prächtiges 
dunkles Grün beſitzen, während die nackten Mergelhügel 
kreideweiß oder braunroth gefärbt ſind, und würde einen 
unangenehmen Eindruck hervorbringen, würde derſelbe 
nicht durch die ſchönen Formen und namentlich durch die 
farbenreiche, duftige Beleuchtung jener nackten Erdhügel 
bedeutend gemildert. Die Beleuchtung war um ſo glü— 
hender und wechſelvoller, als ich gerade bei untergehender 
Sonne an die Ufer des Alfambra gelangte. In den 
Morgenſtunden iſt die Anſicht von Teruél von jener Seite 
aus bei weitem nicht fo ſchön. Am Eingange der Stadt, 
vor der Puerta de Zaragoza, befindet ſich über dem Ab— 
0 hange des Turiathales die Alameda, ein recht hübſcher, 
mit Ulmen bepflanzter Spaziergang, und dabei eine Reihe 
von Poſaden, in deren beſte ich mich auf einige Zeit 
einmiethete. 

f Teruél iſt in grauer Vorzeit jedenfalls eine viel 
bedeutendere Stadt geweſen, als gegenwärtig. An ihrer 
Stelle ſtand nämlich ehedem Turdeto, die Hauptſtadt 
der Turdetani, eines Volksſtammes, welcher den Rö— 
mern viel zu ſchaffen gemacht hat. Zweimal wurde die 
Stadt von den Römern erobert, das erſte Mal im Jahre 


U 


142 Geſchichte von Teruel. Lage und Bauart der Stadt. 


244 vor Chriſto während des zweiten puniſchen Krieges 
nach der Schlacht bei Munda, welche die Macht Cartha— 
go's in Spanien brach; das zweite Mal im Jahre 195, 
wo die Turdetani einen die römiſche Herrſchaft in Spa— 
nien gefährdenden Aufſtand angezettelt hatten. Das erſte 
Mal wurde Turdeto von den Römern völlig zerſtört und 
ſeine Einwohnerſchaft zur Sklaverei verdammt und ver— 
kauft, zur Strafe dafür, daß die Turdetani Hannibal 
gegen das unglückliche Sagunt herbeigerufen hatten. Ueber 
die ſpätern Schickſale Turdeto's iſt Nichts bekannt. Je⸗ 
denfalls ſind die Römer von der zweiten Unterwerfung 
an im ungeſtörten Beſitz jener Stadt, von welcher der 
Turia ſeinen Namen erhalten haben dürfte, der Name 
Teruel ſelbſt vielleicht abzuleiten iſt, geblieben, bis ihr 
Reich in Trümmern ſtürzte. Aus der Zeit der Römer 
ſcheint keine Spur mehr vorhanden zu ſein; dagegen ver— 
räth die winklige Bauart der jetzigen Stadt, daß auch 
ſie Jahrhunderte lang der Herrſchaft des Halbmonds un— 
terworfen war, dem fie durch König Alphons I. von Ara— 
gonien entriſſen wurde. Terusl beſitzt gegenwärtig an 
14000 Einwohner. Die Stadt iſt höchſt unregelmäßig 
gebaut und ſehr bergig gelegen; ich wüßte kaum ein Pläß- 
chen, welches horizontal läge. Die meiſten Gaſſen ſind 
ſchmuzig und ſchmal, die Plätze klein und winklig, die 
Privathäuſer von alterthümlicher, finſterer, unwvhnlicher “ 
Bauart. Nur der Haupt- oder Conſtitutionsplatz und 


Kirchen und Klöfter von Teruel. 113 


die auf denſelben mündenden Hauptgaſſen haben freund— 
liche und regelmäßig gebaute, mit vielen Balconreihen 
geſchmückte Häuſer. Die am Conſtitutionsplatz befind— 
lichen — derſelbe liegt, beiläufig bemerkt, 2858 par. Fuß 
über dem Spiegel des mittelländiſchen Meeres — ſind 
außerdem mit Colonnaden (ſogenannten Lauben) verſehen. 
Die Zahl der Kirchen und Klöſter beläuft ſich auf ſech— 
zehn. Unter denſelben ſind die Cathedrale, die Kirche 
San Pedro und das Nonnenkloſter Santa Tereſa beſon— 
ders hervorzuheben. Die zuerſt genannte Kirche iſt, wie 
faſt alle übrigen, gothiſch, jedoch nicht fo groß, wie die 
Cathedralen in andern ſpaniſchen Städten deſſelben Ran⸗ 
ges zu ſein pflegen. Der Eindruck, den die edle Ein— 
fachheit der drei hohen, von ſchlanken Säulen getragenen 
Schiffe hervorbringt, wird leider durch die geſchmackloſen 
Verzierungen der zahlreichen Kapellen und Seitenaltäre 
unangenehm geſtört. Die Kirche San Pedro verdient in 
acchitectoniſcher Hinſicht gar keine Beachtung und Erwäh— 
nung, wohl aber in hiſtoriſcher. Sie birgt nämlich die 
wohlerhaltenen Leichname jenes in ganz Spanien unter 
em Namen „die Liebenden von Teruél“ berühmten un 
glücklichen Paares, deren rührende Geſchichte der be— 
kannte geiſtvolle Dichter und Literat Don Eugenio 
artzembuſch zu einem Trauerſpiele benutzt hat, wel— 
hes zu den ſchönſten Erzeugniſſen der neueſten dra— 
natiſchen Literatur Spaniens gerechnet zu werden ver— 
Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 8 


114 Geſchichte der Liebenden von Terusl. 


dient.“) Das St. Thereſienkloſter ſoll eine ſchöne Kirche 
beſitzen und reich an Kunſtſchätzen ſein. Ich habe ſein 


) Da der Mehrzahl meiner Leſer die Geſchichte der Liebenden 
von Terusl noch unbekannt fein dürfte, ſo will ich hier dieſelbe 
kürzlich mittheilen. Zu Anfange des 13. Jahrhunderts lebten in 
Teruél zwei mächtige Adelsfamilien, Namens Marſilla und 
Segura. Das Haupt des erſtgenannten Hauſes, Don Martin 
Garcés de Marſilla, hatte einen Sohn, Don Diego; das 
des zweiten, Don Pedro de Segura, eine Tochter, Doñ a 
Iſabel. Beider Kinder, gleich ausgezeichnet durch Geiſt und 
Schönheit, waren mit einander aufgewachſen und aus gegenſeitiger 
Neigung in ein inniges Verhältniß getreten, welches von den El— 
tern eher begünſtigt, als verhindert wurde. Da verarmte Marfilla 
plötzlich durch Schickſalsſchläge verſchiedener Art und gleichzeitig 
trat ein Bewerber um die Hand der ſchönen Iſabella in der Pers 
ſon eines jungen Ritters, der einem der reichſten und mächtigſten 
Geſchlechte Aragoniens angehörte, Namens Don Rodrigo de 
Azagra, auf. Dem alten Segura, der auch nicht ſehr begütert 
war, gefiel dieſer neue Freier beſſer, als der arme Don Diego; 
da er jedoch wußte, wie leidenſchaftlich dieſer von ſeiner Tochter 
geliebt wurde, ſo ſetzte er einen Termin feſt, bis zu welchem er nicht 
über die Hand ſeiner Tochter verfügen wolle und dieſe dem Don 
Diego gehören ſolle, wenn derſelbe bis dahin ein reicher Maur 
würde. In Folge deſſeu nahm Don Diego de Marſilla Kriegsdienſte 
focht gegen die Ungläubigen im heiligen Lande und war wirklich fr 
glücklich, bedeutende Schätze zu erwerben. Allein auf der Rückkehr 
nach Spanien wurde fein Schiff an die Küſte von Valencia verſchla— 
gen, daſelbſt von den Mauren gekapert und Don Diego nicht nuf 
feiner Schätze beraubt, ſondern als Sklave an den mauriſchen Ko: 
nig von Valencia verkauft. Hier erregte ſeine Schönheit und ſein 
nobler Anſtand die Aufmerkſamkeit der Sultanin. Diefe verliebt: 
ſich in ihn, und ließ ihn, während ihr Gemahl ſich auf einen 
Streifzuge abweſend befand, in den Harem bringen. Don Diego 
Iſabellens eingedenk, ging auf die Wünſche der Maurin nicht ein 
und theilte derſelben ſeine Lebensgeſchichte und ſein Verhältniß zi 


Geſchichte der Liebenden von Teruel. 115 


Inneres nicht geſehen; von außen imponirt es durch 
ſeine Größe und ſteht in dieſer Hinſicht nur dem ſchon 


Iſabella mit. Die Königin ließ ſich hierdurch nicht irre machen, 
ſuchte den Ehrgeiz des jungen Spaniers zu erregen, indem ſie ihm 
das Scepter von Valencia anbot und ihm mittheilte, daß Alles 
bereits vorbereitet ſei, um ihren ihr verhaßten Gemahl ans dem 
Wege zu räumen. Don Diego wieß ſchaudernd dies Anerbieten 
zurück, wußte aus dem Harem zu entkommen und den eben zurück 
gekehrten Sultan von der Treuloſigkeit und dem Mordanſchlage 
feiner Gemahlin zu benachrichten. Aus Dankbarkeit ſchenkte der— 
ſelbe dem Spanier die Freiheit und ließ ihm die geraubten Schätze 
wiedergeben; allein die verſchmitzte Sultanin hatte ſich der Rache ihres 
Gemahls durch Flucht zu entziehen gewußt, war verkleidet nach Teruel 
geeilt und hatte der Dona Iſabel ſcheinbar unzweideutige Beweiſe 
überbracht, daß ihr Geliebter geſtorben ſei. Dies geſchah wenige 
Tage vor dem Ablauf des von Don Pedro de Segura feſtgeſetzten 
Termins. Beſtürmt von dieſem, verſprach die unglückliche Iſabella, 
dem Don Rodrigo ihre Hand zu geben, ſobald die letzte Stunde 
der bewilligten Friſt verſtrichen ſei. An dem verhängnißvollen Tage 
kommt Don Diego nach Teruel; allein im Angeſicht der Stadt 
wird er von Räubern überfallen, welche die rachſüchtige Sultanin 
von Valencia gedungen hatte. Während des Kampfes kommt ihm 
ſein Vater, der durch einen von Don Diego vorausgeſchickten Bo— 
ten von deſſen bevorſtehender Ankunft in demſelben Augenblicke 
benachrichtigt worden war, als man Iſabella zur Trauung mit Don 
Rodrigo in die Kirche geführt hatte, und welcher deshalb keine Zeit 
gehabt hatte, Iſabella oder deren Vater zu benachrichtigen, zu Hülfe 
und befreit ihn und ſeine Schätze aus den Händen der Wegelagerer. 
Allein mittlerweile war die Trauung bereits vollzogen worden, und 
da der Termin vorher abgelaufen war, hatte Don Diego keine 
rechtlichen Anſprüche mehr auf Iſabella. Von den Furien der Rache 
getrieben, fordert er noch denſelben Abend ohne Wiſſen Iſabella's 
deren Gemahl zum Zweikampf und verwundet denſelben zum Tode. 
Hierauf eilt er zu ſeiner Geliebten, welche durch Gram und Ver— 
zweiflung bereits dem Tode nahe gebracht iſt. Iſabella weigert 
8 


446 Der Aquäduct los Arcos. 


erwähnten Jeſuitercollegium nach, welches gegenwärtig als 
Caſerne dient. Mehrere Kirchen und desgleichen eines 
der ſieben Thore zeichnen ſich durch die Bauart ihrer 
Thürme aus. Dieſelben ſind nämlich von unten bis oben 
viereckig, anſtatt der Spitze mit einer von hohen Mauer⸗ 
zinnen umringten Plattform verſehen und an ihrer Außen⸗ 
ſeite über und über mit erhabenen Verzierungen von halb 
gothiſchem, halb mauriſchem Geſchmack bedeckt. Das 
Sehenswertheſte von Teruél iſt aber ohne Zweifel der 
unter dem Namen los Arcos bekannte Aquäduct, ein 
kühnes Bauwerk der Neuzeit, welches lebhaft an die ähn— 
lichen Bauwerke der Römer erinnert. Da nämlich der 
Hügel, auf welchem die Stadt liegt, des Quellwaſſers 
vollkommen entbehrt, ſo mußte der geſammte Waſſerbe⸗ 
darf aus den beiden Flüſſen geholt werden, was eben ſo 
beſchwerlich, als koſtſpielig war. Um dieſem großen Uebel⸗ 
ſtande abzuhelfen, wurde im ſiebzehnten Jahrhunderte eine 


ſich, ihm zu folgen, mit ihm zu entfliehen, wie er verlangt, um 
ihre Frauenehre nicht zu beflecken, und da der verzweifelte Diego 
nicht abläßt, heuchelt ſie Abſcheu und Widerwillen, um ihn zu ent⸗ 
fernen. Don Diego, in der Meinung, ſie ſpreche die Wahrheit, 
finkt, vom Schlage getroffen, todt zu Boden. Als Iſabella dies 
ſieht, ſchwinden ihre letzten Kräfte; fie ſinkt, nachdem ſie noch ihre 
Eltern herbeigerufen hat, beſinnungslos an der Leiche des Gelieb— 
ten nieder und giebt bald darauf ihren Geiſt auf. Die Körper 
der beiden Unglücklichen wurden einbalſamirt, und in einem Sarge 
in der Kirche San Pedro beigeſetzt, wo ſie noch ruhen. Dieſes 
tragiſche Ereigniß trug ſich im Jahre 1217 zu. 


Der Aquäduct los Arcos. Anſicht der Stadt von Süden her. 447 


nie verſiegende Quelle der benachbarten valencianiſchen 
Bergterraſſe herbei geleitet und, um das Waſſer in die 
Stadt zu bringen, der genannte, an ihrem öſtlichen Ende 
befindliche Aquäduet erbaut. Derſelbe führt über den 
tiefen Barranco, welcher den Stadtberg gegen Süden und 
Oſten umgiebt, ihn von dem bereits erwähnten Circus 
von Mergelhügeln ſcheidet und die Thäler des Alfambra 
und Turia verbindet. Die Arcos beſtehen aus zwei über 
einander geſetzten Reihen von Rundbogen. Die unterſte 
Reihe zählt blos zwei, die oberſte dagegen ſechs Bogen, 
alle von koloſſaler Größe. Ueber die untere Bogenreihe 
führt ein ſchmaler, blos für Fußgänger beſtimmter Weg, 
weshalb die Pfeiler der oberen Bogenreihe, welche den 
Waſſerkanal trägt, durchbrochen ſind. Die größte Höhe 
des Aquäducts beträgt 150 Fuß bei einer Breite der 
untern Bogenreihe von kaum 140 Fuß! Der Baumeiſter 
dieſes großartigen Werkes war der ſchon bei der Mina 
de Daroca erwähnte Pierre Vedel. Das Thal, über 
welches die Arcos geſchlagen ſind, iſt eine der maleriſch— 
ſten Parthieen in den unmittelbaren Umgebungen von 
Teruél. Namentlich bietet der ſchon mehrfach erwähnte, 
das Thal gegen Süden einſchließende Circus, den man 
am beſten von dem ſüdlichen Ende der Alameda über— 
ſchaut, einen höchſt intereſſanten Anblick dar, theils wegen 
der kühnen Formen ſeiner Kegel, die ihre Entſtehung 
offenbar der zerſtörenden Einwirkung der atmoſphäriſchen 


118 Geognoſtiſche Bemerkungen. 


Gewäſſer verdanken, welche allmälig die tiefen Schluchten 
auswühlten, die jetzt das weiche, erdige Geſtein des fchrof- 
fen Abhanges durchſetzen und die einzelnen Kegel von 
einander ſcheiden; theils deshalb, weil an jenen nackten 
Wänden die Schichtung und Zuſammenſetzung der ganzen 
das Becken von Teruel ausfüllenden Sedimentärforma⸗ 
tion, die der tertiären Periode angehört, ſo außerordent⸗ 
lich ſchön blosgelegt iſt, wie man es nur ſelten bei von 
der Natur gemachten Profilen beobachtet. Dieſe Forma⸗ 
tion beſteht der Hauptſache nach aus abwechſelnden Schich— 
ten von weißem, erdigem Kalkmergel, rothem, kalkigem, 
erdigem Sandſtein, grünlichem Thon und grauem Ge⸗ 
ſchiebeconglomerat, weshalb die Wände jener Kegel und 
Schluchten wie gebändert ausſehen. Von dem oberen 
Rande des Circus aus hat man die maleriſchſte Anſicht 
von Teruél. Nirgends gruppiren ſich die Häuſerreihen, 
Klöſter und Kirchen der alterthümlichen Stadt ſo ſchön, 
wie dort; auch trägt das kühne Werk des Aquäducts, 
durch deſſen weite Bogen man in das üppig grüne Thal 
des Alfambra hinaus ſchaut, nicht wenig dazu bei, den 
Reiz des Bildes zu erhöhen. Schade, daß die maleriſch 
geformten Wandungen des Grundes ſo entſetzlich dürr 
ſind. Wären die Schluchten mit reichem Baumwuchs 
erfüllt, fo würde jene Anſicht von Terusl eine der pitto⸗ 
reskeſten Städteanſichten ſein, die es in Europa giebt. 
Auf der ziemlich breiten Sohle des im Sommer völlig 


Ausflug nach Conend. 119 


waſſerloſen Grundes und in ſeinen größern Seitenſchluch— 
ten liegen viele Häuſer und Gehöfte, welche eine Vor— 
ſtadt bilden, ſowie die Eras (Ausdreſchungsplätze) des 
geſammten, zur Stadt gehörigen Ackerlandes. 

Noch intereſſanter, als dieſer Barranco, ſind für den 
Naturforſcher die Umgebungen des zwei Stunden von 
Teruél entfernten Dorfes Concud. Es werden dort 
nämlich große Maſſen foſſiler Knochen vorweltlicher Qua— 
drupeden gefunden, unter einem 50 bis 400 Fuß mäch— 
tigen Schichtenſyſteme, welches ſeinen zahlreichen Verſtei— 
nerungen zufolge eine Süßwaſſerablagerung aus den jüng— 
ſten Epochen der tertiären Periode iſt. Ich verwendete 
einen Nachmittag auf den Beſuch jener merkwürdigen 
Gegend. Concud liegt nordweſtlich von Teruél in einer 
ebenfalls ſehr ſchön angebauten Seitenſchlucht des Alfam— 
brathales, im Schatten alter, prächtiger Nußbäume. Un— 
gefähr eine Viertelſtunde von dem Orte entfernt, gegen 
Norden zu, erſtreckt ſich eine kahle, aus breiten, abgerun— 
deten Kuppen beſtehende Hügelkette einige Stunden weit 
in der Richtung von NW nach SO. Dieſe Hügelreihe ent— 
hält, wie es ſcheint, ein ſtetig fortſetzendes Knochenlager, 
denn an mehrern weit von einander entfernten Punkten 
des Concud zugekehrten Abhanges ſieht man daſſelbe zu 
Tage ausgehen. Die beſte Gelegenheit, dieſe Knochenablage— 
rung, ſowie überhaupt die ganze Zuſammenſetzung jener Hü— 
gelreihe zu beobachten, bietet ein kleines, eine halbe Stunde 


120 Der Schädelgrund. Geognoſtiſche Bemerkungen. 


in NNW h von Concud befindliches Querthal dar, welches 
den ſchauerlichen Namen el Barranco de calaveras, 
d. h. der Schädelgrund, führt. An den faſt ſenkrechten 
Wänden dieſes kaum eine Viertelſtunde langen und un⸗ 
gefähr hundert Fuß breiten Grundes kann man deutlich 
drei über einander liegende Syſteme vollkommen hori- 
zontaler Schichten unterſcheiden. Die oberſte, nur noch 
ſtellenweis vorhandene, meiſt in Form großer Blöcke über 
den Kamm und die Abhänge der Hügelkette zerſtreute 
Schicht beſteht aus einem erdigen, gelblich-weißen Mergel, 
welcher eine große Menge von Süßwaſſer- und Land⸗ 
ſchnecken umſchließt, die bisweilen noch ſo friſch ausſehen, 
als wären ſie erſt vor Kurzem daſelbſt abgelagert worden 
und welche zum Theil noch jetzt lebenden Species angehören. 
Unter dieſer Schicht liegt ein Syſtem von einem bis drei 
Fuß mächtigen, durch zwei bis drei Zoll dicke Lagen wei- 
ßen, erdigen Thonmergels geſchiedenen Schichten eines 
harten, von völlig verſteinerten Süßwaſſer- und Land⸗ 
ſchnecken wimmelnden rauchgrauen Kalkes. Hierauf folgt 
ein Syſtem zahlreicher Schichten, deren Mächtigkeit zwi⸗ 
ſchen zwei Zollen und einem Fuß wechſelt. Dieſelben 
beſtehen theils aus einem weichen, erdigen, ſehr ſandigen 
Mergel oder kalkigem Sandſteine von ziegelrother Farbe, 
theils aus weißem, erdigem Mergelthon, theils aus einem 
graugrünen, ebenfalls erdigen Mergelſandſtein. Letzterer 
beherbergt die foſſilen Knochen, welche ohne Ordnung unter 


Foſſile Knochen. Abreiſe von Terusl. 124 


und durch einander liegen. Die meiſten ſind zertrümmert 
und bilden mit den ſie trennenden Geſteinsfragmenten 
eine Art lockern Conglomerats. Vollſtändige Gerippe, 
oder nur Gliedmaßen oder Schädel ſind meines Wiſſens 
noch nicht aufgefunden worden, wohl aber Zähne, die 
ihrer Größe und Form nach großen fleiſchfreſſenden Thie— 
ren angehört zu haben ſcheinen. Die Knochen pflegen, 
caleinirt, ſehr weich zu ſein, und daher an der atmoſphä— 
riſchen Luft zu zerfallen, weshalb es ſelten gelingt, ein 
größeres ganzes Stück von ihnen zu bekommen. Dieſes 
Knochen führende Syſtem ruht auf dicken Bänken des 
ſchon erwähnten ziegelrothen Mergelſandſteins, welcher ſich 
nach unten zu durch immer zahlreicher beigemengte Roll— 
ſteine von Quarz und Kalk allmälig in ein Geſchiebe— 
conglomerat verwandelt, das auf Jurakalk zu ruhen ſcheint. 
Es wäre intereſſant, durch Nachgrabungen an verſchiede— 
nen Stellen jener Hügelkette die Erſtreckung und die 
Gränzen dieſer merkwürdigen Knochenablagerung genau 
zu beſtimmen. Vielleicht fänden ſich dann auch vollſtän— 
dige Ueberreſte der Thiere, welche das Material dazu 
geliefert haben. — 

Nach dreitägigem Aufenthalte in Teruel ſetzte ich meine 
Reife nach Valencia weiter fort. Bevor ich aber von Ara- 
gonien ſcheide, will ich noch meine Leſer einen Rückblick 
auf deſſen Bewohner thun laſſen. 


Diertes Kapitel. 


Die Aragoneſen. 


Spanien iſt das Land der Contraſte, nicht blos in 


landſchaftlicher Beziehung, ſondern auch in Hinſicht auf 
den Charakter, die Sitten und Gebräuche, die ſocialen 
und politiſchen Zuſtände, die materiellen und intellectuel- 
len Verhältniſſe des Volkes! — Schon während meiner 
erſten Reiſe hatte ich oft Gelegenheit, dieſe Bemerkung 
zu machen (ich erinnere an den auffallenden Unterſchied, 
welcher in Geſichtsbildung, Charakter und Sitten zwiſchen 
den Valencianern und Manchegos, zwiſchen den Andalu— 
ſiern und Algarbiern u. a. ſtattfindet): noch niemals aber 
war mir ein ſo greller Contraſt aufgeſtoßen, wie der 
zwiſchen den Aragoneſen und ihren Nachbarn, beſonders 
den Valencianern und Basken. Wenn man aus Navarra, 
Catalonien oder Valencia kommt, ſo glaubt man ſich in 
ein fern von dieſen Provinzen gelegenes Land, unter eine 
ganz andere Nation verſetzt, ſobald man den Boden Ara- 


— Ä— — — — —— . r — — — — —— 


— 


Düſterer Charakter und Uncultur der Aragoneſen. 423 


goniens betritt. Da iſt keine Spur mehr von dem Cul⸗ 
turzuſtande der eben genannten Landſchaften; vergeblich 
ſucht man die ſorgſam angebauten Fluren, die zierlich 
beſtellten Felder der Valencianer, die ſtolzen Fabrikge— 
bäude der Catalonier, die freundlichen Caſerio's und wohl— 
habend ausſehenden Ortſchaften der Basken; die harm— 
loſe Fröhlichkeit und das zutrauliche Weſen der Basken, 
die kecke Lebhaftigkeit der Catalonier, die Gaſtfreiheit und 
die zuvorkommende Artigkeit der Valencianer ſind ver— 
ſchwunden: die kahlen, ſpärlich bevölkerten, wenig und 
ſchlecht angebauten Ebenen und die romantiſchen Wald— 
gebirge beherbergen einen verſchloſſenen, abſtoßenden Mens 
ſchenſchlag; düſter und ernſt, wie das Land, iſt fein Bes 
wohner, der ſtolze, finſtere, bigotte Aragoneſe. Doch 
unter der rauhen Hülle wohnt ein ehrenwerther Charak— 
ter, begabt mit herrlichen Eigenſchaften, und ich will da— 
her recht gern glauben, was mir von Spaniern verſichert 
worden iſt, nämlich daß man den Aragoneſen lieben und 
achten muß, wenn man ihn erſt verſtehen gelernt hat. 
Das aragoneſiſche Volk iſt ein noch völlig ungeſchliffener 
Edelſtein, oder richtiger, ein verwahrloſtes, nnartiges 
Kind. Nicht das Volk iſt daran ſchuld, daß ihm euro— 
päiſche Geſittung faſt gänzlich fremd geblieben iſt, ſondern 
ſeine Leiter und Vormünder, die es ſeit Jahrhunderten 
abſichtlich in Unwiſſenheit gelaſſen haben; die Vertreter 
der Kirche ſind es, welche die Schuld tragen, die Prieſter, 


* 
124 Urſprung des aragoneſiſchen Volksſtammes. 


die allenthalben mehr oder weniger der Intelligenz, dem 
Fortſchritte des Zeitgeiſtes hemmend entgegen treten. 
Die jetzigen Bewohner Aragoniens find ein gemifch- 
ter Volksſtamm, keine urſprüngliche Nation, wie die 
Basken. Von den Ureinwohnern jener Landſchaft, die 
zu den Celtiberern gehörten, iſt wohl keine Spur mehr 
vorhanden. Durch die vielen fremden Völkerſchaften, 
welche Aragonien ſeit der römiſchen Herrſchaft bis zur 
Zeit der arabiſchen Invaſion überſchwemmten, wurden jene 
gänzlich aufgerieben, oder wenigſtens ihre Sprache und 
Sitten vernichtet. Das gegenwärtige Volk der Aragone— 
ſen und ihr Charakter bildeten ſich vorzüglich während 
des Kampfes gegen die Mauren und während des auf 
dieſen folgenden aragoneſiſchen Königthums aus. Ein 
kleines Häuflein rauher, ſtolzer, Unabhängigkeit liebender 
Krieger legte, wie bereits erzählt worden iſt, den Grund— 
ſtein zu der Monarchie von Aragonien, welche, nachdem | 
Catalonien, Valencia und die Balearen zu ihr hinzuge— 
kommen waren, eine lange Zeit eine der bedeutendſten | 
Rollen in der Reihe der europäiſchen Staaten ſpielte. 
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Es konnte nicht fehlen, daß ein Volk, welches ſich ſeinen 
Grund und Boden Fuß für Fuß mit dem Schwerte er— 
kämpft hatte und durch eigene Kraft groß und mächtig 
geworden war, herrſchſüchtig, ſtolz, hartnäckig, dem Waf⸗ b 
fenhandwerke und dem ungebundenen Leben ergeben, da- 
gegen den friedlichen Beſchäftigungen der bürgerlichen 


Unabhängigkeitsſinn der Aragonefen. 125 


Gewerbe, des Handels und des Ackerbaus abhold fein 
mußte. So entwickelten ſich die Eigenſchaften des Stol— 
zes, Trotzes, der Heftigkeit, des auffahrenden Weſens, 
der Herrſchſucht und der Hartnäckigkeit, des Hanges zum 
unthätigen, herumſchweifenden, unabhängigen Lebens, der 
Luſt zum Waffenhandwerk u. ſ. w., die noch jetzt die 
Aragoneſen charakteriſiren. In der That liefert Arago— 
nien noch gegenwärtig ſowohl die tapferſten und tüchtig— 
ſten Soldaten des ſpaniſchen Heeres und die kühnſten 
Jäger, als die verwegenſten Schmuggler und Wegelage— 
rer; dagegen ſtehen faſt in keiner andern Landſchaft Spa- 
niens Ackerbau und Induſtrie auf einer ſo tiefen Stufe, 
ie in Aragonien, trotzdem, daß dieſes Land für beide 
Culturzweige außerordentlich geeignet iſt, da es von waſ— 
ſerreichen Flüſſen in allen Richtungen durchkreuzt wird. 
Ein hervorſtechender Charakterzug des aragoneſiſchen 
Volkes, als es noch eine ſelbſtſtändige Nation bildete, 
war der Freiheitsſinn, oder richtiger, das hartnäckige 
Pochen auf gleiche Berechtigung. Wer kennt nicht die 
freiſinnige Verfaſſung des alten aragoneſiſchen Staats, 
der nur dem Namen nach eine Monarchie, in der That 
aber eine ariſtokratiſche Republik war, wo jeder „Rico— 
home“ (adliger Grundbeſitzer) gleiche Berechtigung mit 
dem König und gleichen Anſpruch an den Thron hatte; 
wo die Rebellion geſetzlich geſtattet, wo ſie geheiligt 
war, wenn der König ſeinen Eid, die Fueros treu zu 


126 Freiſinnigkeit der urſprünglichen Verfaſſung Aragoniens. 


wahren, brach“); wo der König dem Volke verantwort- 
lich war, und von der oberſten Gerichtsbehörde, dem 
„Justicia de Aragon“, zur Unterſuchung gezogen und 
verurtheilt werden konnte? Eine größere Beſchränkung 
der königlichen Gewalt hat wohl niemals exiſtirt! Und 
dennoch war der aragoneſiſche Staat ein geordnetes, blü— 
hendes, ſelten durch Unruhen geſtörtes Reich, denn das 
Volk, welches ſich frei entwickeln durfte, hatte Achtung 
vor dem Geſetze, vor ſeinem eigenen, von ſeinen Vätern 
ererbten Rechte, welches deshalb nicht durch Polizeidiener, 
Gensdarmen und Soldaten beſchützt zu werden brauchte! 
Wie es noch jetzt bei den Basken der Fall iſt, ſo waren 
auch in Aragonien die Fueros, die Verfaſſung, mit dem 
Herzen des Volkes verwachſen. Und dieſe Rechte wurden 
von allen Königen geachtet, ſelbſt nachher noch, als die 
Kronen von Aragonien und Caſtilien durch die Vermäh— 
lung Ferdinands V. mit Iſabella I. vereinigt worden wa⸗ 
ren und das Reich Aragonien factiſch zu exiſtiren aufge— 
hört hatte. Erſt die Bourbonendynaſtie trat die Rechte 
des aragoneſiſchen Volkes mit Füßen; erſt Philipp V. 
entriß demſelben ſeine alte freie Verfaſſung, ſeine Fueros 


) Die Wahlcapitulation, die der von den Ricos-homes ge— 
wählte König beſchwören mußte, lautete bekanntlich folgendermaßen: 
„Wir, die wir eben fo viel werth find, als wie Du, und die wir 
mehr vermögen, als wie Du, machen Dich zu unſern König, un⸗ 
ter der Bedingung, daß Du unſere Fueros wahrſt; — wo nicht, 
nicht!“ — 


Unangenehme Züge des aragonefifchen Charakters. 127 


und Privilegien, zur Strafe dafür, daß es auf der Seite 
des Hauſes Oeſtreich während des Erbfolgekrieges ge— 
ſtanden hatte. Viel Blut koſtete es, den trotzigen Ara— 
goneſen zu zähmen; doch was vermöchte nicht endlich die 
Gewalt der Bajonnette! — Seit jener Zeit bildeten ſich 
im Charakter des Aragoneſen einige Züge aus, die früher 
demſelben ſchwerlich eigen geweſen ſind und durch welche 
der jetzige Aragoneſe einen ſo abſtoßenden Eindruck auf 
den Fremden macht: dies ſind ein verſchloſſener Sinn, 
ein mürriſches, mißtrauiſches Weſen und ein glühender 
Haß alles Fremden, Eigenſchaften, die der Aragoneſe mit 
dem Catalonier, bei dem ſie aus denſelben Urſachen ent— 
ſpringen, theilt. Der gemeine Aragoneſe iſt im Allge— 
meinen ein anmaßender, ſtolzer, auffahrender Menſch ohne 
alle Lebensart. Mißtrauiſch blickt er den Fremden an, 
grüßt ihn nicht, ja, dankt kaum für den gebotenen Gruß. 
Er iſt ernſt, ſpricht ſehr wenig, benimmt ſich kalt und 
gleichgültig, wird aber, ſobald er Widerſpruch erfährt, 
heftig und grob. Von Artigkeit hat er überhaupt keinen 
Begriff. In keinem Wirthshauſe wird dem Gaſte ein 
Seſſel angeboten, oder derſelbe nach ſeinem Begehren 
gefragt. Alt und Jung, Männer und Frauen meſſen den 
eintretenden Fremden mit kalten, mißtrauiſchen Blicken, 
beantworten verdroſſen und mürriſch die an ſie gerichteten 

Fragen und benehmen ſich nicht ſelten im höchſten Grade 
ungezogen. In ſolchen Fällen hilft nur möglichſt maſ— 


128 Grobheit und Bigotterie der Aragonefen. 


ſive Grobheit, dann werden die Leute allmälig zahmer. 
Als ich auf meiner Reife nach dem Moncayo das erfte 
Mal in Alagon übernachtete, wo ich zu meinem Exſtau⸗ 
nen eine recht gute Poſada traf, bat ich die Magd, die 
mich nach meinem Zimmer geleitet hatte, ganz höflich, 
mir Waſſer zu bringen. Anfangs antwortete ſie gar nicht; 
als ich aber mein Begehren wiederholte, entgegnete ſie 
heftig, ich möge ſelbſt zum Brunnen gehen und mir Waf- 
ſer holen; ſie habe nicht Zeit, jedem Fremden nachzulau⸗ 
fen. Ich mußte über dieſe Ungezogenheit unwillkürlich 
lachen; Aguſtin aber, der zufällig zugegen war und mit 
den Aragoneſen umzugehen verſtand, explicirte dem Mäd⸗ 
chen ganz ruhig eine wohlconditionirte Ohrfeige, begleitet 
mit ein paar aragoneſiſchen Kraftausdrücken, und warf 
es zur Thüre hinaus. Bald darauf kam das Mädchen 
ungeheißen wieder, brachte mir das gewünſchte Waſſer, 
entſchuldigte ſich, es nicht früher beſorgt zu haben, und 
war fortan ganz artig. Der unangenehmſte Zug des 
aragoneſiſchen Charakters iſt die Bigotterie. Aragonien 
iſt die einzige Landſchaft Spaniens, wo der Nichtkatholik 
Urſache hat, ſein Bekenntniß zu verſchweigen und ſich für 
einen Katholiken auszugeben. Obgleich der gemeine Mann 
auch hier nichts davon weiß, daß es mehrere Klaſſen von 
Chriſten giebt, ſo iſt ihm doch der Begriff „Ketzer“ ſehr 
geläufig. Als Ketzer betrachtet er aber Alle, welche nicht 
ſtreng die Vorſchriften der Kirche befolgen und vor Allem 


Unwiſſenheit der Aragonefen. Mangel an Schulen. 429 


nicht mit der von der Geiſtlichkeit vorgeſchriebenen Ehr— 
furcht und Gläubigkeit von der „santisima virgen del 
Pilar“ ſprechen. Es iſt daher jedem Fremden, welcher 
Aragonien bereiſt, anzuempfehlen, ſich als Katholiken zu 
geriren; die Klugheit gebietet dies, und ich ſehe nicht 
ein, warum man nicht der Regel: mundus vult decipi 
gemäß handeln ſoll, wenn man ſich dadurch Unannehm— 
lichkeiten erſparen kann. Hand in Hand mit dieſer Bi— 
gotterie geht, wie es nicht anders ſein kann, eine grän— 
zenloſe Unwiſſenheit. Faſt kein gemeiner Aragoneſe kann 
leſen und ſchreiben, denn es exiſtiren gar keine Schulen 
in den Dörfern. Der Unterricht des Volks befindet ſich 
ausſchließlich in den Händen der Prieſter, die der Mehr— 
zahl nach ſelbſt höchſt unwiſſend und ungebildet ſind und 
ſich natürlich damit begnügen, den Söhnen und Töchtern 
ihrer Beichtkinder das Formenweſen des katholiſchen Cul— 
tus, die Glaubenslehren der Kirche und einige dürftige 
Begriffe von chriſtlicher Moral beizubringen, vor Allem 
er unverbrüchlichen Glauben an ihre eigenen Ausſprüche 
und an die Allmächtigkeit der wunderthätigen Madonna 
von Zaragoza. 

Aus den vorſtehenden Bemerkungen werden meine 
Leſer zur Genüge erkennen, daß der Aragoneſe im All— 
emeinen einen widerlichen Eindruck hervorbringen muß. 
Es iſt dies in der That der Fall, und ich muß geſtehen, 
daß ich mich unter den Aragoneſen niemals wohl befun— 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 9 


=‘ 


130 Phyſiognomie der Aragonefen. 


den habe. Der Charakter des Aragoneſen prägt ſich ſchon 
in ſeiner Phyſiognomie aus. Das hagere, meiſt ſehr 
gebräunte Geſicht, welches ſelten ein Lächeln erheitert, 
die ſchwarzen, tief liegenden, kleinen ſtechenden Augen, 
das unter dem niedrigen Filzhute oder unter der „Rede⸗ 
cilla“ ungeordnet hervorquellende, wild um den Kopf in 
langen, ſchmalen Locken herumhängende, glänzend ſchwarze 
Haar machen einen durchaus ungünſtigen Effekt. Am 
widrigſten ſind mir immer die Bewohner des Flachlandes, 
namentlich der Ebroebenen, geweſen, indem ſich dieſelben 
mehr als andere Aragoneſen durch Rohheit auszeichnen. 
Auch gelten ſie für boshaft und rachſüchtig, und wirklich 
ſcheinen ihre lauernden, dolchartig blitzenden Augen für 
die Wahrheit dieſer Behauptung zu ſprechen. Die Hoch⸗ 
aragoneſen beſitzen, wie alle Gebirgsbewohner, eine größere 
Portion von Gemüthlichkeit und find deshalb auch weni— 
ger verſchloſſen und ernſt, als die Niederaragoneſen. Ne: 
ben dieſen vielen unangenehmen Zügen enthält jedoch der 
aragoneſiſche Charakter auch manche ſchätzenswerthe Eigen 
ſchaft. Der Aragoneſe iſt im Allgemeinen ein ehrenwer“ 
ther und rechtſchaffener Menſch. Er iſt überlegend, und 
handelt nicht leicht eher, als bis er Alles wohl erwoger“ 
hat, dann aber mit großer Energie und eiferner Conſe⸗ 
quenz. Er beſitzt eine glühende Liebe zu ſeinem Vater 
lande, welches zu vertheidigen er für feinen höchſten Ruhm] 
anſieht, eine unbegreifliche Mäßigkeit in feinen Anſprücher 


Lobenswerthe Eigenſchaften. Körperbau d. Männer u. Frauen. 134 


an das Leben und Zufriedenheit mit dem ihm zugefalle— 
nen Looſe. Rauſchende Vergnügungen liebt er nicht, wes— 
halb er auch weder dem Tanze, noch dem Weintrinken 
ergeben iſt. Sich zu betrinken gilt bei ihm, wie bei den 
Südſpaniern, für eine Schande. Der gebildete Aragonefe 
beobachtet ſtreng die Vorſchriften der Etikette. Er hat 
etwas Förmliches, eine kühle, ſtolze Höflichkeit in ſeinem 
Weſen, welches Jeden zurückſtößt, der an die Zutraulich— 
keit des Basken, oder an die überſprudelnde Heiterkeit 
des Südſpaniers gewöhnt iſt. Auch er iſt nüchtern und 
mäßig, und deshalb im Allgemeinen dem Luxus noch 
abhold. Nur in Zaragoza hat der franzöſiſche Luxus ſich 
ſeit einer Reihe von Jahren geltend zu machen angefan— 
gen. Ueber das Familienleben der Aragoneſen habe ich 
kein Urtheil. 

a Die Aragoneſen find im Allgemeinen ein ziemlich gro— 
ßer, aber ſehr hagerer Menſchenſchlag. Der ſchmächtige, 
knochige Körperbau trägt noch mehr dazu bei, den unan— 
genehmen Eindruck zu erhöhen, den das gebräunte, düſtere 
Geſicht macht. Die Frauen pflegen von mittlerer Größe 
und gut gewachſen, auch gewöhnlich in jungen Jahren 
recht hübſch zu ſein, haben aber wenig Grazie und be— 
tragen ſich faſt eben ſo abſtoßend, wie die Männer. Sie 
beſitzen meiſt einen ziemlich dunkeln Teint, aber ſchöne 
große Augen und prächtiges Haar. Die meiſten ſind 
dunkel brunett; Blondinen, die in den baskiſchen Pro- 
9 * 


132 Volkstrachten. Die Redecilla. 


vinzen keineswegs zu den Seltenheiten gehören, ſieht man 
in Aragonien bereits eben ſo ſelten, wie in Südſpanien. 
Was die Trachten anlangt, ſo kleiden ſich die höheren 
Stände auch in Aragonien, wie überall, nach franzöſiſcher 
Sitte; die niederen Stände dagegen und die Landbewoh— 
ner beſitzen Volkstrachten, welche je nach der Gegend 
verſchieden find. Die Tracht der Männer beſteht im Al 
gemeinen aus einer kurzen Jacke, kurzen Hoſen und Ga— 
maſchen, die der Frauen aus einem ärmelloſen, eng an— 
ſchließenden ſteifen Mieder, über welches ſie ein baum— 
wollenes Tuch tragen, und aus kurzen wollenen Röcken. 
In Hocharagonien tragen die Männer ganz einfache, eng 
anliegende Jacken von grobem, dunkelfarbigem Tuch, welche 
bis an die Hüften reichen, eine blaue Sammetweſte mit 
zwei Reihen meſſingerner oder ſilberplattirter Knöpfe, 
kurze Hoſen von demſelben Stoffe, eine dunkelblaue oder 
violette Wollenſchärpe, die ſie loſe und unordentlich um 
den Leib ſchlingen, blaugraue Strümpfe und Alpargates 
von Hanf oder Esparto mit ſchwarzen Baumwollenbän— 
dern. Den Kopf pflegt ein ſchwarzer, niedriger Filzhut 
mit enorm breiten Krämpen, die man häufig nach auf⸗ 
wärts mit einem Tuche zuſammengebunden ſieht, zu be— 
decken; ſeltener die „Redecilla“, welche dagegen bei den 
Bewohnern Niederaragoniens und des öſtlichen Neucaſti— 
lien außerordentlich beliebt iſt. Dieſe Redecilla iſt Fei- 
neswegs ein Haarnetz, wie man bei uns gewöhnlich glaubt, 


Die Redecilla. Trachten der Frauen. 133 


ſondern blos ein ſchmal zuſammen gelegtes, einen zwei 
bis drei Finger breiten Streifen bildendes buntes Baum— 
wollentuch, welches in Geſtalt eines Gürtels feſt um den 
Kopf geknüpft wird, ſo daß der Wirbel und der ganze 
obere Theil der Haare völlig unbedeckt bleibt. Die Re— 
decilla ſchützt daher nicht im mindeſten gegen die Sonne 
und ich begreife nicht, wie die Niederaragoneſen und Neu— 
caſtilianer in ihren glühend heißen Ebenen während des 
Tages bei vollem Sonnenſcheine damit herumlaufen kön— 
nen, ohne den Sonnenſtich zu bekommen. Auch pflegen 
die Niederaragoneſen weniger kurze Beinkleider und Al— 
pargates, als weite, bis auf die halben Waden reichende 
und hier an den Seiten aufgeſchlitzte Hoſen und rinds— 
lederne Schuhe zu tragen. Desgleichen ziehen die Nie— 
deraragoneſen nur ſelten eine Jacke an, ſondern gehen 
meiſt im bloßen Hemde und ohne Halstuch, ſchleppen da— 
gegen faſt immer ihren groben, dunkelbraunen, oft ent— 
ſetzlich zerriſſenen und durchlöcherten Mantel mit ſich 
herum, den ſie ſo umzunehmen pflegen, daß der eine Arm 
und die eine Schulter ganz entblößt bleiben. Die Tracht 
der Frauen unterſcheidet ſich im Ganzen wenig von der 
in Navarra und in den baskiſchen Provinzen üblichen, 
beſonders in Hocharagonien, wo man auch noch viele 
Mädchen und Frauen mit nicht aufgeſteckten, frei über 
die Schultern hinabhängenden Zöpfen ſieht. Sonſt pfle— 
gen die Aragoneſinnen entweder die Zöpfe am Hinterkopfe 


134 Tracht der Frauen von Hecho. 


feſtzuſtecken, oder die ſämmtlichen Haare zu einem dicken 
Knoten zuſammen zu binden und den Kopf mit einem loſe 
umgeſchlungenen Baumwollentuche von bunter Farbe zu 
umhüllen. Das Mieder iſt in Hocharagonien häufig mit 
gelbem Leder überzogen und ſteif, wie ein Bruſtharniſch; 
in manchen Gegenden Nieder- und Südaragoniens ſchei— 
nen blaue Sammtcorſets Mode zu fein. Eine ganz ab— 
ſonderliche Tracht verführen die Frauen einiger Ortſchaf— 
ten der Pyrenäen. So tragen die Frauen des Thales 
von Hecho, welches parallel mit dem von Canfrane läuft, 
aber weiter nach Weſten zu liegt und wegen feiner Frucht 
barkeit berühmt iſt, lange, bis auf die Knöchel reichende, 
prieſterrockartige Kutten von grünlicher Leinwand, welche 
um den Hals eng zuſammenſchließen und gar keine Taille 
beſitzen, mit langen, weiten, an den Handgelenken zuge— 
knöpften Aermeln, dazu einen breitkrämpigen Filzhut, 
blaue Strümpfe und Alpargates. Als ich dieſe unſchöne 
Tracht zum erſten Male in Jaca ſah, wußte ich nicht, 
ob ich Männer oder Frauen vor mir habe. 


Sehr unangenehm iſt für den Fremden, welcher in 


Aragonien reiſt, der große Mangel an Reinlichkeit. Außer 


Eſtremadura, wo der Schmuz zu Haufe iſt, kenne ich keine 
andere Landſchaft Spaniens, welche fo unreinlich wäre, 


wie Aragonien. Die Gaſſen der Ortſchaften, ebenſo das 


Innere der Häuſer, beſonders der Poſaden, ſtarren vor 
Schmuz, desgleichen die Bewohner, Männer wie Frauen. 


Unreinlichkeit und Trägheit der Aragonefen. 135 


Nur die Betten und das Küchengeſchirr pflegen reinlich 
zu ſein, weshalb ich Aragonien immer noch Portugal vor— 
ziehe, wo man faſt nie ein ausgeſpültes Glas, ein abge— 
wiſchtes Meſſer oder ein neu überzogenes Bett bekommt. 
Dennoch geht die Unſauberkeit in Aragonien weit, na— 
mentlich bei Zubereitung der Speiſen, weshalb es mir 
oft unmöglich geweſen iſt, etwas zu genießen. Dieſe 
Unreinlichkeit fällt beſonders Dem auf, welcher aus dem 
Königreiche Valencia kommt, wo Alles nett und ſauber 
zu ſein pflegt; Catalonien läßt hinſichtlich der Reinlich— 
keit auch Vieles zu wünſchen übrig, noch mehr Navarra 
und Neucaſtilien. Die Unreinlichkeit der Aragoneſen ent— 
ſpringt aus der ihnen, wie es ſcheint, angebornen Träg— 
heit. Sie ſind zu faul, um ſich zu waſchen, oder ihre 
Häuſer zu ſäubern. Ueberhaupt lieben ſie das Arbeiten 
nicht, weshalb Diejenigen, welche keinen Grundbeſitz ha— 
ben, entweder als Schmuggler oder als Bettler ein vaga— 
bundirendes Leben führen. Es herrſcht eine lüderliche 
Wirthſchaft in ihrem Lande, wenige Gegenden ausgenom— 
men. Die Felder werden nachläſſig beſtellt, die Obſtbäume, 
Oliven und Weinſtöcke ſich ſelbſt überlaſſen, es geſchieht 
wenig oder nichts für die Verbeſſerung der Wege. Schon 
mehrmals habe ich des erdfahlen Ausſehens der arago— 
neſiſchen Ortſchaften gedacht, eine Eigenſchaft, durch welche 
dieſelben die Landſchaften mehr verunzieren, als verſchö— 
nern. Dieſem ſchlechten Ausſehen entſpricht auch die 


136 Bauart der Häuſer. Vernachläſſigung der Induſtrie. 


Bauart der Häuſer. Dieſelben beſitzen in den kleinen 
Ortſchaften ſelten mehr als ein Erdgeſchoß, haben flache, 
mit grauen Hohlziegeln gedeckte Dächer und enthalten 
nur wenig Gemächer, die durch kleine, ohne alle Ordnung 
angebrachte, gar nicht oder blos vermittelſt hölzerner La⸗ 
den verſchließbare Fenſter ſpärlich erhellt werden. Nicht 
ſelten bilden der Viehſtall und der Küchenraum, wo ſich 
die Familie aufhält, ein einziges Gemach. Die Wirths⸗ 
häuſer, diejenigen ausgenommen, welche an den großen, 
von Zaragoza nach Pamplona, Madrid, Valencia und 
Barcelona führenden Heerſtraßen liegen, ſind faſt überall 
erbärmlich, ohne alle Bequemlichkeit, ohne bewohnbare 
Zimmer, voll Schmuz und Ungeziefer. Die leidlichſten 
trifft man in den Pyrenäen, wo man aber auch die ge— 
ringe Bequemlichkeit theuer bezahlen muß. 

Ich habe ſchon erwähnt, daß der Anbau des Bodens 
faſt allenthalben im höchſten Grade nachläſſig betrieben 
wird. In einem noch ſchlimmern Zuſtande befindet ſich 
die Induſtrie. Es giebt faſt gar keine Fabriken, obwohl 
das Land von vielen waſſerreichen Flüſſen durchkreuzt wird 
und es unendlich reich an Mineralſtoffen, an Metallen, 
Salz, Alaun u. dergl. iſt, und trotz der ſchlechten Be— 
wirthſchaftung des Bodens und der Vernachläſſigung der 
Schafzucht enorme Maſſen von Oel, Hanf, Saffran, Soda 
und Wolle producirt. In den letzten Jahren hat der 
Bergbau einen neuen Aufſchwung zu nehmen angefangen, 


Handel. Die aragoneſiſchen Weine. 137 


und es ſteht daher zu erwarten, daß in Folge davon auch 
das Fabrikweſen ſich heben wird. Der Handel beſchränkt 
ſich auf die Exportation von Rohſtoffen, als Schafwolle, 
Hanf, Lein, Soda und Saffran, ſowie von Getreide, Oel 
und Wein. Von letzterem werden in dem Flachlande un— 
geheure Quantitäten producirt. Er iſt im Allgemeinen 
dunkelroth, ſehr zucker- und ſpiritushaltig, ſchwer und 
feurig. Gäben ſich die Arogoneſen mit der Bereitung 
deſſelben mehr Mühe, ſo würden die Weine Aragoniens 
den beſten ſüdſpaniſchen oder portugieſiſchen Weinen we— 
nig oder gar nicht nachſtehen. Da aber in den meiſten 
Gegenden die Weinbereitung höchſt nachläſſig und mit 
großer Unreinlichkeit betrieben wird, fo iſt der Wein im 
Allgemeinen ziemlich ſchlecht und daher außerhalb Arago— 
niens wenig geſchätzt. Nur die aromatiſch-ſüße „Garnacha“ 
von Sartiiena ſteht in ganz Spanien in großem Rufe. 
Außer in Gariiiena verwendet man die meiſte Sorgfalt 
auf die Weinbereitung in den nördlichen Gegenden des 
Ebrobaſſins, welche dunkle, ſchwere Rothweine erzeugen, 
von denen ein Theil nach Alteaftilten und nach Frank— 
reich ausgeführt wird. Viel bedeutender, als die Expor⸗ 
tation iſt die Importation, indem Aragonien faſt alle 
Manufactur⸗ und Fabrikwaaren aus dem Auslande bezieht. 

Noch mehr verwahrloſt, als der materielle Zuſtand 
des Volkes, iſt der intellectuelle. Von dem Mangel an 
Landſchulen habe ich bereits geſprochen; aber ſelbſt in 


138 Intellectueller Zuftand des Volks. Bildungsanftalten. 


den Städten geſchieht wenig für die Erziehung der Zus 
gend. Zwar giebt es ſowohl in Zaragoza, als in den 
größern Städten, wie Huescar, Jaca, Teruél, Calatayud 
u. a., ſowohl Elementarſchulen als ſogenannte „Colegios“ 
für die Fortbildung der erwachſenen Jugend beiderlei Ge— 
ſchlechts; allein der in den letztern ertheilte Unterricht 
ſcheint ſich nicht über den Kreis der allergewöhnlichſten 
Kenntniſſe hinaus zu erſtrecken. In Zaragoza exiſtirt auch 
eine Univerſität (dieſelbe gehört zu den Univerſitäten zwei⸗ 
ten Ranges und iſt wenig beſucht), ſowie eine Art von 
Handels- oder Realſchule, in welcher Unterricht in der 
Mathematik, Philoſophie, im Zeichnen, in Sprachen, Ca⸗ 
meral⸗ und Handelswiſſenſchaften ertheilt wird. Letztere 
iſt eine Schöpfung der „Sociedad economica de amigos 
del pais“, welche Geſellſchaft es ſich zur Aufgabe geſtellt 
hat, Induſtrie, Handel und Ackerbau empor zu bringen 
und überhaupt die materiellen Verhältniſſe des Volks zu 
verbeſſern; eine Aufgabe, deren Löſung bei einem ſo in— 
dolenten Menſchenſchlage, wie die Aragoneſen ſind, ſehr 
ſchwierig ſein dürfte. Hinſichtlich der natürlichen Befähi— 
gung ſtehen die Aragoneſen den übrigen ſpaniſchen Volks 
ſtämmen kaum nach. Namentlich ſollen ſie viel Scharf⸗ 
ſinn und eine feurige Phantaſie beſitzen. Sie ſind im 
Allgemeinen freiſinnig, und daher mehr für progreſſiſtiſche, 
als für reactionäre Beſtrebungen empfänglich. 

Was endlich die Sprache der Aragoneſen anlangt, 


Sprache der Aragonefen. 139 


ſo wird gegenwärtig in ihrem Lande blos Caſtilianiſch, 
in den Städten ſogar ein recht reines Caſtilianiſch ges 
ſprochen. Nur haben die Aragoneſen eine rauhe, unan— 
genehme Ausſprache. Auf dem Lande iſt das Gaftiliani- 
ſche durch Beimengung cataloniſcher Wörter etwas cor— 
rumpirt, welche ein Ueberbleibſel der lemoſiniſchen Sprache 
ſein mögen, die ehedem im ganzen aragoneſiſchen Reiche 
allgemein geſprochen wurde. 


Fünftes Kapitel. 


Die nordvalencianiſche Terraſſe. Das Thal von Segorbe. Valencia zur Zeit 
der Seebäder. 


Am ſpäten Nachmittage des 5. Auguſt ſchied ich von 
Teruél. Da dieſe Stadt gerade auf halbem Wege zwi⸗ 
ſchen Zaragoza und Valencia liegt und blos eine Tages 
reife von der Gränze des Königreichs von Valencia ent⸗ 
fernt iſt, ſo pflegt die Mehrzahl der Fuhrleute und Arrie⸗ 
ros, welche den Verkehr zwiſchen beiden Königreichen und 
namentlich zwiſchen deren Hauptſtädten beſorgen, in Te— 
ruél zu raſten und dort die Güter zu verladen, indem 
die valencianiſchen Fuhrleute und Arrieros, und eben fo 
die aragoneſiſchen blos bis Teruél gehen und die Wei- 
terbeförderung der Güter nach Zaragoza oder Valencia 
den von dorther kommenden überlaſſen. Aus dieſem 
Grunde befinden ſich in Teruél die Hauptſpeditions- und 
Verladungsgeſchäfte für die Route von Zaragoza nach 
Valencia und iſt dieſe Stadt daher ungemein lebhaft. 
Der Verkehr dürfte ſich noch bedeutend ſteigern, wenn 


—— 1 2 r*ꝛ ˙ xx ĩ·ů Q ͤĩͤ »‚—PÜðu ꝙꝓ-t — — —— — ͤ— — — 


Abreiſe von Teruel. Maleriſche Anſicht der Stadt. 144 


die damals im Baue begriffene Chauſſee vollendet fein 
wird. 

Die Straße nach Valencia kreuzt den oben bei der 
Schilderung Teruöls erwähnten Barranco der Vorſtadt, 
und windet ſich dann zwiſchen den ſteilen, dürren Mer— 
gelhügeln zu dem erſten Abſatze der valencianiſchen Ter— 
raſſe empor, welche bereits höher, als die Spitzen der 
Thürme von Terusél liegt. Sehr ſchön war von hier aus 
in der duftigen Beleuchtung der Nachmittagsſonne der 
Anblick des Beckens von Teruél. Im Vordergrunde die 
vielthürmige, maleriſch gruppirte Stadt auf dem weißen, 
ſchroffen Mergelhügel; dahinter die dunkelgrünen, baum— 
reichen Fluren des Alfambrathales, begränzt von dem 
hohen terraſſirten Walle des Plateau von Pozondön; 
rechts das maleriſche, von einzelnen iſolirten Felsbergen 
überragte Hügelland des Ebrobaſſins; links über dem 
grünen, von röthlich-weißen Mergelhügeln eingeſchloſſenen 
Streifen des Turiathales die hohen, blauen, roſig be— 
leuchteten Gebirgsketten von Albarracin: dieſes Alles bil— 
dete zuſammen eine überaus reizende Landſchaft, die mir 
unvergeßlich bleiben wird. Der erſte Abſatz der nordva— 
lencianiſchen Terraſſe iſt ein mehrere Stunden breites 
Plateau von wellenförmigem Relief, das ſich, fortwährend 
ſanft anſteigend, bis an den Fuß einer niedrigen Berg— 
kette erſtreckt, welche den Rand des zweiten Terraſſenab— 
ſatzes krönt. Hier und da gewahrt man ein von einigen 


142 Nacht in den Ventas del Puerto. Der Flecken la Puebla. 


Bäumen und Getreidefluren umringtes Dorf; der größere 
Theil jener weiten und mit fruchtbarem Boden begabten 
Hochebene iſt aber völlig unangebaut und baumlos. Es 
dunkelte ſchon bedeutend, als wir an den Fuß der ſchon 
erwähnten Bergkette gelangten, woſelbſt einige einſame 
Wirthshäuſer, die Ventas del Puerto, ſtehen. Da 
die nächſte Ortſchaft noch über zwei Stunden entfernt 
war, ſo mußte ich mich entſchließen, in einer dieſer ſchlech— 
ten und ſchmuzigen Herbergen, wo an Allem Mangel war, 
nur nicht an Ungeziefer, die Nacht zuzubringen. Ich ver- 
mochte die ganze Nacht der Wanzen halber kein Auge zu 
ſchließen und war daher froh, als der Tag graute und 
wir wieder aufbrechen konnten. Nach Ueberſteigung der 
ziemlich ſteilen, mit lichten Kiefernhölzern bedeckten Berg⸗ 
kette kommt man auf ein weites, von vielen Thälern 
durchfurchtes und von kahlen Höhenzügen gekröntes, baum⸗ 
armes, wenig bebautes und ſpärlich bevölkertes Plateau, 
welches rings von höhern, theilweis bewaldeten Bergfet- 
ten umſchloſſen iſt und wohl mehr als 3500 Fuß über 
den Spiegel des Meeres erhaben ſein mag. Der erſte 
Ort, den die Straße berührt, iſt der Flecken la Puebla, 
welcher nicht unmaleriſch an einem ſteilen, felſigen Ab⸗ 


Anſicht der Gebirge von Valencia. Eine valencianifche Famile. 443 


zackigen Gebirgsketten von Nordvalencia, welche ſich auf 
dem Südabhange des Plateau erheben. Unter den ein— 
zelnen culminirenden Berggipfeln, die hier und da hinter 
und zwiſchen jenen Gebirgsketten am Horizonte auftau— 
chen, zeichnet ſich beſonders ein im Oſten gelegener durch 
ſeine Höhe und die Kühnheit ſeiner Form aus. Es iſt 
die Peñagoloſa, ein ſchroffer, ſpitzer, gegen Süden faſt 
ſenkrecht abgeſchnittener Felſenkegel, der unerſteiglich zu 
ſein ſcheint, jedoch von der Weſtſeite her ohne Gefahr 
beſtiegen werden kann. Meine beſchränkte Zeit, und noch 
mehr der Zuſtand meiner Kaſſe, erlaubten mir leider nicht, 
dieſem durch großen Reichthum an ſeltenen Pflanzen aus— 
gezeichneten Bergrieſen, welcher eine Höhe von 7000 Fuß 
beſitzt, einen Beſuch abzuſtatten. 

Während wir bei einer Venta unſere Pferde tränk— 
ten, überholte uns ein armer Mann mit ſeiner Familie, 
den ich an ſeiner Tracht für einen Valencianer und an 
den Geräthſchaften, die er bei ſich führte, für einen „sega- 
dor“ (Mäher) erkannte, und daraus ſchloß, daß er im 
Innern Spaniens in der Ernte gearbeitet haben möge. 
Er hielt ebenfalls bei dem vor der Venta befindlichen 
Waſſertroge an, um ſeinem halb verhungert ausſehenden 
Eſel, welcher die ganzen Habſeligkeiten der aus ſechs 
Köpfen beſtehenden Familie trug, Waſſer zu geben, ſprach 
mich jedoch um kein Almoſen an, wie ich erwartet hatte. 
Auch ſeine Frau, ein noch ſehr junges Weib, die einen 


144 Eine valencianiſche Familie. 


Säugling auf dem Arme trug und vor Erſchöpfung kaum 
mehr zu gehen vermochte, grüßte mich zwar, gleich ihrem 
Manne, bettelte aber nicht. Nur eins der Kinder, ein 
hübſches Mädchen von etwa fünf Jahren, das ſich die 
nackten Füße auf dem ſcharfen Kalkgerölle der Straße 
blutig gelaufen hatte und wahrſcheinlich den ganzen Mor⸗ 
gen noch nichts gegeſſen haben mochte, näherte ſich mir 
ſchüchtern, um ein Stückchen Brod zu verlangen, da ich 
gerade mit meinem Bedienten beſchäftigt war, ein ſehr 
frugales Frühſtück einzunehmen. Ich muß geſtehen, daß 
mir das Elend dieſer offenbar nicht vagabundirenden Fa⸗ 
milie unendlich nahe ging; ich ſchickte daher meinen Bas⸗ 
ken in das Haus, um einige Brode und Kannen Wein 
für die Halbverſchmachteten zu holen und ließ mich mit 
dem Valencianer in ein Geſpräch ein. Er erzählte mir, 
daß er in der Gegend von Alicante zu Hauſe und im 
Juni nach Beendigung der Weizenernte wegen Arbeits⸗ 
loſigkeit mit feiner Familie nach Aragonien, ſpäter nach 
Molina ausgewandert ſei, um dort in der Ernte zu ars 
beiten, und dadurch ſeinen Kindern Brod zu erwerben. 
Jetzt wolle er wieder in ſeine Heimath zurückkehren, wo 
er bei der Weinleſe Arbeit zu finden hoffen könne. Dieſe 
Familie hatte folglich zu Fuße, in der heißeſten Jahres⸗ 
zeit eine Reiſe von mehr als funfzig deutſchen Meilen 
gemacht, um Arbeit zu ſuchen! — Ob es wohl einem 
einzigen unſerer deutſchen Proletarier einfallen würde, 


Valencianiſche Zuſtände. 145 


ſich ſo viel Mühe um Arbeit, um Broderwerb zu geben? 
— Und jener Mann war nicht der einzige Valencianer, 
den ich fern von ſeiner Heimath als Feldarbeiter getrof— 
fen habe. Nein, in Aragonien und Neucaftilien bin ich 
oft Trupps von zwanzig, dreißig Valencianern begegnet, 
welche alle in jenen Ländern, wo es an Arbeitern fehlt, 
in der Ernte beſchäftigt geweſen waren. Es ſchnitt mir 
durch's Herz, als jener arme Familienvater auf eine von 
mir begeiſtert hingeworfene Bemerkung über die Schön— 
heit und brillante Cultur ſeiner Heimath mit trübem Blicke 
erwiederte: „Wohl iſt's ein geſegnetes Land, Caballero, 
— um ſo trauriger, in einem ſo ſchönen Lande verhun— 
gern zu müſſen!“ — Und der Mann hatte Recht. Das 
Königreich Valencia kann trotz ſeines herrlichen Klima's, 
ſeines vortrefflichen Anbaues und des unermüdlichen Flei— 
ßes ſeiner Landleute, welche ſelbſt die dürrſten Felſen, 
wenn ihnen Waſſer zu Gebote ſteht, der Cultur zugäng— 
lich zu machen wiſſen, — Valencia kann trotz alledem 
nicht alle ſeine Bewohner ernähren, theils wegen der im 
Verhältniß zu dem culturfähigen Boden viel zu großen 
Bevölkerung, theils weil faſt überall der Grund und Bo— 
den in den Händen Weniger iſt, welche fern von ihrer 
Heimath, in Madrid, Paris und andern großen Städten 
in Ueppigkeit und Ueberfluß von dem Schweiße der Bau— 
ern leben, an die ſie ihre Aecker zu hohen Preiſen ver— 
pachtet haben. Die Herzöge von Segorbe und Liria, die 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 10 


146 Valencianiſche Zustände. 


Marcheſen von Denia und Lumbay, die Grafen von 
Bunol, Chelva, Concentayna und andere Glieder des 
valencianiſchen hohen Adels gehören zu den reichſten 
Granden Spaniens, bekümmern ſich aber wohl nur ſelten 
darum, ob ihre Bauern die Abgaben erſchwingen können, 
die ſie ihnen aufgelegt haben. Von letzteren bringen es 
Diejenigen, welche ſo viel Mittel beſitzen, um ſich ein 
Stück Land zu pachten, trotz der vielen, theils an den 
Grundherrn, theils an die Commun, theils an den Staat 
zu zahlenden Steuern, die auf ihnen laſten, bei fleißiger 
Bewirthſchaftung der Aecker wegen der außerordentlichen 
Ergiebigkeit des Bodens zu Wohlſtand, ja ſogar zu Reich⸗ 
thum, und daher kommt es, daß das Königreich Valencia 
zu den blühendſten Landſchaften nicht nur Spaniens, fon- 
dern, man kann es keck behaupten, Europa's überhaupt 
gehört. Allein nicht Alle ſind ſo begütert und können 
ſich durch ihrer Hände Arbeit ſo viel erübrigen, um ſich 
einen Acker zu pachten. Dieſe müſſen alſo dadurch, daß 
ſie bei den Bauern und Pächtern in Dienſt treten, — 
Fabriken giebt es in Valencia bis jetzt nur wenige — 
ihr Brod zu erwerben ſuchen. Da aber Valencia ſehr 
ſtark bevölkert und im Verhältniß zu ſeiner Einwohner⸗ 
zahl ein viel zu kleiner Theil ſeiner Oberfläche der Cul⸗ 
ter unterworfen ift*), jo liegt es auf der Hand, daß 


) Das Königreich Valencia beſitzt ein Areal von 643 Qua⸗ 
dratleguas. Beinahe zwei Drittheile der Oberfläche beſtehen aus 


Valencianiſche Zuftände. 147 


diejenigen Landleute, welche weder eigenen Grundbeſitz 
haben, noch ſolchen zu pachten im Stande ſind, nicht alle, 
wenigſtens nicht fortwährend, bei der Feldarbeit beſchäf— 
tigt werden und ſich durch dieſelbe ihr Brod verdienen 
können. Dies gilt beſonders von den ſüdlichen Gegen— 
den des Königreichs, wo wegen Mangel an Waſſer große 
Strecken an und für ſich fruchtbaren Bodens nicht ange— 
baut werden können und der Grund und Boden mehr, 
als in andern Provinzen Valencia's, in den Händen des 
Adels iſt. Aus jenen Gegenden wandern alle Sommer 
Hunderte von Familien nach Centralſpanien aus, um in der 
Ernte zu arbeiten. Daſſelbe geſchieht in Galicien, wo hin— 
ſichtlich des Grundbeſitzes und der Bevölkerung ganz ähnliche 
Verhältniſſe obwalten, wie im Königreiche von Valencia. 
Ich reiſte jenen ganzen Tag mit dem treuherzigen 
Valencianer zuſammen und bereue dies nicht, da derſelbe 
mir manche intereſſante Mittheilung über die ſocialen 
Zuſtände ſeines Vaterlandes machte. Bevor ich aber unſere 


rauhen, unwirthlichen, der Cultur völlig unzugänglichen Gebirgen. 
Die Seelenzahl betrug im Jahre 1848 4,500,000. Folglich kom⸗ 
men auf die Quadratlegua culturfähigen Bodens gegen 7000 See— 
len. Daß Valencia dieſe zahlreiche Bevölkerung ernähren kann, ja 
daß daſelbſt ein Ueberfluß von Lebensmitteln, wie in wenigen an— 
dern Gegenden Europa's, vorhanden iſt, erklärt ſich nur aus der 
unglaublichen, durch den Fleiß der Bauern hervorgebrachten Er— 
giebigkeit des Bodens. Denn der valencianiſche Bauer hält min— 
deſtens drei, häufig vier bis fünf Ernten während eines Jahres auf 
einem und demſelben Acker! — 


40* 


148 Ehrlichkeit und Herzens güte einer Aragoneſin. 


Reiſe weiter ſchildere, kann ich nicht umhin, einen Zug 
von Ehrlichkeit und Herzensgüte zu erzählen, den ich in 
jener Venta erlebte und zu dem man in unſerm hoch 
civiliſirten Vaterlande ſchwerlich ein Pendant finden dürfte. 
Ich hatte, wie bemerkt, einige Kannen Wein, einige Brode 
und andere Lebensmittel aus der Venta entnommen. Als 
ich die Wirthin nach der Rechnung fragte, nannte mir 
dieſelbe eine Summe, die, obwohl höchſt unbedeutend, 
doch höher war, als ich erwartet hatte, weil ich wußte, 
daß der Wein in Südaragonien ſo viel wie gar nichts 
koſtete. Ich muß, ehe ich weiter fortfahre, bemerken, 
daß die gemeinen Leute in Aragonien, beſonders im Sit 
den dieſer Landſchaft, gewöhnlich nicht nach den in Spa⸗ 
nien allgemein gebräuchlichen und geſetzlich verordneten 
Münzſorten, ſondern nach alten aragoneſiſchen, jetzt völ⸗ 
lig imaginären, rechnen. Jene Frau forderte alſo für die 
ganze Rechnung zwanzig „Quaternos“. Ich, in der Mei⸗ 
nung, es ſeien eben ſo viele „Quartos“ (gleich etwa 8 
Silbergroſchen), händigte ihr die Summe in Realen ein. 
Wie erſtaunt war ich aber, als mir die Frau ganz ver⸗ 
blüfft ſagte, ich habe ihr viel zu viel gegeben und mir 
mehr als die Hälfte wieder zurückerſtattete! Ueberraſcht 
über dieſe mir wirklich unbegreifliche Ehrlichkeit wollte 
ich der Wirthin den Ueberſchuß als Trinkgeld aufnöthi⸗ 
gen; ſie nahm das Geld aber durchaus nicht an, ſondern 
gab es der Frau des armen Valencianers. Dieſer war 


Valencianiſche Dankbarkeit. Der Flecken Sarrion. A449 


außer ſich vor Freude, zumal als ich ſein Mädchen auf 
meinem Packpferde bis zum nächſten Orte Platz nehmen 
ließ und ihm dort ein Paar Hanfſchuhe kaufte. Die Dank— 
barkeit des armen Mannes ging ſo weit, daß er mir ge— 
rührt die Hand küßte. Es iſt doch ein eigener Menſchen— 
ſchlag, dieſe ſpaniſchen Bauern! Wohl erniedrigen ſie ſich 
dazu, ihre Ehrfurcht und Dankbarkeit in der angegebenen 
Weiſe zu bethätigen, allein ſie wiſſen das mit einem ſo 
noblen Anſtande zu thun, daß ſie ſich nicht zu ſchämen 
brauchen, vielleicht mit einem größern Anſtande, als der 
reiche Grande und Großwürdenträger des Reichs der Kö— 
nigin die Hand küßt. Wie grell contraſtirt gegen dieſes 
noble, ſtolze Weſen des Spaniers die hündiſche, vor dem 
höher Stehenden im Staube kriechende Servilität des 
Portugieſen! — 

Zu Mittage kamen wir nach Sarrion, einem gro— 
ßen, in einer weiten, doch nur wenig angebauten Ebene 
gelegenen Flecken, wo wir der Hitze wegen ein paar Stun— 
den raſteten. Bald hinter demſelben fängt der Boden 
ſich noch mehr zu erheben an. Das Land iſt ſtellenweis 
von tiefen, felſigen, meiſt waſſerloſen Schluchten durch— 
furcht; dazwiſchen ziehen ſich kahle oder mit Sabinage— 
ſträuch und Kiefern beſtreute Hügelreihen und Felſenkämme 
hin; hier und da eröffnet ſich ein größeres, tief in das 
Plateau einſchneidendes Thal, wie das Thal des Mil: 
lares, eines ſchönen Bergwaſſers, welches die reizende, 


150 Das Plateau von Barräcas. Ventas de la Jaqueſa. 


wegen ihrer üppigen Fruchtbarkeit berühmte Ebene la 
Plana an der Küſte des nördlichen Valencia befruchtet. 
Durch dieſes coupirte, doch fortwährend höher anſteigende 
Terrain gelangt man endlich auf das dritte und höchſte, 
wohl nahe an 4000 Fuß über das Meer erhabene Pla- 
teau der nordvalencianiſchen Terraſſe, nämlich auf die 
öde und kalte Hochebene von Barräcas, über welche 
die Gränze zwiſchen den Reichen Aragonien und Valen⸗ 
cia hinläuft. An dem Anfange dieſer Ebene, die gegen 
Süden zu einem felſigen Höhenkamme anſchwillt und ges 
gen Weſten und Oſten von waldigen Gebirgszügen um⸗ 
gürtet iſt, liegen an der Brücke über den Millares die 
Ventas de la Jaqueſa, eine Reihe erdfahler Häuſer, 
die letzte aragoneſiſche Ortſchaft. Eine Stunde weiter 
ſüdwärts ſchimmern aus der grauen, größtentheils mit 
dichten Polſtern eines niedrigen, dornigen Hülſenſtrauchs 
(Erinacea pungens Boiss.) bedeckten Ebene die Häuſer 
von Barräcas, des erſten valencianiſchen Fleckens, der 
ſich durch die weiße Farbe ſeiner Gebäude ſchon von fern 
als ſolchen zu erkennen giebt. Ich übernachtete daſelbſt, 
froh, endlich die ſchmuzigen Poſaden Aragoniens im Rücken 
zu haben und in einem reinlichen valencianiſchen Wirths⸗ 
hauſe übernachten zu können. Der Contraſt zwiſchen den 
beiden an einander gränzenden Landſchaften und ihren 
Bewohnern iſt wirklich auffallend und ſeltſam, zumal in 
der geſchilderten Gegend, wo blos eine Ebene die beiden 


Eintritt in's Königreich von Valencia. 151 


Gränzortſchaften von einander ſcheidet. Denn während 
in la Jaqueſa noch die Gaſſe ſowohl, als das Innere 
der Häuſer von Schmuze klebt, die Gebäude noch die 
beliebte erdfahle Farbe und das unfreundliche Ausſehen 
der aragoneſiſchen Dörfer haben, die Menſchen finſter und 
mürriſch d'reinſchauen, kurz Alles eben ächt aragoneſiſch 
iſt: findet man in Barräcas freundliche, mit Balcons 
gezierte, weiß getünchte Häuſer, reinliche Straßen, ſehr 
ſaubere Küchen und redſelige, lebhafte, fröhliche und höf— 
liche Leute, einen Menſchenſchlag von ganz anderem Ty⸗ 
pus, mit einem Worte, iſt ſchon Alles ächt valencianiſch, 
verräth bereits Alles die Nähe des mittelländiſchen Mee— 
res und ſeiner paradieſiſchen Gefilde. 

Die im Winter wegen ihrer Schneeſtürme berüchtigte 
Hochebene von Barräcas beginnt bald hinter dieſem Orte 
ſanft gegen die niedrigen Bergreihen anzuſteigen, welche 
von Weſten und Oſten her ſie gegen Süden hin halbkreis— 
förmig umſchließen. Nach einer kleinen Stunde gelangten 
wir um 8 Uhr Morgens auf die Höhe jenes erwähnten 
felſigen Kammes, zu dem das Plateau von Barräcas an 
ſeiner ſüdlichen Gränze anſchwillt. Dieſer völlig kahle 
Kamm iſt mit großen Blöcken eines rauchgrauen, äußerſt 
poröſen und blaſigen Dolomits beſtreut, welcher an ein— 
zelnen Stellen auch in zackigen, grotesk geformten Felſen 
zu Tage ausgeht, und dem Jurakalk, aus dem das Pla— 
teau von Barräcas beſteht, aufgelagert zu ſein ſcheint. 


132 Prachtvolle Ausſicht über das Thal von Segorbe. 


Hier wurde ich höchſt angenehm durch eine der großar⸗ 
tigſten und prächtigſten Ausſichten überraſcht, die mir auf 
meinen Reiſen vorgekommen ſind. Wir ſtanden am Süd⸗ 
rande der nordvalencianiſchen Terraſſe. Eine lange, ſteile 
Lehne, ein förmlicher Gebirgsabhang, von tiefen Schluch⸗ 
ten zerriſſen und gänzlich aus rieſigen, abenteuerlich ge— 
formten, wild zerklüfteten Dolomitmaſſen gebildet, bot 
ſich zunächſt unſern Blicken dar. Am Fuße dieſes nackten, 
rothbraun gefärbten, ein ſchauerliches Bild der Zerſtörung 
darbietenden Abhanges breitet ſich ein hügliches, mehrere 
Stunden breites Plateau aus, das ſich gegen Süden all— 
mälig zu dem Rande einer tiefen, von Weſten herkom⸗ 
menden Thalſchlucht hinabſenkt. Letztere nimmt bald eine 
ſüdweſtliche Richtung an und giebt ſich als ein weites 
und langes Thal zu erkennen, welches den Abhang der 
valencianiſchen Terraſſe in der angegebenen Richtung tief 
durchſpaltet. Es iſt das Thal des Rio Palancia, wel— 
ches weiter unten den Namen Val de Segorbe führt 
und zu den prachtvollſten, reichſten und bevölkertſten Thä⸗ 
lern von Valencia gehört. Das erwähnte, zwiſchen dem 
Thal des Palancia und dem ſchroffen Felsabhange, auf 
dem wir ſtanden, gelegene Plateau iſt faſt gänzlich mit 
wohlgepflegten Weinpflanzungen, aus deren goldigem Grün 
das weiße Gemäuer einer Menge zerſtreuter Winzerhäus⸗ 
chen hervorleuchtet, bedeckt, und contraſtirt daher höchſt 
anmuthig gegen die hohen, ernſten, majeſtätiſchen Gebirgs⸗ 


Anficht des mittelländifchen Meeres. Geologiſche Bemerkungen. 453 


mauern, die ſich rechts und links davon erheben und das 
Thal des Palancia einfaſſen. Gegen Oſten ſchließt die 
hohe, zackige Felskuppe des Monte Pina, gegen Weſten 
das wilde Berglabyrinth der Pengescavia, welches ſich 
zwiſchen den Quellen des Palancia und dem Thale des 
Turia erhebt, das reizende Gemälde. Gegen Südweſten 
endlich, zwiſchen den erhabenen, in den maleriſchſten For— 
men aufragenden Felsgipfeln der beiden das Thal von 
Segorbe einſchließenden Gebirgsmauern begränzt in wei— 
ter Ferne den Horizont der Spiegel des mittelländiſchen 
Meeres. N 

Nachdem ich eine halbe Stunde in den Reizen die— 
ſes herrlichen, damals in der duftigſten Morgenbeleuch— 
tung ſtrahlenden und von einem tiefblauen Himmel über— 
wölbten Landſchaftsbildes geſchwelgt hatte, ſtiegen wir 
raſch die öde Felslehne hinab, zwiſchen deren enormen 
Dolomitmaſſen die Straße ſich in weiten Bogen hindurch— 
windet. Das Geſtein iſt zwar ziemlich deutlich geſchich— 
tet, die Schichten ſind aber überall ſo außerordentlich 
durch einander gewirrt, bald ſenkrecht aufgerichtet, bald 
horizontal liegend, hier zerborſten, dort zuſammengequetſcht 
und in einander gekeilt, daß es rein unmöglich wird, die 
urſprüngliche Lage jener Schichten zu beſtimmen. Der 
ganze Abhang mit ſeinen tiefen, ſpaltenartigen Schluch— 
ten, mit ſeinen ſchroffen Felszacken und ſeinen rieſigen 
Haufwerken loſe über einander gethürmter Geſteinstrüm— 


154 Geologiſche Bemerkungen. 


mer ſieht aus, wie die zuſammengeſtürzten Maſſen eines 
durch eine Pulvermine geſprengten Walles; und in der 
That, etwas Aehnliches, nur in viel großartigerem Maaß⸗ 
ſtabe, muß hier ſtattgefunden haben. Dies beweiſen die 
zertrümmerten und zerborſtenen Geſteinsſchichten und die 
weit und breit zerſtreuten Dolomitblöcke. Denn ſchon 
um Barräcas, ebenſo am Rande des Palanciathales, d. h. 
in Entfernungen von einer bis zwei Stunden von dem 
Dolomitgebirge trifft man ſolche Blöcke, und zwar oft 
von enormer Größe. Wahrſcheinlich haben gewaltige, mit 
vulcaniſchen Ausbrüchen in Verbindung ſtehende Explo⸗ 
ſionen von heißen Dämpfen und Gaſen jene Zertrümme⸗ 
rung bewirkt, nachdem ſie zuvor das zu jener Zeit jeden⸗ 
falls noch vom Meere bedeckte Geſtein, welches urfprüng- 
lich ſchwerlich von der den größten Theil des Plateau 
von Barräcas zuſammenſetzenden Felsart (Jurakalk) ver⸗ 


ſchieden geweſen ſein dürfte, durch Jahrtauſende lang 


fortgeſetzte Einwirkung unter hohem hydroſtatiſchem Drucke 
in Dolomit verwandelt hatten, denn jener Dolomit hat 
ganz und gar den Charakter eines metamorphoſirten Ge⸗ 
ſteins. Die Vermuthung, daß jene Dolomitmaſſen und 
die fürchterliche Zerſtörung, die ſie zur Schau tragen, eine 
Wirkung vulcaniſcher Dämpfe ſeien, würde zur Gewißheit 
erhoben werden, beſtätigte es ſich, daß in der Nähe ehe⸗ 
dem vulcaniſche Eruptionen ſtattgefunden haben, worauf 
einzelne von Cavanilles in ſeinem herrlichen Werke 


Spuren von Vulcanismus. Reibungsconglomerate. 155 


über das Königreich von Valencia erwähnte Phänomene, 
ſowie die unklaren Schilderungen des Volkes jener Ge— 
gend hinzudeuten ſcheinen. Es ſollen ſich nämlich in dem 
oben erwähnten Berglabyrinthe der Perinescavia, an dem 
Urſprunge des Palancia, große Maſſen eines verſchlackten, 
halbglaſigen, kryſtalliniſchen Geſteins von ſehr dunkler, 
faſt ſchwarzer Farbe (baſaltiſche Lava?) im Grunde eines 
tiefen Barranco, der mit einem trichterförmigen Circus 
(einem Krater?) endet, vorfinden. Ich bedauere, daß ich 
auch dieſen Punkt wegen meiner beſchränkten Mittel, die 
es mir nicht erlaubten, mich auf meiner Reife nach Va— 
lencia irgendwo aufzuhalten, nicht habe beſuchen können, 
und füge dieſe Notizen blos bei, um die Geologen auf 
jene höchſt intereſſante Gegend aufmerkſam zu machen. 
Noch will ich erwähnen, daß ſich am Fuße des Dolomit— 
abhanges eine eigenthümliche Breccie findet, die aus 
ſcharfkantigen Stücken deſſelben Dolomits und eines dun— 
kelfarbigen, von vielen Kalkſpathadern durchzogenen Kalk— 
ſteins oder Marmors, aus welchem der größte Theil des 
rebenbedeckten Plateau beſteht, zuſammengeſetzt iſt. Das 
Bindemittel dieſer Breccie iſt von kalkiger Beſchaffenheit, 
feinkörnig und kryſtalliniſch: kurz, die ganze Breccie hat 
das Anſehen eines ſogenannten Reibungsconglomerats oder 
eines contuſiven Frictionsgeſteins, d. h. eines Geſteins, 
welches feine Entſtehung lediglich gewaltſamen, durch uns 
terirdiſche Kräfte hervorgebrachten Bewegungen einzelner 


156 Auſicht von Vivél und Jerica. 


Stücke der ſtarren Erdkruſte und der dadurch bewirkten 
Zertrümmerung bereits vorhandener Geſteine und der 
Ineinanderpreſſung der einzelnen Trümmer und des fei 
neren Geſteinsſchuttes verdankt. 

Eine zweiſtündige Wanderung durch das anmuthige 
Weingelände brachte uns an den Rand des Palanciatha⸗ 
les. Hier beginnt eine jener paradieſiſchen Gegenden, 
welche man in Europa wohl nur im Königreiche Valencia 
findet. Es iſt nämlich nicht die Natur, die jenem Thale, 
ſowie vielen andern Gegenden Valencia's ihre unbeſchreib⸗ 
liche Pracht verliehen hat, ſondern die brillante Agricul—⸗ 
tur der Bewohner. Man erblickt von der genannten Stelle 
aus einen großen Theil des weiten, zwiſchen drei- bis 
viertauſend Fuß hohe Felſenberge eingezwängten Thales 
von Segorbe. Amphitheatraliſch ziehen ſich an dem Ab— 
hange, an deſſen oberem Rande man ſteht, die weißen 
Häuſerterraſſen des volkreichen Fleckens Vivél hinab, der 
mit dem wenig davon entfernten, im Grunde des Thales 
auf einem Hügel gelegenen Städtchen Jérica zuſammen⸗ 
zuhängen ſcheint und im Verein mit dieſem eine große, 
maleriſch gruppirte, von geſchmackvollen Glockenthürmen 
und glänzend blauen Azulejoskuppeln überragte und von 
einem üppigen Baumwuchs umkränzte Häuſermaſſe bildet. 
So weit das Auge reicht, bis an die ſchroffen Gerölle— 
lehnen, welche ſich am Fuße der den Kamm der Gebirge 
zuſammenſetzenden Felskoloſſe ausbreiten, find die Thal— 


Prachtvoller Anbau ihrer Umgebungen. 157 


gehänge mit Weinreben bedeckt. Unterhalb dieſer breiten, 
goldgrünen Rebenzone, die eine der vortrefflichſten Wein— 
ſorten Valencia's erzeugt, ungefähr in der Höhe von 
Bivel, beginnt das bewäſſerte Terrain, welches die untern 
Abhänge und den Grund des Thales auskleidet und den 
reizendſten Theil deſſelben, die „Huerta“, bildet. Alle 
Abhänge, gleichviel, ob ihre Böſchung ſteil oder ſanft iſt, 
ſind nämlich bis an die Ufer des Palancia hinab terraſ— 
ſirt und mit Bäumen bepflanzt, unter deren Schatten die 
verſchiedenartigſten Getreide- und Gemüſearten in reichſter 
Fülle wachſen. Große, bald durch das Geſtein geſprengte, 
bald auf Brücken über Schluchten hinweggeführte Kanäle, 
die ihr Waſſer theils aus dem Palancia erhalten, theils 
aus den zahlreichen Quellen, welche im Gebiete von 
Bivel hervorſprudeln, leiten hoch oben an beiden Thal: 
gehängen, an der untern Gränze der Rebenzone, meilen— 
weit das befruchtende Element hin, das durch zahlloſe, 
kunſtvoll angelegte Gräben und Schleußenwerke auf alle 
Felder der Terraſſen, deren Zahl ſich an manchen Stellen 
über hundert (über einander geſetzt) beläuft, vertheilt wird. 
Damals waren jene Terraſſen faſt überall mit Maisſtau⸗ 
den bedeckt (beiläufig bemerkt, die zweite Ernte in Va— 
leneia ), die eben in voller Blüthe ſtanden und wegen 
des hellen, friſchen Grüns ihrer breiten, glänzenden Blät- 
ter und der wogenden gelbröthlichen Rispen ihrer männ— 
lichen Blüthen der ganzen Landſchaft eine ſolche Pracht 


158 Ueppigkeit der Vegetation und Waſſerreichthum. 


verliehen, wie ich mich nicht erinnern kann, jemals geſehen 
zu haben. Die Ränder der Terraſſen ſind theils mit Maul⸗ 
beer⸗, theils mit Feigenbäumen, theils mit Ulmen und 
Zürgelbäumen (Celtis australis L.) bepflanzt. Wo die 
beiden letztgenannten Bäume die Felder einfaſſen, da pfle⸗ 
gen Weinſtöcke zwiſchen ſie geſetzt zu ſein, welche nun 
ihre armsdicken Reben um die Stämme der Bäume ſchlin⸗ 
gen, zwiſchen den Aeſten bis zu den höchſten Wipfeln 
der breiten Kronen emporklettern, und ſich in maleriſchen 
Gewinden, die damals bereits mit Maſſen halbreifer 
Trauben belaſtet waren, von Baum zu Baum ſchlingen 
und die reizendſten Laubengänge bilden, die man ſich 
denken kann. An manchen Stellen, wo der Boden dem 
Getreide- und Gartenbau nicht günſtig iſt, breiten ſich 
Olivenhaine aus, die ſich ſchon von fern durch ihr mattes, 
ſchwärzliches Colorit zu erkennen geben. Kein Fleckchen 
iſt unbenutzt; an jedem Grabenrande ſieht man noch ſpa— 
niſchen Pfeffer, Tomate, Kürbiſſe und andere einen fetten, 
feuchten Boden liebende Gewächſe gepflanzt. Allenthalben 
ſtürzen zwiſchen den von Epheu und andern Schlingge— 
wächſen überſponnenen Stützmauern der Terraſſen ſchäu⸗ 
mende Waſſerleitungen und Bäche herab, denn in den 
Umgebungen von Vivel, deren Boden gänzlich aus Kalf- 
tuff beſteht, giebt es gegen funfzig Quellen, unter denen 
die eine fo großen Waſſerreichthum beſitzt, daß ihr Ab- 
fluß eine kurze Strecke unterhalb der Quelle bereits drei 


Der Flecken Vivél. Südliche Pflanzenformen. Die Stadt Jérica. 459 


Mühlen treibt. Aber trotz dieſes ungeheuern, jenes Thal 
ſehr begünſtigenden Waſſerreichthums geht dort gewiß kein 
Tropfen unbenutzt verloren. 

Wir raſteten in Vivél ein paar Stunden, um Mit⸗ 
tag und Sieſta zu halten, und ſetzten dann unſere Reiſe 
durch das reizende Thal weiter fort. Der Anbau wird 
mit jedem Schritte ſchöner, die Vegetation immer ſüdlicher. 
Bald unterhalb Vivéls fangen die Gärten und Felder 
längs der Straße von dem ſtachlichen Strauchwerk der 
indianiſchen Feige (Cactus Opuntia L.) und der Pita oder 
ſogenannten großen Alos (Agave americana L.) umhegt 

zu ſein. Letztere ſtand an vielen Stellen bereits in Blüthe; 
ich freute mich unendlich, dieſes Rieſengewächs, deſſen 
blaugrüne Schwertblätter und drei bis fünf Klaftern ho⸗ 
hen blattloſen Stengel mit ihrem Rieſenkandelaber von 
großen, wohlriechenden, gelben Blumen ein ſo fremdarti— 
ges und deshalb doppelt reizendes Element in die Land— 
ſchaften der Mediterrangegenden bringen, wieder einmal 
in ſeiner ganzen natürlichen Ueppigkeit und Pracht zu 
ſehen. Eine der ſchönſten Parthieen des Val de Segorbe 
iſt Jérica. Dieſe kleine, aber uralte Stadt, welche die 
Segobrica der römiſchen Hiſtoriker fein ſoll, liegt inmit- 
ten einer paradieſiſchen Huerta am Nordabhange eines 
ſteilen Kalkhügels, deſſen Spitze die maleriſchen Ruinen 
einer großen Burg aus der Zeit der arabiſchen Herrſchaft 
krönen. Die Anſicht der Stadt iſt beſonders von Süd— 


160 Lage und Geſchichte von Jerica. 


oſten aus höchſt pittoresk. Der ſie tragende Hügel iſt 
nämlich an ſeiner Südſeite von faſt ſenkrechten Felswän⸗ 
den umgürtet und durch eine enge Schlucht von einem 
höhern, dem rechten Thalgehänge angehörenden Felsvor— 
ſprunge geſchieden, ſo daß es ausſieht, als ſei er von 
dieſem Vorgebirge abgehauen worden. In der That dürfte 
jene Schlucht nicht urſprünglich vorhanden geweſen, fon: 
dern erſt durch die Wäſſer des Palancia, der noch gegen— 
wärtig durch ſie hindurchfließt, ausgehöhlt worden ſein. 
Daß an der Stelle, wo das jetzige Jérica liegt, ſchon 
zur Zeit der Römer eine Ortſchaft geſtanden hat, bewei- 
fen die vielen roͤmiſchen Inſchriften, die man daſelbſt, — 
auch ſchon in Vivel —, in die Wände der Häuſer eine 
gemauert ſieht. Den Mauren wurde Ieérica durch Jacob J. 
von Aragonien im Jahre 1235 entriſſen. Meine Zeit 
erlaubte mir es nicht, mich in Serica aufzuhalten, ſonſt 
würde ich die Burg beſucht haben, die einen prachtvollen 
Ueberblick über das reizende Thal darbieten muß, welches 
allenthalben von einzelnen Häuſern und kleinen, freund— 
lichen Ortſchaften wimmelt. 

Bald unterhalb Jérica's überſchreitet die Straße den 
Palancia, deſſen Bett damals vollkommen trocken lag, da 
ſich ſein ganzes Waſſer in die zahlreichen, weit oberhalb 
Vivéls von ihm ausgehenden Bewäſſerungskanäle verlor, 
und ſteigt an dem rechten Thalgehänge empor, wo ſie 
längere Zeit zwiſchen Pflanzungen von Oliven und Jo⸗ 


Thal zwiſchen Jérica und Segorbe. 161 


hannisbrodbäumen (Ceratonia Siliqua L.) hinläuft. Die 
zuletzt genannten Bäume werden von hier an ſehr häufig 
und pflegen im mittleren und unteren Theile des Thales 
die oberen, der Bewäſſerung nicht zugänglichen Lehnen 
einzunehmen. Auch Weinpflanzungen ſieht man noch 
häufig an den obern Gehängen und wohl auch im Grunde 
des Thales auf dürrem Kalkboden; doch ſind dieſelben 
bei weitem nicht mehr fo häufig, wie oberhalb Viveéls. 
Der Weg iſt fortwährend ſehr angenehm. Zur Linken 
breitet ſich die reizende Huerta gleich einem grünen Sam— 
metteppich aus; von Zeit zu Zeit eröffnen ſich bald auf 
der einen, bald auf der andern Seite tiefe, wilde Schluch— 
ten, die, wenn ſie Waſſer beſitzen, ebenfalls angebaut ſind, 
und prächtige Ausſichten auf das romantiſche, immer ma— 
jeſtätiſcher ſich emporthürmende Gebirge bieten ſich bei 
jeder Wendung des Thales dar. Es war gegen fünf Uhr, 
als wir die Höhe eines kahlen, felſigen Kammes erreich— 
ten, welcher von dem rechten Thalgehänge weit gegen 
Nordoſten vorſpringt und das Thal gänzlich zu verſper— 
ren ſcheint. Hier wartete meiner abermals ein prachtvol— 
ler, höchſt überraſchender Anblick. Wir ſtanden zu Häup- 
ten eines geräumigen, rings von hohen, maleriſchen Fel— 
ſenbergen umſchloſſenen Baſſins, deſſen Grund ſowohl als 
ſeine hoch hinauf terraſſirten Abhänge im üppigſten Grün 
prangten. Oberhalb der Terraſſen zogen noch breite Gür— 
tel von Johannisbrodbäumen, Oliven- und Weinpflanzun⸗ 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. A 


162 Ueberblick des Thalbeckens von Segorbe. 


gen hin. Eine Menge zerſtreuter Häuſer und mehrere 
Dörfer und Klöſter mit glänzenden Azulejoskuppeln ruh⸗ 
ten, halb verſteckt unter die ſie umringenden Bäume, gleich 
ſchlummernden Nymphen im Schooße dieſes Paradieſes. 
In ſeiner Mitte aber thronte auf einem iſolirten Hügel 
der Hauptort des Thales, Segorbe, zwiſchen zwei ma— 
leriſchen Kaſtellen, die auf den beiden Gipfeln des Hü— 
gels ſtehen, deſſen urſprünglich gewiß ſehr dürre Abhänge 
der valencianiſche Fleiß ebenfalls in reizende Terraſſen 
umzuſchaffen gewußt hat. Die Schönheit der herrlichen 
Landſchaft wird noch erhöht durch den Contraſt, den das 
lachende, von Fruchtbarkeit ſtrotzende Thalbaſſin, welches 
hier gegen zwei Stunden breit iſt, mit den ernſten Ge— 
birgsmaſſen bildet, die es umgürten. Es erheben ſich 
hier nämlich gerade die erhabenſten Gipfel, auf der lin⸗ 
ken Seite — gegen Oſten — der viertehalbtauſend Fuß 
hohe Pico de Espadan, ein kühner Felskegel, an deſ— 
ſen nackten, von tiefen Schluchten zerriſſenen Abhängen 
die ſüdliche Abendbeleuchtung ihren ganzen wunderbaren 
Farbenzauber entwickelte, auf der rechten die theilweis 
bewaldeten Kuppen der Sierra de la Cueva ſanta. 
Die Gebirgsmaſſe des Espadän ſcheidet das Thal von 
Segorbe von dem Thale des Millares, die Sierra de la 
Cueva ſanta dagegen trennt es von den weiten, frucht— 
baren, durch den Turia bewäſſerten Gefilden der Ebene 
von Liria, die gegen Süden unmerklich mit der Huerta 


Die Stadt Segorbe. 163 


von Valencia verſchmilzt. Begleitet von Schaaren fröh— 
licher Arbeiter und Mädchen, die heiter ſingend von ih— 
ren Feldern zurückkehrten, gelangten wir um halb ſechs 
Uhr nach Segorbe, wo ich vor der Puerta de Aragon, 
einem von Epheu faſt gänzlich verdeckten Ueberreſte aus 
der Maurenzeit, in einer guten und reinlichen Poſada 
bei äußerſt freundlichen und gefälligen Leuten meine Woh— 
nung nahm. 

Segorbe, eine Stadt von 6000 Einwohnern, die 
einem der erſten Granden Spaniens den Herzogstitel 
giebt, und Sitz eines Biſchofs, iſt ein freundlicher, netter 
Ort mit ziemlich breiten, nur ſehr bergig gelegenen Gaſ— 
ſen und ſtattlichen Häuſern, welche ſämmtlich, wie überall 
in Valencia, weiß angeſtrichen und, je nach der Zahl der 
Stockwerke, mit zwei bis drei Reihen Balcons geſchmückt 
ſind. Die Stadt beſitzt viele Kirchen, unter denen die 
biſchöfliche den Titel Cathedrale führt, fünf Klöſter, welche 
jetzt als Schulen, Magazine und Caſernen dienen, und 
neun Thore. In der Cathedrale ſollen gute Gemälde 
der valencianiſchen Schule, darunter einige von Juanes 
und Ribalta, vorhanden ſein; da es bereits gegen Son— 
nenuntergang war, als ich nach Segorbe kam, ſo konnte 
ich dieſelbe nicht in Augenſchein nehmen und mußte mich 
mit dem Beſuche der Gaſſen, Plätze und Promenaden 
begnügen. Unter den letztern nimmt die ſogenannte 
Glorieta den erſten Rang ein. Dieſe iſt ein reizender 

11 * 


164 Die Glorieta von Segorbe. 


Garten, welcher an der Südweſtſeite der Stadt auf einem 
ſteilen Vorſprunge des Stadtberges gelegen und mit einem 
eiſernen Stacketenzaun umgeben iſt. Unter den prächti⸗ 
gen Ulmen, die den geräumigen Platz beſchatten, ziehen 
ſich breite, mit eleganten Ruhebänken aus weißem Mar⸗ 
mor gezierte Sandwege zwiſchen von zierlichen Rohrge— 
flechten umhegten Blumenbosquets hin, und mehrere Fon— 
tainen, deren von hohen, alten Trauerweiden umkränzte 
Baſſins ebenfalls aus weißem Marmor verfertigt ſind, 
ſchleudern mächtige Strahlen kryſtallnen Waſſers in die 
Luft und verbreiten fortwährend eine angenehme Friſche. 
Die Blumenbosquets beſtanden zum Theil aus Gewäch⸗ 
ſen, die man bei uns nur als Zwerge in Töpfen und 
Kübeln ſieht. Klafterhohe Oleander- und Orangenge— 
büſche, mit Tauſenden von rothen und weißen Blumen 
beſät, die einen faſt betäubenden Wohlgeruch verbreiteten, 
erhoben ſich neben Roſen- und Myrthenſträuchern und 
neben üppigem, mit brennendrothen Blüthen geziertem 
Strauchwerk cap'ſcher Pelargonien. Dazwiſchen leuchteten 
die ſchneeweißen, fußlangen Trichterblumen der Datura 
arborea und die goldgelben Blüthentrauben der Cassia 
tomentosa, und hoch über alle bisher erwähnten Ge— 
wächſe ragten die pyramidalen weißen Blumenſträuße 
einiger Prachtexemplare der Yucca gloriosa empor, die 
mit ihren auf ſchlanken, armsdicken Stämmen ſtehenden 
Kronen ellenlanger Schwertblätter wie kleine Palmen aus⸗ 


Prachtvoller Anblick der Huerta bei Sonnenuntergang. 465 


ſahen. Die Glorieta ſcheint ein ſehr beſuchter Ort zu 
ſein. Wenigſtens wimmelten ihre ſchattigen Laubgänge 
an jenem Abende von zahlreichen Spaziergängern. Sie 
verdient es auch; denn abgeſehen von ihrer eigenen An— 
muth und Eleganz bietet ſie eine überaus reizende Aus— 
ſicht nach der herrlichen, reich bevölkerten Huerta und 
den maleriſchen, dieſe umwallenden Gebirgen dar. Noch 
nie war mir die valencianiſche Cultur ſo reizend erſchie— 
nen, wie hier. Ich konnte mich nicht ſatt ſehen an die— 
ſen wunderbaren Terraſſen, deren weiße Stützmauern im 
Lichte der untergehenden Sonne je nach ihrer Lage und 
Entfernung bald in zartes Roſenroth, bald in duftiges 
Violett getaucht erſchienen. Es iſt namentlich das viel— 
fach nuancirte Grün, was dem Auge ſo wohl thut. Hier 
fröhliche, hellgrüne Maisfluren, umkränzt von dunkeln 
Brombeerhecken oder von dem gelblichen, phantaſtiſchen 
Blattgeäſt der Opuntia und den blauen Rieſenblättern der 
Agave, die hier und da ihre Blüthenkandelaber, deren 
Blumenbüſchel, vom rothen Strahl der Sonne getroffen, 
wie angezündete Kerzen leuchteten, hoch über die üppigen 
Pflanzungen empor hob; dort das glänzende, ſaftige Grün 
einer Gruppe von Feigenbäumen neben dem matteren und 
lichteren Colorit der Maulbeerbäume; weiterhin düſtere 
Olivenhaine neben goldgrünen Rebengeländen; an andern 
Stellen ſchwarze Cypreſſenkegel und breitkronige, dunkel— 
belaubte, von maleriſchen Rebenguirlanden umſchlungene 


166 Das Thal von Segorbe im Mondſchein. 


Ulmen und Zürgelbäume: dieſe mannigfachen, in Form 
und Colorit unendlich abwechſelnden und contraſtirenden 
Vegetationsgruppen, durchwebt von der farbenreichen Licht⸗ 
glorie der ſüdlichen Abendbeleuchtung, verliehen der Land⸗ 
ſchaft einen Zauber, der ſich wohl empfinden, aber nim⸗ 
mermehr beſchreiben läßt. Auf einer Marmorbank am 
Rande des ſteilen Abhangs zwiſchen duftendem Orangen- 
gebüſch ſitzend, verharrte ich, verſunken in das Anſchauen 
der immer zauberiſcher ſich geſtaltenden Landſchaft, und 
meine Lieben in der fernen Heimath an meine Seite 
wünſchend, bis der Mond hinter dem violetten Rieſen— 
kegel des Pics von Espadan emporſtieg und fein filber- 
nes Licht über das weite, üppige Thal ausgoß. Hatte 
mich daſſelbe noch kurz zuvor im glühenden Farbendufte 
der untergehenden Sonne an die paradieſiſchen Gegenden 
der Tropen erinnert, ſo erſchien es mir nunmehr in dem 
einfarbigen, aber unendlich weichen Lichte des ſüdlichen 
Mondſcheins wie eine Landſchaft aus der Feenwelt. Die 
Glorieta war mittlerweile leer geworden; nur einzelne 
Pärchen flüſterten noch auf den Marmorbänken. Guitar⸗ 
renklänge tönten aus dem Thale herauf und von der 
Stadt herüber; ſonſt war Alles ſtill bis auf das Rauſchen 
der Waſſerleitungen und das melodiſche Säuſeln der lauen, 
balſamiſchen Luft zwiſchen den Blättern der Bäume. Es 
war mir, als müßten aus allen Büſchen zarte Elfen her⸗ 
vortauchen, um ſich zu phantaſtiſchen Reigen im Scheine 


Ein Wochenmarkt in Segorbe. 167 


des Mondes neben den plätſchernden Fontainen zu ver— 
einen: — nein, das Thal von Segorbe im Mondſchein 
iſt ein verkörperter Sommernachtstraum! — 

Meine Verhältniſſe geſtatteten mir leider nicht, län— 
ger als bis zum folgenden Morgen in Segorbe zu ver— 
weilen. Es wurde eben Wochenmarkt gehalten, als ich 
die Stadt verließ. Kaum konnte ich mich mit meinem 
Pferde zwiſchen den dichten Gruppen von Arbeitern hin— 
durchdrängen, die, im Begriffe, auf ihre Aecker hinaus 
zu gehen, um die Victualienbuden geſchaart ſtanden, um 
ſich ihr Frühſtück einzukaufen. Ein Blick auf dieſen Markt 
genügt, um ſich von den reichen Productionen des Tha— 
les von Segorbe zu überzeugen. Da lagen Melonen, 
Gurken, Kürbiſſe, Calabaſſen, Waſſermelonen, Tomates, 
ſpaniſcher Pfeffer und grüne Gemüſe aller Art in ellen— 
hohen Haufen auf Baſtmatten ausgeſchüttet; daneben ſtan— 
den aus Palmblättern geflochtene Körbe voll Feigen, grü— 
nen Oliven und Zitronen, und bereits vollkommen reifen 
blauen, grünen und rothen Weintrauben; an andern Stel— 
len bemerkte ich rieſige Stöße von Johannisbrod, von 
grünem Luzernerklee und anderen Futterkräutern, ſowie 
von friſch abgepflückten Maulbeerblättern, welche von De— 
nen gekauft zu werden pflegen, die nicht ſelbſt Maulbeer— 
bäume beſitzen und doch die ſehr einträgliche Zucht der 
Seidenraupe betreiben wollen: kurz, allenthalben ſah man 
den reichen Segen einer ſorgſam betriebenen Agricultur. 


168 Abreiſe v. Segorbe. Die Frauen v. Segorbe. Bevölk. d. Thals. 


Eine hübſche Promenade führt von der Puerta de Va⸗ 
lencia an bis zu einer Brücke, welche über einen damals 
des Waſſers völlig beraubten Barranco geſchlagen iſt. 
Dieſe Promenade ſcheint bei dem ſchönen Geſchlecht als 
Morgenſpaziergang beliebt zu ſein, denn es begegneten 
uns viele Damen, die nach der Stadt zurückkehrten. Den 
flüchtigen Bemerkungen zufolge, die ich hier, wie Abends 
zuvor in der Glorieta, machen konnte, ſcheinen die Frauen 
von Segorbe den vortheilhaften Ruf, in welchem die Va⸗ 
lencianerinnen in ganz Spanien ſtehen, nicht Lügen zu 
ſtrafen. 

Nach Ueberſchreitung des erwähnten Barranco er— 
hebt ſich die Straße raſch zwiſchen den Terraſſen des rech— 
ten Thalgehänges bis zu dem Gürtel der Oel- und Jo— 
hannisbrodbäume, innerhalb deſſen ſie mehrere Meilen 
weit hinläuft, reizende Ausſichten auf den Thalgrund dar⸗ 
bietend, deſſen üppige Fluren außer einer Menge zerſtreu⸗ 
ter Häuſer mit vielen freundlichen Ortſchaften und eini⸗ 
gen impoſanten, von edel geformten Glockenthürmen und 
prächtigen Azulejoskuppeln überragten Klöſtern geſchmückt 
ſind ). Die Vegetation wird nun mit jeder Stunde ſüd— 
licher; bald zeigt ſich das ſtachliche Geſtrüpp der Zwerg— 
palme an den Abhängen der Hügel, und mannshohe 

*) Das Thal von Segorbe mit feinen Nebenthälern umſchließt 


im Ganzen 43 Ortſchaften, in denen zuſammen über 50000 Men⸗ 
ſchen leben! — 


Der Flecken Torres- Torres. Anſicht des Caſtells von Sagunt. 469 


Büſche von Piſtazie und Oleander garniren die Ufer des 
Palancia und feiner Zuflüſſe. Bei ſengender Mittags- 
hitze gelangten wir nach dem großen Flecken Torres— 
Torres, der ſeinen Namen wahrſcheinlich von einer 
hochgethürmten Burg erhalten hat, welche auf einem nack— 
ten, über den Ort aufragenden Kalkhügel liegt, und hiel— 
ten uns daſelbſt bis um zwei Uhr auf. Eine gute Stunde 
unterhalb Torres-Torres, gleich hinter dem freundlichen 
Flecken Benifayro de les Balls, weichen die das 
Thal einſchließenden Berge, welche ſchon bei Torres— 
Torres bedeutend niedriger ſind, als um Segorbe, aus 
einander, und bald zeigen ſich in geringer Entfernung 
rechts der felſige Hügel, welcher die römiſchen Thürme 
des Caſtells von Murviedro (Saguntum) trägt, links 
davon eine weite, grüne, von einigen ſtolzen Dattelpal— 
men überragte Ebene, jenſeits welcher der azurblaue Spie— 
gel des mittelländiſchen Meeres den Horizont begränzt. 
Mein Bedienter, der noch niemals in Südſpanien gewe— 
ſen war, fragte mich beim Anblick der Palmen verwun— 
dert, was dies für ſeltſame Bäume ſeien. Schon ſeit 
dem Augenblick, wo wir das Thal von Segorbe betreten 
hatten, war der ſonſt ſo redſelige Mann ſprachlos vor 
Erſtaunen, theils über die ganze ihm ungewohnte ſüdliche 
Vegetationsſcenerie, theils und vorzüglich über die bril— 
lante Cultur der Valencianer, geworden. In der That 
können ſich die Basken, obwohl ſie ein ſehr fleißiges 


170 Landſchaftlicher Charakter Valencia's und der bask. Provinzen. 


Völkchen ſind und ihre Aecker gut beſtellen, mit den Va⸗ 
lencianern nicht meſſen. Hinſichtlich des landſchaftlichen 
Charakters und der vegetativen Scenerie find die Hei— 
mathen beider Volksſtämme ſo total verſchieden, daß ſie 
ſich gar nicht mit einander vergleichen laſſen. Die rei⸗ 
zenden Berg- und Hügellandſchaften der baskiſchen Pro- 
vinzen mit ihren herrlichen Laubwäldern, ihren ſaftigen 
Wieſen und ihrem Waſſerreichthum, haben viel mehr Aehn⸗ 
lichkeit mit unſerm deutſchen Vaterlande, als mit Balen- 
cia, deſſen Bergformen, deſſen Beleuchtung und vor Al 
lem deſſen Vegetation bereits ganz entſchieden jenen halb 
afrikaniſchen Typus trägt, welcher den ſüdlichſten Gegen— 
den der Mediterranzone Europa's eigenthümlich iſt. 
Die krummen, engen und finſtern Gaſſen von Mur⸗ 
viedro waren wie ausgeſtorben, indem ſich die ganze 
Bevölkerung auf dem Conſtitutionsplatze befand, um ein 
Stiergefecht anzuſehen, das daſelbſt, ich weiß nicht, wel— 
chem Heiligen zu Ehren, gehalten wurde. Da ich dieſes 
Schauſpiel bereits mehrmals und jedenfalls beſſer geſehen 
hatte, als die Bewohner von Murviedro es herzuſtellen 
im Stande ſein dürften, ſo zog ich es vor, die letzten 
Stunden des Tages auf den Trümmern des römiſchen 
Theaters zuzubringen. Es war mir eigen zu Muthe, 
wieder an einem Orte zu weilen, den ich ſechs Jahre 
früher zum erſten Male im Schmucke des Frühlings ge⸗ 
ſehen hatte. Meine ganze Vergangenheit zog an meinen 


Naht in Murviedro. Die Huerta von Valencia. 474 


geiftigen Augen vorüber mit allen ihren ſüßen und bit 
tern Stunden. Ich konnte mich nicht eher von den al- 
ten Römermauern und von der prachtvollen Ausſicht tren— 
nen, bis die Sonne hinter den Bergen verſunken war. 
Den folgenden Morgen verließ ich zeitig bei herrlichem, 
aber ſehr heißem Wetter Murviedro, und betrat wenige 
Stunden ſpäter, nach einer mehr als vierjährigen Abwe— 
ſenheit, zum erſten Male wieder die paradieſiſchen Ge— 
filde der ewig grünen Huerta von Valencia. War es 
mir doch, als wäre ich erſt geſtern hier geweſen, ſo be— 
kannt kam mir Alles vor! Die Karthauſe Ara Chriſti 
mit ihrem Palmenhain; Puzol, La Cruz del Puig, 
San Onofre, Maſamagrell und wie die Ortſchaften 
der Huerta alle heißen, die auf und zu Seiten der Straße 
liegen, mit ihren glänzend blauen, zwiſchen Palmen und 
üppigem Baumwuchs aufragenden Azulejoskuppeln; die 
zahlloſen Bauernhäuschen mit ihren ſpitzen Reisſtroh— 
dächern: in Allem erblickte ich alte, liebe Bekannte, welche 
die halbvergeſſenen Erlebniſſe einer längſt entſchwundenen, 
aber glücklichen Vergangenheit in den lebhafteſten Farben 
mir vor die Augen führten. Nur die Fluren der Huerta 
ſelbſt boten einen ganz andern Anblick dar, als damals, 
wo ich dieſelben zum letzten Male (im März 1846) ge— 
ſehen hatte. Anſtatt der wogenden Weizenſaaten bedeck— 
ten über mannshohe Maispflanzungen und üppige Ge— 
müſefelder den Boden, ſo weit man denſelben zwiſchen 


172 Melonen. Ankunft in Valencia. 


den Tauſenden von Maulbeerbäumen überſehen konnte. 
Vor allen Hausthüren, an den Eingängen aller Gärten, 
lagen große Haufen friſch abgepflückter Melonen aufge⸗ 
ſchichtet, die den Vorübergehenden für einen Spottpreis 
zum Kauf angeboten wurden, und in allen Ortſchaften 
verfolgten uns Kinder mit Körbchen voll dieſer köſtlich 
duftenden Früchte“). Ehe ich es mich verſah, tauchten 
die Thürme von Valencia aus dem Walde von Frucht⸗ 
bäumen empor, welcher nach allen Seiten hin den Hori- 
zont begränzt, und bald weckte mich das lärmende Volks- 
gewühl des Arrabal de Murviedro aus meinen ſtil— 
len Träumereien. Die Schelle der Metropolitankirche 
brummte eben ein Uhr, als ich durch die alterthümliche 
Puerta de Serranss in die geräuſchvolle Stadt hin— 
einritt, wo ich in demſelben Gaſthofe, in dem ich in den 
Jahren 1844 und 1846 logirt hatte, in der am Platze 
des Erzbiſchofs gelegenen Fonda del Cid, die ſich un— 
terdeſſen in ein ſehr elegantes und vortreffliches Hötel 
verwandelt hatte, und deſſen Beſitzer mich ſofort als einen 

) Die valencianiſchen Melonen find wegen ihrer Güte in ganz 
Spanien geſchätzt und wahrſcheinlich die beſten in Europa. Der 
Anbau dieſer Frucht wird im Königreich Valencia im größten Maaß— 
ſtabe betrieben. Die jährliche Production der Huerta von Valencia 
allein veranſchlagt man auf 30,000 Dutzend Stück. Man baut eine 
große Menge von Spielarten. Von der beiten Sorte, den berühm⸗ 
ten Melonen von Foyos (einem Dorfe der Huerta) koſtet das 


Stück zur eigentlichen Melonenzeit (im Auguſt) auf dem Markte 
von Valencia höchſtens einen Real oder zwei Silbergroſchen. 


Verſchönerungen Valencia's. Der Marktplatz. 173 


alten Bekannten begrüßte, auf längere Zeit meine Woh— 
nung nahm. Ich kann nicht läugnen, daß es mir un— 
endlich wohl that, mich nach einem zweimonatlichen Um— 
hertreiben in ſchlechten, oder wenigſtens unwohnlichen 
Poſaden wieder einmal von allen Annehmlichkeiten euro— 
päiſcher Geſittung umgeben zu ſehen; allein der Jubel, 
mit dem ich die Thürme von Valencia begrüßt hatte, 
achte bald einer innern Angſt, einer böſen Ahnung Platz, 
ie mich fortan nicht mehr verlaſſen wollte und mich des 
Nachts oft mit nicht bedeutungsloſen Traumbildern quälte, 
als ich daſelbſt beſtimmt erwartete Briefe aus der Hei— 
math nicht fand und auch während meines ganzen drei— 
wöchentlichen Aufenthalts keinen einzigen erhielt. 

Valencia hat ſich ſeit meinem erſten Aufenthalte 
daſelbſt ungemein, aber zu ſeinem Vortheile, verändert. 
s ſind eine Menge neuer, ſchöner Gebäude entſtanden, 
durch welche die finſtere Stadt ein freundlicheres Anſehen 
ewonnen hat. Der Marktplatz, wo man früher entweder 
urch den Staub halb erſtickt wurde oder im Kothe ſtecken 
lieb, iſt ganz und gar mit großen Steintafeln belegt 
und außerdem erweitert worden, und bietet jetzt, da auch 
ehrere alte Häuſer durch neue, geſchmackvolle Bauten 
rſetzt worden find, einen impoſanten Anblick dar. Wäh— 
end man ehedem nicht wagen durfte, in den ſpätern 
bendſtunden oder bei Nacht auszugehen, indem die wink— 
igen, engen Gaſſen bei der kärglichen Oelbeleuchtung un— 


174 Die Glorieta und Alameda. 


zähliche Schlupfwinkel für Taſchendiebe und raubſüchtiges 
Geſindel darboten, kann man jetzt, wo die ganze Stadt 
bis in die entlegenſten Winkel ſehr gut mit Gas beleuch— 
tet iſt, ohne alle Beſorgniſſe zur einſamſten Nachtſtunde 
alle Stadtheile paſſiren. Ausnehmende Verſchönerungen 
haben die Promenaden erlitten. Die reizende Glorieta, 
dieſer wahrhafte Garten der Hesperiden, iſt nach einem 
ganz neuen und viel geſchmackvolleren Plane angelegt wor— 
den und bietet jetzt Abends, wo zahlreiche Gasflammen 
ihr blendendes Licht über die von Myrthen- und Olean⸗ 
derbüſchen umhegten Blumenbosquets und über die von 
Orangen-, Granaten- und amerikaniſchen Laubbäumen, von 
Palmen und Bambusrohr beſchatteten Gänge dieſes ele— 
ganten, mit weißmarmornen Ruhebänken, Statuen und 
Fontainen geſchmückten Raumes ausgießen, einen zaube— 
riſchen Anblick dar. Die ſteifen altfranzöſiſchen Blumen- 
gärten der Alameda jenſeits des Turia haben neuen, in 
engliſchem Styl ausgeführten Parkanlagen mit reizenden 
Blumenbosgquets tropiſcher Prachtgewächſe weichen müffen! 
und an mehreren Stellen in den Umgebungen der Stadt 
ſind ganz neue Promenaden geſchaffen worden. Eine mich 
im höchſten Grade überraſchende Veränderung hat auch 
der botaniſche Garten erfahren. Während derſelbe noch 
im Jahre 1844 nur dem Namen nach ein botaniſcher war, 
indem wenig mehr als Orangen, Citronen, Roſen und 
gemeine Zierpflanzen cultivirt wurden, befindet er ſich 


Der botanifhe Garten. 175 


gegenwärtig in einem ziemlich geordneten Zuſtande und im 
Beſitz von mehr als 6000 Pflanzenarten. Es iſt ein ziem— 
lich großes Glashaus, das aus einer warmen und halb— 
warmen Abtheilung beſteht, erbaut worden, und ein zweites 
größeres ſollte 1854 errichtet werden. In dem warmen Haufe 
wurden 1850 gegen 130 Arten tropiſcher Orchideen und 
gegen 50 Arten Palmen, in dem halbwarmen unter an— 
dern eine ziemlich bedeutende Anzahl tropiſcher Farren— 
kräuter gezogen. Eine Menge von Craſſulaceen und Cac— 
teen, desgleichen neuholländiſcher und cap'ſcher Pflanzen 
befindet ſich auch im freien Lande. Gleichzeitig wird durch 
Bewäſſerung, Anlegung künſtlicher Felſen und Gebüſche 
alles Mögliche gethan, um Pflanzen kälterer Klimate, als 
des valencianiſchen, cultiviren zu können. Dieſe plötzliche 
und vortheilhafte Veränderung des valencianiſchen Gar— 
tens iſt faſt gänzlich das Verdienſt des dermaligen Rec— 
tors der Univerfität, Don Francisco Carbonell. 
Dieſer ebenſo gelehrte, als energiſche, und dabei ſehr ver— 
mögende Mann, deſſen Bekanntſchaft ich bereits im Jahre 
1844 machte, wo derſelbe Geke politico der Provinz Va— 
lencia und als ſolcher wegen feiner unbeugſamen Strenge 
und ſeines wohl häufig ziemlich despotiſchen Verfahrens im 
ganzen Lande gefürchtet war, ſcheint es ſich feſt vorgenom— 
men zu haben, den zu ſeiner Univerſität gehörenden Gar— 
ten um jeden Preis emporzubringen. Carbonell iſt nicht 
Botaniker, ſondern Diplomat, intereſſirt ſich aber auf das 


176 Der botaniſche Garten. 


Lebhafteſte für Naturwiſſenſchaften, namentlich für Zoo⸗ 
logie und Botanik. Unter ſeinem Rectorat hat das früher 
ebenfalls höchſt unbedeutende zoologiſche Kabinet der Uni— 
verſität bedeutend zugenommen. Der Director dieſes Ka— 
binets iſt der Profeffor Don Ignacio Vidal, welcher 
ein tüchtiger Zoolog ſein ſoll. Das eigentliche Stecken— 
pferd Carbonell's iſt aber der botaniſche Garten. Car- 
bonell hat, wohl etwas despotiſch verfahrend, das ge— 
ſammte ältere Perſonal entfernt, mit Ausnahme des Pro- 
feſſors der Botanik, Don Joſé Pizeueta, der ſchon 
im Jahre 1844 Director des Gartens war und es noch 
iſt, freilich mehr dem Namen nach, als in der Wirklich— 
keit; hat einen geſchickten und wiſſenſchaftlich gebildeten 
franzöſiſchen Gärtner, Mr. Jean Robillard, einen 
jungen, eifrigen Mann, herbeigerufen, und, da die dem 
Garten zu Gebote ſtehenden Mittel zu unbedeutend ſind 
oder wenigſtens waren, um den Garten emporzubringen, 
bedeutende Summen aus ſeinem eigenen Vermögen her— | 
gegeben. Mr. Robillard hat ſich mit den bedeutendften | 
Gärten Europa's in Verbindung gefeßt, wodurch es ihm 
unter Carbonell's mächtigem Schutze gelingen wird, die 
Zahl der im Garten bereits vorhandenen Gewächſe bin— 
nen Kurzem zu verdoppeln und zu verdreifachen. Man 
bedenke das herrliche Klima von Valencia, welches er— 
laubt, neuholländiſche und Cappflanzen im freien Lande 
zu ziehen, den vortrefflichen Boden, den Ueberfluß an 


Leben in Valencia zur Zeit der Badeſaiſon. 177 


Waſſer, die fortwährend feuchte und nie zu heiße Luft —, 
und man wird zugeben müſſen, daß hier alle Erforder— 
niſſe vorhanden ſind, um ein großartiges botaniſches Eta— 
bliſſement zu gründen. 

Mein Aufenthalt in Valencia traf gerade in die 
Saiſon der Seebäder, welche Anfang Juli beginnt und 
bis in den September dauert. Während dieſer Zeit ge— 
ſtaltet ſich das Leben in Valencia ganz eigenthümlich. 
Alle Welt, Männer und Frauen, Jung und Alt, nimmt 
Seebäder, weshalb vom früheſten Morgen bis tief in die 
Nacht hinein der regeſte Verkehr zwiſchen der Stadt und 
dem Grao oder dem Hafenorte, in deſſen Nähe die Bade— 
plätze liegen, ſtattfindet. Fortwährend iſt die ſchöne Straße, 
welche Valencia mit dem Grao verbindet, mit zwei lan— 
gen Zügen von „Tartanen“, jenen eigenthümlichen valen— 
| cianiſchen Fuhrwerken, die ich in meiner erſten Reiſebe— 
ſchreibung ausführlich geſchildert habe, bedeckt, von denen 
der eine von Valencia nach dem Grao, der andere vom 
Grao nach Valencia geht. Alle Tartanen fahren im ſchnell— 
ſten Lauf; zwiſchen den beiden Tartanenreihen ſprengen 
noch Reiter hin und her; lange Züge von Maulthieren 
und Eſeln, mit Lebensmitteln, Früchten, Wein, Geräth— 
ſchaften beladen, bewegen ſich in der Mitte oder zu bei— 
den Seiten der Tartanenreihen langſam von Valencia 
nach dem Grao, oder kehren leer in raſchem Laufe von 
da nach der Stadt zurück; die breiten Sandwege zu bei— 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 12 


178 Der Gabanal. 


den Seiten der prächtigen Allee ſind mit einer Menge 
Fußgänger bedeckt: kurz, die Straße nach dem Grao bie- 
tet während der Badezeit ein ſo buntes und bewegtes 
Leben dar, wie ich mich kaum erinnern kann, anderswo 
geſehen zu haben. Noch bunter, noch bewegter wird das 
Leben, ſobald man den Grao ſelbſt betritt. Ein lärmendes 
Volksgewühl erfüllt die Hauptſtraße und beſonders die 
Umgebungen des Hafens. Nirgends aber concentrirt ſich 
das eigentliche Badeleben mehr, als in dem ſogenannten 
Gabanal oder der an der nordöſtlichen Seite des Grao 
gelegenen Badeſtadt. Es befinden ſich hier nämlich viele 
Hunderte von Hütten und Zelten, welche in regelmäßige, 
parallel laufende Gaſſen geordnet ſind und eine förmliche 
Stadt von ziemlicher Ausdehnung bilden. Viele dieſer 
Hütten, welche ſämmtlich ſpitze, mit Reisſtroh oder ſpa⸗— 
niſchem Rohr gedeckte Dächer beſitzen, haben ſteinerne 
Mauern, viele andere ſind blos aus Balken und Brettern 
gezimmert; noch andere beſtehen blos aus einem einfachen 
Stangengerüſt, deſſen Zwiſchenräume man mit Geflechten 
von ſpaniſchem Rohr ausgefüllt hat. Alle dieſe Hütten 
bieten äußerlich ein ganz ländliches Anſehen dar, ſind 
aber im Innern, beſonders die ſteinernen, oft mit großem 
Luxus ausgeſchmückt. Jede Hütte zerfällt in mehrere Ab- 
theilungen, in ein Geſellſchaftslocal, eine Küche, Vorraths— 
kammer und Schlafgemächer. Nicht ſelten befindet ſich 
hinter der Hütte ein eleganter Garten, indem man in 


Der Cabal. 479 


eine Umhegung von ſpaniſchem Rohr Gebüſche aus in 
Kübeln ſtehenden Orangen- und andern Sträuchern, und 
Blumenbosquets aus Topfpflanzen gebildet hat, denn der 
Boden ſelbſt, welcher ellentief aus purem dürrem Flugſande 
beſteht, geſtattet keine natürlichen Gartenanlagen. Selbſt 
Fontainen fehlen in dieſen kleinen künſtlichen Gärten nicht, 
in welche man von den Gaſſen aus durch die offenſtehen— 
den Thüren der Hütten hineinſchauen kann. In dieſer 
ſeltſamen Hüttenſtadt lebt während der Badeſaiſon die 
geſammte haute volée von Valencia, ſowohl der Adel, 
als die reichen Kaufleute, die Beamten und Alle, deren 
Mittel es erlauben, ſich eine „cabana“ (Hütte) zu mie- 
then oder zu kaufen. Die Kaufleute und Beamten fah— 
ren des Morgens, nachdem ſie gebadet haben, in die 
Stadt und kehren Abends von da wieder nach dem Ca— 
banal zurück. Daß es daſelbſt auch an öffentlichen Ver— 
gnügungsorten, an Fondas, Cafés, Caſas de reereo nicht 
mangelt, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Während 
des Vormittags und in den erſten Nachmittagsſtunden 
geht es in den Gaſſen des Cabanal ziemlich ruhig zu, 
obwohl immer eine Menge von Tartanen und Fußgängern 
vom Grao durch den Cabanal hindurch nach den Bade— 
plätzen und zurück ſtrömt; dagegen entwickelt ſich in den 
ſpätern Nachmittagsſtunden und beſonders nach Sonnen— 
untergang daſelbſt ein äußerſt buntes und geräuſchvolles 
Leben. Am beſuchteſten und deshalb auch am beſuchens— 
12 * 


180 Sonntagsleben im Gabanal. 


wertheſten iſt der Cabanal Sonntags Nachmittags gegen 
Sonnenuntergang. Um dieſe Zeit findet große Prome— 
nade in den Hauptſtraßen des Gabanal ſtatt. Die Da⸗ 
men, auf das Eleganteſte gekleidet, ſitzen theils vor den 
Eingängen der Hütten und Zelte, theils promeniren ſie 
in Begleitung der Herren zu beiden Seiten des mit dem 
bunteſten und lärmendſten Volksgewühl bedeckten Mittels 
weges. Desgleichen ſind alle Gaſſen des Grao, ſowie 
der Strand zu beiden Seiten deſſelben, wo ſich die Bä— 
der befinden, mit Volksmaſſen bedeckt, welche ſich auf ver: 
ſchiedene Weiſe beluſtigen. Man kann die Menſchenzahl, 
welche an einem Sonntag Nachmittag während der Bade— 
ſaiſon in und um den Umgebungen des Grao und des 
Cabanal verſammelt iſt, auf mindeſtens zwanzigtauſend 
veranſchlagen. Ich habe niemals und nirgends ein bun- 
teres Volksgewühl geſehen! — Nach Sonnenuntergang 
ſcheidet ſich die Geſellſchaft in beſtimmte Coterieen. Die 
haute volée zieht ſich in das Innere der Hütten oder 
in die dahinter liegenden Gärten zurück, welche dann mit 
bunten Papierlaternen erleuchtet zu ſein pflegen und des— 
halb einen ſehr heitern Eindruck machen; oder ſie con— 
centrirt ſich zu größern Zirkeln, welche ſich unter geräu— 
migen, elegant verzierten und glänzend erleuchteten Zel— 
ten verſammeln, um daſelbſt veranſtalteten Concerten und 
theatraliſchen Vorſtellungen beizuwohnen, oder ſich mit 
Geſellſchaftsſpielen und Tanz zu vergnügen. Damals ka⸗ 


Sonntagsleben im Cabanal. Einrichtung der Badehütten. 181 


men hier auch die „lebenden Bilder“ (cuadros vivos) 
auf, welche theils von Mitgliedern des Theaters, theils 
von Dilettanten, jungen Herren und Damen der höhern 
Stände, ausgeführt wurden und außerordentlichen Beifall 
fanden. Die niedern Stände ziehen ſich in die zahlloſen 
Weinkneipen des Grao und Cabanal zurück, und durch— 
ſchwärmen hier die Nacht im Scheine flackernder Heerd— 
feuer beim Weinkruge und Guitarrenſpiel, während der 
Mittelſtand, der Bürger, der eigentliche valencianiſche 
Philiſter, nach der Stadt zurückkehrt. Erſt nach Mitter— 
nacht pflegt das Treiben im Cabanal ruhiger zu werden; 
die Weinkneipen entleeren ſich dann allmälig, die bunten 
Laternen verlöſchen, die Muſik verſtummt, Jedermann be— 
giebt ſich in ſeine Wohnung, und um 2 oder 3 Uhr Mor: 
gens liegt der ganze Cabanal dunkel und regungslos da 
unter dem tiefblauen, ſternenbeſäten Himmel. 

Die Badeplätze befinden ſich längs des Strandes 
nördlich und ſüdlich vom Hafen des Grao. Hier liegen 
dem Grao zunächſt die Badeplätze für die Herren, einen 
Büchſenſchuß davon entfernt die Badeplätze für die Da— 
men. Es ſind daſelbſt eine Menge von mit Segeltuch 
gedeckten Barraken von ſpaniſchem Rohr errichtet, deren 
Inneres aus einem Mittelgange und einer Menge zu bei— 
den Seiten deſſelben liegenden Stübchen beſteht. In je— 
dem Stübchen findet man ein paar Rohrſtühle und einen 
Spiegel. Außerdem bekommt man einen Kamm, ein Hand— 


182 Die Seebäder bei Valencia. 


tuch, Badehoſen und einen unförmlichen Strohhut gegen 
den Sonnenſchein. Bei der Rückkehr aus dem Bade be⸗ 
kommt man, ſowie man den Boden betritt, ein großes 
Betttuch, um ſich darein zu hüllen und dadurch vor jeder 
Erkältung zu ſchützen, ſowie ein paar Strohſandalen, da⸗ 
mit man ſich die Füße nicht beſchmutze. In dem Bade⸗ 
ſtübchen findet man friſches Brunnenwaſſer, um ſich die 
Hände und das Geſicht waſchen zu können. Ein Seebad 
koſtet mit dem ganzen Zubehör blos 6 Cuartos (etwa 15 
Pfennige), gewiß ein billiges Vergnügen! — Um ſich 
nicht zu erhitzen, fährt man nach Valencia zurück, wozu 
ſich immer Gelegenheit darbietet. Der gewöhnliche Preis 
für einen Sitz in einer Tartane beträgt 4 Cuartos; ſind 
wenig Paſſagiere, ſo muß man etwas mehr bezahlen. Ueber 
einen Real (2 Silbergroſchen) habe ich nie bezahlt, wenn 
ich auch ganz allein in einer Tartane gefahren bin. Der 
Strand iſt beim Grao außerordentlich flach, ſo daß man 
eine weite Strecke in das Meer hineingehen kann, bevor 
einem das Waſſer bis an's Kinn reicht. Der Boden 
beſteht aus feſtem, feinem Sande, der Wellenſchlag iſt bei 
ruhigem Wetter ſanft, die Brandung am Strande unbe⸗ 
deutend und daher das Baden außerordentlich ſchön. Es iſt 
eine Wonne, ſich von den lauen, kryſtallhellen Fluthen des 
mittelländiſchen Meeres wiegen zu laſſen und auf die weite 
azurblaue Fläche hinauszuſchauen, die fortwährend von einer 
Menge von Schiffen und Fiſcherböten bedeckt zu ſein pflegt. 


Sechſtes Kapitel. 


Reiſe über Cuenca nach Madrid. 


Ich hatte blos acht Tage in Valencia zu bleiben beab— 
ſichtigt; allein der Umſtand, daß ich daſelbſt einen erwar— 
teten Creditbrief von Cadiz nicht fand und warten mußte, 
bis derſelbe anlangte, ſowie daß ich die mitgebrachten 
Sammlungen wegen des unregelmäßigen Eintreffens der 
Dampfſchiffe nicht ſo raſch nach Marſeille expediren konnte, 
wie ich gehofft hatte, verlängerte meinen Aufenthalt um 
mehr als eine Woche. Erſt am Morgen des 23. Auguſts 
konnte ich meine letzten während dieſer Zeit in den Um— 
gebungen Valencia's gemachten Sammlungen einſchiffen, 
und noch denſelben Nachmittag ſtieg ich wieder zu Pferde, 
um — wohl das letzte Mal! — von Valencia und ſei— 
ner paradieſiſchen Huerta zu ſcheiden. Mein nächſtes 
Reiſeziel war Cuenca. Dort wollte ich etwa acht Tage 
verweilen und einige Ausflüge in das benachbarte, wilde 
Bergland der Serrania de Cuenca machen. Allein dieſer 


184 Ankunft in Chiva. Zuſammentreffen mit alten Bekannten. 


Plan ſcheiterte an der Unzulänglichkeit meiner Mittel, 
welche mich zwang, ohne Aufenthalt unterwegs mich nach 
Madrid zu begeben, wo ich Freunde und Bekannte beſaß 
und daher hoffen durfte, ſelbſt im Falle, daß die ver— 
ſprochenen Geldſendungen ausblieben, wie es wirklich ge— 
ſchah, nicht ganz ohne alle Unterſtützung zu ſein. 

Die Straße nach Cuenca führt über Chiva, woſelbſt 
ich im Jahre 1844 zwei Wochen geweilt hatte. Durch 
Carbonell wußte ich, daß mit Ausnahme des Richters 
Pardo, welcher fortgegangen war, alle meine Bekaunten 
von damals noch daſelbſt lebten, weshalb ich beſchloß, in 
Chiva einen Tag zu bleiben. Es war bereits dunkel, 
als ich daſelbſt ankam. Ich kehrte in denſelben Gaſthof 
ein, wo ich 4844 gewohnt hatte, fand ihn indeſſen in 
Anderer Hände, indem die ehemalige Beſitzerin geſtorben 
war. Sonſt hatte ſich nichts verändert, ſelbſt nicht das 
Ameublement der Zimmer. Während ich zu Abend ſpeiſte, 
trat eine ältliche Frau in mein Zimmer, welche mich bei 
meinem Namen als einen alten Bekannten herzlich begrüßte. 
Ich erkannte in ihr ſofort die Sefiora Dorotea, die 
Haushälterin des Richters Pardo, in deren Hauſe ich 
während meines erſten Aufenthalts in Chiva täglich zu 
ſpeiſen pflegte. Sie hatte mich auf dem Balcon ſtehen 
ſehen und mich ſogleich erkannt. Bald darauf kam auch 
ihr Mann, Manuel Redondo, der mich damals ſo oft 
auf meinen Ausflügen mit ſeinem Maulthiere begleitet 


Aufenthalt in Chiva. 185 


hatte, ſowie noch mehrere andere Bewohner von Chiva, 
die ſich noch meiner erinnerten und mich zu ſehen wünſch— 
ten. Die Nachricht von meiner Ankunft hatte ſich wie 
ein Lauffeuer durch das ganze Städtchen verbreitet. Alle 
begrüßten mich mit ungeheuchelter Herzlichkeit gleich einem 
Verwandten und boten mir ihre Dienſte an. Dieſe un— 
eigennützige Freundſchaft wildfremder Menſchen rührte 
mich ordentlich und ich vermochte es daher nicht, ihnen 
die Bitte, noch einen Tag mehr in ihrer Mitte zu ver— 
weilen, abzuſchlagen. Den folgenden Morgen beſuchte 
mich auch der Zimmermann Victoriano, mein ehrlicher 
und uneigennütziger Führer von 1844, der Abends zuvor 
durch Unpäßlichkeit abgehalten worden war, mir ſogleich 
ſeine Dienſte anzubieten. In ſeiner Begleitung beſtieg 
ich am Vormittag das Caſtell, um mich noch einmal an 
der reizenden Ausſicht, welches daſſelbe über die reichbe— 
baute Ebene und nach der romantiſchen Sierra darbietet, 
zu ergötzen, und machte des Nachmittags einen Beſuch 
bei Don Francisco Carbonell, der in der Nähe von Chiva 
eine ſehr hübſche Quinta (Villa) beſitzt und bereits ſeit 
mehreren Tagen daſelbſt weilte. Es gehören zu dieſer 
Quinta große Weinpflanzungen, welche ſchon voller reifer 
Trauben hingen. Man war eben mit der Bereitung der 
Roſinen beſchäftigt. Dieſe geſchieht auf folgende Weiſe. 
Die abgeſchnittenen Trauben — man wählt zu den Ro— 
ſinen die reifſten — werden locker in große Bottiche ge— 


186 Die Bereitung der Rofinen. Ein Ausflug in die Sierra. 


legt, welche man hierauf vermittelſt Röhren, die mit einem 
oder mit mehreren enorm großen Waſſerkeſſeln communi⸗ 
ciren, mit kochend heißem Waſſer anfüllt. Nachdem die 
Trauben einige Minuten lang in dem heißen Waſſer ge— 
legen haben, wird dieſes aus den Bottichen abgelaſſen, 
worauf man die gebrühten und dadurch welk gewordenen 
Trauben herausnimmt und dieſelben auf Espartomatten 
oder auf großen leinenen oder hänfenen Tüchern ausbrei⸗ 
tet und den Sonnenſtrahlen ausſetzt. Hier bleiben ſie, 
bis die Beeren vollkommen zuſammengeſchrumpft und 
trocken geworden ſind. Während des Trocknens müſſen 
ſie vor Thau und Regen behütet werden, ſonſt verderben 
ſie ſehr leicht, indem ſich Schimmel bildet. Ein einziger 
Platzregen kann die ganze Roſinenernte vernichten. Die 
vollkommen erhaltenen Trauben werden ſodann in Kiſten 
oder Fäſſer gelegt, während man die abgefallenen, ein— 
zeln getrockneten Beeren in Säcke verpackt. Letztere ſind 
die gewöhnlichen großen Roſinen, erſtere die ſogenannten 
Traubenroſinen. — Den folgenden Tag benutzte ich zu 
einer Excurſion in die Sierra, auf welcher mich Manuel 
begleitete. Wir ſtiegen über die Kuppe der Caſoleta 
hinweg in die romantiſche Felsſchlucht des Barranco de 
Andiga hinab und kehrten von hier durch den Bar— 
ranco de Balleſteros nach Chiva zurück“). 


) Ueber die hier angeführten Localitäten vergl. meine erſte 
Reiſebeſchreibung, Band I., viertes Kapitel. | 


Abreiſe von Chiva. Die neue Straße nach Madrid. 487 


Tags darauf, an einem Sonntage, verließ ich end— 
lich Chiva und reiſte bis Requena. Weder Manuel, 
noch deſſen Frau, noch Victoriano waren zu bewegen, 
für die vielen Gefälligkeiten, welche fie mir erzeugt hats 
ten, die geringſte Vergütung anzunehmen; ja, Dorotea 
hatte noch die „Alforjas“ meines Packpferdes mit Lebens— 
mitteln, als Schinken, Käſe, Brod, Melonen, Weintrau— 
ben, Roſinen, getrockneten Feigen und geröſteten Mandeln 
auf das Reichlichſte verſehen. Ich muß geſtehen, daß es 
mir ordentlich leid that, von dieſen guten Leuten auf 
immer Abſchied nehmen zu müſſen, ohne ihnen den ge— 
ringſten Beweis meiner Erkenntlichkeit geben zu können. 
Es war ein furchtbar heißer Morgen. Zugleich herrſchte 
ein erſtickender Staub auf der Chauſſee, da es hier ſeit 
vielen Wochen nicht geregnet hatte und dieſe Straße ge— 
genwärtig ſehr frequentirt iſt. Dieſelbe führt bis nach 
Madrid und war erſt kurz zuvor beendet worden. Bei 
meinem erſten Aufenthalte in Chiva hatte man die Straße 
erſt bis zu den Ven tas de Bunol fortgeführt. Dieſe 
neue Chauſſee iſt um vieles kürzer, als die ältere über 
den Puerto de Almanſa, Albacete und Ocana, die ich in 
meinem erſten Reiſewerke geſchildert habe, und wird eben 
deshalb von allem nach Madrid beſtimmten Frachtfuhr— 
werk, desgleichen von den Poſten, Diligencen und Arrie— 
ros benutzt. Parallel mit dieſer ſehr ſchön gebauten und 
vortrefflich unterhaltenen Chauſſee läuft die Telegraphen— 


188 Kunſtbauten um Siete Aguas. Geitaltung der Gegend. 


linie zwiſchen Valencia und Madrid. Bald hinter den 
Ventas de Bunol, wo ich ein paar Stunden raſtete, 
um zu Mittag zu eſſen und die Zeit der größten Hitze 
vorübergehen zu laſſen, tritt die Straße in die Vorberge 
der Sierra von Chiva oder in die Montanas de las 
Cabrillas ein und beſteht von hier an faſt ununter— 
brochen aus Durchſtichen durch Hügel und Bergkämme 
und aus Brücken und Viaducten über Bäche und Thäler. 
Die meiſten und bedeutendſten Kunſtbauten befinden ſich 
zwiſchen Siete Aguas, welcher Ort rechts bleibt, und 
Requena. Dieſer Theil der Chauſſee muß enorme Sum⸗ 
men gekoſtet haben, denn die Brücken und Viaducte ſind 
ſämmtlich aus Sandſtein- und Marmorquadern erbaut. 
Von den Ventas von Bunol an erhebt ſich die Straße 
bedeutend, von einem Höhenkamme zum andern empor⸗ 
ſteigend. Der prächtige Anbau verſchwindet, bald auch 
die Oel- und Johannisbrodbäume, welche um Chiva und! 
Bunol alle Hügel bedecken. Die Gegend wird allmälig 
kahl, öde und entvölkert. Trotzdem, daß die Straße fichll 
immer höher erhebt, bietet fie wenig Ausſicht dar, indem 
fie meiſt zwiſchen Höhenzügen hinläuft. Bald hinter 
Siete Aguas nimmt das Land einen entſchiedenen Pla- 
teaucharakter an. Die blaſenartig aufgetriebene Oberfläche 
deſſelben tft von tiefen, felſigen Schluchten durchſpalten 
und entweder völlig kahl oder mit niedrigem Gebüſch bei 
deckt. Man überſchreitet hier die Gränze Neucaſtiliens.“ 


Die Stadt Requena und ihre Umgebungen. 189 


Die Sonne war bereits untergegangen, als wir an den 
letzten der von den Montafas de las Cabrillas auslau— 
fenden Kämme gelangten und von hier aus eine weite, 
grüne, von zerſtreuten Caſerios wimmelnde Ebene vor 
uns erblickten, an deren entgegengeſetztem Ende die Thürme 
von Requena aus reichem Baumwuchſe hervorragten. Um 
halb 9 Uhr trafen wir in dieſer Stadt ein, woſelbſt wir 
bis zum andern Morgen verweilten. 

Re quena, eine ziemlich regelmäßig und freundlich 
gebaute, lebhafte Stadt von 7000 Einwohnern, gehört 
zur Provinz von Cuenca und liegt zwiſchen zwei kleinen 
Bächen unweit des linken Ufers des aus der benachbar— 
ten Serrania kommenden Rio Ranera, welcher hier den 
Namen Rio de Requena empfängt und im Verein mit 
dem Rio Cabriel die weite Ebene, deren Mittelpunkt 
die Stadt bildet, bewäſſert. Dieſe etwa drittehalbtauſend 
Fuß über das mittelländiſche Meer erhabene Ebene, die 
öſtliche Fortſetzung der gewaltigen Centralebene Neucaſti— 
liens, gehört zu den wenigen Gegenden Centralſpaniens, 
welche ſich durch ſorgfältigen Anbau und üppige Frucht— 
barkeit auszeichnen. Man glaubt hier nicht in Caſtilien, 
ſondern noch in Valencia zu ſein; denn wohin man die 
Augen wendet, erblickt man wohlgepflegte, ſorgſam be— 
wäſſerte Gemüſefelder, Maulbeerbaumpflanzungen, Weizen-, 
Mais⸗ und Hanffluren, Obſtbaumplantagen und Weingär— 
ten. Dieſe, wie in den baskiſchen Provinzen, mit ein— 


190 Producte und Einwohner von Requena. Der Flecken Utiel. 


zelnen Häuſern (den Caserios de Requena) beſtreute 
Ebene, die einen Durchmeſſer von drei bis vier Stunden 
hat, erzeugt eine große Menge vortrefflichen Obſtes, 
Gartenfrüchten aller Art, Getreide, Hanf und Seide. 
Auch viel Wein wird hier producirt; derſelbe ſteht in— 
deſſen den Weinen des benachbarten Valencia und auch 
den übrigen Weinen Neucaſtiliens weit nach. Wenigſtens 
war der Wein, den ich in Requena in meinem ſonſt recht 
guten Gaſthofe zu trinken bekam, herzlich ſchlecht. Re⸗ 
quena beſitzt drei Kirchen und drei Klöſter, ſowie ein ſtark 
befeſtigtes Fort. Seine Einwohner gelten für ſehr lebens⸗ 
luſtige, beſonders dem Tanz, der Muſik und der Liebe 
leidenſchaftlich ergebene Menſchen. Ob ſie dieſen Ruf 
verdienen, kann ich nicht beurtheilen. 

Am frühen Morgen des 26. Auguſt ſetzte ich meine 
Reiſe weiter fort. Die Straße läuft bis Utiel, einem 
großen, freundlichen, volkreichen Flecken, durch einen der 
ſchönſten Theile der Ebene von Requena und iſt zu bei⸗ 
den Seiten von hohen Ulmen beſchattet. In Utiel ver: 
ließ ich dieſelbe, da ſie einen gewaltigen Bogen nach 
Weſten zu beſchreibt, um die ſüdweſtlichen Verzweigungen 
der Serrania de Cuenca zu umgehen, und ſchlug einen 
Saumpfad ein, welcher in gerader Richtung, mitten durch 
das waldbedeckte Bergland der Serrania über die Ort— 
ſchaften los Corrales, Camporobres, Mira, Vil— 
lora, Cardenete, Carboneras, Canada del Hoyo, 


Die Serrania de Cuenca. 194 


las Zomas und Mo horte nach Cuenca führt. Dieſer 
Weg iſt allerdings ſehr einſam und deshalb als unſicher 
verſchrieen und kann hier und da leicht verfehlt werden; 
auch ſind die Poſaden der genannten Ortſchaften wegen 
der geringen Frequenz der Reiſenden ſehr ſchlecht; allein 
einestheils wünſchte ich wenigſtens einen Theil der be— 
rühmten Serrania von Cuenca zu ſehen, anderntheils mußte 
ich darauf bedacht ſein, möglichſt wenig Geld ausgeben 
zu dürfen, wollte ich nicht meine Kaſſe erſchöpft ſehen, 
noch lange bevor ich Madrid erreicht hatte. Dieſer letz— 
tere Grund beſtimmte mich vorzüglich, den angegebenen 
Saumpfad zu wählen, indem man hier ſehr billig reiſen 
kann, aus dem einfachen Grunde, weil in den Ortſchaf— 
ten und ihren Wirthshäuſern nichts zu haben iſt. 

Bald hinter dem eine Stunde von Utiel entfernten 
Dorfe los Corrales, deſſen ärmliche Gebäude bereits 
die für Neucaſtilien und Aragonien charakteriſtiſche erd— 
fahle Farbe beſitzen, beginnen die erſten Kämme und His 
gelreihen der Serrania de Cuenca. Man verſteht 
unter dieſem Namen das weit verzweigte Bergland, wel— 
ches ſich auf den höchſten Anſchwellungen des Plateau von 
Neucaſtilien oder des ſüdlichen Tafellandes zwiſchen dem 
Hügelgelände und den Ebenen des Centrums Neucafti- 
liens und dem der tiefen Mulde des Ebrobaſſins zuge— 
kehrten Oſtabhange deſſelben Tafellandes erhebt. Dieſes 
Bergland beſitzt einen Durchmeſſer von 15 bis 20 geo— 


192 Orographiſche Schilderung der Serrania. 


graphiſchen Meilen, erreicht in ſeinen höchſten Gipfeln 
eine Höhe von beinahe 5000 Fuß und bildet die Waſſer⸗ 
ſcheide zwiſchen den Gebieten des Tajo, Ebro und der 
Küſtenflüſſe des Königreichs von Valencia, mithin die 
Waſſerſcheide zwiſchen dem atlantiſchen und mittelländi⸗ 
ſchen Meere. Man findet die Serrania de Cuenca auf 
den Karten gewöhnlich als eine von einem centralen 
Bergknoten, den man an die Quellen des Tajo verſetzt, 
nach allen Richtungen hin ſtrahlig ſich verzweigende Ge— 

birgsgruppe dargeſtellt. Eine ſolche Dispoſition iſt in 
der Wirklichkeit durchaus nicht vorhanden. Die Serrania 
de Cuenca iſt weniger ein zuſammenhängendes, regelmä⸗ 
ßig gegliedertes Gebirge, als vielmehr ein hohes, von 
vielen Thälern durchfurchtes Plateau, deſſen einzelne, 
zwiſchen den Thälern befindlichen Abtheilungen von nie— 
drigen, meiſt parallel in der Richtung von Norden nach 
Süden oder von Nordweſt nach Südoſt verlaufenden Berg⸗ 
ketten durchzogen ſind, auf und zwiſchen denen ſich hier 
und da einzelne höhere Kuppen von meiſt tafelartig ab— 
geplatteter Geſtalt erheben. Die bedeutendſten Berggipfel 
befinden ſich am Oſtrande der Serrania auf der oberſten 
Stufe des dem Becken von Teruel zugekehrten Terraſſen⸗ 
abhangs. Hier liegt unter andern die berühmte Muela 
de San Juan, ein 4400 Fuß hoher Tafelberg, an deſ— 
ſen Abhängen vier bedeutende, nach verſchiedenen Rich— 
tungen ſtrömende Flüſſe entſpringen, nämlich der Tajo, 


4 Flüſſe der Serrania. 193 


Jucar, Cabriel und Turia. Von dem Laufe des 
zuletzt genannten Fluſſes iſt ſchon im dritten Kapitel die 
Rede geweſen. Er gehört nur zum kleinen Theil der 
Serrania an, indem er ſehr bald in das Becken von Te— 
ruél und ſpäter in die valencianiſchen Gebirge eintritt, 
welche allerdings mit der Serrania zuſammenhängen, je— 
doch nicht als integrirendes Glied derſelben zu betrachten 
ſind. Die drei übrigen Flüſſe dagegen müſſen die ganze 
Serrania durchſtrömen, um in das Flachland Neucafti- 
liens zu gelangen, welches der Jucar und Cabriel ſehr 
bald abermals verlaſſen, um durch die hohen Mauern der 
valencianiſchen Gebirge hindurch ihre Gewäſſer dem mit— 
telländiſchen Meere zuzuführen. Dieſe drei Flüſſe nebſt 
den zwiſchen ihnen ſtrömenden und ſpäter in ſie münden— 
den Flüſſen Moya, Guadacaon, Guadiela und 
Gallo, welche im Süden, Weſten und Norden der Muela 
de San Juan entſpringen, haben die Hauptthäler der 
Serrania ausgehöhlt, welche zuſammen allerdings einen 
Fächer bilden, der von der Muela de San Juan und 
überhaupt vom Oſtrande der Serrania nach Norden, 
Weſten und Süden ausſtrahlt. Allein die zwiſchen jenen 
Thälern aufragenden Gebirgsmaſſen erſtrecken ſich keines— 
wegs in derſelben Richtung, ſondern verlaufen, wie ich 
ſchon bemerkt habe, ſämmtlich mehr oder weniger in nord— 
ſüdlicher Direction. Sie erheben ſich, mit wenigen Aus— 
nahmen, nur unbedeutend über die Oberfläche der zwiſchen 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. I.. 13 


194 Relief und Zuſammeuſetzung des Bodens der Serrania. 


den Flußthälern befindlichen Plateauſegmente, deren ab— 
ſolute Höhe im Mittel 3500 Fuß betragen mag, eine 
Höhe, die wir ſchon bei dem außerhalb der Serrania 
gelegenen Plateau von Molina kennen gelernt haben, und 
machen deshalb von fern kaum den Eindruck von Gebirgs— 
ketten. Zwiſchen denſelben breiten ſich oft geräumige Ebe— 
nen aus, ſo daß man häufig mitten in der Serrania kaum 


in einer gebirgigen Gegend zu fein glaubt. Anders ge- 


ſtaltet ſich freilich das Relief des Bodens, ſobald man 
in eins der genannten Flußthäler eintritt, indem dieſe 
ſo tief in das Plateau eingeriſſen ſind, daß ihre Abhänge 
das Bild bedeutender Gebirgsmaſſen darbieten. Desglei— 
chen mögen die einzelnen, hier und da faſt iſolirt auf— 
ragenden Hauptgipfel in der Nähe einen recht impoſan— 
ten Anblick gewähren; von fern dagegen frappiren ſie 
blos durch ihre eigenthümliche Form, erſcheinen aber nur 
als unbedeutende Berge. Die geognoſtiſche Zuſammen— 
ſetzung der Serrania iſt noch wenig gekannt. Die ſüd— 
weſtlichen Parthieen, durch welche allein mich meine Reiſe 
geführt hat, beſtehen der Hauptſache nach aus einem gelb— 
lichen Sandſteine, welcher entweder der Triasperiode oder 
dem Lias angehört. Bei Cuenca tritt eine mächtige Jura⸗ 
kalkformation auf; ob dieſelbe mit dem Juragebirge von 
Molina zuſammenhängt, darüber habe ich nichts in Er— 
fahrung bringen können. Die höchſten Gipfel der Ser— 


rania find vielleicht aus Grauwackenſchiefer oder aus 


| 


Wälder und Heiden der Serrania. 195 


juraſſiſchem Dolomit zuſammengeſetzt. Die Serrania de 
Cuenca iſt in ganz Spanien berühmt, theils wegen ihres 
Mineralreichthums !), theils und ganz beſonders wegen 
ihrer Waldungen. Während nämlich die benachbarten 
Juragebirge Valencia's faſt völlig von Wald entblößt 


ſind, breiten ſich auf den Plateau's und an den Abhän⸗ 
gen der Kämme und Gipfel der Serrania ungeheure 


Waldungen von Nadelholz aus. Dies gilt beſonders von 
der ſüdweſtlichen Hälfte der Serrania; die nordöſtliche 
iſt weniger holzreich, wenigſtens bei weitem nicht ſo dicht 
bewaldet, wie die ſüdweſtliche. Hier dagegen giebt es 
noch förmliche Urwälder, wo der Boden mit vor Alters- 
ſchwäche niedergeſtürzten, faulenden Baumſtämmen bedeckt 
iſt, zwiſchen deren Trümmern junge Bäume herangewach— 
ſen ſind. In vielen Gegenden ſtehen die Bäume ſo dicht, 
daß man nur kurze Strecken weit in den Wald hinein— 


ſehen kann. Dann folgen wieder große Waldblößen, 


welche mit aromatiſchem Labiaten-, beſonders Rosmarin— 
gebüſch, ſowie mit niedrigen Sträuchern verſchiedener 
Wachholderarten bedeckt zu ſein pflegen und den Eindruck 


) Es ſoll ſich namentlich viel Eiſen und Kupfer in der Ser: 
rania finden. Erſteres deutet auf Lias, letzteres auf Grauwacke. 
Daß Bergwerke in der Serrania eröffnet worden wären, iſt mir 
nicht bekannt. An vielen Stellen ſollen ſich große Maſſen von 
Petrefacten vorfinden. Diejenigen, welche ich im naturhiſtoriſchen 
Kabinet zu Madrid geſehen habe, — meiſt Echiniten, Ammoniten, 
Korallen und Bivalven — gehörten ſämmtlich dem Iuragebirge an. 


13 * 


196 Die Wälder Spaniens. 


unferer Heiden hervorbringen. Dieſelben Sträucher bil: 
den das Unterholz des Waldes, wo derſelbe licht tft. 
An manchen Stellen befinden ſich ausgedehnte Holzſchläge, 
welche mit denſelben eigenthümlichen Heiden erfüllt zu 
fein pflegen. Dieſe ungeheuern Waldungen, die im Gan⸗ 


zen einen Flächenraum von mindeſtens 60 Quadratmeilen 


einnehmen, beſtehen lediglich aus Nadelholz, und zwar 
aus Kieferarten.) Theils in den Flußthälern der Ser⸗ 


) Die vorherrſchende Kieferart iſt Pinus Laricio Poir. Außer 
ihr nehmen P. Pinaster Ait. und P. halepensis Mill. an der Zu⸗ 
ſammenſetzung der Waldungen Theil. Darunter gemiſcht, nament⸗ 
lich an lichten, ſonnigen Stellen, erſcheinen einzelne Bäume von 
Juniperus rufescens Lk. und J. phoenicea L. Das Wachholder— 
ſtrauchwerk beſteht ebenfalls aus den beiden obengenannten Juni— 
perusarten. 

Ich kann nicht umhin, hier einige Bemerkungen über die fpa= 
niſchen Wälder einzuſchalten. Man hört Spanien gewöhnlich 
ein von Wald entblößtes Land nennen. Ich kann dieſer Anſicht 
durchaus nicht beipflichten, weiß mir es aber ſehr wohl zu erklä⸗ 
ren, wie es gekommen iſt, daß dieſe irrige Meinung ſich allgemein 
verbreitet hat. Faſt Alle, welche Spanien bereiſt haben und noch 
bereiſen, kennen das Land blos von den großen Straßen her, welche 
die Hafen- und die großen Provinzialſtädte mit Madrid verbinden. 
Dieſe Straßen führen meiſt durch Gegenden, welche der Waldun— 
gen, ja oft überhaupt der Bäume, gänzlich entbehren. Solche Ge— 
genden ſind die ungeheueren Ebenen und Hügelgelände beider Kaſti— 
lien und Leons, die Ebenen des Ebro- und Guadalquivirbeckens, 
die Plateau's von Alava und Murcia, kurz jene Landſtriche, durch 
welche die von Madrid nach Vitoria, Pamplona, Zaragoza und 
Barcelona, Valencia, Murcia, Audaluſien, Badajoz, Toledo, Sa⸗ 
lamanca, Leon und Valladolid führenden Chauſſeen laufen. Dazu 
kommt, daß die ſüdſpaniſchen Gebirge kahl ſind oder wenigſteus 


Die Wälder Spaniens. 197 


rania, theils in quelligen Depreſſionen inmitten des un— 
geheuren Waldmeeres, welches der Serrania einen düſtern, 


kahl erſcheinen, indem ſich daſelbſt die Waldung auf die Thäler 
und innern Depreſſioneu beſchränkt (wie wenige Reiſende haben 
aber Gelegenheit oder halten es der Mühe werth, ſich ein Gebirge 
in der Nähe zu beſehen!), oder nur der Fuß des Gebirges, der 
ſich dem Auge entzieht, mit Wald bedeckt zu ſein pflegt. Ich will 
hier eine kurze Ueberſicht der mir theils durch eigene Anſchauung, 
theils durch ſichere Nachrichten bekannt gewordenen Waldungen 
Spaniens geben, zum Beweis dafür, daß Spanien keineswegs ein 
waldentblößtes Land iſt, ſondern noch bedeutende Waldungen beſitzt, 
wenn auch der gegenwärtige Waldbeſtand daſelbſt ein viel geringe— 
rer iſt, als er in früheren Jahrhunderten geweſen ſein mag, und 
ſich deshalb Spanien mit andern Ländern Europa's, beſonders 
Mittel⸗ und Nordeuropa's, hinſichtlich der Wälder nicht meſſen kann. 
Ich theile ganz Spanien in folgende neun Wald diſtricte ein: 

1. Cantabriſcher Diitrict. Umfaßt das ganze nördliche 
Litorale von der Bidaſſoamündung bis zum Cap Finisterrä, ſowie 
das geſammte cantabriſche Gebirge oder die weſtliche Fortſetzung 
der Pyrenäen. Hier ſind faſt alle Hügel, Niederungen, Thäler und 
Gebirgsabhänge bis 4000“ und darüber, ſoweit ſie nicht vom. Aderz 
bau eingenommen werden, mit Laubwaldungen bedeckt, von denen 
viele an Schönheit der Bäume und Dichtigkeit des Waldes unſern 
beſten Laubhölzern nicht nachſtehen. Die Waldung iſt der Haupt— 
ſache nach in den Litoralgegenden aus unſern gemeinen Eichenarten, 
Quercus pedunculata L. und Querc. Robur L., fowie aus der 
Kaſtanie, Castanea vesca Gärtn,, weiter hinauf aus der filzblättri— 
gen Eiche, Querc. Tozza P., in den höheren Gebirgsgegenden aus 
der Buche, Fagus silvatica L. zuſammengeſetzt. 

2. Pyrenäiſcher Diftriet. Umfaßt den Südabhang der 
Pyrenäenkette und die Gebirge Hocharagoniens. Hier in den Py— 
renäen von Navarra bedeutende Buchenwaldungen, ſonſt Nadelwäl— 
der, in den untern Partbieen aus der gemeinen Kiefer, Pinus sil- 
vestris L., in den obern (zwiſchen 3000 und 5500) aus der Py— 
renäenkiefer P. pyrenaica Lap. und aus Tannen, P. Picea L., in 


198 Die Wälder Spaniens. 


wilden Charakter verleiht, liegen zahlreiche Ortſchaften, 
deren wenig cultivirte Bewohner ſich von Ackerbau, Vieh⸗ 


dem Hügellande Cataloniens aus der Seekiefer, P. halepensis 
Mill. zuſammengeſetzt. Große Waldungen ſelten, dafür zahlloſe 
dichte Gehölze. 

3. Iberiſcher Diftrict. Umfaßt die nördlichen Glieder 
des iberiſchen Gebirgsſyſtems oder die Sierra de Oca bei Burgos, 
die Montes de Urbion und die Sierra de Moncayo. Waldungen 
— beſonders am öſtlichen Abhange — in den untern Parthieen von 
Quercus Tozza, in den obern von Fagus silvatica. ö 

4. Diſtriet der Serrania de Cuenca. Umfaßt außer 
der eigentlichen Serrania die hohen, waldbedeckten Plateau's zwi— 
ſchen Molina de Aragon, dem centralen Scheidegebirge und den 
Moncayo, ſowie das Plateau von Pozondon und die Terraſſenab— 
hänge, welche das Becken von Terusl umgeben, ſammt den Gebir— 
gen der nordvalencianiſchen Terraſſe. Lauter Nadelwaldung, um 
Molina vorzüglich von P. Pinaster, an den Abhängen des Plateau 
von Pozondön u. ſ. w. von Juniperus thurifera L., auf der nord— 
valencianiſchen Terraſſe von P. Pinaster (oder P. Laricio ?) und 
P. halepensis. 

5. Diſtrict des centralen Scheidegebirges. Oeſtlicher 
Theil deſſelben kahl, oder mit einzelnen Gehölzen von P. Pinaster (?) 
und Querc. Tozza beſtreut. Im mittlern Theile (Guadarramage— 
birge) große, dichte Waldungen (beſonders im Innern und am 
Nordabhange) von P. silvestris. Am ſüdlichen Fuße daſelbſt lichte 
Waldungen von Fraxinus angustifolia Vahl. (der ſchmal- oder 
ſpitzblättrigen Eſche), von Querc. Tozza, Ilex und Ballota (der 
gemeinen Immergrüneiche und der Immergrüneiche mit eßbaren 
Früchten). Im weſtlichen Theile (Scheidegebirge zwiſchen Leon 
und Eſtremadura) große Waldungen von Quercus Tozza, Casta- 
nea vesca, auf den nördlichen Plateau's (Provinz von Salamanca) 
von Querc. Ilex, Ballota und Fraxinus angustifolia. 

6. Diftriet von Hocheſtrema dura. Die große Mulde 
des Tajothales iſt faſt gänzlich von ungeheuern und zum Theil ſehr 
dichten Eichenwaldungen erfüllt, welche hauptſächlich aus der Kork— 


Die Wälder Spaniens, 199 


zucht und Holzhandel ernähren. Viele friſten ihr Leben 
als Holzſchläger, Bretterſchneider (Schneidemühlen habe 


eiche, Querc. Suber L., aus Querc. Ilex und Ballota zuſammen— 
geſetzt ſind. Darunter gemiſcht erſcheinen die portugieſiſche und 
die ſpaniſche Eiche (Querc. lusitanica Lam. var, baetica Webb., 
und Querc. hispanica Lam.) und Pin. Pinaster. Desgleichen 
finden ſich Eichengehölze in dem angränzenden Berglande, welches 
die Thäler des Tajo und Guadiana von einander ſcheidet. 

7. Diſtriet der Sierra Morena. Am Nordrande (ſüd— 
liche Theile von Niedereſtramadura, Plateau von los Pedroches, 
hohe Mancha) große lichte Eichengehölze von Querc, Illex und 
Ballota, am Südabhange Gehölze von Quere. Suber, Illex und 
Pinus Pinea L. (der Pinie); längs des ſüdlichen Fußes von Caro— 
lina bis Cordova und weiter weſtwärts ausgedehnte, zuſammen— 
hängende Wälder von angepflanzten Oelbäumen, vermengt mit 
Querc. Ilex, Ballota und Suber. (Dieſe Olivenwälder nehmen 
einen Streifen von 12 Meilen Länge und A bis 2 Stunden Breite 
ein!). 

8. Diſtriet von Huelva, Cadiz und Gibraltar. Um- 
faßt die Küſtengegenden der Provinzen von Huelva und Cadiz, die 
Uferſtrecken des unteru Guadalquivirlaufes, und die an der Meer— 
enge und in den Umgebungen der Bai von Gibraltar gelegenen 
Gebirge und Niederungen. Zwiſchen den Mündun zen des Gua— 
diana und Guadalquivir Waldungen von Pin. halepensis und Pin. 
Pinea. Zwiſchen Sevilla, Utrera und Palma große Gehölze von 
Pin. Pinea und wilden Oelbäumen (Olea europaea var. silvestris). 
Am untern Guadalquivir und in den Umgebungen der Bai von 
Cadiz große Waldungen von Pinien und Seekiefern; im Hügel— 
lande der Provinz von Cadiz Gehölze von Querc. Suber, Ilex, 
Ballota und lusitanica var. baetica. In den Gebirgen an der 
Meerenge prachtvolle Laubwaldungen von Querc. Suber, lusita- 
nica, wilden Oel- und Lorbeerbäumen. In den Niederungen weſt— 
lich vom Golf von Gibraltar große, dichte Eichenwälder vou Querc. 
Suber und lusitanica. 

9. Diftrict der Terraſſe von Granada. Umfaßt die 


200 Die Bewohner der Serrania. Eintritt in dieſelbe. 


ich nirgends bemerkt!), Hirten, Schaafſcheerer (esquilado- 
res), Jäger, Steinbrecher, und von der Bienenzucht, die 
in der ganzen Serrania ſehr bedeutend iſt. Die Flüſſe 
find reich an Fiſchen, desgleichen einige Bergſeen. Be—⸗ 
ſonders iſt die einige Meilen nordöſtlich von Cuenca 
in der Nähe des Jucarthales gelegene Laguna de Una 
wegen ihrer vortrefflichen Forellen berühmt. 

Schon die erſten Kämme der Serrania, welche ſich 
bei los Corrales erheben, ſind mit Kiefern bedeckt; 
doch iſt die Waldung hier noch ſehr licht, und große 
Strecken entbehren derſelben gänzlich. Nach Ueberſteigung 
vieler Hügelreihen gelangten wir auf eine, von waldigen 
Höhen umringte, mit Getreidefluren bedeckte Hochebene, 


wo das Dorf Camporobres am Fuße eines dürreu, 


nackten, mit den Ruinen einer mauriſchen Burg gekrön⸗ 


Provinzen von Malaga, Jaen, Granada und Almeria. Keine gro: 
ßen Wälder, aber zahlreiche Gehölze. Im weſtlichſten Theile (in 
der Serrania de Ronda) Gehölze von Quercus Ilex, Ballota und 
lusitanica, in den höhern Gebirgsgegenden (zwiſchen 4000 und 
6000) von der andaluſiſchen Fichte (Pinus Pinsapo Boiss.). In 
den Thälern der Sierra Nevada zu unterſt Gehölze von Castanea 
vesca, weiter hinauf von Quercus Tozza, zwiſchen 6000 und 6500“ 
von Pinus silvestris. Auf den Plateau's und den Gebirgen der 
öſtlichen Terraſſenhälfte große, dichte Gehölze von Pinus Pinaster, 
ebenſo in den Gebirgen von Jaen. Hier auch Gehölze von Quer- 
cus Ilex, desgleichen um Granada. 

Außerhalb dieſer Walddiſtricte finden ſich noch bedeutende Ge⸗ 
hölze in der Ebene Altcaſtiliens (Pinien), in den nördlichen Thei⸗ 
len von Leon (gemeine Kiefern), im Ebrobaſſin (Immergrüneichen) 
und anderwärts. 


Das Thal des Moya. Der Flecken Mira. 204 


ten Hügels ſehr öde und einſam gelegen iſt. Nachdem 
wir in der einzigen und ſehr ſchlechten Poſada ein äußerſt 
frugales und wenig appetitliches Mittagsmahl eingenom— 
men hatten, ſetzten wir unſere Wanderung weiter fort. 
Der Weg führte uns abermals über eine hügliche, mit 
einzelnen Kieferngehölzen und niedrigem Gebüſch erfüllte 
Hochebene, welche gegen Weſt von einem mit ſchroffen 
Felsgipfeln beſetzten Höhenzuge begränzt erſchien. Nach 
einem vierſtündigen Ritt über dieſes einförmige, völlig 
unbewohnte Plateau gelangten wir gegen 6 Uhr an das 
tiefe Thal des Rio Mo va, eines waſſerreichen, hellen 
Bergfluſſes, welcher in den ſüdlichſten Parthieen des Cen— 
trums der Serrania entſpringt und in den Cabriel mün— 
det. Hier wurde ich durch eine außerordentlich ſchöne 
Anſicht ſehr angenehm überraſcht. Die ſteilen, von gro— 
tesken Felszacken ſtarrenden Abhänge des anmuthig ge— 
krümmten Thales ſind auf das Maleriſchſte mit Gebüſch 
und Laubholz bekleidet, die unterſten Lehnen nach valen— 
cianiſcher Sitte terraſſirt und ſammt der Thalſohle ſehr 
ſchön angebaut. Ueberall prangten dunkelgrüne Hanffel— 
der und hellgrüne, glänzende Maisfluren, umgeben von 
Nuß⸗ und Maulbeerbäumen. Uns gegenüber zogen ſich 
die Häuſerterraſſen des Fleckens Mira eine große Strecke 
an dem ſteilen Thalgehänge empor, überragt von gewal— 
tigen Sandſteinfelſen. Nach aufwärts verengte ſich das 
Thal bald zu einer dunkeln, walderfüllten Schlucht, die 


202 Verirrung auf dem Heideplateau von Mira. 


endlich von höhern, dicht mit Nadelwaldung bedeckten 
Bergen geſchloſſen erſchien. Der Weg ſenkte ſich raſch 
in Zickzacks an dem ſteilen Gehänge zu den Ufern des 
wildſchäumenden Fluſſes hinab, welcher mehrere Mühlen 
treibt. Hier glaubt man ſich mitten in einem bedeuten— 
den Gebirge zu befinden, indem die Thalwände als mäch— 
tige Bergkuppen erſcheinen. Da die Poſada in Mira 
einen wenig einladenden Anblick darbot und uns geſagt 
wurde, daß der nächſte Ort, Villora, blos zwei Leguas 
entfernt, auch der Weg nicht zu verfehlen ſei: ſo entſchloß 

ich mich, noch bis dahin zu reiſen. Wir waren aber kaum | 
wieder auf dem Plateau angelangt, als der Weg ſich in 
mehrere Pfade ſpaltete, die ſämmtlich faſt parallel neben 
einander fortliefen. Da kein Menſch zu ſehen war, ſo 
wählten wir auf gut Glück den mittelſten, überzeugten 
uns aber an der Richtung, die derſelbe annahm, bald, 
daß es nicht der rechte ſei. Ich war ſchon entſchloſſen, 
wieder nach Mira zurückzukehren, als Aguſtin einen An- 
riero zwiſchen den Bäumen uns entgegenkommen ſah. 
Von ihm erfuhren wir, daß wir uns auf dem Wege nach 
Canete befänden, einem im Centrum der Serrania am 
Cabriel gelegenen Städtchen, und der Weg nach Villora 
eine gute halbe Stunde weiter links hinlaufe, dieſer aber 
nicht zu verfehlen ſei. Wir brachen alſo quer durch die 
Heide durch und gelangten endlich nach einer mühſamen 
Wanderung auf den rechten Weg, als eben die Sonne 


Eintritt in die Waldungen der Serrania. 203 


unterging. Das Plateau war wellenförmig geſtaltet und 
mit Gebüſch und einzelnen Kiefern bedeckt. In geringer 
Entfernung von uns zog eine niedrige Hügelkette hin, 
welche uns alle Ausſicht benahm. Von dem Kamme die— 
ſer Hügelkette aus eröffnete ſich uns plötzlich eine weite, 
doch bei der vorgerückten Tageszeit nichts weniger als 
erfreuliche Ausſicht. Wir ſtanden über einer Einſenkung, 
einer flachen Mulde von ungeheuerer Ausdehnung, aus 
der hier und da einzelne felſige Kuppen hervorragten und 
welche nach allen Seiten hin von Bergkämmen begränzt 
war. Ein unüberſehbares, düſteres Waldmeer erfüllte die 
ganze Mulde und bedeckte auch die ſie begränzenden Höhen; 
nirgends war eine Spur vom Daſein eines bewohnten 
Ortes zu entdecken: allenthalben hochſtämmiger, dichter 
Nadelwald, ſo weit das Auge reichte. Es war ein Land— 
ſchaftsbild, wie ich es ſeit den Landes von Bayonne nicht 
mehr geſehen hatte. Da ſich der Weg wegen des ihn 
bedeckenden gelben Sandes leicht zwiſchen dem dunkeln 
Gebüſch des Unterholzes erkennen ließ, ritten wir muthig 
in die ſchwarze Waldmulde hinab. Anfangs ging es ganz 
gut; der Weg war breit, das Terrain eben und noch 
hinreichendes Licht vorhanden, um den Wald einigermaßen 
überblicken zu können. Nachdem wir aber etwa eine Stunde 
weit in die Waldung eingedrungen waren, begann die 
Oberfläche des Bodens hüglich zu werden. Gleichzeitig 
zertheilte ſich der Weg vielfach und war, da hier das 


204 Beſchwerliche Wanderung bei Nacht durch die Waldung. 


Unterholz wegen der außerordentlichen Dichtigkeit des 
Hochwaldes gänzlich fehlte und deshalb auch der Wald— 
boden aus Sand beſtand, bei der nächtlichen Dämmerung 
kaum zu erkennen. Wir konnten deshalb nur ſehr langſam 
vorwärts dringen und mußten mehr dem Inſtinkt unſerer 
Pferde als unſern Augen vertrauen. Die Waldung wurde 
mit jedem Schritte dichter, das Terrain immer coupirter. 
Manchmal ſenkte ſich der Weg in einige Barranco's hinab, 
in deren moorigem Grunde übereinandergeſtürzte Kiefern— 
ſtämme ein wildes Chaos bildeten; dann kletterte er wies 
der zu felſigen Höhen empor, von deren Gipfeln aus wir 
beim Zwielicht der Sterne weite, von tiefen, ſchwarzen 
Schluchten durchfurchte Waldſtrecken unterſcheiden konnten. 
Vergeblich ſtrengten wir unſere Augen und Ohren an, 
um eine Spur von Menſchen zu entdecken; es war Alles 
ſtill in der ungeheuern Einöde bis auf das Rauſchen der 
Luft zwiſchen den Nadeln, oder das Gekrächze eines nächt— 
lichen Raubvogels, welches dann und wann unheimlich 
durch den Wald tönte. Endlich — es war ſchon halb 
neun Uhr vorüber — ſtieg der Weg jäh in eine enge, 
hüben und drüben von ſteilen Felſen umgürtete Schlucht 
hinab, durch welche er uns in eine weite, mit Geſtrüpp 
und kurzem Graswuchs erfüllte Thalmulde führte, in 
deren moraſtigem Grunde er bald völlig verſchwand. 
Einen Flintenſchuß weiter ſetzte ein ſtarker Bach, deſſen 
breiter und ruhiger Spiegel eine bedeutende Tiefe ver: 


Aufhören des Weges. Zuſammentreffen mit Holzdieben. 205 


muthen ließ, unſerem ferneren Vordringen gänzlich ein 
Ziel. Während Aguſtin umherſpähte, an welcher Stelle 
der Weg den Bach paſſiren möge, kam es mir vor, als 
werde der Wald in der Ferne thalaufwärts bisweilen von 


dem flackernden Wiederſchein eines Feuers momentan be— 


leuchtet. Um mich zu vergewiſſern, ob ich mich getäuſcht 
habe oder nicht, ſchoß ich eine Piſtole ab. Der Knall 
war kaum verhallt, als Hundegebell in ziemlicher Nähe 
erſcholl und bald darauf in jener Gegend die Kronen der 
Bäume unzweideutig von einem friſch auflodernden Feuer 
grell beleuchtet wurden. Wir begannen nun zu rufen 
und hörten unſere Rufe auch in Kurzem durch rohes Ge— 
brüll erwiedert. Es dauerte nicht lange, ſo erhellte ſich 
der dieſſeits des Baches ſich vor uns ausbreitende, nacht— 
ſchwarze Wald, und es traten zwei in zerlumpte Mäntel 
gehüllte Männer aus demſelben hervor, von denen jeder 
eine brennende Kienfackel in der einen Hand, in der an— 
dern eine Flinte trug. Beide hatten ein langes, breit— 
klingiges, bloßes Meſſer in ihrer blutrothen Schärpe 
ſtecken und ſahen verwildert aus, wie Teufel. Ich muß 
geſtehen, daß mir beim Anblick dieſer beiden Kerls nicht 
ganz wohl zu Muthe wurde und mir gleichzeitig alle 
Räubergeſchichten einfielen, die man mir in Requena und 
anderwärts von den Wäldern der Serrania erzählt hatte. 
Mein Argwohn war indeſſen völlig unbegründet, denn 
als ich den beiden Männern zurief: ich habe mich ver— 


206 Zuſammentreffen mit Holzdieben. 


irrt und ſie bat, mir den Weg nach Villora zu zeigen, 
warfen ſie ihre Flinten, welche ſie bisher in drohender 
Stellung in der Hand gehalten hatten, ruhig über die 
Schulter und riethen mir, bis Tagesanbruch bei ihnen 
zu bleiben, da es unmöglich ſei, daß meine ermüdeten 
Pferde in der Nacht auf dem ſehr ſchlechten Wege fort— 
kommen könnten. Auf mein Befragen, ob ich auf dem 
rechten Wege und wie weit Villora noch entfernt ſei, 
erwiederte der eine: „Den rechten Weg haben Sie, Ca— 
ballero, können ſich auch nicht verirren, da es blos einen 
giebt; allein Villora iſt noch zwei ſtarke Stunden ent— 
fernt und der Weg bei Nacht in dem gelben Sande für 
einen deſſelben Unkundigen nicht zu finden.“ | 
„Zwei Stunden noch? Rechnet man denn nicht blos 
zwei Leguas von Mira nach Villora?“ | 
„Ja, das iſt richtig; aber es find leguas de fraile ), 
zu denen ein beladenes Maulthier wenigſtens fünf Stun- 
den braucht. Sie hätten in Mira übernachten ſollen.“ 
„Giebt es denn gar kein Haus in der Nähe, wo 
ich Futter für meine Pferde finden kann? Die Thiere 
ſind müde und hungrig und wir haben weder Gerſte, noch 
Stroh bei uns.“ 
„Auf ein Obdach müſſen Sie für dieſe Nacht ver— 
zichten, denn zwei Stunden im Umkreis giebt es kein 


*) Wörtlich „Mönchsleguas“, — ſcherzhafte Bezeichnung eines 
Weges von unbeſtimmter Länge. 


Die Lagerſtätte derſelben. 207 


einziges hato (Hirtenzelt, Hirtenſtation), geſchweige denn 
ein Haus oder Dorf. Allein Ihrer Pferde wegen machen 
Sie ſich keine Sorgen. Da drinnen im Walde — in— 
dem er auf die von dem Feuerſchein beleuchtete Baum— 
gruppe deutete — liegt ein ſchöner Weideplatz, wo be— 
reits mehrere Maulthiere und Eſel graſen, und Stroh 
iſt auch vorhanden. Auch können wir Ihnen ein Lager 
und Wein und Brod anbieten. Wollen Sie bei uns 
bleiben, ſo werde ich Sie morgen früh auf den rechten 
Weg nach Villora bringen.“ 

Da es Tollkühnheit geweſen wäre, in der Nacht auf 
kaum erkennbaren Wegen durch ein walderfülltes, von 
Felſen und Sümpfen wimmelndes Bergland zu reiſen, 
ſo nahm ich das gaſtfreie Anerbieten der beiden Männer 
an, und folgte ihnen nach ihrer Lagerſtätte. Ich erfuhr 
nunmehr, daß ſie Holzſchläger aus Requena ſeien und 
ſich auf mehrere Wochen in die Wälder der Serrania 
begeben hätten, um Brennholz zu ſammeln, welches ſie 
in Requena vortheilhaft zu verkaufen gedachten. Ihre 
Lagerſtätte befand ſich eine Viertelſtunde von dem Wege 
nach Villora, aufwärts am Bache, mitten im Walde. Hier 
breitete ſich ein geräumiger, theils mit Gras, theils mit 
Geſtrüpp bedeckter Platz aus, umringt von ehrwürdigen, 
mit buntfarbigen Bartflechten maleriſch behängten Schwarz— 
kiefern (Pinus Laricio Poir.) In der Mitte dieſes Platzes 
lag ein ungeheuerer Haufen zerſchnittenen Weizenſtrohs, 


208 Ein Bivouac in den Wäldern der Serrania. 


welches den Holzmachern ſowohl zur Fütterung von einem 
Dutzend Maulthieren und Eſeln, die zerſtreut auf den 
graſigen Matten weideten, als zum Lager diente. Da— 
neben brannte ein dem Erlöſchen nahes Feuer aus Kie— 
fernzweigen und Holzſpähnen, über dem, von drei zuſam— 
mengeſtemmten Kieferpfählen herab, ein eiſerner Keſſel 
hing, in welchem die Holzmacher ihr Abendbrod zubereitet 
haben mochten. Nahe dabei waren große Maſſen zer— 
ſpaltenen Kiefernholzes, gefällte Baumſtämme und abge⸗ 


hauene Aeſte aufgeſchichtet, die aber nicht von Bäumen 


herrührten, welche an jenem Platze geſtanden hatten, ſon— 
dern von tiefer, waldeinwärts gefällten Kiefern. Meh— 
rere große, zottige Wolfshunde, die auf den Mann dreſſirt 
zu ſein ſchienen, lagen, an Baumſtämme angekettet, bei 
dieſen Holzſtößen. Aus Allem ging klar hervor, daß ich 
mich in Geſellſchaft von Holzdieben befand. Doch beun— 
ruhigte mich dieſe Wahrnehmung nicht im mindeſten, da 
meine Begleiter, abgeſehen von ihrem ungeſetzmäßigen 
Handwerk, grundehrliche und gutmüthige Menſchen waren. 
Sie theilten unaufgefordert ihre wenigen Lebensmittel, 
aus Brod, Zwiebeln und trockenem Stockfiſch beſtehend, 
ſowie ihren nicht eben ſehr vorzüglichen Wein mit uns, 
bereiteten mir in dem großen Strohhaufen ein bequemes 
Lager aus den wollenen Satteldecken ihrer Maulthiere, 
fütterten und tränkten meine Pferde, und waren beim 
Abſchied kaum zu bewegen, ein Trinkgeld von 2 Realen 


7 — T—„— a nt 


Kalte Nacht. Der Flecken Villora. 209 


anzunehmen! Die Nacht war ſchön und ruhig, doch von 

Mitternacht an ſehr kalt, ſo daß wir uns nur dadurch 
gegen den Froſt ſchützen konnten, daß wir uns bis 
an den Kopf in das Stroh verkrochen. Wegen die— 
ſer bedeutenden Temperaturerniedrigung, welche auf der 
Hochebene Centralſpaniens während der heißen Jah— 
reszeit allmälig eintritt, hatten die Holzmacher eine 
ſo enorme Menge von Stroh in die Wälder der Ser— 
rania mitgenommen. 

Sobald der Tag graute, brachen wir wieder auf. 
Einer der Holzſchläger begleitete uns bis an die Stelle, 
wo der Weg nach Villora den erwähnten Bach über— 
ſchreitet, deſſen Uebergang daſelbſt und bei Tageslicht mit 
keiner Gefahr verbunden war. Von Neuem nahm uns 
ein dunkles Waldesdickicht auf. Das Terrain iſt hier 
außerodentlich coupirt und daher der Weg ſehr ſchlecht. 
Endlich wird die Waldung lichter, hört bald auf, und 
man tritt in ein weites, von einem muntern Bach durch— 
ſtrömtes, mit Wieſen, Getreide- und Gemüſefeldern er— 
fülltes Thal, an deſſen entgegengeſetztem Abhange der 
Flecken Villora neben einer, auf ſteilem Felsvorſprunge 
thronenden Bergruine höchſt maleriſch liegt. Hinter die— 
ſem Orte, in deſſen ärmlicher, doch ziemlich reinlicher 
Poſada wir eine Stunde raſteten, um zu frühſtücken, folgt 
abermals ein hügliches, unbewohntes Plateau von meh— 
reren Stunden Breite, welches jedoch nur mit Unterholz 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 14 


240 Das Thal des Gabriel. Cardenete. 


oder lichter Kiefernwaldung bedeckt iſt. Dieſes Platea: 
erſtreckt ſich weſtwärts bis an das tiefe und weite Thal 
des Cabriel, welches die waldige Gegend vielfach ge 
krümmt durchſchneidet. Der genannte Fluß iſt ſchon hie 
ziemlich bedeutend, und erinnert durch ſein prächtiges 
durchſichtig-blaugrünes Waſſer an die Alpenbäche de 
Schweiz und der Pyrenäen. Er vereinigt ſich, nachder 
er die nördlichſte Mauer der Gebirge des mittlern Ve 
lencia durchbrochen hat, mit dem Jucar, der ſtärkſter 
der in das mittelländiſche Meer fließenden Wafleraderıl 
die der Serrania entquellen. Das Thal des Gabriel i.“ 
wegen der waldumkränzten Sandſteinfelſen, mit denen ſein 
Gehänge geſchmückt ſind, ſehr pittoresk, und würde eine 
ſehr erfreulichen Eindruck machen, wäre es bewohnt un 
angebaut. Allein die fetten, zum Theil aus ſchwarz 
Dammerde beſtehenden Fluren ſeiner breiten Sohle lieg 
faſt völlig unangebaut, was um ſo mehr zu beklagen i 
als ſich dieſelben durch den Cabriel, deſſen Waſſer ni 0 
mals verſiegt, ſehr leicht bewäſſern, und dadurch zur il f 
pigſten Fruchtbarkeit zwingen ließen. Dieſes Thal wä⸗ . 
eine geeignete Gegend zur Anſiedelung von Auswand N 
rern. Eine gute Stunde von dem Thale des Gabe ı 
entfernt, liegt mitten auf dem hüglichen Plateau, in einn 
von Getreidefeldern ausgekleideten Einſenkung, der Fleck! 1 
Cardenete, woſelbſt wir Mittag machten. Die Gege) 

iſt ſehr öde, der Boden ſchlecht, und daher der Ort ſelt ki 


Der Fledeu Carboneras und Canada del Hoyo. 2114 


armſelig. Dicht neben demſelben zieht ein niedriger, 
kahler Höhenkamm hin, auf deſſen Scheitel die Ruinen 
einer Burg befindlich ſind. Von Cardenete brachte uns 
eine fünfſtündige Wanderung über eine weite hügliche 
Hochfläche, die bis auf wenige Stellen, wo ſich Rosmarin— 
und Wachholderheiden ausbreiten, mit dichter, hochſtäm— 
miger Nadelwaldung bedeckt und völlig unbewohnt iſt, 
nach dem großen Flecken Carboneras. Dieſer liegt an 
den Abhängen eines iſolirten, kahlen, mit einer ſtolzen 
Burg gekrönten Hügels, umringt von ausgedehnten Ge— 
treidefluren, im Schooße einer weiten, rings von bewal— 
deten oder bebuſchten Höhen umgebenen Ebene, durch 
welche der Guadacaon, ein ſchmaler, aber tiefer Bach, 
Zufluß des Cabriel, ſtrömt. Nach Ueberſchreitung deſſel— 
ben gelangten wir in ein waldiges Thal, das ſich all— 
mälig gen Weſten zwiſchen bewaldeten Hügeln hinein— 
zieht. Hier liegt, am rechten Thalgehänge, der Flecken 
Canada del Hoyo, woſelbſt ich mich entſchließen mußte, 
zu bleiben, obwohl es in der Poſada weder ein Gemach 
noch ein Bett gab, weil die Nacht bereits hereingebroche. 
war. Dicht über dem Dorfe erheben ſich, wie ich erſt 
am anderen Morgen bemerkte, die hohen Mauern eines 
befeſtigten, noch wohlerhaltenen Schloſſes von alterthüm— 
licher Bauart. 

Der Weg nach Cuenca läuft in dem Thale von 
Canada aufwärts, deſſen Grund mit moorigen Wieſen er— 

14 * 


212 Las Zomas. Mohorte. Austritt aus der Serrania. 


füllt iſt. Man gelangt bald in ſchöne, hochſtämmige un 
ſehr dichte Kieferwaldung, welche ſich bis in die Nähl 
des zwei Stunden von Canada entfernten Dorfes la 
Zomas erſtreckt. Dieſer Ort liegt in einer weiten, baun 
loſen, gänzlich mit Weizenfluren erfüllten Thalmulde. Da N 
bewaldete Plateau, über welches der Weg aus dem Thal 

von Canada führt, endet hier plötzlich mit einem ſteiler 


Höhenzuge, liegt das Dorf Mohorte, von wo ma! 
nach einer einſtündigen Wanderung durch Getreideflure 
auf die erſt vor wenigen Jahren vollendete Chauſſee ge 
langt, welche Cuenca mit der von Requena nach Madri 
führenden Heerſtraße verbindet. Dieſe neue Straße i 


hin, welche aus Gyps- und Mergelſchichten beſtehen. E 
dauert nicht lange, fo taucht die pyramidale Spitze de“ 
Thurmes der Cathedrale von Cuenca zwiſchen zwei nac 
ten, durch einen tiefen Einſchnitt von einander getrem 
ten Felsbergen empor, welche die Ausſicht gegen Norde 
in geringer Entfernung begränzen. Es war eben Mil 
tag, als wir zu einem, auf einer Anhöhe ſtehenden Chan! 
ſeehauſe gelangten, von wo eine hübſche Promenade läng a 
der ſchnurgerade gelegten Straße bis an die blos no 


Anſicht von Cuenca. Lage dieſer Stadt. 213 


ine halbe Viertelſtunde entfernte Vorſtadt von Cuenca 
yinabführt. Erſt hier gewinnt man eine einigermaaßen 
vollftändige Anſicht von Cuenca, denn vollkommen kann 
nan dieſe Stadt wegen ihrer höchſt eigenthümlichen Lage 
von keiner Seite aus überſehen. Cuenca liegt nämlich 
mf dem Gipfel und an den Abhängen eines ſteilen, 
wiſchen den bereits erwähnten Felſenbergen befindlichen 
Hügels, welcher von dieſen Bergen durch zwei tiefe, enge, 
paltenartige Thalſchluchten geſchieden iſt. Durch die 
lördliche Schlucht ſtrömt der Jucar, deſſen tiefe einge— 
zwängte Waſſermaſſe eine dunkel-blaugrüne Farbe beſitzt; 
durch die ſüdliche, ein kleiner Bach, Namens Huecar, 
welcher am Anfange der Stadt in den genannten Fluß 
mündet. Dieſſeits dieſes Baches liegt die Vorſtadt, eine 
breite Straße mit ſchönen, modernen Gebäuden, während 
die eigentliche Stadt ein höchſt alterthümliches, von der 
Zeit und vom Wetter geſchwärztes Neft iſt. Ihre Lage 
erinnerte mich an Bern, nur iſt das Thal von Cuenca 
viel enger, der Hügel, auf und an dem es liegt, viel 
höher und ſteiler, die Gegend dürr und baumlos, 
ganz, wie um Teruél. Eine hochgeſpannte Brücke ver— 
bindet die Vorſtadt mit der eigentlichen Stadt, an deren 
Eingange ich in einem großen, leidlich eingerichteten 
Gaſthofe ein kühles Gemach bezog, deſſen Balcon mir 
eine prächtige Ausſicht über den, mit Gemüſegärten er— 
füllten Thalgrund des Huecar und nach den freundlichen 


244 Geſchichte, Einwohnerzahl und Bauart von Cuenca. 


Häuſerreihen der gegenüberliegenden Vorſtadt darbo: 
hinter welcher ein kahler, auf ſeiner Spitze mit einer 
maleriſchen Kloſter gekrönter Hügel aufragt. 

Cuenca, Hauptſtadt der ſüdöſtlichſten Provinz vo 
Neucaſtilien und Sitz eines Biſchofs, ward von de 
Mauren gegründet und gerieth zuerſt auf friedlich 
Weiſe unter die Herrſchaft der Chriſten, indem es Ben 
Abet, König von Sevilla, feiner Tochter Zaida, als die! 


im Jahre 1072 von dem Könige Alphons VI. vo) 


Caſtilien zum Aerger der geſammten Chriſtenheit zu 
Gemahlin erkoren wurde, zum Hochzeitsgeſchenk macht 
Durch Empörung der mauriſchen Bevölkerung fiel d 


Stadt zu wiederholten Malen in die Hände der muhı 


medaniſchen Fürſten, bis fie im zwölften Jahrhunder 
durch Alphons IX. von Caſtilien dem Halbmond an 
immer entriſſen ward. Früher mag die Stadt bevölke 
ter geweſen ſein; gegenwärtig zählt ſie blos etwa 800 
Einwohner. Sobald ich mich etwas von den Strapatze 
der Reiſe erholt und die unterwegs gemachten Samn 


lungen in Ordnung gebracht hatte, ging ich aus, um d 
Stadt in Augenſchein zu nehmen. Cuenca iſt höchſt un 
regelmäßig gebaut und liegt noch viel unebener als T 


ruél, welcher Stadt es auch hinſichtlich der Bauart fein. 
Häuſer ſehr ähnelt. Die Gaſſen find eng und winklic 


ſteigen ſehr ſteil an und beſitzen ein gräuliches Pflafte: 
die Häuſer haben nicht ſelten bis ſechs Stockwerke ur 


Kirchen und Klöſter. Die Cathedrale. 215 


ſehen ſehr finſter aus, indem der Sandſtein, aus dem 
ſie erbaut ſind, an der Luft mit der Zeit ſchwarz wird. 
An mehreren Stellen der Hauptſtraße, die ſich von der 
Brücke über den Huecar bis zur Cathedrale erſtreckt, war 
man beſchäftigt, Ehrenpforten zu errichten, indem den 
3. September die Königin Criſtina, welche ſich damals 
mit ihrem Gemahle in dem benachbarten Tarrancon be⸗ 
fand, nach Cuenca kommen wollte. Die Einwohnerſchaft 


ſchien über dieſe der Stadt zugedachte Ehre nicht gerade 


ſehr entzückt zu ſein. Trotz dem, daß Cuenca nur eine 
Mittelſtadt iſt, beſitzt es nicht weniger als 13 Kirchen 
und 12 Klöſter. Unter den Kirchen verdient beſonders 
die Cathedrale den Beſuch der Reiſenden. Dieſelbe ſteht 
auf dem höchſten Puncte des Stadthügels, an einem klei⸗ 
nen, aber hübſchen, von gut gebauten Häuſern umgebenen 
Platze, auf den die Hauptgaſſe der Stadt durch ein hohes, 
aus drei Bogen beſtehendes Thor von gothiſcher Bauart 
mündet. Die Cathedrale wurde unter der Regierung 
Alphons IX. erbaut, der mit eigener Hand den Grund⸗ 
ſtein zu derſelben gelegt haben ſoll. Sie beſitzt die Form 
eines Kreuzes, im Inneren drei Schiffe und tft durch⸗ 
gängig gothiſch. Mit Ausnahme der Hauptportals und 
der Fenſter, welche mit gothiſchen Sculpturen ſchön ver— 


ziert ſind, entbehrt ſie des architectoniſchen Schmuckes 
faſt völlig. Das Schönſte in ihr iſt der impoſante Säu⸗ 


lengang, welcher das Hauptaltar halbzirkelförmig umgiebt, 


216 Die Puente de S. Pablo. Anſicht d. Stadt aus d. Huecarthale. | 


ganz ähnlich, wie in der Kirche der Abtei Beruela. Ueber | 
dem Kirchhauſe erhebt ſich ein dicker, aber ziemlich niedri- 
ger Thurm, welcher in eine hohe pyramidale Steinſpitze 
ausläuft. Dieſelbe iſt zwar durchbrochen, doch nicht von | 
gothiſcher Bauart und ſtammt daher wahrſcheinlich aus ö 
einer viel ſpätern Zeit, als die Kirche ſelbſt. Von der 0 
Cathedrale begab ich mich nach der Puente de San 
Pablo, der Paulsbrücke, welche über die tiefe Thalſchlucht 
des Huecar führt. Sie iſt unbedingt das großartigſte 
Bauwerk, welches Cuenca beſitzt. Ihre Länge beträgt 
350, ihre größte Höhe 450 Fuß. Sie beſteht im Gan— 
zen aus fünf Bogen, deren Pfeiler theils auf Felsklippen 
des Baches, theils auf den beiden Abhängen der Schlucht 
ruhen. Impoſant iſt der Anblick, den ſowohl dieſes Rie- 
ſenwerk, als die Stadt überhaupt, von dem entgegenge— | 
ſetzten Gehänge des Huecarthales unterhalb der Brücke 
darbietet. Dicht am Rande der ſchroffen, zum Theil 
überhängenden, von dunkeln Schluchten zerklüfteten Fel- 
ſen, welche den Stadthügel auf dieſer Seite umgürten, | 
erheben ſich ſtattliche, vier bis ſechs Stockwerke hohe | 
Häuſer mit vielen Balcons, hinter denen die Gebäude 
der inneren Stadt terraſſenartig, maleriſch gruppirt, em⸗ | 
portauchen, überragt von den Thürmen der zahlreichen 
Kirchen und Klöſter, unter denen ſich die Cathedrale mit 
ihren gothiſchen Zinnen und ihrer hohen Steinpyramide | 
am beften ausnimmt. Den Hintergrund bilden die gro- 


Anſicht der Stadt aus dem Huecarthale. 217 


tesken Felsmaſſen des jenſeits des Jucarthales ſich erhe— 
benden Berges. Thalabwärts ſchaut man über die grü— 
nen, von dem ſpärlichen Waſſer des Huecar befruchteten 
Gärten und die freundlichen Häuſerreihen der Vorſtadt 
weit in das theils kahle, theils waldige Hügelland, wel— 
ches ſich weſtwärts von Cuenca ausbreitet, hinaus; 
thalaufwärts dagegen ſieht man durch die hohen Rund— 
bogen der Paulsbrücke in eine wilde, enge Felſenſchlucht 
hinein, aus deren unzugänglichem Grunde der Huecar 
hervorſtrömt. Dieſe Anſicht von Cuenca würde ebenſo 
anmuthig ſein, als ſie großartig iſt, wären die maleriſch 
geformten Felſen und die Abhänge der Berge mit reicher 
Vegetation geſchmückt. Dies iſt aber leider nicht der 
Fall, indem faſt kein Strauch, geſchweige denn ein Baum 
am Ufer des Huecar oder an den Abhängen ſeines Thales 
wächſt, und daher die Stadt ebenſo dürr daliegt, wie 
Teruél. Die grauen nackten Felsmaſſen, die dem Auge 
nach allen Seiten hin begegnen, und die finſtern ſchwar— 
zen Gebäude der Stadt verleihen dieſem an und für ſich 
höchſt maleriſchen und ſchönen Landſchaftsbilde einen un— 
gemein ernſten und düſtern Charakter. Die entgegenge— 
ſetzte Anſicht der Stadt kenne ich nicht, da meine Zeit 
es mir nicht erlaubte, das Jucarthal zu beſuchen. Die— 
ſes ſoll noch viel unzugänglicher ſein, als das Huecar— 
thal, was auch ſehr natürlich iſt, da der Jucar eine ſehr 
bedeutende Waſſermaſſe führt, die hier eng zuſammenge— 


218 Abreiſe von Cuenca. Horcajada de la Torre. 


drängt ſein und daher den ganzen Grund der Schlucht 
ausfüllen muß. Die Stadt iſt, gegen das Jucarthal hin, 
ebenſo auf der Seite der Vorſtadt, von alten, him— 
melanſtrebenden, zinnengekrönten Mauern umſchloſſen. 
Ich muß geſtehen, daß ich keine zweite Stadt kenne, 
die eine ſo merkwürdige Lage hätte, und einen ſo 
eigenthümlichen Anblick darböte, wie Cuenca. Selbſt, 
Ronda, Alhama und andere Felſenſtädte Spaniens machen 
nicht den Eindruck, wie Cuenca. Am meiſten ähnelt 


noch dem beſchriebenen Bilde die ſüdliche Anſicht von 


Toledo. 


Bereits den folgenden Tag nach meiner Ankunft, 
am 29. Auguſt, verließ ich Cuenca wieder, und zwar 
gerade zur Zeit der größten Hitze, indem das Viſiren 
der Päſſe, welches der Wirth des Gaſthofes Abends zu- 


vor zu beſorgen vergeſſen hatte, und nun erſt um 14 Uhr 


geſchehen konnte, meine Abreiſe bis Mittag verzögerte. 
Ich übernachtete in Horcajada de la Torre, einem 
am Giguela, Zufluſſe des Guadiana, gelegenen Dorfe, 
wohin wir erſt ſpät in der Nacht kamen. Die Straße 
führt bis dahin anfangs über ein hügliches, kiefernbe- 
waldetes Plateau, welches man als den weſtlichſten Vor— I\ 
poften der Serrania von Cuenca betrachten kann, ſodann | 
in einem weiten, flachen, baum- und waſſerarmen Thale 


hin, in dem mehrere Ortſchaften liegen, und in welches, 
eine Stunde vor Horcajada, der von Südoſten herkom— 


| 
| 
1 


Eintritt in die caſtilianiſche Steppe. Alcazar del Rey. 219 


mende Giguela, hier ein kleiner Bach, eintritt. Die 
dieſes Thal einſchließenden Höhen beſtehen zum großen 
Theil aus Gyps führenden Mergel- und Thonſchichten, 
welche oft ſalzhaltig ſind. Von Horcajada an nehmen 
der Gyps und mit ihm der Salzgehalt des Bodens über— 
hand, weshalb von hier an die Gegend ſehr nackt und 
öde iſt, indem dieſe Bodenarten keinen Anbau geſtatten, 
der hier auch wegen des Mangels an Waſſer ſehr er— 
ſchwert wird. Dieſe Gypsformation erſtreckt ſich meh— 
rere Meilen weit nach allen Seiten, weſtlich bis in die 
Gegend von Tarrancon und bildet einen der triſteſten 
Theile des großen, im Centrum Neueaſtiliens ſich aus— 
breitenden Steppengebiets, welches ich mit dem Namen 
der centralen oder caſtilianiſchen Steppe belegt habe“). 
Die Sonne brannte furchtbar in dieſer kreideweißen, völ— 
lig baumloſen, nur mit Büſcheln von grauen Salzpflanzen 
beſtreuten Einöde, zwiſchen deren abgerundeten Hügeln 
und langgeſtreckten Kämmen hier und da, wo der Boden 
einen nur geringen Salzgehalt beſitzt und ſich Brunnen— 
waſſer in der Erde findet, ein kleines, elendes Dorf liegt. 
Bald hinter Alcazar del Rey, wo wir Mittag mach— 
ten, erhebt ſich der Boden mehr, beginnt aus tertiärem 
Kalk zuſammengeſetzt und gleichzeitig fruchtbar zu werden. 
Die Straße läuft eine Zeit lang durch eine enge, von 


) Vgl. meine Schrift über „die Strand- und Steppengebiete 
der iberiſchen Halbinſel“, S. 83 ff. 


220 Huelves. Das Thal des Rianzares. Die Stadt Tarrancon. 


niedrigen Kalkfelſen umgürtete Schlucht, die ſich ſpäter 
zu einem Thale erweitert, in deſſen grünem, gut ange— 
bautem Grunde der Flecken Huelves liegt; bald aber 
ſteigt ſie zu einem ebenen Plateau empor, welches gegen 
Süden von der weiten Thalmulde des Baches Rian— 
zares, einer Fortſetzung des Thales von Huelves, begränzt 
iſt. An dem jener Thalmulde zugekehrten Abhange die— 
ſes Plateau's liegt zwei Stunden weſtlich von Huelves 
die kleine und ſehr ſchlecht gebaute Stadt Tarrancon, 
die wenige Wochen vor meiner Durchreiſe zum Range 
einer „ciudad“ erhoben worden war, weil ſie das große 
Verdienſt hat, der Geburtsort des bekannten Munoz, 
des gegenwärtigen Gemahls der Königin Chriſtine, zu 
fein, welcher feinen Herzogstitel von dem bei Tarrancon 
vorbeifließenden Bache entlehnt. Mufoz will daſelbſt einen 
großen Pallaſt erbauen, um mit ſeiner Gemahlin bis— 
weilen dort reſidiren zu können. Auch damals befan- 
den ſich Beide in Tarrancon, wo fie beliebt find, da fie 
der Bürgerſchaft bedeutende Schenkungen gemacht haben 
und durch die Bauten, welche Munoz daſelbſt aufführen 
läßt, viele Einwohner dauernde Beſchäftigung und reich— 
lichen Verdienſt finden. Eine Schöpfung des Herzogs 
von Rianzares war damals bereits vollendet, nämlich 
eine ſehr ſtattliche, von Blumengärten und Alleen um— 
ringte Hermita, die eine halbe Stunde von Tarrancon, 
nahe bei der Straße nach Cuenca auf einem Vorſprunge 


Anweſenheit der Königin Criſtine. Nacht in Belinchoͤn. 224 


über dem Thale des Rianzares ſteht und eine hübſche Aus— 
ſicht auf dieſes anmuthig grüne Thal und auf die Stadt 
darbieten mag. Die Stadt ſelbſt hat ein höchſt armſe— 
liges Ausſehen, indem ſie zum größten Theil aus ein— 
ſtöckigen Häuſern von erdfahler Farbe beſteht. Auf dem 
Conſtitutionsplatze war man eben beſchäftigt, einen Cir— 
eus für ein Stiergefecht zu errichten, welches das Ayunta— 
miento der Criſtine zu Ehren Tags darauf veranſtalten 
wollte. Ohne mich aufzuhalten, ritt ich durch die ſtau— 
bigen Gaſſen, die hier und da mit Ehrenpforten ge— 
ſchmückt waren, hindurch und ſetzte meine Reiſe noch bis 
Belinchoͤn fort, welchen Ort ich zum Nachtquartier 
erkoren hatte. Dieſer ebenfalls ſehr ärmlich ausſehende 
Flecken liegt an der neuen, von Requena nach Madrid 
führenden Straße, auf welche die von Cuenca kommende 
Chauſſee in Tarrancoͤn ausmündet. Die Gegend zwi— 
ſchen Tarrancon und Belinchoͤn tft ebenfalls ſehr öde, 
ein welliges, oder von niedrigen, langgeſtreckten Höhen 
durchzogenes Plateau ohne Bäume und größtentheils 
unangebaut. Nur am Ausgange von Tarrancon befinden 
ſich einige Olivenpflanzungen und ziemlich viel Wein— 
gärten, die einen guten Rothwein liefern ſollen. Belin— 
choͤn liegt am Abhange einer ganz nackten und dürren 
Hügelkette. In ſeinen Umgebungen bemerkte ich viele 
Weizenfelder, aber keinen einzigen Baum. Die Poſada, 
in der ich die Nacht zubrachte, war ſehr armſelig beſtellt, 


222 Dede unfruhtbare Gegend. Das Thal des Tajo. 


doch reinlicher, als das Ausſehen des Ortes und des 
Gebäudes erwarten ließ. 

Zwiſchen Belinchoͤn und Arganda del Rey, wo 
ich die letzte Nacht vor Madrid zubrachte, herrſchen wie— 
der die ſalzhaltigen, Gyps führenden Mergel- und Thon- 
ſchichten vor, weshalb das Land wenig bebaut und be— 
völkert iſt, und einen ſehr triſten Anblick gewährt. Von 
den Gipfeln der Höhenkämme aus, welche das Plateau 
durchziehen, überſchaut man eine hügliche, weißgraue 
Fläche ohne Bäume, ſo weit das Auge reicht. Am ödeſten 
iſt die Gegend weſtlich von Belinchoͤn, wo ſich eine wüſte 
„Salzſteppe ausbreitet, die ſich drei Meilen weit bis in 
die Nähe von Ocana und Aranjuez erſtreckt und nur 
zwei oder drei kleine elende Ortſchaften in ihrem wafjer- 
(ofen Schooße beherbergt. Eine Stunde hinter Belinchon 
überſteigt die Chauſſee einen Höhenzug, von dem aus 
man das Thal des Tajo in geringer Entfernung vor 
ſich erblickt. Daſſelbe iſt ziemlich breit; ſeine niedrigen, 
aber ſteilen Abhänge beſtehen aus nackten, wunderlich 
zerklüfteten Mergelhügeln von weißer oder röthlicher Farbe. 
Der Tajo beſitzt hier eine viel größere Breite als bei 
Aranjuez, obwohl dieſer Ort drei Meilen weiter abwärts 
liegt. Trotz der bedeutenden Waſſermaſſe des Fluſſes, 
welche zu jeder Jahreszeit eine reichliche Bewäſſerung 
der breiten, vollkommen ebenen Sohle des Thales ge— 
ſtattete, iſt der Boden völlig unangebaut. Kaum bemerkt 


Fuentiduenas. Villarejo. Perales. Das Thal des Tajuſa. 223 


man einige wenige Gemüſefelder und Bäume bei dem 
Flecken Fuentiduenas, welcher hart am jenſeitigen Ufer 
des Tajo am Fuße eines dürren, burggekrönten Hügels 
liegt. Früher mußte man hier den Fluß in einer Fähre 
überſchreiten; jetzt führt eine lange, elegante Hängebrücke 
(eine Drathbrücke) über denſelben. Nach einem dreiſtün— 
digen Ritte durch hügliche, entſetzlich ſtaubige und öde 
Gypsgelände erreichten wir gegen Mittag das große, ganz 
eben gelegene, mit einer gothiſchen Kirche gezierte 
Städtchen Villarejo de Salvanés, woſelbſt wir 
einige Stunden verweilten. Anderthalb Leguas weiter 
weſtlich kreuzt die Straße das tiefe und enge Thal des 
Rio Tajufa, welches wegen des ſchönen Anbaues ſei— 
ner Sohle nach den vorhergehenden öden Mergelhügeln 
den Eindruck einer Oaſe hervorbringt. Hier liegt am 
rechten Thalgehänge Perales, ein freundlicher Flecken 
mit einer ſchönen, waſſerreichen Quelle. Von neuem 
windet ſich die Straße zu dem nackten Plateau hinauf, 
welches bald ſehr hüglich und felſig wird. Es war ge— 
gen Sonnenuntergang, als wir auf eine Höhe und an 
den Rand eines engen, felſigen Barranco gelangten, in 
den die Chauſſee ſich hinabſenkte. Hier eröffnete ſich 
uns plötzlich eine weite Ausſicht, die trotz der fürchter— 
lichen Kahlheit der Gegend wegen der duftigen, glühen— 
den Abendbeleuchtung überaus reizend war. Vor uns, 
zu unſern Füßen, entfaltete ſich die geräumige, üppiggrüne 


224 Anſicht von Madrid. Die Stadt Arganda del Rey. 


Ebene des Jaramathales, aus deren zahlreichen Oliven-, 
Maulbeer- und Rebenplantagen die Thürme der Stadt Ar- 
ganda emportauchten. Jenſeits der nackten, in den farben- 
reichſten Tinten erglühenden Mergelhügel, welche das Ja— 
ramathal begränzen, breitete ſich das hügliche Plateau von 
Madrid aus, umwallt längs des Horizonts von der male— 
riſchen Kette des hohen Guadarramagebirges. Scheinbar 
dicht an deſſen Fuße konnten wir ſehr deutlich die lang 
hingeſtreckte Häuſermaſſe der Hauptſtadt Spaniens un- 
terſcheiden. Unweit des Ausganges der erwähnten Schlucht 
liegt am ſanft geneigten Abhange des Jaramathales die 
Stadt Arganda del Rey. Man glaubt ſich hier in 
einen ganz anderen Theil Spaniens verſetzt, indem ſo— 
wohl die Stadt ſelbſt ein ſehr freundliches Ausſehen 
hat, als ihre Umgebungen ſehr ſorgfältig, in ganz valen- 
cianiſcher Weiſe, angebaut ſind. Ein breiter Gürtel 
von wohl bewäſſertem Gartenlande, von vielen Oels, 
Maulbeer- und Feigenbäumen beſchattet, und hier und 
da mit hübſchen Landhäuſern geſchmückt, umſchlingt die 
Stadt gegen Norden, Oſten und Weſten, während 
die gegen Süden ſich erhebenden Höhen über und 
über mit Weinreben bedeckt ſind. Es wächſt hier 
ein vortrefflicher Rothwein, der dem berühmten Wein 
von Valdepenas in der Mancha ähnelt. Die Stadt 
iſt regelmäßig gebaut und beſitzt mehrſtöckige, mit 
Balcons geſchmückte Häuſer und mehrere ſtattliche Kir⸗ 


Die Thäler des Jarama und Manzanares. Vacia-Madrid. 225 


chen und Klöſter. Auch findet man hier recht leidliche 
Gaſthöfe. 

Arganda del Rey iſt blos vier Leguas von Madrid 
entfernt. Ich brach daher am folgenden Morgen, — am 
1. September — zeitig auf, um wo möglich die Haupt— 
ſtadt Spaniens noch vor Mittag zu erreichen. Das 
Wetter war ſchön, nur etwas windig, weshalb wir viel 
vom Staube zu leiden hatten. Fortwährend zwiſchen 
Weingärten, die voller halbreifer Trauben hingen, führt 
die mit Ulmen bepflanzte Chauſſee ſchnurgerade bis an 
den Jarama, der hier noch breiter, als der Tajo bei 
Fuentiduenas und in drei Arme getheilt iſt. Auch dieſen 
Fluß überſchreitet die Straße auf einer Drathbrücke, 
welche in drei Abtheilungen zerfällt und eine ſehr be— 
deutende Länge beſitzt. Das Jaramathal macht einen viel 
freundlicheren Eindruck, als das Tajothal, indem die 
Ufer des Fluſſes mit hübſchen Wäldchen von Silberpap— 
peln, Ulmen und Eichen eingefaßt ſind. Ebenſo baum— 
reich iſt das Thal des Manzanares, welcher etwa eine 
Viertelſtunde unterhalb der Hängebrücke in den Jarama 
mündet. Man überſchaut ſein Thal eine ziemliche Strecke 
weit, indem die Chauſſee an ſeinem linken Gehänge aus 
dem Jaramathale zu dem Plateau von Madrid empor— 
ſteigt. Links von der Straße liegen in der Tiefe un— 
weit des Manzanares die zerſtreuten Gebäude des Fleckens 
Vacia-Madrid, in deſſen Nähe ein Mineralwaſſer quillt. 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 15 


226 Pallaſt der Mari: Zäapalo. Vallecas. Der Hügel Almodovar. 


Rechts von der Straße erblickt man auf einer Anhöhe 
ein Schloß, vom Volke der Pallaſt der Mari-Zäpalo 
genannt. Dieſes Schloß, welches auf Befehl des be— 
rühmten Grafenherzogs (conde-duque) von Olivarez, 
Miniſters und Günſtlings von Philipp IV., erbaut wurde, 
diente nämlich als Gefängniß für die ſchöne Maria Zapalo, 
eine der vielen Maitreſſen des genannten Königs, nachdem 
dieſelbe in Ungnade gefallen war. Von hier aus läuft 
die Straße abermals zwei Leguas weit zwiſchen nackten 
Mergelhügeln hin, worauf ſie in eine Depreſſion einbiegt, 
in welcher der große, lebhafte Flecken Vallecas liegt, 
deſſen ſtattliche Gebäude, und deſſen ganzes eultivirtes 
Anſehen die Nähe einer großen Stadt verkünden. Nahe 
dabei, gegen Nordoſten, erhebt ſich ein tafelförmig ab— 
geplatteter, mit Weinreben bepflanzter Hügel, der Cerro 
de Almodovar, auf dem der letzte Thurm der Tele— 
graphenlinie von Valencia nach Madrid ſteht. Dieſer 
Hügel iſt in geognoſtiſcher Hinſicht höchſt merkwürdig, 
indem er zum großen Theil aus Meerſchaum beſteht. 
Eine halbe Stunde hinter Vallecas ſteht auf der Höhe 
des die erwähnte Einſenkung gegen Nordweſt begränzen— 
den Kammes ein Chauſſeehaus. Hier erblickt man plötz⸗ 
lich Madrid in größter Nähe, indem nur noch ein“ 
flaches Thal, durch deſſen mit Weizenfluren und Ge— 
müſefeldern erfüllten Grund der im hohen Sommer gänz— 
lich vertrocknende Bach Briüigal fließt, dazwiſchen liegt.“ 


Anſicht von Madrid. Die Eiſenbahn nach Aranjuez. 227 


Madrid nimmt ſich von hier ſehr ſtattlich aus, beſonders, 
weil hinter dem gewaltigen, von vielen Thürmen über— 
ragten Häuſermeere die impoſanten Granithäupter des 
Guadarramagebirges emportauchen, welches den ganzen 
nördlichen und weſtlichen Horizont umſchließt; allein die 
Umgebungen ſind doch troſtlos, denn mit Ausnahme der 
Alleen, welche ſich um die Stadt ſchlingen und längs des 
zur linken im Thale laufenden Kanals des Manzanaras 
ſich hinziehen, bemerkt man keinen Baum, faſt kein Grün. 
Einen eigenthümlichen Eindruck machte auf mich die 
damals noch nicht vollendete Eiſenbahn nach Aranjuez, 
welche ſich links von der Straße hinſchlängelt und bald 
zwiſchen hohen Durchſtichen dem Auge entzieht. Ich 
glaubte bei'm Anblick der in dem gewöhnlichen Eiſen— 
bahnſtyle erbauten Brücken, Bahnwärterhäuschen, Tele— 
graphen u. ſ. w. mich gar nicht in Spanien zu befin— 
den! — Eine vierfache Ulmenallee führt von dem er— 
wähnten Chauſſeehauſe ſchnurgerade bis zur Brücke über 
den Brinigal und von hier bis zur Puerta de Atocha 
empor, woſelbſt wir gerade um 1 Uhr anlangten. Nahe 
bei dem genannten Thore, links von der Straße, befin— 
det ſich in einer tiefen Aushöhlung der Bahnhof der 
genannten Eiſenbahn, deſſen Gebäude damals erſt im 
Baue begriffen waren. Da ich kein Verlangen darnach 
trug, mit meinem ſtaubigen Reiſehabit und meinem ſelt— 
ſam ausſtaffirten Packpferde der Madrider Gaſſenjugend 
15 * 


228 Ankunft in Madrid. 


ein Schauſpiel zu geben, ſo flüchtete ich mich in die erſte 
beſte Poſade der prächtigen Straße von Atocha, bezog 
aber, da dieſe Poſade eine der ſchlechteſten war, die es 
in Madrid geben kann, noch denſelben Abend ein Pri— 
vatlogis an der hübſchen Plazuela de Santa Ana, 
welches gegen meinen Willen viertehalb Monate lang 
mein Standquartier werden ſollte. — 


Siebentes Kapitel. 


Bilder aus Madrid und feiner Umgegend. 


Wenn ſchon Valencia den Eindruck einer im regen 
Fortſchritte begriffenen Stadt auf mich gemacht hatte, ſo 
wiederholte ſich derſelbe in Madrid in noch viel ſtärkerem 
Maaße. Ich hatte die Hauptitadt der ſpaniſchen Monar⸗ 
chie ſeit 1844 nicht mehr geſehen. Damals konnte ich 
blos zwei Wochen daſelbſt verweilen; nichtsdeſtoweniger 
war Madrid mit allen ſeinen Einzelnheiten in den leb— 
hafteſten Farben in meiner Erinnerung zurückgeblieben. 
Deſto mehr mußten mir die vielen und weſentlichen Ver: 
änderungen auffallen, welche die Stadt und ihre Umge— 
bungen während der ſechs Jahre meiner Abweſenheit er— 
litten hatten. Der Grundriß der Stadt war allerdings 
noch derſelbe, allein viele Gaſſen und Plätze hatten ein 
ſo total verſchiedenes Anſehen erhalten, daß ich ſie nur 
mit Mühe wieder erkennen konnte. Madrid gehört jetzt 
zu den prächtigſten Städten Europa's, die ich geſehen 


230 Verſchönerungen Madrids ſeit 4844. 


habe. In den an und für ſich ſchon prachtvollen Stra— \ 
ßen von Alcala, San Geronimo, Atocha, Carretas, de la“ 
Montera, Toledo und andern ſind viele ſehr ſchöne Ge— | 
bäude, zum Theil wahre Palläſte an der Stelle älterer, | 
unſcheinbarer Häuſer erbaut worden. Die Zahl und die 


Eleganz der Kaufläden und Cafés hat ſich vermehrt; ja, 


was die Cafés anlangt, ſo dürfte es jetzt ſelbſt in Paris 
nur wenige geben, welche an Größe, Pracht und Luxus 


den erſten Cafés von Madrid gleichkämen. Gleiche Ele- 


ganz, gleichen Luxus tragen die Kaufläden, wenigſtens 
in den Hauptſtraßen, zur Schau. Dazu kommt, daß die 
Gebäude in Madrid nicht fo finſter, fo verräuchert aus- 
ſehen, wie die Häuſer von Paris; die Straßen im All- 
gemeinen daſelbſt breiter, die Häuſer weniger hoch find, | 
wie dort. Dieſer Umſtand, verbunden mit der ſüdlichen, 
gefälligen Bauart der Häuſer, den platten Dächern und | 
zahlloſen Balcons, verleiht der Hauptftadt Spaniens ein 
ungemein freundliches, heiteres Anſehen. Auch hat Madrid 
vor Paris den Vorzug größerer Reinlichkeit. Eine weſent— | 
liche Verſchönerung hat Madrid durch die Einführung der 
Gasbeleuchtung erfahren. Zwar iſt noch nicht die ganze 
Stadt mit Gas beleuchtet, jedoch erfreuen ſich bereits die 
ſämmtlichen Hauptgaſſen und Plätze, und viele Nebengaſ— 
ſen, desgleichen die prächtige Promenade des Prado der 
Gasbeleuchtung. Es giebt zwei Gasbereitungsanſtalten, 
von denen die eine blos zur Erleuchtung des königlichen 


Die Gasbeleuchtung. Der neue Cortespallaſt. 234 


Schloſſes und ſeiner Umgebungen beſtimmt iſt. Die an— 
dere, vor dem Thore von Toledo gelegene, beſitzt eine 
bedeutende Größe, kann aber trotzdem nicht ſo viel Gas 
liefern, als die Erleuchtung der geſammten Stadt erfor— 
dert. Die Straßen ſind gut, doch nicht ſehr brillant be— 
leuchtet; dagegen findet eine große Verſchwendung von 
Gas in den Cafés und den größern Kaufhallen ſtatt. 
Gerade deshalb ſehen aber die Straßen Madrids bei 
Abend außerordentlich glänzend aus. Impoſant iſt der 
Anblick, den die Straße von Alcala bei Nacht mit ihren 
endloſen Reihen von Gasflammen von der Puerta de 
Alcala aus darbietet, desgleichen der Anblick des Prado, 
deſſen Laubgänge jetzt im Scheine von Hunderten von 
Gasflammen ganz mährchenhaft ausſehen. Unter den 
neuen öffentlichen Gebäuden, welche während meiner Ab— 
weſenheit erbaut worden waren, ſind namentlich zwei 
herauszuheben, der neue Cortespallaſt und das königliche 
Theater. Beide wurden erſt während meiner letzten An— 
weſenheit in Madrid vollendet und eingeweiht. Der 
Pallaſt der Cortes befindet ſſch an der mit der Bild— 
ſäule des Cervantes geſchmückten Plaza de las Cortes, 
das Teatro real in der Nähe des Schloſſes zwiſchen der 
Plaza del Oriente und dem Platze Iſabella's II., der 
feinen Namen von einer im Jahre 1850 daſelbſt aufge— 
ſtellten Bronceſtatue der Königin erhalten hat. Der Cor— 
tespallaſt iſt ein ſchönes, doch nicht ſehr großes Gebäude 


232 Der neue Cortespallaſt. Das neue königliche Theater. 


im Style der Deputirkenkammer zu Paris. An der Haupt⸗ 
fagade vor dem Eingangsportal erhebt ſich ein ſtolzer 
Porticus mit doriſchen Säulen, deſſen Frontiſpiz ein in 
weißem Marmor ſehr ſchön ausgeführtes Hautrelief ſchmückt. 
Leider ſind die Stufen der Treppe, welche zu dieſem Por— 
ticus emporführen, zu ſchmal ausgefallen, wie es ſcheint, 
aus Mangel an Platz; ſonſt gewährt Piefe Treppe mit 
den beiden auf ihren Seitenmauern ruhenden Marmor- 
löwen einen ſehr ſchönen Anblick. Das Teatro real, 
früher Teatro del Oriente genannt, iſt ein wunderliches 
Gebäude. Es bildet ein längliches Sechseck von bedeu— 
tender Größe, macht aber keinen großartigen Eindruck, 
weil es in ſeinen einzelnen Theilen einen verſchiedenar— 
tigen Styl zeigt. Dieſe Verſchiedenartigkeit des Styles 
erklärt ſich daraus, daß der Bau zu wiederholten Malen 
unterbrochen und ſpäter von andern Meiſtern nach andern 
Plänen fortgeführt wurde. Die der Plaza del Oriente 
zugekehrte Hauptfagade iſt, entſprechend der Rundung die— 
ſes Platzes, concav und mit einem Porticus verſehen, den 
die Büſten Calderons, Lope's de Vega und anderer ſpa— 
niſchen Dramatiker zieren. Die innern Räume des Thea⸗ 
ters find ſehr ſchön. Namentlich gewähren der Schaufpiel- 
ſaal und die Bühne wegen ihrer gewaltigen Größe und 
ihrer prachtvollen Ausſchmückung einen imponirenden Anz 
blick. Ein ungemein ſchön geformter Kronleuchter ver— 
breitet durch Hunderte von Gasflammen Tageshelle in 


Pracht deſſelben. Die italieniſche Oper und das Ballet. 233 


der weiten eleganten Halle, deren Verzierung eben ſo 
geſchmackvoll, als reich iſt. Die königlichen Logen, das 
Parkett und die untern Logenreihen (im Ganzen giebt es 
deren fünf) tragen einen unbeſchreiblichen Luxus zur Schau. 
So iſt der Fußboden des Parketts mit Teppichen belegt 
und haben die mit purpurrothem Sammet überzogenen 
Sperrſitze die Form höchſt bequemer Fauteuils. Mit ähn— 
lichem Luxus ſind die Sperrſitze und Logen des jetzigen 
Teatro espanol, des ehemaligen Teatro del Principe, 
eingerichtet, und auch die übrigen Haupttheater (in Ma— 
drid exiſtirten damals acht öffentliche Theater) ſollen un— 
gemein prachtvoll ſein. Wie ſehr ſtehen in dieſer Hinſicht 
die franzöſiſchen Theater, ſelbſt die erſten Theater von 
Paris, Bordeaux und Lyon den ſpaniſchen nach! — Der 
Bau und die Einrichtung des königlichen Theaters ſollen 
Unſummen gekoſtet haben. Nicht weniger koſtet die Un— 
terhaltung des Beamtenperſonals, welches aus beinahe 
hundert Perſonen beſteht, der Kapelle und vor Allem der 
italieniſchen Operngeſellſchaft und des Ballets. Es wer— 
den nämlich in dem königlichen Theater blos große ita— 
lieniſche Opern und Ballets gegeben, indem für das Drama 
und Schauſpiel das Teatro espanol beſtimmt iſt. Für 
die erſte Saiſon, welche mit dem Namenstage der Köni— 
gin begann, an welchem Tage (den 19. November) das 
Theater eröffnet wurde, waren die bedeutendſten Künſtler 
Europa's für ungeheuere Summen engagirt worden. So 


23% Enormer Aufwand des königlichen Theaters. 


erhielten die beiden Primadonnen, zwei Italienerinnen, 
eine jede für jede Vorſtellung 10000 Realen (eirca 670 
Thaler Preuß.)! Einen nicht viel geringeren Gehalt be— 
zogen die übrigen Soloſänger. Als erſter Baſſiſt war 
ein Deutſcher engagirt worden, der bekannte Karl For— 
mes aus Köln. Der Koſtenanſchlag für die Sänger al— 
lein belief ſich auf die Dauer der Saiſon (6 Monate) 
auf vier Millionen Realen. Dieſer enorme Aufwand wird 
durch die Einnahme des Theaters lange nicht gedeckt. 
Denn trotz der bedeutend hohen Preiſe der Plätze (ein 
Parkettſitz koſtet 35 Realen = 2 Thlr. 10 Sgr.) müſſen 
bei jeder Vorſtellung, ſelbſt wenn das Haus vollkommen 
gefüllt iſt, 6000 Realen zugeſchoſſen werden. Der In— 
tendant oder Director des Theaters erhält daher einen 
jährlichen Zuſchuß von anderthalb Millionen Realen aus 
dem königlichen Schatze. Gegenwärtig bekleidet dieſe 
Stelle der bekannte Finanzmann Salamanca. Ich habe 
blos einer einzigen Vorſtellung im königlichen Theater 
beigewohnt, nämlich der Aufführung der „Puritaner“. 
Ueber die Leiſtung der Sänger, der Chöre und der Ka- 
pelle kann ich mir wegen Unkenntniß der muſikaliſchen 
Technik kein Urtheil erlauben. Ich für meinen Theil 
war vollkommen befriedigt; zwei eben anweſende deutſche 
und belgiſche Muſiker erklärten die Aufführung für eine 
durchaus gelungene. Die Decorationen und Coſtüme Gu 
jeder Oper waren neue angefertigt worden) dürften denen 


Die Tänzerin Fuoco. Verſchönerung. in d. Umgeb. d. Schloſſes. 235 


der großen Opern zu London, Paris, Wien u. ſ. w. nicht 
nachſtehen, ebenſowenig der ganze Apparat der Oper, der 
wahrhaftig impoſant iſt. Nicht minder vortrefflich und 
prachtvoll ſoll das Ballet ſein, welches ich nicht geſehen 
habe. Unter den Tänzerinnen ſpielte damals eine der 
erſten Rollen die Italienerin Fuoco, welche zu jener 
Zeit als Geliebte des Generals Narvaez der Gegenftand 
des Stadtgeſprächs war. — Die zwiſchen dem Teatro 
real und dem königlichen Schloſſe befindliche Plaza del 
Oriente, welche im Jahre 1844 noch zum großen Theil 
von alten, ſchlechten Häuſern umgeben war, iſt jetzt von 
prächtigen, pallaſtähnlichen Gebäuden umringt. Auch auf 
der entgegengeſetzten Seite des Schloſſes ſind bedeutende 
Verſchönerungen vorgenommen worden. Während bei 
meiner erſten Anweſenheit in Madrid die unterhalb der 
Schloßterraſſen befindlichen Plätze am Abhange des Man— 
zanaresthales noch wüſt, voll Schutt und Unrath lagen, 
breiten ſich jetzt daſelbſt elegante Blumengärten und Park— 
anlagen aus, mit Fontainen und Gewächshäuſern. Des— 
gleichen haben ſich die unmittelbaren Umgebungen der 
Stadt bedeutend, und nur zu ihrem Vortheil verändert. 
An der Nordſeite der Stadt, vor den Thoren von Fuen— 
carral, Bilbao und Santa Barbara iſt eine ganze Vor— 
ſtadt von eleganten Landhäuſern, von denen manche von 
weitläufigen Gärten umringt ſind, entſtanden, welche ſich 
oſtwärts bis an die ſchöne, vor dem Thore von Recole— 


236 Die Paſeo de la Fuente Gaftellana. 


tos gelegene Promenade des Paſeo de la Fuente 
Caſtellana erſtreckt, die man als eine Fortſetzung des 
Prado betrachten kann. Dieſer von der eleganten Welt 
während des hohen Sommers in den Morgen-, während 
des Winters in den Mittagsſtunden ſehr beſuchte Spa— 
ziergang läuft von dem genannten Thore aus in einem 
flachen Thale hin ſchnurgerade über eine Viertelſtunde 
weit bis zu der Fuente Caſtellana, einem von einem gro— 
ßen Baſſin umgebenen und mit einem Obelisken gezierten 
Brunnen, in deſſen Umgebungen ſich ein hübſcher, kleiner, 
ſchattiger Park mit Schweizerhäuschen, Cafés u. dgl. aus- 
breitet. Sowohl dieſer Park, als die aus vielen Baum— 
reihen beſtehende Promenade wird durch eine koloſſale, 
von vier Maulthieren in Bewegung geſetzte „Noria“ aus 
einem am Ende des Parks befindlichen Brunnen unun— 
terbrochen bewäſſert. Die Anlage dieſer ſchönen Prome— 
nade hat enorme Summen gekoſtet, und auch ihre Un— 
terhaltung erfordert einen bedeutenden Aufwand, indem 
nur bei fortgeſetzter Bewäſſerung es möglich wird, daß 
die Bäume und Sträucher auf dem dürren Boden nicht 
zu Grunde gehen. 

In gleichem Maaße, wie die Schönheit, Eleganz 
und Pracht der Stadt ſcheint mir der Luxus ihrer Be— 
völkerung zugenommen zu haben. Derſelbe zeigt ſich na— 
mentlich in den Theatern, ganz beſonders im Teatro real, 
und bei den großen Promenaden auf dem Prado. Die 


Luxus der Bewohner von Madrid. Die Königin. 237 


Granden, die hohen Staatsbeamten und die reichen Pri— 
vatleute wetteifern hier mit einander in der Pracht der 
Equipagen, der Pferde und der Livreen ihrer Dienerſchaft, 
nicht weniger die Damen in dem Reichthum und der Ele— 
ganz ihrer Toilette. Ich habe in den Champs Elysées 
zu Paris kaum geſchmackvollere, elegantere und glänzen— 
dere Equipagen geſehen, wie auf dem Prado, wo damals 
Sonntags Abends oft 450 bis 200 Wagen mit prachtvoll 
angeſchirrten Pferden der edelſten Racen beſpannt und 
voll reich geſchmückter Damen langſam auf- und nieder— 
fuhren. Daß auch der Hof in dieſem Luxus nicht zurück— 
bleibt, braucht kaum bemerkt zu werden. Die Königin 
ſelbſt ſcheint in ihrer Toilette die Einfachheit zu lieben, 
umgiebt ſich aber ſtets mit einem bedeutenden Glanze. 
Sie fuhr damals faſt allabendlich nach dem Prado ſpa— 
zieren, gewöhnlich in einer leichten, höchſt eleganten, von 
ſechs Schimmeln gezogenen Chaiſe. Dem Wagen pflegten 
meiſt eine ſtarke Eskorte aus einem der am prachtvollſten 
uniformirten Cavalerieregimentern und mehrere vierſpän⸗ 
nige Equipagen mit Hofchargen zu folgen. Fuhr ſie erſt 
ſpät Abends aus, wie ſie es nicht ſelten zu thun beliebte, ſo 
war ihr Wagen außer der üblichen Cavalerieeskorte von 
einer Anzahl Fackeln tragender Hofbedienten zu Pferde 
umgeben. Ich bemerke hierbei, daß die Königin zu jener 
Zeit ſtets allein, niemals in Begleitung ihres Gemahls 
oder ihrer Mutter, blos in Geſellſchaft einer oder zweier 


238 Feſtlichkeiten und Volksfeſte zu Madrid. 


Hofdamen ausfuhr. Dem königlichen Wagen unmittelbar 
pflegte immer die glänzende Equipage des Generals Nar- 
vaez, damaligen Miniſterpräſidenten, zu folgen. 

Während meines langen Aufenthalts in Madrid hätte 
ich Gelegenheit gehabt, nicht nur alle merkwürdigen Ge— 
bäude, Sammlungen und andere Sehenswürdigkeiten Ma— 
drid's in Augenſchein zu nehmen, ſondern auch die Le— 
bensweiſe ſeiner Bewohner in allen ihren Phaſen zu 
belauſchen, ſowie einer großen Anzahl von Feſtivitäten 
und Volksfeſten, welche im Herbſt theils in Madrid, theils 
in deſſen Umgegend vor ſich gehen, beizuwohnen, wäre 
ich in der dazu erforderlichen Stimmung geweſen. Allein 
ein eben ſo unerwartetes als betrübendes Ereigniß, wel— 
ches ich in dem nächſten Kapitel näher andeuten werde, 
hatte mich theilnahmlos gegen Alles gemacht, was um 
mich her vorging. Dennoch ward ich bisweilen, theils 
durch meine braven Wirthsleute, theils durch meinen treuen 
Bedienten, theils durch meine Madrider Freunde gewaltſam 
aus meinem apathiſchen Zuſtande herausgeriſſen und genö— 
thigt, irgend eine Feſtlichkeit oder ein ſonſt bemerkenswer— 
thes Stück des madrider Lebens mit anzuſehen oder einen 
Ausflug an einen intereſſanten Punkt der Umgegend zu 
machen. Was mir davon im Gedächtniß geblieben iſt, 
denn Notizen darüber habe ich mir damals nicht gemacht, 
will ich verſuchen, im Folgenden in einige Bilder zuſam— 
menzufaſſen. 


Die Feria de las Calles. Große Anzahl v. Trödlern u. Antiquar. 239 


1. Die Feria de las Calles. 


Den 21. September beginnt alljährlich in Madrid 
ein Jahrmarkt oder eine Meſſe, welche vierzehn Tage 
dauert und, weil dieſelbe an keiner beſtimmten Localität, 
ſondern auf allen Plätzen und in allen größern Gaſſen 
gehalten wird, den Namen: la Feria de las Calles, 
der Gaſſenmarkt, führt. Während dieſer Meſſe bietet 
Madrid einen ſehr belebten Anblick dar, indem ſowohl 
die Bevölkerung der Stadt ſelbſt mehr als ſonſt auf der 
Gaſſe, im Freien lebt, als auch die Bewohner der um— 
liegenden Ortſchaften in großer Menge nach Madrid kom— 
men, um Einkäufe zu machen und ſich zu beluſtigen. Dieſe 
Meſſe iſt an und für ſich von keiner großen Bedeutung, 
indem faſt nur Detailgeſchäfte gemacht werden. Die haupt— 
ſächlichſten Verkaufsgegenſtände ſind: kurze Waaren aller 
Art, Spielſachen, Gold- und Silberarbeiten, Tücher, Klei— 
dungsſtoffe und Conditoreiwaaren, meiſt aus dem Aus— 
lande importirte Artikel. Eine Hauptrolle ſpielen bei 
dieſer Meſſe die Antiquare und Trödler. Nie und nir— 
gends habe ich eine ſo große Menge von dergleichen 
Händlern beiſammen geſehen, wie auf dem Gaſſenmarkte 
zu Madrid. So iſt die Plazuela de Santa Ana, wo ich 
wohnte, ein ziemlich großes, regelmäßiges, mit Bäumen 
bepflanztes Viereck, ſammt der angränzenden Plazuela del 
Angel und einem großen Theile der Atochaſtraße lediglich 


240 Das Leben der Madrider während der Meſſe. 


mit Antiquarbuden beſetzt, in und vor denen enorme Mafs 
ſen alter Bücher, Gemälde, Waffen u. dgl. aufgehäuft 
liegen. Andere Plätze, wo die Trödler die Oberhand 
haben, find mit alten Meubles, abgetragenen Kleidungs⸗ 
ſtücken, Geräthſchaften, Geſchirr u. dgl. m. bedeckt. Eigen⸗ 
thümlicher und intereſſanter als die Meſſe, iſt das Leben, 
das Treiben der Menſchen, welches ſich während derſel— 
ben in den Gaſſen von Madrid entwickelt. Dieſes erreicht 
ſeinen Höhepunkt in der Calle de Alcala. Dieſe pracht⸗ 
volle Straße iſt von zwei Budenreihen bedeckt, welche 
durch den breiten Mittelweg der Straße geſchieden ſind, 
längs den Trottoirs hinlaufen und voll Conditoren, Ju- 
welieren, Kurzwaaren- und Ausſchnitthändlern ſind. Auch 
einige Mauren bemerkte ich hier, die mit wohlriechenden 
Eſſenzen, Teppichen, Löwen- und Antilopenfellen, wolle 
nen Schärpen u. dgl. handelten. Hier findet ſtets ein 
buntes Volksgedränge ſtatt, welches noch dadurch vermehrt 
wird, daß während dieſer Zeit die große Promenade von 
dem Prado hierher verlegt wird. Schon in den ſpätern 
Morgenſtunden promenirt hier die elegante Welt; Nach— 
mittags bis nach Sonnenuntergang iſt halb Madrid hier 
verſammelt. Die Wagen fahren auf dem Mittelwege, 
der zur Ueberwachung der Menſchenmaſſe und Verhütung 
von Unglück mit Cavalerie beſetzt und abgeſperrt zu ſein 
pflegt, auf und nieder, während die Fußgänger neben den 
Budenreihen auf den gaſſenbreiten Trottoirs promeniren. 


Promenade in der Alcalaſtraße. Gemäldeausſtellung. 244 


Hier find lange Reihen von Rohrſtühlen und Strohfef- 
ſeln aufgeſtellt, welche gegen ein paar Cuartos zum Beſten 
des Waifen- und Findelhauſes vermiethet werden. Die 
Bekannten und Verwandten ſetzen ſich hier zuſammen, 
es bilden ſich kleine Geſellſchaften und Familienzirkel, zu 
denen die Fremden leicht Zutritt haben; man ſchwatzt, 
lacht, neckt ſich, raucht Cigarren, ſchlürft Eis, trinkt Li— 
monade, ißt Früchte und Zuckerwerk, beobachtet und cen— 
ſirt die Vorüberpromenirenden, unterhält ſich von Politik, 
oder noch lieber von der Chronique scandaleuse der 
höhern Geſellſchaftskreiſe, die in Madrid immer ſehr reich— 
haltig zu ſein pflegt; kurz, man verbringt die Zeit mit 
Nichtsthun und ſtrebt blos danach, ſich auf irgend eine 
Weiſe zu amuſiren. Gleichzeitig mit der Feria de las 
calles findet eine Ausſtellung neuer Gemälde und 
plaſtiſcher Kunſtwerke in den Sälen der Academia de 
nobles artes de San Fernando in der Alcaläftraße ſtatt, 
zu welcher Jedermann von 40 bis 3 Uhr unentgeldlichen 
Zutritt hat. Die damalige Ausſtellung, welche ich zwei— 
mal beſucht habe, bot nicht viel Sehenswerthes dar. Die 
Zahl der ausgeſtellten Gemälde war gering, die Mehrzahl 
derſelben höchſt mittelmäßig. Am meiſten erregten meine, 
ſowie Aller Aufmerkſamkeit drei lebensgroße Porträts von 
Madrazo, dem Director der Academie von San Fer— 
nando, und des Muſeo del Prado, einem ſehr genialen 
Porträtmaler. Das eine ſtellte die Königin, das andere 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 16 


242 Die Gemäldeausſtellung. Die Eröffnung der Cortes. 


den General Narvaez, das dritte eine junge Dame von | 
Madrid, eine Sängerin, dar. Außer dieſen drei eben 
fo getreuen, als ſchön gemalten Porträts waren noch einige 
recht hübſche Landſchaften und Genrebilder, ſowie Kreide— 
und Federzeichnungen einiger jungen, in Rom ſtudirenden 
Spanier da; alle übrigen Bilder verdienten kaum ange⸗ 
ſehen zu werden. Da dieſe Gemäldeausſtellung vorzüg⸗ 
lich von den Damen ſtark beſucht wird, ſo will es mich 
bedünken, daß die Herren mehr hingehen, um „lebende“, | 
als wie um „gemalte“ Bilder zu ſehen. 


2. Die Eröffnung der Cortes und der Namenstag 
der Königin. 


Die Eröffnung der Seſſionen der Repräſentanten 
der Nation iſt in Spanien ſtets mit großem Pompe Sei⸗ 
tens des Hofes und der Grandeza begangen worden; 
ganz beſonders feierlich und glanzvoll war ſie aber im 
Jahre 1850, weil damit die Einweihung des eben voll | 
endeten neuen Cortespallaſtes verbunden war. Die Er⸗ 
öffnung der Cortes fand am 34. October ſtatt. Der 
eigentlichen Eröffnungsceremonie habe ich nicht beige | 
wohnt, weil ich in meiner trüben Stimmung es verab- 
ſäumt hatte, mir ein Entreebillet zu den Tribunen des 
Sitzungsſaales zu verſchaffen, welches ich durch die preu⸗ 
ßiſche Geſandſchaft, bei der ich gut angeſchrieben ſtand, 
ſehr leicht hätte erhalten können. Wohl aber bin ich 


Die Eröffnung der Cortes. 243 


Augenzeuge der feierlichen Auffahrt der Königin, des 
Hofes, des Regierungsperſonals, des diplomatiſchen Corps 
und der geſammten Grandeza vor dem Cortespallaſte ge— 
weſen und habe ſomit das Glanzvollſte dieſer Feierlichkeit 
geſehen. Ich muß geſtehen, daß mir ein ſolcher Luxus, 
eine ſo blendende Pracht, was Equipagen, Beſpannung, 
Geſchirre, Livreen und Uniformen anlangt, noch nicht 
vorgekommen war. Leider bewährt ſich hier mehr, als 
irgend wo anders, das Sprüchwort: es iſt nicht Alles 
Gold, was glänzend iſt! — Der Tag war vom heiterſten 
Wetter begünſtigt. Schon vom frühen Morgen an win: 
melten die Gaſſen von feſtlich geputzten Menſchen, beſon— 
ders von Landleuten, die in die Stadt hereingekommen 
waren, um dem Schauſpiele der Auffahrt beizuwohnen 
und die allverehrte Königin zu ſehen. Ich begab mich 
um 11 Uhr nach dem Cortesplatze, wo ich ſo glücklich 
war, einen guten Platz unmittelbar neben der Treppe 
des Cortespallaſtes zu bekommen. Das Hautrelief des 
Fronteſpizes war erſt an jenem Morgen enthüllt worden, 
von der Spitze des letztern wehte eine koloſſale gelbrothe 
Nationalflagge. Linieninfanterie und berittene Gensd'ar— 
men (Guardia- civil) bildeten bereits ein ununterbroche⸗ 
nes Spalier von dem Cortespallaſte durch die Straße 
von San Geronimo, die Puerta del Sol und die Calle 
mayor bis zum königlichen Schloſſe, ließen jedoch noch 
Jedermann ungehindert paſſiren. Alle Balcons der ge⸗ 
. 16 * 


241 Auffahrt der Grandeza, des Hofes und der Königin. 


nannten Straßen und Plätze waren mit Teppichen und 
ſeidenen Decken behängt und von feſtlich geſchmückten 
Damen beſetzt. Ein Theil der Senatoren und Deputir⸗ 
ten war bereits im Pallaſte verſammelt; die noch fehlen⸗ 
den langten raſch nach einander an, bald in beſcheidenen 
Miethkutſchen, bald in glänzenden zwei- und vierſpänni⸗ 
gen Equipagen. Endlich, gegen 1 Uhr, verkündete der 
Donner der Kanonen, die im Prado vor dem Buen— 
Retiro aufgeſtellt waren, und das Geläute aller Glocken 
die Abfahrt der Königin vom Schloßplatze. Es dauerte 
nicht lange, fo erſchienen einige Ordonnanzofftziere in Gala, 
denen das Corps der königlichen Hellebardiere folgte, wel— 
ches die Treppe und den Eingang des Pallaſtes beſetzte, 
neben dem bereits das Muſikcorps der Artillerie aufge- 
ſtellt war. Unter fortwährendem Kanonendonner und 
Glockengeläute fuhren nun ſucceſſive die Granden und 
hohen Hofchargen, die Geſandten und Conſuln der frem- 
den Mächte, die Miniſter, der Infant Don Francisco, 
die Königin Mutter und zuletzt die Königin mit ihrem 
Gemahl vor dem Cortespallaſte vor. Die Granden, Hof— 
chargen, Geſandten u. ſ. w. fuhren in vierſpännigen, die 
Miniſter und der Infant in ſechsſpännigen, die beiden 
Königinnen in achtſpännigen Equipagen. Den Wagen 
der Königinnen, des Infanten, der Miniſter und vieler 
Granden folgte noch ein mit gleicher Anzahl von Pferden 
beſpannter leerer Wagen, ein ſogenannter „coche de eti- 


Luxus der Grandeza und des Hofes. 245 


queta“. Der Luxus der Equipagen, Pferde und Diener— 
ſchaft ging in's Unglaubliche. Jeder Wagen war mit 
Pferden von gleicher Rage und Farbe beſpannt, die Pferde 
prachtvoll angeſchirrt, ein jedes auf dem Kopfe mit einem 
wallenden Federſtutz geſchmückt. Die Lakayen trugen meift 
Livreen im Geſchmack der Zeit Louis XV., die von Gold— 
und Silberſtickereien ſtrahlten. Den ſchönſten Wagen 
und die prachtvollſte Beſpannung beſaß ein Grande, wenn 
ich nicht irre, der Herzog von Oſuna. Dieſer kam in 
einer höchſt eleganten Chaiſe, welche von vier Apfelſchim— 
meln arabiſcher Rage, von ſchneeweißer Grundfarbe mit 
großen, runden, ausgezackten braunſchwarzen Flecken, de— 
ren jeder ein weißes Mittelfeld beſaß, gezogen wurde. 
Das Geſchirr der prächtigen Thiere war mit purpurro— 
them Saffian überzogen und mit Silber verziert; auf 
dem Kopfe trugen ſie hohe Stütze von blauen und wei— 
ßen Federn. Die Königin Iſabella fuhr in einer großen, 
von Gold und Edelſteinen incruſtirten, auf der Decke 
mit der königlichen Krone geſchmückten Staatskaroſſe, die 
mit acht andaluſiſchen Rappen mit gelbrothen Federſtützen 
beſpannt war. Sie erſchien hier, ſeit langer Zeit wieder 
zum erſten Male, an der Seite ihres unanſehnlichen Ge— 
mahls. Bei ihrer Ankunft ward ſie von der Muſik mit 
der „Marcha real“, einem ſeltſamen Muſikſtücke, von den 
auf den Balcons verſammelten Damen mit wehenden 
Taſchentüchern, von dem Volke und den Truppen mit 


246 Die Königin. Die Eröffnungsfeierlichkeit. 


einem lebhaften „viva la Reyna!“ begrüßt. Die Königin 
trug ein weißes Atlaskleid und darüber um die Schul- 
tern ein breites, hellblaues Ordensband. Am Bufen! 
prangte das goldne Vlies an goldner, von Perlen und 
Edelſteinen durchflochtener Kette; um die Stirn ſchlang 
ſich ein breites Diadem von Brillanten. Escortirt wurde 
der königliche Wagen von dem ſchönen Regiment der 
rothen Küraſſiere, welche gleich allen andern Küraſſieren 
durchgängig andaluſiſche Hengſte reiten und blankpolirte 
Stahlhelme mit wallenden Roßſchweifen und rothen Fer 
derſtützen tragen. Die Auffahrt dauerte eine volle halbe 
Stunde. Die Abfahrt, welche in derſelben Ordnung und 
ebenfalls unter Kanonenſchüſſen und Glockengeläut erfolgte, 
habe ich nicht abgewartet. Die eigentliche Eröffnung der 
Cortes geſchah, wie ich mir habe erzählen laſſen, in fol— 
gender Weiſe. Die Königin ward beim Eintritt in den 
prachtvoll geſchmückten Saal von den Senatoren und 
Deputirten, welche vor ihren Sitzen ſtanden, mit einem 
einſtimmigen „Viva la Reyna!“ begrüßt und von ihrem 
Gemahl zu dem Thronſeſſel geführt. Nachdem ſie ſich 
niedergelaſſen hatte, nahmen die Mitglieder der königlichen 
Familie, der König zur Rechten der Königin, aber eine 
Stufe tiefer, die Königin Mutter und die übrigen Ver 
wandten in den Umgebungen des Thrones auf den ihnen 
beſtimmten Seſſeln Platz. Hierauf überreichte der Miniſter⸗ 
präſident der Königin, ſich auf ein Knie vor derſelben 


Det Namenstag der Königin. 247 


niederlaſſend, die Thronrede, welche die Königin ſitzend 
mit lauter Stimme ablas, während alle übrigen Anwe— 
ſenden, mit Ausnahme der königlichen Familie, in ſtehen— 
der Stellung verharrten. Nachdem die Königin geendet 
hatte, erklärte der Miniſterpräſident die Cortes für er— 
öffnet und ſchloß ſeine Rede mit einem Lebehoch auf die 
Königin und die Conſtitution, in welches alle Anweſenden 
einſtimmten. Die Königin erhob ſich nun vom Throne 
und verließ an der Hand ihres Gemahls unter den Accla— 
mationen der Deputirten und Tribunen den Saal und 
den Pallaſt. 

Nicht minder pomphaft wird der Namenstag der 
Königin, welcher auf den 19. November fällt, begangen. 
An dieſem Tage findet in den Nachmittagsſtunden die 
Ceremonie des „besamano“ (Handkuſſes) im Thronſaale 
des königlichen Pallaſtes ſtatt. Alle Granden, Großwür— 
denträger des Reichs, das diplomatiſche Corps, die Be— 
hörden und die hohe Geiſtlichkeit von Madrid begeben 
ſich zur beſtimmten Zeit mit demſelben Prunke, wie bei 
der Eröffnung der Cortes, nach dem Schloſſe, um der 
Königin, die im genannten Saale, umringt von ihrem 
geſammten Hofſtaate, auf dem Throne ſitzt, die Huldigung 
des Handkuſſes zu erweiſen und derſelben ihre Glückwünſche 
darzubringen. Halb Madrid, Jung und Alt, Vornehm 
und Gering ſtrömt nach dem Schloßplatze, wo ein un— 
unterbrochenes Concert von Seiten der Militärmuſik ſtatt⸗ 


248 Die Vispera de los Difuhtos. 


findet, um das Defiliren in Parade der Garniſon von 
Madrid vor den Balcons der königlichen Wohnung, die 
Auffahrt der Gratulanten und das Erſcheinen der Köni⸗ 
gin auf dem Balcon mit anzuſehen. Abends waren die 
öffentlichen Gebäude und viele Privathäuſer glänzend er- 
leuchtet. 


3. Die Vispera de los Difuntos. 


Der zweite Tag des Novembers iſt in Spanien, wie 
in der geſammten katholiſchen Chriſtenheit dem Andenken 
der Verſtorbenen gewidmet. Es werden an dieſem Tage 
in ſämmtlichen Pfarrkirchen feierliche Todtenmeſſen, ver- 
bunden mit Prozeſſionen innerhalb der Kirchen, gehalten. 
Bereits Tags zuvor, am Tage aller Heiligen, pflegen die 
Gräber von den Angehörigen der Verſtorbenen beſucht 
und geſchmückt zu werden, und da dieſe Sitte am Tage 
vor dem Todtenfeſte ſtattfindet, fo nennt man den 4. No⸗ 
vember oder das Feſt aller Heiligen in Hinſicht hierauf 
die Vispera (den Vorabend) de los difuntos. Wie in 
Allem, ſo wird auch mit dem Schmücken der Gräber in 
Madrid viel Luxus getrieben; beſonders werden enorme 
Mengen von Wachskerzen conſumirt, indem das Schmücken 
der Grabſtätten vorzüglich darin beſteht, daß man bren⸗ 
nende Wachskerzen auf oder vor denſelben aufſtellt. MWa⸗ 
drid bietet an dieſem Tage einen ganz eigenthümlichen 
Anblick dar, indem alle Welt, beſonders die Frauen, 


Phyfiognomie von Madrid an diefem Tage. Die Friedhöfe. 249 


ſchwarz gekleidet zu gehen pflegen, Alles nach den Fried— 
höfen ſtrömt und man in allen Gaſſen Kerzenbündel, 
Leuchter und Kränze herumtragen ſieht. Der Beſuch der 
Friedhöfe iſt in Madrid zu einem förmlichen Volksfeſte 
geworden. In den Morgen- und Nachmittagsſtunden iſt 
die Stadt wie ausgeſtorben, weil, wer nur irgend fort 
kann, ſich nach dem Friedhofe begiebt. Auch hier zeigt 
ſich der Luxus, die Prachtliebe der haute volee, In 
langen Zügen bewegen ſich die Equipagen der Granden 
und der Geldariſtokratie langſam nach den Friedhöfen, 
auf denen eine förmliche Promenade in den Hauptgängen 
ſtattfindet. Entſprechend der ernſten Bedeutung des Ta— 
ges ſind die Wagen ſchwarz ausgeſchlagen, die Pferde 
mit ſchwarzen Decken verhängt, die Lakaien in ſchwarze, 
ſilbergeſtickte Livreen gekleidet. Vor dem Eingange der 
Friedhöfe ſtehen Buden, in welchen Kränze, Kerzen, Hei— 
ligenbilder, Roſenkränze u. a. D., desgleichen Erfriſchun— 
gen aller Art, Früchte und Gebäck zum Verkauf ausge— 
boten werden. Auch pflegt ſich hier ſtets eine Menge 
Zigeunerinnen anzuſiedeln, welche geröſtete Kaſtanien, 
Eicheln und Pinienkerne, die ſie fortwährend über Koh— 
lenfeuern bereiten, zu verkaufen haben, und ihre Waare 
mit gellendem Geſchrei ausrufen; kurz, es wird vor je— 
dem Friedhofe ein förmlicher kleiner Jahrmarkt gehalten. 
Die Ausſchmückung der Gräber mag der Kerzen halber 
viel Geld koſten, da man vorzüglich lange und dicke Ker— 


250 Schmückung der Gräber. 


zen von weißem Wachs dazu verwendet, pflegt aber in 
den meiſten Fällen nichts weniger als geſchmackvoll zu 
ſein. Ein Schmücken der Ruheſtätten nach unſerer Sitte 
iſt in Spanien wegen der eigenthümlichen Einrichtung 
der Friedhöfe, die ich bereits in meinem erſten Reiſewerke 
beſchrieben habe, gar nicht möglich. Die wie Bienenzel— 
len in den dicken Mauern über einander liegenden Sarg: 
niſchen bieten nur eine kleine und verticale Fläche dar, 
welche aus dem gewöhnlich mit einer Inſchrift verſehenen 
Schlußſteine der Niſche beſteht. Eine reiche Ausſchmückung 
einer einzelnen Niſche iſt daher gar nicht denkbar. Man 
muß ſich begnügen, einen oder ein paar Kränze an den 
Schlußſtein zu befeſtigen, oder ihn mit einer Guirlande 
zu umgeben. Da es nun Sitte iſt, daß dieſe Kränze 
und Guirlanden nicht aus friſchen Blumen und Blättern, 
ſondern entweder aus Immortellen oder aus künſtlichen 
Blumen von ſchwarzem Sammet oder Papier gemacht 
werden, ſo bieten die damit geſchmückten Sargniſchen 
einen ſehr düſtern Anblick dar. Häufig geſellt ſich dazu 
noch eine völlige Geſchmackloſigkeit in dem Arrangement. 
Die Kerzen werden vor den Niſchen entweder auf Leuch— 
tern, oder auf treppenartigen, mit Dillen verſehenen Ge— 
rüſten aufgeſtellt. Bei den Grabſtätten von Granden und 
anderer vornehmen und vermögenden Leute habe ich bis— 
weilen bis hundert brennende Kerzen in Form von Py— 
ramiden aufgeſtellt geſehen. Die armen Leute, die ihren 


Die Kirchhöfe von Atocha, Fuencarral und del Sacramental. 254 


Verſtorbenen keine Niſche kaufen konnten“), ſondern die— 
ſelben auf den Plätzen, welche die Abtheilungen des Fried— 
hofs von einander ſcheiden, in die Erde begraben laſſen 
mußten, pflegen die Stellen, wo ihre Angehörigen ruhen, 
mit einer in den Boden geſteckten Kerze von gelbem 
Wachſe, an welcher ein Zettel mit dem Namen des Todten 
befeſtigt iſt, zu bezeichnen. — Ich beſuchte an jenem Tage 
hinter einander die Friedhöfe von Atocha, Fuencar— 
ral und del Sacramental. Sie, wie alle übrigen, 
liegen außerhalb der Stadt, die beiden zuletzt genannten 
nahe bei einander vor dem Thore von Fuencarral. Ich 
habe ſchon in meiner erſten Reiſebeſchreibung bemerkt, 
daß die ſpaniſchen Friedhöfe einen ſehr triſten Anblick 
gewähren, weil ſie nicht mit Bäumen und Blumen, wie 
es bei uns Sitte iſt, bepflanzt zu ſein pflegen. Auch die 
Mehrzahl der madrider Gottesacker, darunter der berühmte 
Friedhof von Atocha, theilt dieſen traurigen und öden 
Charakter. Nur der Cementerio del Sacramental, ein, 
wie es ſcheint, erſt vor wenigen Jahren angelegter Fried— 
hof, hat ein freundlicheres Anſehen, indem derſelbe mit 


*) Eine Grabniſche koſtet in Madrid 464 Realen — 30 Thlr. 
28 Sgr. und wird blos auf vier Jahre verabfolgt. Iſt dieſer 
Zeitraum verſtrichen, ſo muß die Zahlung erneuert werden; wo 
nicht, wird der Sarg herausgenommen und werden die Gebeine 
des Verſtorbenen in das Beinhaus oder Knochenbehältniß (osario 
comun) gebracht. Dieſe geringe Pietät gegen die Verſtorbenen 
beurkundende Einrichtung beſteht bei allen ſpaniſchen Friedhöfen. 


252 Ausflug nach Villavicioſa de Odon. 


Parkanlagen, Blumenbosquets und Alleen, meiſt aus Cy⸗ 
preſſen beſtehend, geſchmückt iſt. 


4. Die Forſtacademie von Villavicioſa. 


Im Jahre 1847 ward durch ein königliches Decret 
die Einrichtung einer Lehranſtalt zur Heranbildung von 
Forſtmännern nach dem Muſter der Academie zu Tharand 
beſchloſſen, um dadurch die Wälder und das Forſtweſen 
Spaniens emporzubringen. Die neue Academie, Escuela 
especial de selvicultura genannt, ſollte anfangs nach 
Aranjuez verlegt werden; ſpäter wurde dieſer Plan geän⸗ 
dert und die Anſtalt in dem drei Leguas weſtlich von 
Madrid gelegenen Flecken Villavicioſa de Odon er⸗ 
richtet. Da ich mit dem einen der an derſelben angeſtell⸗ 
ten Profeſſoren, Don Pascual de Gonzalez, ſchon 
ſeit der Zeit, wo derſelbe in Tharand ſtudirte, befreundet 
war, und ich denſelben fett vielen Jahren nicht mehr ges 
ſehen hatte, jo machte ich in den letzten Tagen des Sep- 
tember einen Ausflug an den genannten Ort, um die alte 
Bekanntſchaft wieder aufzufriſchen und zugleich die neue 
Academie, die erſte ſpaniſche Anſtalt der Art, in Augen- 
ſchein zu nehmen. Die Gegend zwiſchen Madrid und 
Villavicioſa iſt ganz eben; der Boden beſteht aus Sand, 
iſt wenig angebaut, theilweis mit blattloſem Ginfterge- 
büſch (Retama sphaerocarpa Boiss.) bedeckt. Man folgt 
anfangs der Heerſtraße nach Eſtremadura, welche das 


Lage des Orts. Die Forſtacademie. 233 


Thal des Manzanares kreuzt, deſſen der Stadt gegen— 
über liegender Abhang hier eine außerordentlich ſchöne 
und imponirende Anſicht von Madrid darbietet. Später, 


beim erſten Chauſſeehauſe, muß man einen rechts abgehen- 


den Fahrweg einſchlagen, welcher, ohne einen bewohnten 
Ort zu berühren, bis Villavicioſa läuft. Dieſer Flecken 
liegt recht anmuthig in einem flachen, wohl angebauten 
und ziemlich baumreichen Thale. Von dem Rande deſ— 
ſelben hat man eine überaus prächtige Ausſicht auf die 
weſtlichſten Theile des Guadarramagebirges, auf die 
Sierra de Avila und beſonders auf den hohen, male— 
riſchen Felſenwall der Sierra de Gredos, welche ſich 
eine ſtarke Tagereiſe weiter weſtlich erhebt und für den 
höchſten Theil des centralen Scheidegebirges gilt. Links, 
in weiterer Ferne, erblickt man auch am Horizont einzelne 
Kuppen und Kegel der Montes de Toledo. Am Ab— 
hange des Thales, eine kurze Strecke oberhalb des Fleckens, 
erhebt ſich ein ſtolzes, alterthümliches Schloß mit dicken, 
runden Thürmen und hochgewölbten Fenſtern, ehedem 
eine Beſitzung der Grafen von Chinchon. In dieſem 
pittoresken, gänzlich aus Granitquadern aufgeführten Ge— 
bäude befindet ſich die Forſtſchule. Da gerade die halb— 
jährigen Prüfungen, welche am Schluſſe eines jeden Se— 
meſters vorgenommen werden, ſtattfanden, ſo konnte ich 
meinen Freund im erſten Augenblicke nicht ſprechen; der— 
ſelbe überraſchte mich aber mit ſeinem Beſuche, während ich 


254 Beſuch und Einrichtung der Forſtacademie. 


in der ziemlich ſchlechten Poſada zu Mittag ſpeiſte, in Be⸗ 
gleitung eines andern Profeſſors der Anſtalt, in dem ich 
einen alten Freund von meiner erſten Reiſe her erkannte, 
den ich in Barcelona, wo er damals ſtudirte, kennen ge 
lernt hatte. Begleitet von dieſen beiden trefflichen Män⸗ 
nern nahm ich zuerſt die Academie in Augenſchein, wo: 
ſelbſt ich ein Stündchen der Nachmittagsprüfung beiwoh- 
nen mußte und bei dieſer Gelegenheit die Bekanntſchaft des 
Directors der Anſtalt, Don Bernardo de la Torre )), 
des Lehrers der deutſchen Sprache, eines Spanier, der 
früher längere Zeit in Oeſtreich gelebt hat, ſowie der 
übrigen Profeſſoren machte. Nach beendetem Examen, 
welcher in dem elegant decorirten und mit dem Bildniß 
der Königin geſchmückten Schulſaale gehalten wurde, führ⸗ 
ten mich meine Freunde in dem alterthümlichen Schloſſe 
herum. Ein Theil der vielen Räumlichkeiten deſſelben 
iſt zu Auditorien umgeſchaffen worden; andere Gemächer 
hat man zur Aufnahme der Bibliothek, der naturhiſtori⸗ 
ſchen und anderer Sammlungen beſtimmt; noch ein an⸗ 


*) Dieſer Herr iſt zwar der eigentliche Director, ſteht indeſſen 
der Anſtalt mehr dem Namen nach, als in der Wirklichkeit vor. 
Die Seele der Academie iſt mein Freund Gonzalez, der Profeſſor 
des Forſtweſens, indem nach ſeinen Vorſchlägen die ganze Anſtalt 
eingerichtet worden iſt und geleitet wird. Dahin iſt die Angabe 
Alexander Zieglers in ſeiner „Reiſe in Spanien“ (Leipzig, 
bei F. Fleiſcher, 4852) zu berichtigen, daß die Forſtſchule unter 
der unmittelbaren Leitung von Gonzalez ſtehe. 


Ausſicht v. d. Gebäude. Der Forſtgart. u. d. neuen Anpflanzung. 255 


derer Theil dient meinem cataloniſchen Freunde de Bose, 
welcher die Profeſſur der Naturgeſchichte bekleidet, zur 
Wohnung. Von der offenen Gallerie, die im zweiten 
Stockwerke um das Schloß herumläuft, und beſonders 
von dem Kranze des Schloßthurmes, genießt man eine 
herrliche Ausſicht auf das majeſtätiſche Scheidegebirge, 
welches den Horizont gegen Weſten und Norden weithin 
umwallt. Unter den zahlreichen Ortſchaften, welche durch 
das wellenförmige Land umhergeſtreut ſind, erwähne ich 
den Escorial, den man von hier aus am Abhange der 
Guadarramakette ganz deutlich erblickt. Das Schloß iſt 
mit hübſchen Parkanlagen umgeben; hinter demſelben 
befindet ſich ein allerliebſter, mit üppigem Baumwuchs 
geſchmückter, von einem kleinen Bache durchſtrömter Grund, 
der Anfang des Thales von Villavicioſa. Man hat hier 
große Pflanzungen von allen möglichen Laub- und Na— 
delhölzern angelegt, die aber ſehr kümmerlich ausſahen. 
Der eigentliche, ſogenannte Forſtgarten liegt innerhalb 
des Fleckens auf einem terraſſirten Abhange. Ich habe 
da ſehr gute Weintrauben gegeſſen; von Forſtpflanzen war 
aber nicht viel zu ſehen. Es dürfte überhaupt eine Reihe 
von Jahren vergehen, bevor dieſe Academie eine Schule 
zur praktiſchen Erlernung des Forſtweſens werden wird. 
Es giebt nämlich in den Umgebungen von Villavicioſa 
weit und breit keinen einzigen Wald, ein Umſtand, der 
mir dieſen Ort als einen ſehr unpaſſenden und unglück⸗ 


256 Der Graf Campuzano. Lehrcurſus der Academie. 


lich gewählten für eine Forſtſchule erſcheinen laſſen will. 
Um dieſem Uebelſtande abzuhelfen, hat man die erwähn⸗ 
ten Anpflanzungen gemacht; aber, lieber Himmel, wie 
viele Decennien werden verfließen, bevor ſich dieſelben zu 
einem Walde werden umgeſtaltet haben, da fie großen- 
theils aus Eichen und andern langſam wachſenden Holz— 
arten beſtehen. Außerdem ſcheint der thonigſandige Bo- 
den die Forſtcultur wenig zu begünſtigen. Mehr ſoll ſich 
derſelbe zum Weinbau eignen. Wenigſtens hat der Graf 
Campuzano, welcher ehedem Geſandter in Dresden war 
und mit einer Dresdnerin verheirathet iſt, in der Nähe 
ſeines in Villavicioſa gelegenen Landſitzes eine große 
Weinpflanzung angelegt, die einen vortrefflichen Wein 
liefert. Der Graf hat auch Verſuche mit Fabrikation 
mouſſirender Weine anſtellen laſſen, welche zur Zufrie⸗ 
denheit ausgefallen ſein ſollen. 

Die Academie von Villavicioſa war im Sommer⸗ 
ſemeſter 1850 von 52 jungen Leuten beſucht worden. Es 
befindet ſich daſelbſt ſtets eine beſtimmte Anzahl von Pen⸗ 
ſionären der Casa Real (junge Leute, welche die Königin 
ſtudiren läßt). Der Curſus des Unterrichts iſt vierjährig; 
die Zahl der Lehrer beträgt neun. Die Unterrichtsgegen⸗ 
ſtände ſind: Forſtweſen, Zoologie, Botanik, Mineralogie 
und Geologie, Geographie Phyſik, Mathematik, Geodäfte, 
Zeichnen, deutſche, franzöſiſche und engliſche Sprache. 
Dem Unterricht im Forſtweſen iſt das Lehrbuch von Cotta 


Deutſche Sprache. Herbarium Boutelou's. 257 


zu Grunde gelegt. In der deutſchen Sprache ſchienen 
die damaligen Zöglinge keine großen Fortſchritte gemacht 
zu haben. Wenigſtens wurde ihnen das Leſen ſehr ſchwer 
und ſie ſprachen das Deutſche ſo ſchlecht aus, daß ich 
kaum ein Wort verſtehen konnte. Der Profeſſor der 
deutſchen Sprache wird ihnen freilich kaum eine gute 
Pronunciation beibringen können, da er blos öſtreichiſches 
Deutſch und auch dieſes jammervoll ausſpricht. In den 
übrigen Fächern ſchienen die jungen Leute ganz leidliche 
Kenntniſſe zu beſitzen. Gonzalez giebt ſich alle Mühe, 
um die Anſtalt emporzubringen. Durch ſeine Vermittlung 
ſind ſchon ganz hübſche phyſikaliſche, naturhiſtoriſche und 
Modellſammlungen zuſammengebracht worden. Auf ſeinen 
Antrieb hat die Regierung auch das Herbarium des ver— 
ſtorbenen D. Claudio Boutelou für die Academie 
angekauft, welches die Grundlage des academiſchen Her— 
barii bilden ſoll. Für Botaniker bemerke ich hierbei, daß 
das genannte Herbarium, welches ich im Jahre 1844 in 
Sevilla genau durchgeſehen habe, von großer Wichtigkeit 
für die Flora Spaniens und Südamerika's iſt, indem es 
eine Menge von Originalexemplaren der ſpaniſchen Bo— 
taniker enthält. 

Ich wollte noch denſelben Abend nach Madrid zu— 
rückkehren, mußte aber dieſem Vorſatze untreu werden, 
indem mich der Director zum Abend zu einer „tertulia“ 
in ſeinem Hauſe einlud. Ich lernte daſelbſt die übrigen 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 17 


258 Ein Abend beim Director der Academie. 


Honoratioren des Ortes und deren Frauen und Töchter 
kennen. Die bald in ſpaniſcher, bald in deutſcher Sprache 
geführte Converſation drehte ſich faſt ausſchließlich um 
Deutſchland und deutſche Zuſtände. Auch auf andere 
Weiſe ſuchte man mich an mein fernes Vaterland zu er⸗ 
innern. Die eine Tochter des Directors ſpielte ſehr 
hübſch Klavier. Auf einen Wink ihres Vaters ſetzte fie 
ſich an das Fortepiano, welches ebenfalls ein deutſches 
Fabrikat war, und begann zu meiner großen Ueberraſchung 
Lieder von Schubert, Mendelsſohn und andern deutſchen 
Componiſten zu ſpielen. Weniger war ich erfreut, als 
der Profeſſor der deutſchen Sprache einige jener Lieder | 
ſang, da er dieſelben durch ſeine fehlerhafte Ausſprache 
ſehr verunſtaltete. Während dieſer Unterhaltung braute 
Gonzalez Eierpunſch nach deutſcher Sitte, und ich muß 
ihm die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß er die Fa⸗ 
brikation dieſes Getränks in Deutſchland gründlich erlernt 
hatte. In früherer Zeit würden mich dieſe Erinnerungen 
an die Heimath in einem abgelegenen Winkel Neucaſti⸗ 
liens ſehr heiter geſtimmt haben; an jenem Abend aber 
dienten ſie blos dazu, meine trübe Stimmung noch zu 
erhöhen, weshalb ich froh war, als endlich nach Mitter⸗ 
nacht ſich die Geſellſchaft trennte. Ich ſchlief beim Pro⸗ 
feſſor de Bosc in dem alterthumlichen Schloſſe und ritt 
am folgenden Morgen nach Madrid zurück. — 


Achtes Kapitel. 
Das Guadarramagebirge und Segovia. 


Die Umgebungen von Madrid bieten dem Botaniker 
ün hohen Sommer wenig Ausbeute dar, indem die We: 
getation, wenigstens die krautartigen Pflanzen, in Folge 
der groben Hitze und des Mangels an Regen [horn An⸗ 
fang des Juli vertrocknet. Ich beſchloß daher, die Zeit, 
während welcher mir die Hauptſtadt Spaniens zum 
Standquattier dienen ſollte, zu einer Unterſuchung des 
großen, zwiſchen beiden Caſtilien, ſowie zwiſchen Leon und 
Eſtremadura ſich erhebenden Gebitgszuges zu benutzen, 
in der Hoffnung, in feinen waſſerreichen Thälern und 
auf ſeinen erhabenen Gipfeln noch einen friſchen Pflan⸗ 
zenwuchs zu finden. Mein erſter Ausflug ſollte dem 
Madrid zunächſt gelegenen Theile des Scheidegebitges, 
der majeſtätiſchen Sierra de Guadartama gelten. 
Zufällig traf es ſich, daß auch der Director des botani⸗ 
ſchen Muſeums, der Profeſſor Don Vicente Cutanda, 
mein wackerer Freund, eine botaniſche Excurſion dahin 
zu unternehmen beabſichtigte, was mich bewog, meine 

17* 


260 Der Wald des Pardo. 


Reiſe noch einige Tage zu verſchieben, da ich hoffen 
durfte, daß ich in Begleitung dieſes, mit den Localitäten 
und der Vegetation des Gebirges wohl vertrauten Man⸗ 
nes viel bedeutendere Reſultate gewinnen würde, als 
wenn ich allein reiſte. 

In einer leichten Tartana verließ ich mit Cutanda 
und zwei Gehilfen des botaniſchen Gartens, am frühen 
Morgen des 9. September, Madrid, nachdem ich meinen 
Bedienten beauftragt hatte, mit meinen Pferden nach 
dem Flecken Colmenar viejo zu reiten und uns da⸗ 
ſelbſt zu erwarten. Wir wollten nämlich durch den Wald 
des Pardo dahin reiſen, in der Hoffnung, in demſelben 
einige Ausbeute zu finden, eine Hoffnung, die nicht in 
Erfüllung ging, da auch dort Alles verdorrt war. Der 
Wald, in welchem das berühmte königliche Jagd- und 
Luſtſchloß el Pardo liegt, beginnt in der Nähe des ſo⸗ 
genannten „eiſernen Thores“ (la puerta de hierro), mit 
dem die ſchöne, von dem Thore des heiligen Vincenz 
aus, am linken Ufer des Manzanares hinlaufende Allee 
endet, und durch welches die Straße nach Valladolid und 
dem Escorial führt. Dieſer Wald beſitzt einen Umfang von 
15 Leguas, wird in nordſüdlicher Richtung vom Manza⸗ 
nares durchſtrömt, beſteht vorzüglich aus Immergrüneichen 
und Eſchen (Fraxinus angustifolia Vahl.) und iſt als | 
der letzte bedeutende Reſt der großen Wälder zu betrach⸗ 
ten, welche ohnedem, hiſtoriſchen Urkunden zufolge, 


Ortſchaft und Schloß el Pardo. 264 


die Gegend von Madrid weit und breit bedeckt haben. 
Man darf ſich übrigens unter dieſem Walde keinen deut- 
ſchen Laubhain vorſtellen, denn die Bäume ſind weder 
groß, noch ſtehen ſie dicht beiſammen. Große Strecken 
find auch blos mit niedrigem Gebüſch, beſonders mit der 
blattloſen, ruthenäſtigen Retama sphaerocarpa Boiss. 
bewachſen. Der ganze Wald iſt in mehrere Bezirke oder 
Quartiere eingetheilt, deren jedes unter der Aufſicht eines 
Forſthüters (guardamonte) ſteht, und von einer Mauer 
umgeben. Es führen 17 Wege durch denſelben, unter 
andern auch ein Fahrweg nach Colmenar, welchen wir 
einſchlugen. Ohne ſpecielle Erlaubniß der Adminiſtration 
des Schloſſes darf Niemand den Wald betreten. Die 
Ortſchaft el Pardo und das Schloß liegen gleich am 
Anfange des Waldes. Erſtere iſt klein, aber regelmäßig 
und hübſch gebaut; das von Gärten und ſchattigen Alleen 
umgebene Schloß dagegen ein großes impoſantes Ge— 
bäude. Es wurde auf Befehl Kaiſer Karls V., unter 
der Leitung des Architecten Luis de la Vega erbaut 
und bildet ein großes Viereck von einfach edlem Styl. 
Seine Gemächer ſollen ſehr intereſſante Freskogemälde, 
Tapeten und andere Kunſtwerke enthalten; unſere be— 
ſchränkte Zeit erlaubte es uns leider nicht, das Schloß 
zu beſuchen. 

Colmenar viejo, wohin wir um A Uhr gelangten, 
iſt blos eine halbe Stunde von dem nördlichen Rande 


262 Lage von Colmenar viejo. 


des Pardowaldes entfernt. Es liegt bereits innerhalb 
der Granitformation, welche die Sierra de Gugdarramg, 
wie überhaupt den bei weitem größten Theil des Schei⸗ 
degebirges zuſammenſetzt, auf einem der zahlloſen ahge⸗ 
rundeten Hügel, die ſich zu beiden Seiten des Guadar⸗ 
ramagebirges längs ſeines Fußes erheben. Alle dieſe 
Hügel ſind mit loſen Granitbrocken, oft von enormer 
Größe und abenteuerlicher Geſtalt, beſtreut. Zwiſchen 
dieſen Granitblöcken liegen auch zum Theil die ungn⸗ 
ſehnlichen Häuſer der ſehr unebenen und ſchmuzigen Gaſſen 
des Fleckens, welcher außer dem ſehr hohen, viereckigen, 
in eine ziemlich gothiſche Pyramide auslaufenden Thurm 
ſeiner Kirche, der bis zum Knopfe aus Granitquadern 
erbaut iſt, nichts Merkwürdiges darbietet. Zu meinem 
Erſtaunen und Verdruß war mein Bedienter noch nicht 
da, weshalb wir unſere Wanderung nicht ſogleich fort⸗ 
ſetzen konnten, nachdem Cutanda für ſich und ſeine Be⸗ 
gleiter Pferde gemiethet hatte. Wir warteten mehrere 
Stunden, doch vergeblich; Aguſtin ließ ſich nicht ſehen. 
Da mein Freund ſeine Reiſe nicht länger aufſchieben 
konnte, und ich mich nicht von ihm trennen mochte, ſo 
wanderte ich zu Fuß bis nach dem zu unſerem Nacht⸗ 
quartier erkorenen Dorfe Chozas de la Sierra, wel⸗ 


ches zwei Leguas von Colmenar entfernt iſt und nahe 


am Fuße der Sierra in einem weiten, flachen, baumrei⸗ 
chen Thale recht anmuthig liegt. Zwiſchen Colmenar und 


— . . , 


Gegend zwiſchen Colmenar und Chozas. 263 


Chozas überſteigt man ein welliges, nacktes, theils mit 
Getreidefeldern, theils mit von Steinmauern umhegten 
Weideplätzen (dehesas) bedecktes Plateau, von dem aus 
man eine prachtvolle Anſicht des nahen Guadarramage⸗ 
birges genießt. Der Eindruck, den daſſelbe macht, iſt 
ein durchaus ernſter. Die Abhänge des hohen, ſteil an— 
ſteigenden Walles, auf dem ſich gewaltige Kuppen von 
abgerundeter oder pyramidaler Form erheben, ſtarren von 
rieſigen Felsmaſſen; die ſanfteren Lehnen und die zahl— 
loſen Schluchten ſind mit dunkelgrünem Laubgebüſch und 
ſchwarzer Kiefernwaldung bekleidet; auf den Kämmen und 
an den Seiten der Kuppen breiten ſich von Bächen durch— 

furchte Alpenwieſen und graue Geröllelehnen aus. Einen 
ſehr intereſſanten Anblick bietet namentlich die Sierra 
Pedriza dar, ein weſtlich von Chozas ſich erhebender, 
von dem Hauptgebirge gen Süden auslaufender Zweig, 
indem ſeine ſteilen Abhänge und bizarr zerriſſenen Gipfel 
aus einem Labyrinth von einzelnen Granitfelſen beſtehen. 
Gegen Oſten erblickt man in geringer Entfernung einen 
iſolirt aus dem Plateau aufragenden Granitberg, von 
flach pyramidaler Geſtalt, welcher gleichſam einen Vor— 
poſten der majeſtätiſchen Guadarrama bildet und die von 
Madrid nach Frankreich führende Straße beherrſcht, wes— 
halb er ein in ſtrategiſcher Hinſicht wichtiger Punet iſt. 
Dieſer im Frühlinge durch ſeinen Kräuterreichthum ausge— 
zeichnete Berg führt den Namen Cueſta de San Pedro. 


264 Abenteuer auf der Rückkehr nach Colmenar. 


Nach einer in der ſchlechteſten Poſada von Chozas, 
auf einer jämmerlichen Streu vollbrachten Nacht, kehrte 
ich nach Colmenar zurück, da mein Bedienter nicht nach 
Chozas gekommen war, während Cutanda mit ſeinen Be⸗ 
gleitern ſich in die Sierra begab. Auf dem Wege nach 
Colmenar begegnete mir ein Abenteuer, das, wenn ich 
mit dem Lande nicht ſchon bekannt geweſen wäre, gefähr⸗ 
liche Folgen für mich hätte haben können. Ich gerieth 
nämlich in eine Heerde wilder Stiere, indem dieſelbe in 


einer mit Gras bedeckten Niederung, durch die der Weg 


führte, weidete. Wahrſcheinlich hatten die Thiere die 
niedrigen Mauern der oben erwähnten dehesas, welche 
zu ihrem Aufenthalt beſtimmt ſind, überſprungen, um 


ſich beſſeres Futter zu ſuchen. Eingedenk der mir von 


Eingeborenen für dergleichen in Spanien häufig vorkom⸗ 
mende Fälle gegebenen Verhaltungsmaaßregeln ging ich 


ruhig auf dem Wege fort, ohne meine Schritte zu be— 


ſchleunigen oder mich umzuſehen, oder ſonſt eine unge— 
wöhnliche Bewegung zu machen, und richtig, die wilden 
Beſtien machten mir, wie die Bauern mir oft verſichert 
hatten, ganz gefällig Platz und begnügten ſich damit, 
mich neugierig anzuglotzen. Stehenbleiben oder raſches 
Entfliehen hätte mir unfehlbar einen Angriff von Seiten 
der Stiere zugezogen. In der Poſada zu Colmenar fand 
ich endlich Aguſtin wieder, der eben eingetroffen war. 
Er hatte Tags zuvor Madrid aus Mißverſtändniß erſt 


Reiſe nach dem Kloſter el Paular. 265 


um Mittag verlaſſen, den Weg verloren und die Nacht 
in einem, mehrere Stunden von Colmenar entfernten 
Kloſter zugebracht. Nach kurzer Raſt ritten wir wieder 
nach Chozas, woſelbſt wir um 2 Uhr eintrafen. Da das 
Wetter ſchön war, ſo brach ich, ſobald die Pferde abge— 
füttert worden waren, wieder auf, in der Hoffnung, das 
mitten im Guadarramagebirge gelegene Karthäuſerkloſter 
el Paular noch erreichen zu können, welches mein Freund 
zum Standquartier während unſeres Aufenthalts in der 
Sierra auserkoren hatte. Auch ſollte das Kloſter den 
Verſicherungen des Poſadaro zufolge, blos drei Leguas 
entfernt ſein. Zwiſchen zerſtreuten, von Obſtbäumen um⸗ 
gebenen Häuſern und maleriſchen, von üppigem Laubwerk 
umkränzten Felsparthieen, gelangten wir auf dem brei— 
ten, betretenen Saumpfade bald an den Fuß des Ge— 
birgsabhanges. Den Weg kletterten wir in großen Zick— 
zacks an dem dicht mit Eichengebüſch (Quercus Tozza) 
bekleideten Gehänge empor, bis zu dem Kamme eines Ge— 
birgszweiges, welcher mit der oben erwähnten Sierra 
Pedriza beinahe einen rechten Winkel bildet und das 
Thal von Chozas von dem von Miraflores ſcheidet. 
Von dieſem mit Gerölle und quelligen Bergwieſen bedeck— 
ten Kamm eröffnete ſich uns eine weite Ausſicht über 
das Plateau von Neucaſtilien, welches in der unmittel— 
baren Nähe des Gebirges, ſo weit die Granitformation 
reicht, wegen der vielen Bäume, graſigen Niederungen 


266 Miraflores de la Sierra. Puerto de la Marcuera. 


und zerſtreuten Ortſchaften einen recht freundlichen An⸗ 
blick gewährt, jenſeits dieſes ſchmalen Gürtels dagegen 
als eine nackte, graue, düſtere Fläche erſcheint. Und zur 
Linken, gegen Oſten, zog ein tiefes, von kiefernbewalde⸗ 
ten Gehängen eingeſchloſſenes Thal hin, an deſſen Aus⸗ 
gang mit granitener Baſis der Flecken Miraflores de 
la Sierra liegt. Die Häuſer dieſes Fleckens, desglei⸗ 
chen die aller anderen Ortſchaften der Sierra und des 
Scheidegebirges überhaupt, ſind mit hellrothen Ziegeln 
gedeckt, weshalb dieſe Ortſchaften die großartigſten Ge⸗ 
birgslandſchaften ſehr anmuthig beleben. Der Weg wurde 
nur bald ſehr ſchlecht, indem er am ſteilen Abhange des 
Thales von Miraflores hin liegt. Zur Linken gähnte 
fortwährend ein tiefer Abgrund, zur Rechten thronten 
hoch über uns zerboſtene Gebirgskuppen mit nackten, von 
loſem Gerölle und Steinblöcken überſchütteten Abhängen. 
Endlich gelangten wir an den Urſprung des das Thal be— 
wäſſernden Baches und mußten nun auf halsbrecheriſchem 
Wege an einer langen und ſteilen, mit einzelnen halb 
verdorrten Kiefern beſtreuten Geröllelehne zu dem hohen 
Puerto de la Marcuera emporklimmen. Mit dieſem 
Namen bezeichnen die Gebirgsbewohner ein geräumiges, 
beinahe zwei Stunden breites Plateau, welches ſich zwi— 
ſchen hoch anſchwellenden Felskuppen auf der ſüdlichen 
Hauptkette der Sierra ausbreitet. Das Guadarramage⸗ 
birge, um dies hier gleich zu erwähnen, beſteht nämlich 


Lage des Val de Lozoya. 267 


in feiner öftlihen Hälfte, welche das zwiſchen dem be— 
rühmten Paſſe von Somoſierra und dem Pik von 
Penalara befindliche Stück umfaßt, aus zwei parallelen 
Ketten von beinahe gleicher Höhe. Zwiſchen beiden breis 
tet ſich ein tiefes und weites Längenthal aus, welches 
von dem es durchſtrömenden, am Abhange der Perialara 
entſpringenden Fluſſe Lozoya, den Namen Val de 
Lo zoya führt. Dieſes zahlreiche und wohlhabende Ort— 
ſchaften in ſeinem weiten, fruchtbaren Schooße beherber— 
gende Thal erſtreckt ſich oſtwärts bis zu dem Becken von 
Buitrago, welches die Straße nach Burgos und Frank— 
reich kreuzt, woſelbſt es ſich in das Flachland Neucaſti— 
liens öffnet, indem dort die ſüdliche Kette der Sierra 
ſich in ein niedriges Hügelland auflöſt. Die nördliche 
Kette dagegen ſetzt ſich ununterbrochen weiter gen Oſten 
fort, unter den Namen Sierra de Somoſierra, 
Sierra de Ayllon, Sierra Pela, Sierra de 
Atienza u. ſ. w. Die oberſten Ortſchaften des Lozoya— 
thales ſind Rascafria und das bereits namhaft gemachte 
Karthäuſerkloſter. Dahin führt auch der Weg des Fuerto 
de la Marcuera. Die Sonne neigte ſich bereits zum 
Untergange, als wir auf dieſes blos von Alpentriften und 
Gerölle bedeckte Plateau gelangten, deſſen abſolute Höhe 
zwiſchen 5500 und 6000 par. Fuß wechſelt. Die Land- 
ſchaft iſt ſehr öde und düſter, indem man weit und breit 
keine Spur von Anbau oder Bevölkerung bemerkt und 


268 Pico de Penalara. Unwillkommenes Nachtlager. 


die nach drei Seiten anſteigende Hochebene keine Ausſicht 


geſtattet. Nur gegen Südweſt unterbricht die Einförmig⸗ 


keit des nackten Plateau die ſtolz aufragende breite Fel⸗ 
ſenpyramide des Pico de Penñalara, welcher den cul⸗ 
minirenden Punct der Sierra, ja vielleicht des geſamm— 
ten centralen Scheidegebirges bildet. Seine abſolute 


Höhe beträgt den vorhandenen Meſſungen zufolge 7746 
par. Fuß. Lange nach Sonnenuntergang, ſchon bei völ⸗ 
liger Nacht, erreichten wir endlich die nördliche Gränze | 
des Plateau's und den Rand des Lozoyathales, welches 


gleich einer ſchwarzen Kluft ſich zwiſchen uns und der 
gegenüberliegenden Gebirgskette ausbreitete, und begannen 
nun abwärts zu ſteigen. Allein auf dem grauen Granit⸗ 
gerölle verloren wir bei dem trügeriſchen Scheine des 


erſten Mondviertels bald den Weg und geriethen endlich 
in dickes Eichengebüſch, aus dem wir uns nicht mehr 
herauszufinden vermochten. Nach längerem, vergeblichem | 
Umhertappen mußten wir uns entſchließen, an Ort und 


Stelle den Anbruch des Tages abzuwarten. Wir lager- 


ten uns alſo, ſo gut es gehen wollte, auf einem kleinen, 
vom Gebüſch entblößten Platze auf dem feuchten Granit⸗ 
gerölle, nachdem wir die Pferde an ein Paar Bäume 
angebunden hatten. Die Nacht war höchſt unfreundlich, | 
indem ſich bald nach Sonnenuntergang ein heftiger Nord» | 
wind erhoben hatte, dem wir auf unſerer Lagerſtätte 


gerade ausgeſetzt waren. Gleichzeitig war der Himmel 


Folgen des Nachtlagers. Ankunft im Kloſter. 269 


mit Wolken bedeckt worden, welche während der Nacht 
fortwährend, vom Winde, der ſchauerlich in den Felfen- 
klüften heulte, gepeitſcht, in rabenſchwarzen geſpenſtiſchen 
Geſtalten ſich über uns hinwegwälzten. An Schlaf war 
daher nicht zu denken; wir mußten bald aufſtehen und 
uns Bewegung machen, um nicht ganz zu erſtarren. Die 
Folge dieſer ſchauerlichen Nacht war bei mir ein heftiger 
Katarrh, der den Grund zu längerem Unwohlſein legte, 
welches, verbunden mit meiner bald darauf eintretenden 
trüben Gemüthsſtimmung, mir die Luſt zu jeder Beſchäf— 
tigung raubte. Endlich brach der Tag an und nun er⸗ 
blickten wir die breite Sohle des Val de Lo zo ya zu 
unſeren Füßen und uns gerade gegenüber am Fuße der 
nördlichen Gebirgskette Rascafria, und weiter nach 
der Petalara zu das Kloſter. Der Himmel war trübe, 
die Penalara in Wolken gehüllt, doch hatte ſich der Wind 
gelegt. Wir arbeiteten uns nun aus dem Eichengebüſch 
heraus und gelangten nach langen Umwegen in den Grund 
des Thales hinab, welcher über eine Stunde breit und 
hier gänzlich mit Eichengebüſch erfüllt iſt. Ohne Weg 
ritten wir auf gut Glück im Thale aufwärts, bis wir 
auf den von Rascafria nach dem Kloſter führenden 
Fahrweg ſtießen. Um 7 Uhr Morgens trafen wir end— 
lich wohlbehalten in dem Kloſter ein, wo mein Freund 
meiner bereits ſeit zwölf Stunden voll Angſt gewartet 
hatte. Er war ſehr erfreut, mich wiederzuſehen und hatte 


270 Das Kloſter Santa Maria del Paular. 

ſchon Alles zu der auf dieſen Tag feſtgeſetzten Expedition 
nach dem Gipfel der Penalara vorbereitet; ich fühlte mich 
aber zu angegriffen, um eine Hochgebirgsparthie unter⸗ 
nehmen zu können, weshalb Cutanda beſchloß, einen Raſt⸗ 
tag im Kloſter zu machen und die Beſteigung der Pefa⸗ 
lara auf den nächſten Tag zu verſchieben. Ich begab 
mich ſogleich zu Bett und ruhte einige Stunden aus, 
worauf ich wieder im Stande war, meine gewöhnlichen 
Geſchäfte zu beſorgen und in Begleitung meines Freun⸗ 


des das weitläufige Kloſter und deſſen reizende Umge- 


bungen in Augenſchein zu nehmen. 

Die Karthauſe Santa Maria del Paular liegt 
prächtig in idilliſcher Waldeinſamkeit am linken Ufer des 
ſilberklaren Lozoya, nahe bei der Peñalara, deren duſtet 
bewaldete Abhänge gegen Weſten und Südweſten das 


weite, romantiſche Thal ſchließen. Sie war eine der 
größten und reichſten Beſitzungen des Ordens der Kar⸗ 
thäuſer; gegenwärtig gehört ſie einem reichen Particuliet 


von Madrid. Von den benachbarten Bergen aus geſehen, 
erſcheint fie als eine förmliche Ortſchaft, indem weit⸗ 
läufige Wirthſchaftsgebäude das eigentliche Kloſter um⸗ 
geben. Eins der letzteren hat man in eine Glashütte 
umgeſchaffen, die unter der Leitung eines Franzoſen ſteht. 


Dieſelbe befindet ſich gleich neben dem ſchönen gothiſchen 


Eingangsthore, durch welches man in einen großen vier⸗ 


eckigen von Säulengängen umgebenen Hof tritt, der mit 


Das Klofter Santa Maria del Paular. 274 


einer hübſchen Fontaine geziert iſt. Aehnliche Spring⸗ 
brunnen, welche ſämmtlich armsdicke Ströme des köſtlich— 
ſten Waſſers aus ihren Röhren ergießen, befinden ſich 
in den anderen Höfen und in dem ſehr geräumigen Kloftet- 
garten, welcher auch einen Fiſchteich enthält. Das eigent- 
liche Kloſter ſteht faſt ganz leer, indem blos drei Mönche 
zurückgeblieben find, von denen der eine als Weltgeiſt— 
licher fungirt, der zweite mit der Adminiſtration des Ge- 
bäudes beauftragt iſt, der dritte, ein ehemaliger Laien— 
bruder, den Aufwärter und Bedienten macht. Der erſte 
trug durch ſein ſchweigſames Weſen die ſtrengen Regeln 
ſeines Ordens noch deutlich zur Schau, die beiden anderen 
dagegen waren mehr als geſprächig. Man hatte meinem 
Freunde das Studirzimmer des ehemaligen Priors ange— 
wieſen, woſelbſt auch ich einlogirt wurde; außerdem ſtand 
eine ganze Reihe von Zellen zu unſerer Verfügung, ſo 
daß es uns nicht an Platz für unſere Sammlungen 
mangelte. Die Bewirthung und Verpflegung iſt gut und 
man lebt ganz ungenirt, indem Niemand darnach fragt, 
was man treibt. Dieſer Umſtand, die vielen Räumlich— 
keiten und die Lage des Kloſters mitten im erhabenſten 
Theile der Sierra, machen dieſe Karthauſe zu einem außer⸗ 
ordentlich günſtigen Standquartier für Naturforſcher, 
welche das Guadarramagebirge unterſuchen wollen. Auch 
von anderen Reiſenden verdient dieſes Kloſter beſucht 
zu werden, theils wegen ſeiner herrlichen Lage, theils 


272 Das Kloſter Santa Maria del Paular. 


wegen der Kunſtſchätze, die ſeine Kirche birgt. Zwar 
ſind die Gemälde, welche einſt die Kapelle, ſo wie den 
Kreuzgang und das Refectorium derſelben ſchmückten, 
verſchwunden; aber noch exiſtiren ſehr ſchöne Sculpturen 
theils von Holz, theils von Marmor, welche des Anſehens 
werth ſind, wie z. B. die bibliſche Geſchichten darſtellen⸗ 
den Schnitzereien, welche die gothiſch geformten Chorſtühle 
der Mönche und Laienbrüder bedecken. Die Kirche iſt 


in roͤmiſchem, der Kreuzgang in gothiſchem Style erbaut. 
Wie die Kirchen aller ſpaniſchen Karthauſen, iſt auch dieſe 
mit unglaublichem Luxus ausgeſtattet. Die Fußböden, die 
Altäre, die Wände der Kapellen ſind aus den koſtbarſten 


Marmorarten verfertigt, die Altäre mit prächtigen Bas⸗ 
reliefns und Statuen verziert, die Kuppeln und Gewölbe 


ſehr ſchön al fresco gemalt: kurz, wohin man das Auge 


wenden möge, überall erblickt man Koſtbarkeiten und 


Schätze. Die Kirche würde noch ſchöner ſein, wären ihre 
Altäre nicht mit vergoldeten Zierrathen überladen. Sehr 


belohnend iſt es, den Glockenthurm zu beſteigen, indem 


derſelbe einen unbeſchreiblich ſchönen Ueberblick des ebenſo 
romantiſchen als lieblichen Thales von Lozoya darbietet. 
Daſſelbe macht durch die Ueppigkeit ſeiner Vegetation, 


beſonders durch feinen reichen Baumwuchs, einen unge⸗ 
mein wohlthuenden Eindruck, wenn man längere Zeit 
nichts geſehen hat, als nackte dürre Ebenen, wie es im 


hohen Sommer im Flachlande Neucaſtiliens der Fall iſt. 


Nordiſcher Charakter des Lozoyathales. 273 


| Dazu kommt, daß man von dem Thurme des Klofters 
faſt alle Ortſchaften erblickt, die im unteren Theile des 
Val de Lozoya liegen. Sie ſind ſämmtlich von Obſt— 
und Nußbäumen umringt und verleihen durch ihre rothen 
Ziegeldächer der üppiggrünen, von der großartigſten Ge— 
birgsſcenerie umgebenen Thalfläche ein ungemein heiteres 
Ausſehen. Uebrigens hat das Lozoyathal (daſſelbe gilt 
von den übrigen Landſchaften des Guadarramagebirges) 
durchaus keinen ſüdlichen Charakter, ſondern einen ent— 
ſchieden nordiſchen. Die ernſten Granitkuppen, welche 
zu beiden Seiten über die hohen Gehänge in das Thal 
hereinſchauen; die düſtere und dichte Nadelwaldung, mit 
der die nicht felſigen Lehnen der Thalwände und Berg— 
gipfel bekleidet ſind; die grünen Wieſen, die ſich theils 
oberhalb der Baumgränze, theils im Grunde des Thales 
ausbreiten; die Baumgruppen von Ahornen, Eſchen, 
Schwarzpappeln, Weiden, Erlen, ja ſelbſt Birken, welche 
die Ufer des rauſchenden Lozoya einfaſſen; die vielen 
Obſtbäume in den Umgebungen der Dörfer und die rothen 
Ziegeldächer der letzteren: Alles erinnert vielmehr an 
den Norden wie an den Süden von Europa. Dieſer 
nordiſche durch die Erhebung des Thales (das Kloſter 
liegt gegen 5000 par. Fuß über dem Spiegel des Mee— 
res) hervorgebrachte Charakter muß noch ausgeprägter 
erſcheinen, wenn, wie im Frühling und Spätherbſt, die 
Berggipfel mit Schnee bedeckt ſind. Während des Winters 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien, II. 18 


274 Die belgiſche Papierfabrik am Lozoya. 


endlich dürfte das Lozoyathal von einer Gebirgsland— 
ſchaft des Nordens gar nicht mehr zu unterſcheiden ſein, 
denn dann iſt es oft gänzlich mit tiefen Schneemaſſen 
erfüllt, welche bisweilen wochenlang die Communication 
zwiſchen ſeinen Ortſchaften unterbrechen. 

Das Wetter, welches bisher beſtändig ſchön geweſen 
war, hatte ſich leider ſeit unſerm Eintritt in die Sierra 
ſehr veränderlich geſtaltet. Gleich nach meiner Ankunft 
im Kloſter fing es an zu regnen, und zugleich ſank die 
Temperatur fo tief, daß es empfindlich kühl wurde. Dei 
Nachmittag war ſchön und geſtattete uns, einige kleine 
Ausflüge in die nächſten Umgebungen des Kloſters zi 
machen. Wir beſuchten unter andern eine Papierfabrik, 
welche zwiſchen der Karthauſe und Rascafria am Lozoye 
liegt und ſogenanntes Papier ohne Ende liefert. Sie beſitz 
eine Dampfmaſchine von zwanzig Pferde Kraft und if 
das Eigenthum einer belgiſchen Actiengeſellſchaft, de 
auch die großen Waldungen gehören, welche den oberfter 
Theil des Lozoyathales und die benachbarten Berge be 
decken. Die Fabrik iſt ein ſtattliches modernes Gebäude 
gleich dem Kloſter ganz und gar aus Granit erbaut un 
von hübſchen Gärten und reichem Baumwuchs umringt 
Während wir uns in der Fabrik befanden, hatte ſich de, 
Himmel dicht umzogen und bald verhüllten dicke Wolke! 
die Penalara und die übrigen Gebirgsgipfel. Schol 
grollte der Donner und zuckende Blitze beleuchteten ſchauer 


Nachtlager im Kloſter. Eigenes Zuſammentreffen. 275 


lich das in nächtliche Dämmerung gehüllte Thal, als wir 
die Fabrik verließen, und noch ehe wir das Kloſter wie— 
der erreichten, ſtürzte ein heftiger Platzregen auf uns 
nieder, der uns bis auf die Haut durchnäßte. Ich klei— 
dete mich zwar ſogleich um, aber ich fühlte, daß mein 
Unwohlſein im Steigen begriffen war, weshalb ich, da 
ich mich auch am Kaminfeuer in der Wohnung des Pfar— 
rers, bei dem wir zu Abend geſpeiſt hatten, vor Fieber— 
froſt nicht erwärmen konnte, zeitig die Ruhe ſuchte. Ich 
konnte aber nicht ſchlafen, denn eine unnennbare Angſt 
erfüllte mich und das Fieber peinigte meine aufgeregte 
Phantaſie mit geſpenſtiſchen Erſcheinungen. Es war 
mir, als wollten die lebensgroßen Porträts der Karthäuſer— 
prioren, die an den Wänden meines Schlafgemachs hingen, 
in ihren weißen Gewändern aus ihren Rahmen heraus— 
treten und ſich um mein Lager ſchaaren, als höre ich 
dumpfe Grabesgeſänge aus der benachbarten Kirche herauf— 
tönen, als zähle der Perpendikel einer in der anſtoßen— 
den Zelle hängenden ſchwarzwälder Uhr die Pulsſchläge 
meines Lebens, meines Glückes! Endlich verſank ich in 
tiefen Schlaf, aus dem ich nach einigen Stunden plötzlich 
erwachte, geweckt durch ein wunderbar ſchönes Traum— 
bild — in demſelben Augenblicke, wo in der fernen Hei— 
math meine innigſt geliebte Braut zu einem Maren Sein 
entſchlummerte! — — — 

Erſt am 13. September konnten wir die längſt be— 

18 * 


276 Aufbruch nach dem Pico de Penñalara. 


abſichtigte Beſteigung des Pico de Penalara unter— 
nehmen. Zwar waren auch am Morgen jenes Tages der 
Himmel und die Berggipfel von Wolken verhüllt, doch 
ſchien das Dampfen der Thäler beſſere Witterung zu 
verkünden, und ſo traten wir, geführt von dem im Kloſter 
wohnenden Forſthüter, um 10 Uhr unſere Wanderung 
zu Pferde an. Wir folgten einem Holzwege, welcher im 
Grunde des Thales am ſchäumenden Lozoya aufwärts 
führt. Anfangs tft die Thalfläche mit Eichengebüſch er— 
füllt, aber bald beginnt, indem ſich zugleich das Thal in 
eine enge romantiſche Schlucht verwandelt, ein dichter 
prachtvoller Wald von hochſtämmigen, alten, mit bunten | 
Flechten und Mooßen maleriſch bekleideten Kiefern (Pinus 
silvestris L.), der ſich bis zu dem Kamme des hohen | 


Bergwalles, auf dem der eigentliche Kegel der Perialara | 


thront, hinanzieht und den Namen Pinar de Segovia 
führt. Der Weg wird nun ſehr ſchlecht, indem er am 
Thalgehänge emporſteigt; zur Linken in der Tiefe brauſt 


der wilde Bach in ununterbrochenen Kaskaden über rieſige 


Granitblöcke und umgeſtürzte Kiefernſtämme. Letztere 


verſperren auch oft den Weg, indem der ganze Boden 
mit ihnen bedeckt iſt. Dieſe wirr durcheinanderliegenden, 


morſchen, mit üppigen Moospolſtern bedeckten Kiefern— 


ſtämme, zwiſchen denen von nordiſchen Flechten umzogene 


Granitblöcke emporragen; die düſteren hochſtämmigen Na- 
delbäume mit ihren lang herabhängenden Bartflechten; 


Aehnlichkeiten mit dem Rieſengebirge und Oberharze. 277 


die rechts und links aus dem das Gerölle bedeckenden 
Moosteppich hervorbrechenden Quellwaſſer; die grauen Ge— 
röllelehnen und nackten, rieſigen Granitfelſen, welche von 
den Kämmen der Gehänge in die romantiſche Waldſchlucht 
hereinſchauen: Alles erinnerte mich lebhaft an die Thäler 
des Rieſengebirges und des Oberharzes und ich würde 
kaum geglaubt haben in Spanien zu ſein, hätte mir nicht 
das der Hauptſache nach aus der Stechpalme (Ilex Aqui- 
folium L.) und der baumartigen Heide (Erica arborea L.) 
beſtehende Unterholz des Waldes zugerufen, daß ich mich 
in ſüdlicheren Breiten befände. Während wir durch dieſe 
maleriſche Waldſchlucht empordrangen, hellte ſich der Him— 
mel auf, und als wir aus dem Walde heraustraten, lag 
die Penalara klar, wolkenlos, von der Sonne beſchienen, 
vor uns. Ich freute mich ſchon auf die Ausſicht vom 
Gipfel, allein nur zu bald ſtiegen wieder neue Wolken— 
maſſen hinter den Kämmen empor, welche raſch den gan— 
zen Himmel überzogen und Gewitter und Regenwetter 
verkündeten. Auf den Pinar de Segovia folgen kurz— 
begraſte, moorige Alpentriften, welche ſtellenweis mit den 
niedrigen, geſellig wachſenden Sträuchern eines dem Gua— 
darramagebirge eigenthümlichen Ginſters (Sarothamuus 
purgans Godr. Gren.), deſſen rundliche Gruppen von 
fern den Knieholzgebüſchen des Rieſengebirges ſehr ähn— 
lich ſehen, bewachſen ſind. Von ſolchen Alpentriften iſt 
hier der ganze ziemlich breite Kamm der Sierra bedeckt. 


278 Quelle des Lozoya. Ankunft auf dem Pico de Perialara. 


Wir verließen nun den bisher benutzten Weg und wandten . 
uns rechts nach dem Kegel der Penalara zu, der auf 
einer breiten, auf dieſer Seite ſanft anſteigenden, mit 
quellenreichen Alpenwieſen bekleideten und mit großen | 
Granitblöcken betreuten Baſis ruht. Gegen 1 Uhr ge 
langten wir an den Fuß des Kegels, woſelbſt ſich ein 
kleiner, klarer Alpenteich von unbedeutender Tiefe, die 
Laguna de Penalara genannt, befindet, welcher auf 
drei Seiten von nackten, ſchwarzen Granitklippen um— 
geben und als die eigentliche Quelle des Lozoya zu be⸗ 
trachten iſt. Mein Freund, dem wegen ſeiner Wohlbe— 
leibtheit das Bergſteigen etwas ſauer wurde, blieb hier | 
mit einem feiner Begleiter und dem von ihm gemietheten 
Arriero bei den Pferden, die wegen des Terrains nicht 
weiter benutzt werden können, zurück; ich dagegen unter— 
nahm nach kurzer Raſt, geführt vom Guardamonte, in 
Begleitung meines Bedienten und des zweiten Gefährten 
Cutanda's, die Beſteigung des Gipfels. Dieſelbe iſt zwar 
mit keiner Gefahr verbunden, aber höchſt ermüdend, da 
es keinen anderen Aufweg giebt, als eine unendlich lange 
und ſteil geneigte Geröllelehne. Einzelne Löcher und 
Klüfte waren hier noch mit Schnee erfüllt. Nach ein— | 
ſtündigem Emporſteigen gelangten wir endlich auf den 
höchſten, einen ſchmalen felſigen Kamm darſtellenden | 
Gipfel, konnten aber daſelbſt nur wenige Minuten vers | 
weilen, da eben ein Gewitter von Neucaftilien her mit 


N 


I 


Ausſicht vom Pico de Penalara. Gewitter. Rückkehr. 279 


Sturmesſchnelle heranzog. Die Ausſicht war daher ſehr 
ſchlecht; kaum geſtatteten uns die über die ſüdlichen Ge— 
birgskämme ſich raſch heranwälzenden Wolkenmaſſen und 
die aus allen Gründen und Schluchten aufſteigenden 
Nebel einige flüchtige Blicke auf die hell von der Sonne 
beſchienenen Gefilde Altcaſtiliens, auf das zu unſern 
Füßen in Vogelperſpective ruhende königliche Luſtſchloß 
la Granja, auf die Thürme von Segovia und auf das 
volkreiche Thal von Lozoya zu werfen. Gegen Weſten 
und Süden war gar nichts zu ſehen; nur die Cabeza 
de Hierro (der Eiſenkopf), ein der Penalara an Höhe 
wohl wenig nachſtehender, wenn nicht gar höherer Berg— 
gipfel von glockenförmiger Geſtalt, ragte im Weſten ma— 
jeſtätiſch aus der Wolkendecke empor. Noch ehe wir den 
Gipfel der Penalara verließen, hatten uns die Wolken 
ereilt und bald begann es zu blitzen und zu donnern, ſo 
wie tüchtig zu regnen, ſo daß wir völlig durchnäßt bei 
der Laguna anlangten, wo wir uns in Felsklüfte ver— 
krochen, bis das Gewitter vorüber war. Wir brachen 
nun ſofort auf und kehrten nach dem Kloſter zurück, in 
der Hoffnung, trocken hinzukommen, da der Himmel ſich 
aufgehellt hatte. Allein noch ehe wir das Kloſter er— 
reichten, überfiel uns ein zweites, von heftigem Regen 
begleitetes Gewitter, welches uns abermals bis auf die 
Haut durchnäßte, und bis tief in die Nacht hinein mit ſeinen 
Donnerſchlägen das Thal und die Sierra erbeben machte. 


280 Aufbruch nach la Granja. Puerto de Reventon. 


Trotz der hohen Lage und des Waſſerreichthums 
des Thales von Lozoya war auch hier der größte Theil 
der krautartigen Vegetation längſt verblüht und vertrock— 
net. Wir beſchloſſen daher, uns auf die Nordſeite der 
Sierra zu begeben und verließen bereits den Tag nach 
der Beſteigung der Penalara, wo das Wetter ſich günſtig 
zu geſtalten verſprach, gegen Mittag die Karthauſe, um 
uns nach la Granja überzuſiedeln. Der Weg dahin 
führt über den Puerto de Reventön, welcher ſich auf 
der nördlichen Kette der Sierra befindet, an derem nörd— 
lichen Fuße la Granja liegt, und an Höhe den gegenüber 
liegenden Paß von la Marcuera noch übertrifft. Als wir 
fortritten, war das Wetter ſonnig und warm, und geſtat⸗ 
tete uns daher noch einmal einen prächtigen Ueberblick 
des reizenden Lozoyathales; aber noch hatten wir die N 
Höhe des Paſſes nicht erreicht, ſo überfiel uns wiederum 
heftiges Regenwetter. Glücklicherweiſe ging daſſelbe bald 
vorüber und wiederholte ſich an dieſem Tage auch nicht 
mehr. Von der Höhe des Puerro de Reventön genießt 
man eine weite Ausſicht über das ſehr ebene Plateau von 
Altcaſtilien, welches hier von Ortſchaften wimmelt, aber 
faſt gänzlich von Bäumen entblößt iſt. Auch der Nord⸗ 
abhang der Kette, auf deren Kamm man ſteht, iſt nicht | 
bewaldet, ſondern blos mit Gebüſch bedeckt“), jedoch nur | 


*) Befonders mit Adenocarpus hispanicus DC. 


Geſchichte von la Granja. 281 


eine kurze Strecke weit; denn ſowohl gegen NO als ge— 
gen SW breiten ſich, fo weit man ſehen kann, an dem— 
ſelben große Nadelwaldungen aus. Um 1 Uhr gelangten 
wir nach la Granja, einem kleinen, aber ganz regelmäßig 
gebauten und aus ſtattlichen Gebäuden beſtehenden Orte 
von ſtädtiſchem Anſehen, wo wir zu meiner Freude ein 
vortreffliches Gaſthaus mit faſt elegant zu nennenden 
Zimmern trafen, in dem wir ſehr gut und verhältniß— 
mäßig billig gewohnt haben. 

Der Ort la Granja (der Meierhof) oder, wie er 
eigentlich heißt, San Ildefonſo, verdankt ſein Daſein 
dem Könige Philipp V., welcher hier an der Stelle eines 
Meierhofes (daher der Vulgarname) ein Schloß erbauen 
ließ, das er zur Sommerreſidenz beſtimmte, als welche 
es auch noch gegenwärtig benutzt wird. Der Bau begann 
im Jahre 1724 und dauerte vier Jahre. Philipp V. hatte 
dieſen Platz wegen der wohlthätigen Friſche, die hier ſelbſt 
in der heißeſten Jahreszeit vorhanden iſt, und ganz be— 
ſonders wegen des außerordentlichen Waſſerreichthums 
gewählt, indem er ein zweites Verſailles zu ſchaffen be— 
abſichtigte, deſſen ſchattige Baumgruppen und ſprudelnde 
Fontainen er in Spanien ſchmerzlich vermißte. Unſum— 
men Goldes wurden theils auf den Pallaſt, der zu den 
ſchönſten Schlöſſern gehört, die ich kenne, theils auf die 
Fontainen und Waſſerkünſte des Parks verwendet; allein 
der König hatte ſeinen Zweck erreicht, denn er ſah ſich 


282 Park und Waſſerſpiele von la Granja. 


von einem Park und von Waſſerſpielen umgeben, welche 
die berühmten Waſſerſpiele des Parks von Verſailles an 
Großartigkeit und Pracht noch übertreffen. Und ſo iſt 
es in der That noch jetzt. Die Waſſerkünſte von la Granja 
ſind zwar nicht ſo variirt, aber um Vieles großartiger, 
als die von Verſailles. Es war hier auch ſehr leicht, 
großartige Waſſerſpiele herzuſtellen, theils wegen des Ueber— 
fluſſes an Waſſer, theils wegen der Lage des Parkes an 
einem hohen Gebirgsabhange, von dem die Waſſer herab— 
ſtrömen und welcher folglich erlaubte, einen viel größern 
hydroſtatiſchen Druck hervorzubringen, als in dem eben 
gelegenen Park von Verſailles. Noch denſelben Nachmittag 
nahm ich den Park des Schloſſes in Begleitung meines 
Freundes in Augenſchein, und muß geſtehen, daß derſelbe 
einen viel großartigeren Eindruck auf mich gemacht hat, 
als der Park von Verſailles. Der Park zieht ſich weit 
am Gebirgsabhange hinan, enthält Thäler und Berge, 
murmelnde Bäche und brauſende Waſſerfälle und nimmt 
im Ganzen einen Flächenraum von 14,764,000 Quadrat⸗ 
fuß ein. Zwiſchen den Bächen, an den Abhängen der 
Hügel und in den Umgebungen der zahlreichen Spring— 
brunnen erheben ſich prachtvolle Baumgruppen der ver— 
ſchiedenartigſten Laub- und Nadelhölzer, zwiſchen deren 
Wipfeln an vielen Stellen die düſtere Kiefernwaldung und 
die ſtolzen Granithäupter der maleriſch geformten Sierra 
hindurchblicken. Unter den Springbrunnen, deren Baſſins | 


Großartige Springbrunnen. 283 


— 


ſämmtlich aus weißem Marmor verfertigt find und deren 
Zahl 26 beträgt, verdienen beſondes die Banos de 
Diana, die Fuente del Canaſtillo und die Fuente 
de la Fama einer Erwähnung. Erſtere iſt ein großes 
Baſſin, in deſſen Mitte ſich eine prachtvolle Marmorgruppe 
befindet, Diana im Bade, umringt von ihren Nymphen. 
Marmorne Delphine, die in der Peripherie des Beckens 
angebracht ſind, ſprützen koloſſale Waſſerſtrahlen aus ihren 
Rachen gegen die Dianengruppe zu, aus der wieder an— 
dere Waſſerſtrahlen hervorbrechen, die ſich mit den erſteren 
kreuzen und wunderbare Figuten hervorbringen. Aehnlich 
verhält es ſich mit der Fuente del Canaſtillo, wo in der 
Mitte des Beckens ebenfalls eine Nymphengruppe ange— 
bracht iſt, die ein Körbchen (canastillo) trägt, aus dem 
zahlloſe Waſſerſtrahlen in Form eines Blumenbouquets 
hervorbrechen. Der großartigſte Springbrunnen iſt aber 
die Fuente de la Fama. Dieſer ſtößt zwar blos einen 
einzigen und ganz einfachen Waſſerſtrahl aus, der aber 
bei einer bedeutenden Stärke die unglaubliche Höhe von 
134 par. Fuß erreicht, und deshalb ſogar von Segovia 
aus, d. h. aus einer geraden Entfernung von zwei Stun— 
den, ſichtbar iſt. Das königliche Schloß, welches ſich 
zwiſchen dem Parke und dem Orte erhebt, iſt im Style 
des Pallaſtes von Verſailles erbaut, doch bei weitem nicht 
fo groß, wie dieſer, aber ein ſehr fchönes Gebäude. Seine 
Gemächer ſollen außerordentlich prachtvoll ſein und eine 


284 Pantheon von la Granja. Segovia. 


große Menge werthvoller Gemälde, Seulpturen und an— 
derer Kunſtſchätze enthalten. Sehr ſehenswerth iſt auch 
die an den königlichen Pallaſt ſtoßende, dem heiligen Il⸗ 
defonſus geweihte Kirche des Ortes, beſonders das ſo— 
genannte, zwiſchen dem Schiffe und der Sakriſtei gelegene 
Pantheon, in welchem ſich die Grabmäler Philipps V. 
und ſeiner Gemahlin Iſabella Farneſa befinden. Dem 
Gründer von la Granja gefiel nämlich ſeine Schöpfung 
fo gut, daß er auch im Tode daſelbſt zu ruhen wünſchte. 
Beiläufig will ich noch erwähnen, daß la Granja das am 
höchſten gelegene Königsſchloß Europa's iſt. Der Pallaſt 
liegt nämlich 3850 par. Fuß über dem Spiegel des Mee— 
res, d. h. eben fo hoch, wie der Gipfel des Veſuvs. 
Den folgenden Tag, einen Sonntag, hatte ich zu | 
einem Ausflug nach dem benachbarten Segovia erſehen, 
wohin mich das weltberühmte Rieſenwerk des römiſchen 
Aquäducts unwiderſtehlich lockte. Ich konnte erſt um 10 
Uhr aufbrechen, da es früh in Strömen regnete; dann 
aber war den ganzen Tag ſchönes Wetter. Ich unter— 
nahm dieſen Ausflug allein in Begleitung meines Be— 
dienten, da Cutanda durch Geſchäfte an la Granja gefeſ— 
ſelt war. Ein blos fünfviertelſtündiger Ritt brachte uns 
nach jener uralten Stadt, wohin von la Granja eine 
gute Chauſſee durch ganz ebene Gefilde führt. Sehr ſchön 
iſt von dem Wege aus die Anſicht des Schloſſes von la 
Granja mit dem majeſtätiſchen Waldgebirge im Hinter⸗ 


Römiſcher Aquäduct von Segovia. 285 


grunde. Segovia erblickt man mit Ausnahme des Thur— 
mes der Cathedrale nicht eher, als bis man ſich dicht 
davor befindet, indem es in einem das Plateau tief durch— 
furchenden Thale liegt, durch das der Eresma, ein in 
der Nähe von la Granja im Guadarramagebirge entſprin— 
gender Zufluß des Duero, ſtrömt. Ueber dieſes Thal 
führt der römiſche Aquäduet, welcher im Ganzen eine 
Länge von 4362 Fuß beſitzt und aus 159 Bogen beſteht, 
die in zwei Reihen über einander geordnet ſind. Es iſt 
dieſer Aquäduct unbedingt eines der großartigſten Baus 
werke, die ſich aus der Zeit der Römer erhalten haben. 
Der mittlere Theil erhebt ſich hoch über die Dächer der 
im Grunde des Thales befindlichen, zwei bis drei Stock— 
werke hohen Gebäude und mag wohl nahe an 200 Fuß 
hoch ſein. Das Wunderbarſte dabei iſt die außerordent— 
liche Schmalheit, denn die Pfeiler ſelbſt der untern Bo— 
genreihe meſſen kaum 8 Fuß im Durchmeſſer! Dieſes 
Rieſenwerk iſt ganz und gar aus roh behauenen Granit— 
quadern erbaut, welche feſt an einander ſchließen, aber nicht 
durch Mörtel mit einander verbunden ſind. Merkwürdig 
iſt es, daß die erſten auf dem rechten Thalgehänge ſtehen— 
den Bogen, welche einfach ſind, Spitzbogengewölbe be— 
ſitzen, während die übrigen Bogen regelmäßige Halbzirkel 
ſind; doch ſieht man es jenen Spitzbogen an, daß ſie 
ihre Entſtehung mehr dem Zufall als der Abſicht ver— 
danken, denn ſie ſind durchaus nicht regelmäßig geſtaltet, 


286 Segovia. 


wie gothiſche Spitzbogen. Der Aquäduct von Segovia 
erfüllt noch jetzt ſeine Beſtimmung. Es fließen über den- 
ſelben die klaren Waſſer eines drei Leguas von der Stadt 
entſpringenden Baches, welche ſich an der entgegengeſetz— 
ten Seite in einem Baſſin ſammeln, von dem aus ſie 
durch Kanäle und Röhren in die verſchiedenſten Gegen— 
den der Stadt geleitet werden. Eigenthümlich iſt der 
Anblick der Stadt von Oſten her. Man ſieht ſie hier 
durch die Bogenreihen des Aquäducts hindurch terraſſen— 
förmig emporſteigen, denn ſie liegt keineswegs eben im 
Grunde des Thales, ſondern auf einem Felshügel, der 
ſich am Ufer des Eresma erhebt und durch einen Bar— 
ranco von der rechten Wand des Flußthales iſolirt iſt. 
Dieſer Hügel erhebt ſich von dem Aqäduct aus nach 
Weſten zu und iſt gegen den Eresma hin von ſteilen 
Felſen umgürtet. Auf dem Gipfel des Hügels ſteht die 
Cathedrale, auf dem weſtlichſten Vorſprunge, der auf drei 
Seiten in ſchroffe Felslehnen abſtürzt, der königliche Al 
cazar. Segovia, jetzt eine Stadt von blos 10009 Eins 
wohnern und Hauptſtadt einer Provinz Altcaſtiliens, hat 
ein nobles, reichsſtädtiſches Anſehen. Es erinnert hier 
nichts an die Herrſchaft der Mauren; die alterthümlichen, 
ſtattlichen Gebäude tragen den ächten alteaſtilianiſchen 
Burgſtyl zue Schau. Man fühlt ſich unwillkürlich in die 
romantiſche Zeit der caſtilianiſchen Ritterfehden und Bür⸗ 
gerkriege verſetzt, wenn man dieſe ſtolzen mit in Stein 


* Cathedrale von Segovia. 287 


gemeiſelten adligen Wappenſchildern, zahlreichen Balcons, 
Mauerzinnen und Thürmen verzierten Gebäude erblickt. 
Die Gaſſen ſind zwar, entſprechend der eigenthümlichen 
Lage der Stadt, ſehr uneben und ſchlecht gepflaſtert, doch 
meiſt gerade und ziemlich breit. Segovia beſitzt 24 Kir— 
chen und 21 Klöſter und enthält eine große Menge von 
Sehenswürdigkeiten. Meine beſchränkte Zeit erlaubte mir 
blos, die hauptſächlichſten in Augenſchein zu nehmen. Es 
find dies außer dem ſchon erwähnten Aquäduct die Ca— 
thedrale und der Alcazar. Erſtere iſt ein impoſantes 
Bauwerk aus der beſten Zeit der gothiſchen Architectur. 
Nur der Thurm datirt aus einer ſpätern Periode; dieſer 
iſt in römiſchem Style erbaut, endet in einer edel geform— 
ten Kuppel und hat eine ſehr bedeutende Höhe, weshalb 
man ihn ſchon aus weiter Ferne ſieht. Das Innere der 
Kirche, in welches man durch ein prachtvolles, gothiſches 
Portal tritt, zerfällt in drei, auf ſchlanken Säulenbündeln 
ruhende Schiffe und athmet eine majeſtätiſche Einfachheit. 
Der Fußboden beſteht aus einem kunſtvollen, glänzend 
polirten Getäfel von ſchwarzem, fleiſchfarbenem und wei— 
ßem Marmor. Die hohen Bogenfenſter ſind prächtig ge— 
ſtäbt und mit alten Glasgemälden geſchmückt; das Hoch— 
altar umgiebt halbzirkelförmig ein gothiſcher Säulengang, 
wie in der Kirche der Abtei Beruela, nur viel großar— 
tiger; die zahlreichen Kapellen enthalten eine Menge 
koſtbarer Marmorſculpturen und alter Gemälde. Ganz 
beſonders feſſelte meine Aufmerkſamkeit die Kanzel. Sie 


288 Der Alcazar von Segovia. 


iſt nämlich auf das Kunſtvollſte aus verſchiedenfarbigem 
Marmor verfertigt, in welchen herrliche Basreliefs von 
weißem Marmor eingelegt ſind. Auch das Hochaltar 
beſteht ganz und gar aus koſtbaren Marmorarten; in 
ſeinem Centrum befindet ſich über dem Altartiſche eine 
maſſive ſilberne Statue der Jungfrau, welche der König 
Heinrich IV. von Caſtilien der Kirche ſchenkte. — Der 
Alcazar, ehedem eine der Reſidenzen der Könige von 
Caſtilien und Leon, iſt ein impoſantes, hochgethürmtes, 
mittelalterliches Schloß von bedeutendem Umfange, um— 
ringt von himmelhohen, zinnengekrönten Mauern und 
gegen die Stadt durch einen tiefen, in das Geſtein ge— 
hauenen Graben getrennt, über den eine Zugbrücke führt. 
Es befindet ſich gegenwärtig in demſelben die königliche 
Artillerieſchule, die unter der ſpeciellen Aufſicht des in— 
telligenten und gelehrten Don Antonio Zarco del 
Valle, Generalinſpectors des Artillerie- und Geniecorps 
und Präſidenten der königlichen Academie der Wiſſen- 
ſchaften, eines eben fo ausgezeichneten Artillerieoffiziers 
als gebildeten Mannes, ſteht. Um den Alcazar zu be— 
ſichtigen, bedarf man eines Erlaubnißſcheines des Com— 
mandanten, welcher jedem Fremden ohne Schwierigkeit 
und unentgeldlich gegen Vorzeigung des Paſſes verabfolgt 
wird. Ein junger, gebildeter Artillerieoffizier hatte die 
Güte, mich ſelbſt herumzuführen und mir Alles zu zeigen 
und zu erklären. Das Innere des Alcazar entſpricht 
ſeiner äußern Erſcheinnng keineswegs; man gelangt durch 


3 Das Innere des Alcazar von Segovia. 289 


die langen, gewölbten Corridore und auf den endloſen 
Wendeltreppen nicht etwa in gothiſche, mittelalterliche Hal— 
len, ſondern in Gemächer von theils mauriſchem, theils 
modernem Style. Eine Beſchreibung der zahlloſen Räume 
und der Merkwürdigkeiten, die ſie enthalten, würde Bo— 
gen füllen; ich beſchränke mich daher auf die einfache 
Angabe der ſehenswürdigſten Theile des alterthümlichen 
Gebäudes. Dahin gehören die Sala de la Galera, 
ein großer Saal mit vergoldeter Holzdecke in mauriſchem 
Style, in welchem ſich die Bildniſſe der ſämmtlichen Di— 
rectoren der Artillerieſchule und das ihres Stifters, des Kö— 
nigs Karl III., befinden; die Sala de la Junta, welche 
unter einem Thronhimmel ein ſehr gelungenes Gemälde 
der Königin Iſabella und ihres Gemahls in Lebensgröße 
enthält; die Sala de la Biblioteca, eine lange, ge— 
räumige Gallerie mit einer Holzmoſaikdecke in mauriſchem 
Geſchmack, in der die bändereiche Bücherſammlung der 
Schule und in einem daranſtoßenden Cabinet eine reiche 
Modellſammlung aufgeſtellt iſt; die Sala de las pinas, 
ſo genannt nach den vergoldeten Pinienzapfen, mit denen 
die aus einem zierlichen Holzgetäfel beſtehende Decke ver— 
ziert iſt, ein Saal, welcher ebenfalls Modelle und Ge— 
räthſchaften enthält; die Sala del Tocador de la 
Reyna (das Putzzimmer der Königin), ein zierliches, 
Gemach mit arabeskengeſchmückten Wänden und einer rei— 
zenden Stuccaturdecke im Style der Alhambra; ferner 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien, II. 19 


290 Das Innere des Alcazar in Segovia. E 


die Zeichenſchule, der Speiſeſaal, der Krankenſaal der 
Zöglinge u. ſ. w. Die Zahl der Alumnen betrug damals 
zweihundert. In dem Hofraume vor dem Schloſſe ſtehen 
zwei Batterieen Kanonen, Haubitzen und Mörſer, die zu 
den practiſchen Uebungen der Zöglinge beſtimmt ſind. 
Von den Balcons und den Thurmkränzen des Alcazars 
genießt man prachtvolle Ausſichten über das anmuthige, gut 
angebaute und ziemlich ſtark bevölkerte Thal des Eresma, 
über die vielthürmige Stadt, die weiten, mit Flecken befü- 
ten Fluren Altcaſtiliens, und nach den romantiſchen, düſtern 
Waldbergen der Sierra de Guadarrama. Noch will ich er⸗ 
wähnen, daß in der Bibliothek die berühmten aftronomt- 
ſchen Tabellen des Königs Alphons des Weiſen aufbe— 
wahrt werden, welcher dieſelben in dieſem Schloſſe erfand 
und ausarbeitete. Nachdem ich von einem der Balcons 
noch den Sonnenuntergang, welcher an jenem Abend 
überaus prächtig war, beobachtet hatte, begab ich mich 
wieder in die Stadt und ſprengte nach kurzer Raſt im 
Mondſchein wieder nach la Granja zurück. | 

Bereits am folgenden Morgen, am 16, September, 
verließ ich mit Cutanda die Sommerreſidenz der Könige 
von Spanien. Wir wollten abermals die Sierra über⸗ 
ſteigen und hatten dazu den hohen, wenig betretenen 
Puerto de la Fuenfria gewählt, in der Hoffnung, 
daſelbſt mehr Ausbeute an intereſſanten Pflanzen und 
überhaupt eine friſchere Vegetation zu finden, als es in 


Wanderung nach dem Puerto de la Fuenfria. 294 


den bisher von uns unterfuchten Gegenden des Gebirges 
der Fall geweſen war. Ein ſchöner, ſonniger, angenehm 
kühler Morgen begünſtigte unſere Wanderung und verſetzte 
ſelbſt mich, obwohl ich halb krank war, in heitere Stim— 
mung. Wir folgten eine Zeitlang der am Fuße des Ge— 
birges in einem weiten, mit Wieſen und Saaten erfüll— 
ten Thale hinlaufenden Straße nach Madrid, die ſpäter 
die Sierra auf dem ebenfalls ſehr hohen Puerto de 
Navaverſada paſſirt, und bogen ſodann bei dem Flecken 
Valſain in kiefernbewaldete Berge ein, die von der 
Hauptkette in nördlicher Richtung auslaufen und das 
erwähnte Thal, welches ſich nach aufwärts bald in einen 
wildromantiſchen Gebirgsgrund verwandelt, und durch das 
der Eresma herabbrauſt, gegen Weſten einſchließen. Nach 
kurzem Emporſteigen gelangten wir in einen prachtvollen 
alten Kiefernwald, der viele Stunden weit die Kämme 
und Abhänge des Gebirges bedeckt. Dieſer Wald, Pinar 
de Valſain genannt, iſt ein Beſitzthum der Krone. 
Nachdem wir auf einer Waldwieſe, die eine prächtige 
Ausſicht in das großartige Waldthal des Eresma und 
auf die rieſigen Felsgipfel der Sierra darbot, geraſtet 
und in der beſten Laune ein frugales Mittagsbrod ein— 
genommen hatten, drangen wir weiter durch die immer 
dichter werdende Waldung und erreichten nach zwei Stun— 
den die Fuente fria, eine ſehr kalte Quelle, welche 
auf dem Kamme der Hauptkette, unweit des Fußes des 
19 * 


292 Ankunft auf dem Puerto de la Fuenfria. 


hohen, in ſiebeu rieſige Felszacken geſpaltenen Cerro de 
los ſiete picos hervorſprudelt. Man befindet ſich hier“ 
inmitten einer unbeſchreiblich wilden und höchſt großarti⸗ 
gen Gebirgslandſchaft von ganz nordiſchem Typus. Hohe 
und dichte Kiefernwaldung verhindert auf der Seite der 
Quelle alle Ausſicht. Gegen Südoſten eröffnet ſich in 
unmittelbarer Nähe ein tiefer, langer, von Wald erfüllter 
Felſengrund, über deſſen zerborſtenen, der Quelle gegen- 
über liegenden Kuppen der Rieſenkegel der Perialara 
majeſtätiſch thront. Weiter nach Süden zu ragt der ſchon 
erwähnte Cerro de los ſiete picos, ein langgeſtreckter 
Felswall, empor, deſſen höchſter Gipfel eine abſolute Höhe 
von 6800 par. Fuß beſitzt. Nach kurzem Aufenthalt an 
der Quelle ſtiegen wir zum Puerto de la Fuenfria 
empor, der am nordweſtlichen Fuße der ſieben Piks vor- 
beiführt und eine Höhe von 5596 Fuß erreicht. Hier 
eröffnet ſich eine weite Ausſicht über das Plateau von 
Neucaſtilien; allein wir durften nicht zögern, denn ſchon 
war wieder ein Gewitter im Anzuge. Außerdem wehte 
ein ſchneidend kalter Wind, der uns alle Glieder erſtar⸗ 
ren machte, weshalb ich es vorzog, zu Fuß zu gehen. 
Auch wurde das Reiten bald unmöglich, indem der äu⸗ 
ßerſt ſchlechte Saumpfad ſehr jäh an dem ungemein ſteilen | 
Südabhange der Sierra hinabſtieg, der auch hier dicht | 
mit alten bemooſten Kiefern bewachſen iſt. Es dauerte | 
nicht lange, fo verſchwand der Weg ganz und gar auf | 


Nachtlager im Flecken Cercedilla. 2093 


dem ſumpfigen, moosbedeckten Boden. Cutanda's Arriero, 
der uns als Führer diente, wählte ohne weiteres eine 
ſchmale Waldblöße, wo man gefällte Baumſtämme hinab— 
gerollt hatte, um in eine Thalſchlucht hinab zu gelangen, 
durch welche, wie er ſagte, der Weg führe. Ich begreife 
noch heute nicht, wie unſere Pferde an dieſer ſchlüpfrigen, 
dachſteilen Lehne hinabkommen konnten, ohne Schaden zu 
nehmen. Unten im Grunde trafen wir auch wirklich den 
bewußten Weg, der uns bald in ein weites, beiderſeits 
von hohen Waldbergen eingeſchloſſenes, mit Wieſen er— 
fülltes und von einem muntern Bach durchſtrömtes Thal 
brachte, aus dem wir über einen niedrigen Felſenkamm in 
ein weites, maleriſches Thalbecken gelangten, in welchem 
der große, aber armſelige Flecken Cercedilla liegt, wo— 
ſelbſt wir zu übernachten beſchloſſen hatten. Noch im Ange— 
ſicht des Ortes entlud ſich das Gewitter, welches wir ſchon 
vom Paſſe aus hatten kommen ſehen, über unſern Häup— 
tern und überſchüttete uns mit einem furchtbaren Platz— 
regen, ſo daß kein trockner Faden an uns war, als wir die 
ſchlechte Poſada erreichten, wo man uns Allen zuſammen 
ein kleines Gemach, das faſt zur Hälfte von einem darin 
ſtehenden Bett ausgefüllt wurde, als Nachtquartier anwies. 

Wir waren ſämmtlich froh, als der Tag graute und 
uns unſere ſchlechte Herberge zu verlaſſen geſtattete. Das 
Ziel unſerer Wanderung war an dieſem Tage der Es— 
corial, der von Cercedilla blos drei Leguas entfernt iſt. 


29% Ankunft im Escorial. Rückkehr nach Madrid. 


Wir kamen bald auf die Chauſſee von la Granja, die 
fortwährend am Fuße des Gebirges durch lichte Eichen— 
und Eſchengehölze hinläuft. Man kommt auf dieſem Wege 
bei dem großen und gut gebauten Flecken Guadarrama 
vorbei, von dem das Gebirge ſeinen Namen erhalten hat. 
Derſelbe liegt in dem keſſelartigen Eingange eines wei— 
ten, romantiſchen Grundes, durch den der Rio Guadar- 
rama herabſtrömt und die ſchöne Straße nach Valladolid 
in großen Schneckenwindungen zu dem Puerto de Gua— 
darrama emporſteigt. Um 12 Uhr trafen wir, aber⸗ 
mals unter ſtrömendem Regen, im Escorial ein und nah— 
men Nachmittags den von mir in meinem erſten Reiſe— 
werke ausführlich beſchriebenen Kloſterpallaſt in Augen- 
ſchein, in deſſen Kirche noch der mit der Königskrone 
geſchmückte Sarg des einige Monate zuvor todtgeborenen 
Prinzen von Aſturien ſtand. Mein Freund Cutanda be⸗ 
abſichtigte noch weitere Ausflüge in die weſtlich vom Es— 
corial gelegenen Parthieen der Sierra zu machen; ich 
aber hatte die Luſt dazu verloren, theils wegen des un— 
günſtigen Wetters, theils wegen der geringen Reſultate 
unferer bisherigen Excurſionen, theils weil ich mich un- 
wohl fühlte. Dazu kam, daß eine böſe Ahnung mir ge⸗ 
bieteriſch gebot, meine Reiſe aufzugeben. Ich trennte mich 
folglich am 18. September von meinem Freunde und ritt 
nach Madrid zurück, in der Hoffnung, daſelbſt längſt er- 
ſehnte Briefe aus der Heimath vorzufinden. | 


Ueuntes Kapitel. 


Reiſe nach Toledo, Plaſencia und Salamanca. 


Die Nachricht von dem Tode meiner Braut, welche 
ich wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Madrid er— 
hielt, machte mich auf längere Zeit zu jeder Beſchäftigung 
unfähig, und verſetzte meiner ſeit dem Bivouac im Gua— 
darramagebirge bereits erſchütterten Geſundheit einen ſol— 
chen Stoß, daß ich einige Tage wirklich krank und ſodann 
noch Monate lang leidend war. Endlich gelang es mei— 
nen Bekannten, mich zu einer Reiſe zu bewegen. Da 
die Jahreszeit ſchon viel zu weit vorgerückt war, um mit 
Erfolg eine reinbotaniſche Reiſe unternehmen zu können, 
ſo beſchloß ich Toledo, Plaſencia und Salamanca zu be— 
ſuchen, indem ich ſelbſt hoffte, daß jene in hiſtoriſcher 
und artiſtiſcher Beziehung ſo denkwürdigen Städte mich 
zerſtreuen und mir neue Thatkraft verleihen würden, eine 
Hoffnung, die leider unerfüllt blieb. Außerdem ver— 
ſchaffte mir dieſe Reiſe Gelegenheit, die geognoſtiſchen 


296 Abreiſe nach Toledo. 


und orographiſchen Verhältniſſe eines großen Theiles 
Centralſpaniens kennen zu lernen. 

Ich trat meine Reiſe am 3. October an, blos beglei— 
tet von meinem Bedienten. Es war ein wunderſchöner 
Morgen, wie denn überhaupt das Wetter ſich ſeit meiner 
Rückkehr nach Madrid wieder ſchön und beſtändig geſtaltet 
hatte. Jenſeits der Brücke von Toledo theilen ſich die 
Straßen nach Aranjuez und Toledo. Letztere geht bei 
den Carabancheles vorbei, zwei großen freundlichen 
Flecken, von denen der untere am Abhange des Man⸗ 
zanarasthales gelegene ein ſchönes, von einem großen 
Park umgebenes Schloß enthält, in welchem ſich eine 
höhere Bildungsanſtalt für junge Leute vornehmen Stan⸗ 
des, eine Art von Ritteracademie, befindet. Die Ge— 
gend iſt anfangs ſehr eben und daher ſieht man Madrid 
noch eine geraume Zeit. Desgleichen erblickt man, ſo— 
bald man aus dem flachen Thale des Manzanares heraus 
it, den hohen Thurm des Städtchens Getafe, bis wo— 
hin damals die Chauſſee ging. Von dort an bis Toledo 
exiſtirte blos ein ungepflaſterter, viele Krümmungen machen⸗ 
der Fahrweg. Es wurde aber bereits damals an der 
Fortführung der Chauſſee eifrig gearbeitet. Dieſelbe geht 
von Getafé faſt ſchnurgerade bis Toledo. Der Boden 
iſt bis Toledo ſehr ſandig; hier und da herrſcht Thon 
vor, der bisweilen mit Gypsſtücken vermengt iſt. An 
ſolchen Stellen pflegt ſich das Terrain zu niedrigen, 


Reife bis Cabaſas. 297 


tafelförmig abgeplatteten Hügeln mit ſteilen Rändern zu 
erheben, wie beſonders in den Umgebungen des Fleckens 
Cabanas, woſelbſt ſich in einem ſolchen Hügel ein ähn— 
liches Meerſchaumlager befindet, wie in Cerro de Almo— 
dovar bei Vallecas. Das Land iſt baumlos, doch durch— 
gängig angebaut. Die Getreidecultur herrſcht vor; nur 
einzelne Einſenkungen im Terrain ſind mit Gemüſegärten 
erfüllt, die man vermittelſt Norias bewäſſert. Die Ge— 
gend iſt, ſo weit man ſehen kann, ziemlich ſtark bevöl— 
kert. Die Ortſchaften ſind groß, haben meiſt ſtattliche 
Kirchen und gute Häuſer und würden recht freundlich 
ausſehen, beſäßen ſie nicht eine erdfahle Farbe und wären 
ihre Umgebungen nicht ſo ſehr von Baumwuchs entblößt. 
Der erſte Ort, den die Straße berührt, iſt das ſchon er— 
wähnte Getafe, eine große, regelmäßig gebaute Villa. 
Hierher, ſo wie nach dem rechts von der Straße gelege— 
nen Flecken Leganés gehen täglich Diligencen von 
Madrid und zurück. Wir aßen zu Mittag in Parla, 
wo es eine große, leidlich eingerichtete Poſada giebt. 
Drei Stunden weiter liegt das Städtchen Illescas, 
deſſen Thor auf der Seite von Madrid ein Ueberreſt 
aus der Zeit der arabiſchen Herrſchaft iſt. Bereits bei 
völliger Nacht gelangten wir nach Cabanas, deſſen Um— 
gebungen, wie ſchon bemerkt, hüglig, gut angebaut, auch 
weniger baumlos und deshalb recht anmuthig ſind. Eine 
Stunde hinter Cabanas liegt auf einem kahlen Höhen— 


298 Gegend von Toledo. 


kamm der Flecken Olias, von dem aus man eine weite 
und ſchöne Ausſicht über die hügliche Umgegend, auf das 
Guadarramagebirge und die Montes des Toledo genießt. 
Das Terrain erhebt ſich nun zu abgerundeten Hügeln; 
an den Abhängen derſelben und in den Niederungen 
liegen zerſtreute Olivengehölze und Weingärten. Es war 
10 Uhr Morgens, als wir aus einem Barranco heraus- 
traten und uns plötzlich am Rande des flachen, ſehr brei— 
ten und ebenen Thales des Tajo befanden, welches von 
jungen grünen Saaten erfüllt war und deshalb einen 
recht freundlichen Anblick darbot. Gerade vor uns lag 
die alte gothiſche Königsſtadt Toledo mit ihren vielen 
Kirchthürmen und alterthümlichen, ſtattlichen Gebäuden, 
unter denen ſich die würfelförmige Steinmaſſe des im 
höchſten Theile der Stadt befindlichen Alcazar und die 
berühmte Domkirche mit ihrem hohen gothiſchen Thurme 
am meiſten bemerklich machen. Den Hintergrund bildeten 
die kahlen, ſchroffen Felſenlehnen, welche das Tajothal 
gegen Süden umgürten, und die über denſelben empor— 
tauchenden Granitberge der Montes de Toledo, welche 
eine Tagereiſe von Toledo entfernt find und ſchroffe For— 
men, aber viel geringere Höhe beſitzen, als das Guadar— 
ramagebirge. Sie bilden das öſtlichſte Stück des Ge— 
birgsſyſtems von Eſtremadura, welches die Thäler und 
Flußgebiete des Tajo und des Guadiana von einander 
ſcheidet und ſich bis nach Portugal hineinerſtreckt. Unter⸗ 


Ankunft in Toledo. 299 


halb der Stadt find die Felslehnen des Tajothales mit 
Gebüſch bedeckt und mit von Gärten umringten Land— 
häuſern beſtreut, weshalb fie einen recht heitern Anblick 
gewähren. Man nennt dieſe Landhäuſer los Cigarrales 
de Toledo. Unweit derſelben, aber dicht am Ufer des 
Tajo bemerkt man ein großes pallaſtähnliches Gebäude, 
von deſſen Dache die königliche Flagge weht. Es iſt die 
berühmte Säbelfabrik, welche blanke Waffen aller Art 
und bekanntlich von ausgezeichneter Güte (die berühmten 
Toledoklingen!) liefert. Die Straße von Madrid führt 
bei dem großen in der Vega gelegenen Hoſpitale von 
Santa Cruz vorbei, welches eine ſchöne Kuppelkirche 
beſitzt und ſchlingt ſich um die alterthümlichen Stadt— 
mauern, die zum Theil noch ein Werk der Mauren ſind, 
herum bis zu der mit Sculpturen verzierten und von einem 
dicken Thurme überragten Puerta de Cambrön. Nach 
langem Hin- und Herreiten durch das finſtere Gaſſenge— 
wirr der ſehr weitläufigen Stadt gelangten wir endlich 
auf den Conſtitutionsplatz, wo ich mich in einem alter— 
thümlichen, doch recht guten Gaſthofe (dem Parador de 
Silleria) einlogirte. 

Toledo gehört zu den älteſten Städten der pyre— 
näiſchen Halbinſel. Seine Gründung verliert ſich in das 
graueſte Alterthum. Schon vor der Herrſchaft der Römer 
war es die Hauptſtadt eines celtiberifchen Volksſtammes, 
der Toletani, jedoch von unbedeutender Größe, obwohl 


300 Geſchichte von Toledo. 


wichtig als ſtrategiſcher Punet wegen feiner ſchwer zu— 
gänglichen Lage). Von den Römern wurde es im Jahre 
192 vor Chriſto unter dem Befehl des Proconſul M. 
Fulvius Nobilior erobert“). Im Jahre 567 ward es 
die Reſidenz der weſtgothiſchen Könige und nahm von 
da an raſch an Umfang zu; feine jetzige Größe und Bau— 
art verdankt es aber, wie ſo viele andere Städte Spaniens, 
der Herrſchaft der Mauren, denen es im Jahre 744 in 
die Hände fiel. Bis zum Jahre 1027 war es ſucceſſive 
den Kaliphen von Damascus, Bagdad und Cordova un— 
terworfen; in jenem Jahre aber ward es die Hauptſtadt 
eines unabhängigen mauriſchen Reichs, die es bis 1085 
blieb, wo es durch Alphons VI., König von Caſtilien, 
dem Halbmonde auf immer entriſſen wurde. Auch nach- 
her diente Toledo noch häufig als königliches Hoflager, 
bis Philipp II. Madrid zur Hauptſtadt der ſpaniſchen 
Monarchie und zur bleibenden Reſidenz ihrer Könige 
machte. Seitdem nahm Toledo's Glanz und Bevölke— 
rung raſch ab und gegenwärtig beträgt letztere blos etwas 
über 20000 Seelen, während die Stadt ihrer Größe und 
Bauart nach mindeſtens die dreifache Einwohnerzahl ent— 
halten könnte. Daher iſt Toledo jetzt eine der verödetſten 
Städte Spaniens; wie in Cordova, ſo kann man auch 


) Livius nennt das alte Toletano eine „urbs parva, sed loco 
munita.“ Vgl. lib. XXXV, cap. 7. 
) S. Livius a. a. O. cap. 22. 


Die ſchlechten Straßen von Toledo. 304 


hier oft gaſſenweit gehen, ohne einem einzigen Menſchen 
zu begegnen, und ſtehen viele Häuſer leer und drohen den 
Einſturz. Toledo iſt zwar eine ſehr intereſſante Stadt, 
aber zugleich eine der häßlichſten, die ich kenne. Ein 
ſolches Gewirr von engen, krummen, finſtern Gaſſen und 
kleinen unregelmäßigen Plätzen, wie hier, war mir noch 
nirgends vorgekommen. Manche Gaſſen ſind ſo ſchmal, 
daß kaum zwei Perſonen nebeneinander gehen können und 
beſitzen dabei drei bis vier Stockwerke hohe Häuſer. 
Letztere haben bis auf wenige Gebäude der Neuzeit ein 
finſteres Ausſehen, indem ſie nicht nur in mittelalterlichem 
Style erbaut, ſondern auch vom Alter und vom Wetter ge— 
ſchwärzt ſind. Dazu kommt noch ein abſcheuliches Straßen— 
pflaſter und eine erbärmlich ſchlechte Gaſſenbeleuchtung, 
zwei Umſtände, die bei der großen Unebenheit der Gaſſen 
es bei Nachtzeit faſt unmöglich machen, aus dem Hauſe zu 
gehen. In Toledo giebt es nämlich faſt keine einzige Gaſſe, 
welche horizontal läge, weil die Stadt die Oberfläche und 
die Abhänge eines wiederum in mehrere Hügel und Thäler 
zerfallenden Felſenwalles einnimmt, welcher aus der Ebene 
des Tajothales dicht am rechten Ufer des Fluſſes, der 
ihn auf drei Seiten, gen Süden, Oſten und Weſten um— 
giebt, iſolirt emporſteigt. Wegen dieſer eigenthümlichen 
Lage bietet Toledo äußerſt maleriſche Anſichten ſowohl 
von Außen als im Inneren der Stadt dar. Ueberall 
treten die alterthümlichen Gebäude, die vielen Kirchen 


302 Beſchreibung von Toledo. 


und Klöſter zu den pittoreskeſten Gruppen zuſammen. 
Von keiner Seite aber imponirt die Stadt ſo, wie von der 
Südſeite, von den Felskuppen aus, die ſich jenſeits des 
Tajo erheben. Der Stadthügel, welcher aus demſelben 
Granit beſteht wie die Montes de Toledo, als deren 
nördlichſte Schwelle er betrachtet werden muß, iſt näm⸗ 
lich offenbar blos durch den Tajo iſolirt worden, indem 
dieſer Fluß hier jene granitne Baſis gewaltſam durch- 
brochen hat. In Folge davon iſt eine tiefe 8 förmig 
gekrümmte Schlucht entſtanden, deren Wandungen aus 
ſchroffen, wild zerklüfteten Felſen beſtehen, und deren 
Grund an vielen Stellen von den eingezwängten Wogen 
des waſſerreichen Fluſſes gänzlich ausgefüllt wird. Wie 
in Cuenca, ſo kleben auch hier viele Häuſer am äußerſten 
Rande der hohen Felſen, welche den Stadtberg umgürten. 
Hinter denſelben ſteigen die maleriſch gruppirten Ge— 
bäude terraſſenförmig an den Abhängen der einzelnen 
Kuppen, in welche der Stadtberg zerſpalten iſt, empor, 
und hoch über Alles erheben ſich der gothiſche Rieſenbau 
der Cathedrale und der moderne Pallaſt des königlichen 
Alcazar. Außerdem überragt ein Wald von Thürmen 
das graue Häuſerchaos, denn Toledo zählt nicht weniger 
als 25 Kirchen, 39 Klöſter, 14 Hospitäler und 3 Kapellen! 
Man könnte es hinſichtlich der maleriſchen Gruppirung 
und der Zahl der Thürme das ſpaniſche Prag nennen. 
Am Eingange und Ausgange des Felſenthales, deſſen 


6 


Die Cathedrale von Toledo. 303 


Seitenſchluchten mit Strauchwerk und Kräutern reich ge— 
ſchmückt ſind, führen hochgeſpannte Brücken über den an 
mehreren Stellen über Felſenbänke und Mühlwehre ſchäu— 
menden Fluß, die den beiden Thoren von San Martin 
und Alcantara entſprechen. Beide Thore ſind von 
mauriſcher Bauart, von hohen weiten Hufeiſenbogen über— 
wölbt. Auch die aus zwei coloſſalen Bogen beſtehende 
Brücke von Alcantara datirt aus der Zeit der arabiſchen 
Herrſchaft. Ebenfalls ein Werk der Mauren iſt ein großes, 
wohl erhaltenes Caſtell, welches der Stadt gegenüber auf 
einem Felſenvorſprunge über der Brücke von Alcantara 
liegt. Daſſelbe beſitzt ein ſchönes Eingangsthor in Huf— 
eiſenform. 

Toledo beſitzt ſo viele merkwürdige Gebäude und 
Kunſtſchätze, daß mindeſtens eine Woche dazu gehört, um 
alles Sehenswerthe in Augenſchein zu nehmen. Da ich 
blos zwei Tage daſelbſt verweilen konnte und außerdem 
keinen beſonderen Trieb in mir verſpürte, alle Merkwür— 
digkeiten anzuſehen, ſo begnügte ich mich mit der Be— 
ſichtigung der Cathedrale und ihrer Koftbarfeiten, Auch 
hierüber will ich mich kurz faſſen, da bereits viele und 
ausführliche Beſchreibungen dieſes berühmten Gebäudes 
und ſeiner Schätze exiſtiren. Die Cathedrale von Toledo 
ſtammt aus den älteſten Zeiten der chriſtlichen Kirche. 
Einer lateiniſchen Inſchrift zufolge, die man im Jahre 
1581 auffand, ward der Grundſtein zu derſelben im Jahre 


304 Die Cathedrale von Toledo. 


587 im zweiten Jahre der Regierung des Gothenkönigs 
Recaredus (2) gelegt. Die Mauren verwandelten den 
Dom in eine Moſchee und zerſtörten einzelne Theile des 
gothiſchen Gebäudes. Nach der Eroberung Toledo's durch 
die Spanier wurden die mauriſchen Bauwerke wieder 
eingeäfchert (es iſt aus der Zeit der Moſchee blos eine 
mit prächtiger Arabeskenſtuccatur bekleidete Mauer übrig 
geblieben, in einer der Seitenkapellen) und der Dom im 
dreizehnten Jahrhunderte unter der Regierung Ferdinands 
III., des Heiligen, in gothiſchem Style reſtaurirt. Die 
Cathedrale von Toledo iſt nächſt der Domkirche von Se⸗ 
villa die größte gothiſche Kirche Spaniens. Das eigent- 
liche Kirchhaus beſitzt eine Länge von 404 und eine 
Breite von 204 Fuß und zerfällt im Inneren in fünf 
majeſtätiſche Schiffe, welche von 84 gothiſchen Pfeilern 
getragen werden. Sie enthält 40 Seitenkapellen und 
mehr als 70 Altäre, die faſt ſämmtlich aus den pracht⸗ 
vollſten Marmorplatten verfertigt ſind. Unter den Ka⸗ 
pellen verdienen beſonders die Capilla mozärabe, die Ca- 
pilla de los Reyes, die Capilla de Santiago, die Capilla 
de San Ildefonso, die Capilla mayor und die Capilla de 
la firgen die Beachtung des Beſuchers. Die Capilla mo- 
zar abe bildet eine Kirche für ſich und iſt durch ein bron⸗ 
zenes Gitterthor von dem eigentlichen Dome geſchieden. 
Sie wurde auf Befehl des berühmten Cardinals Gimenez 
de Cisneros erbaut, iſt von einer hohen Kuppel über⸗ 


Die Cathedrale von Toledo. 305 


ſpannt und enthält außer anderen Koftbarfeiten eine 
prachtvolle Moſaik, welche eine Concepeion darſtellt. Das 
Freskogemälde der Kuppel verewigt die Eroberung von 
Oran durch die Spanier. In dieſer Kapelle bedient man 
ſich noch jetzt bei'm Gottesdienſte der alten gothiſchen 
Liturgie. Die Capilla de los Reyes enthält die Grab— 
mäler dreier Könige und Königinnen von Caſtilien, nämlich 
Heinrichs II. und ſeiner Gemahlin Johanna, Johannes J. 
und ſeiner Gemahlin Eleonore, und Heinrichs III. und ſei— 
ner Gemahlin Katharina. In der Capilla de Santiago, 
einer großen gothiſchen Halle, befinden ſich zwei ſtolze 
marmorne Grabmonumente. Das eine umſchließt die Ge— 
beine des Erzbiſchofs Juan Zerezuela, das andere die 
des berühmten Großmeiſters des Ordens von Santiago 
und Connetables von Caſtilien, Don Alvaro's de Luna, 
welcher, nachdem er lange Zeit der allmächtige Günſt— 
ling Johannes II. und der unumſchränkte Beherrſcher des 
caſtilianiſchen Reichs geweſen war, auf Befehl des ge— 
nannten Königs im Jahre 1452 auf dem Marktplatze zu 
Valladolid öffentlich enthauptet wurde. Die Capilla 
de San Ildefonso iſt beſonders durch die Marmor: 
pracht ihres Hochaltares ausgezeichnet. Es befinden ſich 
hier die Grabmäler mehrerer Erzbiſchöfe und Granden. 
Die Capilla mayor birgt die Grabmonumente der 
Könige Alphons VII., Don Sancho's el Deſerdo und 
Don Sancho's el Bravo, ſo wie das des Cardinals Don 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 20 


306 Koſtbarkeiten der Cathedrale zu Toledo. 


Pedro de Mendoza, welches überaus prachtvoll iſt. Die 
Kapelle der Jungfrau ſtrotzt von Marmorſculpturen, 
Gemälden und Koſtbarkeiten. Unter letzteren will ich nur 
einen Thronſeſſel erwähnen, auf den das Bild der Jung— 
frau am Frohnleichnamsfeſte und bei anderen hohen kirch— 
lichen Feſtlichkeiten geſtellt wird. Derſelbe wiegt 12 Centner 
und iſt von maſſivem Silber! Ueberhaupt überſteigen 
die Schätze dieſes Doms alle Begriffe. Selbſt die Cathe— 
drale von Sevilla ſteht in dieſer Hinſicht dem Dome 
von Toledo nach“). So befindet ſich hier eine in go— 
thiſchem Styl ausgeführte Cuſtodia von Silber mit 260 
Figuren, welche 794 Mark und 5 Unzen wiegt und eine 
zweite von maſſivem Gold von 57 Mark Gewicht und 
mit Brillanten beſetzt. Ferner zeigt man hier einen 
großen Mantel, der ganz und gar aus drientaliſchen 
Perlen verfertigt und ſo ſchwer iſt, daß er horizontal 
ausgebreitet liegen muß, denn ſonſt würde er zerreißen. 
Dieſer Mantel wird dem Madonnenbilde am Frohnleich⸗ 


) Ein altes caitilianifches Sprüchwort claſſificirt die vier be⸗ 
deutenditen gothiſchen Dome Spaniens: Sevilla, Toledo, Leon 
und Santiago de Compoſtela, folgendermaaßen: 

Sevilla en grandeza, 

Toledo en riqueza, 

Compostela en fortalera 

y Leon en sutilera, 
d. h. Sevilla hat die größte, Toledo die reichſte, Compoſtela die 
maffivfte und Leon die zierlichſte gothiſche Cathedrale. 


Koſtbarkeiten der Cathedrale zu Toledo. 307 


namstage umgehängt. Andere Koſtbarkeiten ſind: die 
vier Welttheile, allegoriſche Figuren von Silber, die 
goldene von Perlen und Edelſteinen ſtrotzende Krone und 
die Perlenarmbänder der Jungfrau, ein Chriſtuskind von 
maſſivem Golde, eine Cuſtodia von Bernſtein, die ſilberne 
mit rothem Sammet überzogene Urne, welche die Reſte 
des Gothenkönigs Wamba umſchließt, eine goldene Mon— 
ſtranz, deren Strahlen über und über mit Brillanten be— 
ſetzt ſind, eine andere von edlen Korallen, prachtvoll ge— 
ſtickte Meßgewänder, mit Edelſteinen und Perlen beſetzte 
erzbiſchöfliche Mitras und Krummſtäbe u. ſ. w. Außer 
einer Menge von Reliquien werden in dem Dome von 
Toledo auch noch verſchiedene hiſtoriſche und literariſche 
Merkwürdigkeiten aufbewahrt. So zeigte man eine alte 
Bibel, angeblich aus dem ſiebenten Jahrhunderte, mit 
gothiſcher Schrift auf Pergament, wo jeder Vers durch 
ein Bild auf Goldgrund illuſtrirt iſt. Ferner befinden ſich 
hier die türkiſchen Fahnen, welche Don Juan de Auſtria 
in der Schlacht bei Lepanto erbeutete, welche letztere in 
Toledo noch jetzt alljährlich am 7. October durch feier— 
lichen Gottesdienſt und Proceſſion gefeiert wird. Kurz, 
es ließe ſich ein ganzes Buch allein über die Schätze der 
Cathedrale von Toledo ſchreiben. Die Mehrzahl dieſer 
Koſtbarkeiten wird in der Sacriſtei aufbewahrt, welche 
auch eine große Anzahl werthvoller Gemälde enthält, 
darunter eins von Rubens, ein anderes angeblich von 
ar 


308 Koſtbarkeiten der Cathedrale zu Toledo. 


Raphael, eins von Guido Reni, eins von Tician und 
mehrere von Baſſano, Orrente und Alonſo Cano. Das 
Gewölbe der Sacriſtei, — ſie iſt in römiſchem Style 
erbaut —, ſchmückt ein ungeheures Freskogemälde von 
Giordano, welches die himmliſchen Heerſchaaren darſtellt. 
Auch in den Kapellen der Kirche befinden ſich viele Ge— 
mälde, ſo daß dieſer Dom als eine Gemäldegallerie be— 
trachtet werden kann. Desgleichen iſt die Cathedrale 
von Toledo reich an ſchönen Werken der Bildhauerei. 
Prachtvolle Basreliefs und Statuen aus weißem Marmor 
ſchmücken viele Altäre; noch ſchöner und werthvoller bei— 
nahe find die herrlichen Holzſeulpturen der Silleria del 
caro (Chorſtühle der Canonici), welche von zwei ſpani— 
ſchen Schülern Michel Angelo's, Namens Alfonfo Ber— 
ruguete und Felipe de Borgona herrühren und in koſt— 
baren amerikaniſchen Hölzern ausgeführt ſind. Nicht ge— 
ringeren Werth beſitzen die Glasgemälde, welche ſich in 
vielen der hohen gothiſchen Fenſter befinden. Der Fuß— 
boden endlich des majeſtätiſchen Domes beſteht aus einem 
ſpiegelglatten Getäfel von quadratiſchen Platten von 
weißem und blauem Marmor. Aus der Kirche gelangt 
man durch ein gothiſches Thor in den Kreuzgang des 
Domcapitels, welcher eine lange Gallerie herrlicher gothi— 
ſcher Hallen iſt. Seine Wände ſind mit prachtvollen 
Fresken von der Meiſterhand der beiden berühmten ſpa— 
niſchen Freskomaler Bayen und Maella geſchmückt. Unter 


Der Glockenthurm zu Toledo. 309 


denſelben feſſelte mich beſonders eins ungemein, welches 
den Tod der heiligen Magdalena zum Gegenſtand hat. 
Neben dem Kreuzgange erhebt ſich der Glockenthurm des 
Doms, ein ſchöner gothiſcher Bau. Seine Höhe iſt mir 
nicht bekannt, kann aber nicht unbedeutend ſein. Schade, 
daß er nicht ganz im gothiſchen Style ausgeführt iſt. 
Anſtatt der hohen durchbrochenen Pyramide von Stein, 
mit welcher er den Regeln des gothiſchen Bauſtyls ge— 
mäß enden ſollte, beſitzt er nämlich blos eine mit Schiefer 
gedeckte und mit Ornamenten aus Zink geſchmückte Spitze. 
Urſprünglich hat die Cathedrale zwei Thürme bekommen 
ſollen, allein der zweite Thurm iſt, wie bei den meiſten 
der gothiſchen Rieſendome, unvollendet geblieben. In 
der Glockenſtube des Thurmes, zu der eine bequeme und 
helle Treppe emporführt, hängen nicht weniger als 14 
Glocken. Unter denſelben zeichnet ſich eine ſowohl durch 
ihre enorme Größe, als durch ihre geſchmackvollen Ver— 
zierungen aus. Sie wurde der Inſchrift zufolge im 
Jahre 1637 in Toledo gegoſſen und wiegt 1543 Arroben 
(386 Centner). Dieſe Glocke iſt die größte in Spanien. 
Aus der Glockenſtube ſteigt man auf einer iſolirt ſtehen— 
den, langen, engen Wendeltreppe von Bronce zum oberſten 
Kranze des Thurmes empor. Von hier aus genießt man 
eine prächtige Ausſicht über die alterthümliche Stadt, 
das romantiſche Felſenthal des Tajo und die weiten, 
fruchtbaren Gefilde, welche Toledo gegen Norden, Weſten 


340 Wichtige Gebäude Toledo's. Bibliothek. 


und Oſten umgeben. Unter den vielen Kirchen und 
pallaſtähnlichen, alterthümlichen Gebäuden, welche aus 
dem grauen, maleriſch gruppirten Häuſermeer emportau⸗ 
chen, zeichnen ſich beſonders aus: die ſchöne Kirche des 
ehemaligen Jeſuitencollegiums, die von den katholiſchen 
Königen Ferdinand und Iſabella gegründete Kirche San 
Juan de los Reyes, an deren Außenſeite neben dem 
Hauptportale die Ketten aufgehängt ſind, welche die ge— 
fangenen Chriſten in Granada trugen, die bei der Ueber— 
gabe jener Stadt befreit wurden; ferner der ſchon mehr- 
fach erwähnte Alcazar, ein aus dem achtzehnten Jahchun⸗ 
derte ſtammendes, würfelförmiges Gebäude von koloſſaler 
Größe (die Hauptfacade beſitzt eine Länge von 160 Fuß), 
welches an der Stelle der ehemaligen Königsburg ſteht 
und jetzt als Caſerne dient; endlich der ehemalige In— 
quiſitionspallaſt, ein ebenfalls ſehr ſtattliches Gebäude 
von edler Architectur, in dem ſich gegenwärtig das Go- 
bierno politico der Provinz, denn Toledo iſt Provin— 
zialhauptſtadt, befindet. Schließlich will ich noch er— 
wähnen, daß das Domcapitel auch eine ziemlich bände— 
reiche Bibliothek beſitzt, welche beſonders der vielen 
Manuſcripte und Codices wegen wichtig iſt, deren Zahl 
ſich auf ſiebenhundert belaufen ſoll. 

Dicht neben der Cathedrale ſteht der Pallaſt des 
Erzbiſchofs, ein Gebäude von bedeutender Größe, aber 
ohne allen architektoniſchen Werth. Der Erzbiſchof von 


Primas von Spanien. Oeffentliche Plätze von Toledo. 344 


Toledo führt bekanntlich den Titel „Primas von Spanien“ 
und iſt gewöhnlich Cardinal. Er gehört zu den reichſten 
Prälaten der Chriſtenheit; feine Diöceſe umfaßt außer 
dem Domcapitel von Toledo vier Collegiatkirchen, eine 
Abtei, zwölf biſchöfliche Vicariate und 802 Pfarrkirchen. 
Der Clerus der Cathedrale beſteht aus 14 hohen Geiſt— 
lichen (dignidades), 27 Canonicis, 50 Chorherren (pre- 
bendados) und mehr als 200 Kaplänen. Größeren 
architectoniſchen Werth, als der erzbiſchöfliche Pallaſt hat 
die ebenfalls am Domplatze befindliche Casa de la 
eindad oder das Rathhaus. Dieſes mit zwei Thürmen 
geſchmückte Gebäude verräth durch ſeinen einfach-edlen 
und ſtolzen Styl ſeinen Architecten, den genialen Her— 
rera, den Baumeiſter des Escorial. Von dem Domplatze 
aus, welcher eine dreieckige Geſtalt hat, bietet die Cathe— 
drale einen majeſtätiſchen Anblick dar. Man überſieht 
hier die Seite des Hauptportals, welches aus drei gothi— 
ſchen Thoren beſteht. Links davon erhebt ſich der Glocken— 
thurm, rechts ragt die hohe Kuppel der Capilla mozärabe 
auf. Außer dem Domplatze verdient noch der Conſtitu— 
tionsplatz eine Beachtung, weil er mit einer Promenade 
geziert iſt, die den gewöhnlichen Sammelplatz der höhern 
Stände in Abendſtunden bildet. Dieſer Platz hat eine 
ſehr unregelmäßige Form und iſt von hohen alterthüm— 
lichen, mit vielen Balconreihen verſehenen Gebäuden um— 
ſchloſſen. Alle übrigen Plätze Toledo's ſind klein und 


312 Induſtriezweige Toledo's. 


häßlich. Auch die beiden außerhalb der Stadt in der 
Vega und am Ufer des Tajo unweit des Thores von 
Alcantara gelegenen Promenaden verdienen kaum erwähnt 
zu werden. Dagegen iſt der Weg durch die Vega bis 
zur königlichen Säbelfabrik ein ſehr angenehmer Spazier⸗ 
gang. Die Säbelfabrik iſt ein großartiges Etabliſſement 
und ein ſehr ſchönes Gebäude. Ihre vielen Schmieden 
und Schleifereien werden theils durch die Waſſerkraft 
des Tajo, theils durch Dampfmaſchinen in Bewegung 
geſetzt. Ehedem war Toledo auch wegen ſeiner Wollen— 
und Seidenwebereien und wegen ſeiner Stecknadelfabriken 
berühmt. Alle dieſe Induſtriezweige ſind in neuerer 
Zeit untergegangen und nur ein Artikel iſt übrig ge— 
blieben, den kein anderer Ort Spaniens in ſo vortreff— 
licher Weiſe liefert, das iſt der berühmte „Marzipan de 
Toledo“, ein Gebäck, welches beſonders zur Weihnachts— 
zeit in ganz Spanien eine große Rolle ſpielt, und ſelbſt 
nach Frankreich, England und Amerika ausgeführt wird. 

Am Mittage des 6. Octobers verließ ich Toledo 
wieder, um nach Plaſencia in Hocheſtremadura zu 
reiſen, bis wohin man von Toledo aus zu Pferde vier 
Tage braucht. Die Gegend iſt bis Talavera ſehr eben 
und kahl und daher oft meilenweit entſetzlich langweilig. 
Am meiſten ermüden die erſten drei Leguas bis zum 
Flecken Rielves, zwiſchen dem und der Vega von Toledo 
ſich ein völlig nacktes und unbewohntes, welliges Plateau 


Gegend zwiſchen Toledo und Talavera. 313 


hne alle Ausſicht erhebt. Dieſes Plateau iſt von dem 
ichten Thale des Guadarramafluſſes durchfurcht, der 
ier eine ſehr bedeutende Breite beſitzt, weil eine Menge 
on Sandbänken in ſeinem Bette liegen. Der Weg über— 
hreitet denſelben auf einer langen Steinbrücke von eilf 
zogen. Hinter Rielves wird die Gegend ganz eben und 
eſitzt einen ſehr ſandigen und deshalb wenig ergiebigen 
zoden. Doch gewinnt man hier ſchöne Ausſichten, theils 
en Norden auf die immer näher heranrückende Central— 
ette, theils gen Süden auf die Montes de Toledo. 
luch ſieht man hier und da kleine Olivenhaine und Ge— 
ölze von Immergrüneichen, ja um den Flecken Cerindote 
ſt das ganze Land weit und breit mit ſchönen Oelbäumen 
edeckt. Aus dieſen Olivenpflanzungen führt der Weg 
u kahlen Höhen empor, die eine prachtvolle Anſicht des 
entralen Scheidegebirges gewähren, welche um ſo ſchöner 
var, als gerade die Sonne unterging, als wir auf jene 
höhen gelangten. Wir brachten die Nacht in dem großen, 
anz eben gelegenen Flecken Carmena zu, welcher rings 
on ausgedehnten Olivenhainen umgeben iſt. Letztere 
etzen ſich bis zum Flecken Carriches fort. Sodann 
olgt ein hügliches kahles Sandgelände, welches indeſſen 
ehr ſchöne Ausſichten nach den beiden Gebirgsſyſtemen 
ſewährt. Endlich ſenkt ſich der breite, ſandige Reitweg 
n einen Barranco hinab, welcher mit üppiger Vegetation 
rfüllt iſt, und nachdem man ein ſchönes Laubgehölz durch— 


314 Gegend von Cebolla. 


wandert hat, gelangt man in ein weites, von kahlen 
Höhen umſchloſſenes Thalbaſſin, wo umringt von zahl 
loſen Oelbäumen und Weingärten der ſtattliche Flecker 
Cebolla liegt. Derſelbe beſitzt zwei Kirchen, ein Spita 
und ein altes, großes Schloß, das ehedem den Herzögeil 
von Alba gehörte. Am Ausgange dieſes freundlichei⸗ 
Ortes beginnen ausgedehnte Weinpflanzungen, die übe 
eine Stunde anhalten und das Land weit und breit bei 
decken. Es war hier eben die Weinleſe in vollem Gange 
Ich will nicht hoffen, daß der blanke Wein, den ma 
uns in der Poſada von Cebolla vorſetzte, die einzig 
Weinſorte ſei, welche hier gewonnen wird, denn jene 
Wein war ein abſcheuliches Getränk. Auf das Weinge 
lände folgt eine unbewohnte, mehrere Stunden breit 
Ebene, welche nur hier und da mit kleinen Olivenhaine 
beſtreut, ſonſt völlig unangebaut iſt. Zur Rechten un 
zur Linken bezeichnen Streifen üppiger, vorzüglich au 
Silberpappeln beſtehenden Baumwuchſes, den Lauf de 
Rio Alberches und des Tajo. Den erſtgenannten Flu 
überſchreitet man drei Stunden hinter Cebolla auf eine 
langen Holzbrücke. Man gelangt hier auf die von Madri 
nach Badajoz führende Heerſtraße von Eſtremadura. D 
Alberches, ein breiter, in mehrere Arme getheilter Flu 
welcher den weſtlichſten Parthieen des Guadarramageſ 
birges entquillt, fällt bald unterhalb der Brücke in dei 
Tajo. Von der Brücke aus erblickt man bereits die Thü 


Talavera de la Reina. 315 


nd Kuppeln von Talavera, welche aus einem Walde 
m Oelbäumen hervorragen, der am jenſeitigen Ufer 
es Alberches beginnt. Die Straße geht faſt ſchnurge— 
ide durch denſelben hindurch bis zur Kirche der Virgen 
el Prado, von wo eine ſchattenloſe Promenade bis an 
ie Thore der Stadt führt. 

Talavera de la Reina, eine Stadt von 8000 
is 9000 Einwohnern, liegt im Schooße einer weiten, 
hr fruchtbaren und gut angebauten Ebene, dicht am 
echten Ufer des hier in mehrere Arme getheilten, breit 
ahinſtrömenden Tajo, über den eine 200 Fuß lange 
steinbrücke von 35 Bogen führt. Von dieſer Brücke 
us, welche der heiligen Katharina geweiht iſt (puente 
e Santa Catalina), nimmt ſich die Stadt ſehr hübſch 
us. Dieſelbe beſitzt ſieben Pfarrkirchen und vierzehn 
klöſter und iſt die Reſidenz eines Vicars des Erzbis— 
hums Toledo. Die Häuſer ſind meiſt gut gebaut, die 
aſſen aber eng, krumm, ſchlecht gepflaſtert und ſchmuzig. 
Inter den Kirchen verdient blos die Hauptkirche oder 
gie Colegiata eine Erwähnung. Dieſelbe iſt von gothi— 
cher Bauart und enthält drei große ſchöne Schiffe. Da— 
eben erhebt ſich ein hoher vierſeitiger Glockenthurm, 
yeffen Erbauung, wie fein moderner Styl beweiſt, aus 
einer viel ſpätern Zeit datirt. Ein hübſches Bauwerk 
ſt auch die ſchon genannte Kirche der Virgen del 
Prado. Durch einen von ſieben Säulen getragenen 


316 Volksfeſt von Tala vera. 


Porticus tritt man in das Innere, welches aus drei 
großen Schiffen in florentiniſchem Styl beſteht. Uebe 
dem Platze vor dem Hochaltar — es iſt eine Kreuzkirche — 
erhebt ſich eine hohe ſchöngeformte Kuppel, welche mi 
Freskogemälden verziert iſt. In dieſer Kirche wird ein 
wunderthätiges Madonnenbild verehrt, welches zu einen 
eigenthümlichen Volksfeſte Veranlaſſung gegeben hat, dat 
alljährlich acht Tage nach Oſtern zu Ehren der Jungfrau 
gefeiert wird und unter dem Namen las Mondas du 
Talavera bekannt iſt. Es beſteht in Proceſſionen dei 
Bewohner aller umliegenden Ortſchaften, welche der Jung 
frau an dieſem Tage Geſchenke darbringen, fo wie in 
Ritterſpielen und Stiergefechten, die von den „caballeros 
de la virgen del prado“, einem bereits im fechzehnter 
Jahrhundert zuſammengetretenen Verein (hermandad}, 
unter den angeſehenen Einwohnern von Talavera, ver: 
anſtaltet werden. Jene Ritter müſſen bei dieſer Gelegen 
heit zu Pferde, in altſpaniſcher Tracht erſcheinen. Ueber 
haupt iſt Talavera und feine Umgegend reich an eigen: 
thümlichen Sitten. So pflegen die jungen Burſchen dae 
ganze Jahr hindurch allabendlich ſingend durch die Gaſſer 
zu ziehen, indem fie zugleich ihren hoͤchſt unmelodiſcherſ 
Geſang mit lärmenden Inſtrumenten begleiten. Und 
zwar bedienen ſie ſich dazu vom Tage aller Heiligen bis 
zu Weihnachten der Zambomba, jenes eigenthümlichen 
brummenden und heulenden Inſtruments, welches ich in] 


Talavera de la Reina und feine Geſchichte. 317 


einem erſten Reiſewerke ausführlich geſchildert habe; 
ährend der übrigen Monate dagegen des Tambourins. 
alavera de la Reina gilt für eine ſehr reiche Stadt. 
Cs befinden ſich daſelbſt bedeutende Seidenwebereien, 
elche eine große Menge von ſeidenen Kleiderſtoffen, 
idenen Strümpfen, Franzen, Sammet u. dgl. m. liefern, 
wie mehrere Steingutfabriken. Auch der Handel iſt 
cht unbedeutend. Alljährlich, ich glaube im Auguſt, 
ird ein großer Jahrmarkt gehalten, welcher acht Tage 
ert und ſehr beſucht ſein ſoll. Die Umgebungen der Stadt, 
eren Fruchtbarkeit noch durch das außerordentlich milde 
lima, das an einen Küſtenort erinnert, geſteigert wird, 
zeugen eine große Menge von Getreide, Wein, Oel, 
eigen, Mandeln, Gartenfrüchte aller Art, und Seide. 
‘oh will ich bemerken, daß die Stadt ihren Beinamen 
de la Reina“ davon erhalten hat, daß ſie zur Zeit des 
önigthums von Caſtilien das Erbgut der jedesmaligen 
önigin war. Die Stadt iſt ſehr alt; man behauptet, 
e habe ſchon zur Zeit der Römer exiſtirt. Während der 
cabiſchen Herrſchaft erlitt fie viele Unbilden, indem fie 
tehrmals von den Caſtilianern und Mauren abwechſelnd 
elagert, erobert, geplündert und eingeäſchert wurde. Ta— 
wera de la Reina iſt der Geburtsort des berühmten 
ganiſchen Agronomen Herrera. 

Gleich den folgenden Morgen ſetzte ich meine Reiſe 
eiter fort. Wir folgten dieſen ganzen Tag der Heer— 


318 Gegend zwiſchen Talavera und Eſtremadura. 


ſtraße nach Eſtremadura. Dieſe führt eine Stunde wei 
durch die fruchtbare Ebene von Talavera zwiſchen Wein 
gärten, Maulbeerbaumplantagen, Gemüſefeldern und Oli 
venhainen hin, dann aber erhebt ſie ſich aus dem weiten 
flachen Thale des Tajo, in welchem einige Piniengehöl 
liegen, auf ein kahles, entſetzlich ödes Plateau, welch 
theils ganz eben, theils wellenförmig geſtaltet ift und fit 
allmälig gegen die Gränze von Eſtremadura hinabſenkt 
Sechs Stunden lang ſieht man, mit Ausnahme eine 
einſamen Poſthauſes nebſt Venta, keine menſchliche Woh 
nung und faſt keinen Anbau und eben ſo wenig Bäume 
Der Boden iſt meiſt mit kahlen Triften überzogen, di 
hier und da ſumpfig find und Lachen beherbergen, a 
deren Rändern Heerden ſchwarzer, halbnackter Schwei 
lagerten, welche die Nähe Eſtremadura's verkündigte 
Die Straße iſt ſehr ſchlecht gehalten und verraſt, den 
es findet ein nur ſehr geringer Verkehr zwiſchen Neu 
caſtilien und Eſtremadura ſtatt. Außer Schweinehirtef 
begegneten wir keinem einzigen Menſchen. Bald hinte 
der Venta, wo wir Mittag machten und wo mir ein d 
ſelbſt ſtationirter Gensd'armerieoffizier viel von den i 
den jüngſtvergangenen Tagen in der Umgegend verübte 
Räubereien erzählte, tritt man in große, jedoch lich 
Waldungen von Immergrüneichen ein, die ſich bis 
den Fuß des blos noch zwei bis drei Stunden entfernte 
Centralgebirges erſtrecken, welches ſich hier zu der m 


Gegend von Torralba und Oropeſa. 319 


ſtätiſchen Sierra de Gredos emporthürmt, einem 
ohen, maleriſch geklüfteten Felſenwalle, der für den höch— 
en Theil des geſammten Scheidegebirges gilt und den 
emeinſchaftlichen Gränzpfeiler zwiſchen den Landſchaften 
iftremadura, Leon, Alt- und Neucaſtilien bildet. Das 
errain in dieſem Walde iſt hüglig, ſandig, hier und da 
on waſſerloſen Barranco's durchfurcht, welche gewöhnlich 
rächtige Ausſichten nach dem benachbarten Hochgebirge 
eſtatten. Gegen fünf Uhr Nachmittags kamen wir nach 
em Dorfe Torralba, welches, umringt von Oliven und 
Naulbeerbäumen, recht anmuthig am Abhange kahler Hü— 
el links von der Straße liegt. Eine kurze Strecke wei— 
er hin kommt man bei dem Schloſſe des Fleckens Oro— 
eſa vorbei, einer hochgethürmten, maleriſch auf einem 
zügel thronenden caſtilianiſchen Burg. Am Fuße des 
Schloßberges, rechts von der Straße, befindet ſich ein 
roßes, in Ruinen liegendes Kloſter, in deſſen Garten 
ine hohe, ſchöne Dattelpalme ſteht. Ich glaubte meinen 
lugen nicht zu trauen: Palmen in Centralſpanien, an— 
ſerthalbtauſend Fuß über dem Meere! Ich würde es nicht 
lauben, hätte ich's nicht ſelbſt geſehen! Dieſe Palme iſt 
ver beſte Beweis dafür, daß in jener Gegend die Winter 
ehr gelind ſein müſſen. Von hier aus läuft die Straße 
iber kahles, wellenförmiges Terrain längs der zur Linken 
ich hinziehenden Hügelkette von Oropeſa hin, an deren 
Abhange ſich der Flecken Herreruela, umgeben von 


320 Navalmoral und feine Schweinezucht. 


dichten Olivenhainen, amphitheatraliſch ausbreitet, nach 
dem an einem kahlen Hügel gelegenen, ebenfalls von] 
Oelbäumen umringten Städtchen Calzada de Oropefa,| 
woſelbſt wir in einer leidlichen Poſada übernachteten. 

Gleich hinter Calzada überſchreitet die Straße die 


Olivenhainen umgeben iſt. Navalmoral hat ziemlich ſtatt— 
liche Häuſer, ſtarrt aber von Schmut, wie faſt alle Ort— 
ſchaften Eſtremadura's. In den breiten, von Unrath und 
Jauche erfüllten Goſſen der ſcheußlich gepflafterten Gaſſen 
tummelten ſich ſchwarze, nackte Schweine, welche auch frei 
in den Häuſern umherliefen, ja in der Poſada, wo wir 
Mittag zu machen genöthigt waren, ungehindert um die 
am Feuer ſtehenden Kochtöpfe herumſchnoperten und mit 
den ſchmuzigen Kindern aus einer Schüſſel fraßen! Das 
nennt man in Eſtremadura gemüthliches Zuſammenleben! 
— In Navalmoral verließen wir die Straße nach Bada⸗ 
joz und ſchlugen einen Saumpfad ein, welcher in weſt— 
licher Richtung durch ſehr einſame, großentheils bewal— 
dete Gegenden dem centralen Scheidegebirge entgegen 


Gegend zwiſchen Navalmoral und el Toril. 321 


läuft, an deſſen Fuße Plaſencia liegt. Eine kurze Strecke 
hinter Navalmoral beginnt ein großer Eichenwald, wel— 
cher die ganze weite, hügliche Mulde, durch die der Rio 
Ti éfar ſtrömt, bis an den Fuß des Gebirges erfüllt 
und vier Meilen im Durchmeſſer hält. Derſelbe beſteht 
anfangs aus Immergrüneichen, ſpäter vorzüglich aus Kork— 
eichen, welche hier eine ſehr bedeutende Größe erreichen. 
Der ſandige Boden, ein Zerſetzungsproduct der darunter 
liegenden Grauwacke, iſt meiſt dicht mit Cistus ladani- 
ferus L. bedeckt, deſſen harzige Blätter einen balſamiſchen 
Wohlgeruch verbreiten. Dieſe Ciſtusheiden ſind charakte— 
riſtiſch für Eſtremadura, ſowie überhaupt für das weſt— 
liche Spanien. Wenige Ortſchaften liegen, meilenweit 
von einander entfernt, in dieſem ungeheueren Wald- und 
Heidelande. Die erſte, welche der Weg berührt, iſt Ca— 
ſatejada, ein großer Flecken von ſtattlicher Bauart, doch 
eben ſo ſchmuzig, wie Navalmoral. Auch hier wimmelte 
Alles von Schweinen; Menſchen dagegen waren wenige 
zu ſehen. Hinter Caſatejada wird die Waldung ſehr dicht 
und hochſtämmig. Die Nacht war ſchon hereingebrochen, 
als wir endlich nach el Toril gelangten, einem elenden, 
aus zerſtreuten Häuſergruppen beſtehenden Orte, in deſſen 
Poſada wir uns bequemen mußten, zu übernachten, ob— 
wohl es in derſelben außer Schmuz, der in reicher Menge 
vorhanden war, nichts als Brod, Waſſer und Stroh gab. 
Nur mit Mühe konnte Aguſtin in dem Dorfe etwas Fut— 
Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 24 


322 Charakteriſtik der Bewohner Eſtremadura's. 


ter für unſere Pferde und einige Eier für uns ſelbſt auf- 
treiben, was kaum gelungen ſein würde, hätte ihn nicht 
die Wirthin, eine alte gutmüthige Wittwe, die Alles auf- 
bot, um mir den Aufenthalt in ihrer ärmlichen Wohnung 
erträglich zu machen und den andern Morgen kaum eine 
Bezahlung für ihre Dienſte zu fordern wagte, ſelbſt be— 
gleitet. Ueberhaupt ſind die Bewohner Eſtremadura's, 
ſoweit ich dieſe Landſchaft auf jener Reiſe kennen gelernt 
habe, gutmüthige, gefällige und höfliche Menſchen und 
unterſcheiden ſich hierdurch vortheilhaft von den Arago— 
neſen, denen fie ſonſt wegen ihrer großen Unreinlichkeit 
und wegen ihrer Schweigſamkeit ſehr gleichen. — Eine 
dreiſtündige Wanderung durch den Wald, der von Toril | 
an häufig mit Gehölzen großer Schwarzkiefern (Pinus 
Pinaster Ait.) und mit portugieſiſchen Eichen (Quercus 
lusitanica Lam.) vermengt iſt, brachte uns am folgenden 
Morgen an das Ufer des Rio Tiéfar, eines breiten, 
hellen Gebirgswaſſers, welches in den öſtlichen Verzwei- 
gungen der Sierra de Gredos entſpringt. Seine Ufer 
ſind mit ſchönem, aus verſchiedenartigen Eichenarten zu— 
ſammengeſetztem Laubholz dicht bewaldet. Eine Stunde | 
ſpäter hörte der Wald auf und wir traten auf ein kahles, 
hügliches Plateau, über deſſen unangebaute Kämme der“ 
Weg zu dem auf dem Gipfel eines dürren Hügels gele— 
genen Flecken Malpartida emporklimmt, wo wir Mittag 
machten. Der genannte Ort iſt ein abſcheuliches, ſchmu⸗ 


Geſchichte von Plaſeneia. 323 


iges Neſt, gewährt aber eine weite Ausſicht über das 
Plateau von Hocheſtremadura und ſchöne Anſichten der 
daſſelbe umſchließenden Gebirge, beſonders des vielkuppi— 
gen Bergſyſtems zwiſchen dem Tajo und Guadiana. Von 
hier gelangten wir nach Ueberſteigung mehrerer kahler, 
felſiger Hügel an den Rand eines weiten, zum Theil mit 
Weingärten, Olivenpflanzungen und Gemüſefeldern erfüll— 
ten Thalbeckens, an deſſen entgegengeſetztem Rande die 
alte Römerſtadt Plaſencia, am Fuße einer von dem 
Centralgebirge auslaufenden Bergkette von fehr felfiger 
Beſchaffenheit maleriſch hingeſtreckt liegt. 

Plaſencia, woſelbſt ich drittehalb Tage verweilte, 
iſt eine ziemlich große, aber entvölkerte Stadt und daher 
eben jo todt, wie Toledo. Sie verdankt ihre Entſtehung 
den Römern, denen fie als feſter Punct auf der via mi— 
litaris diente, welche Merida (Augusta Eremita) mit 
Salamanca (Salamantica) und Leon (Legio) verband. 
Ihre jetzige Größe erreichte ſie im Mittelalter, nachdem 
die Könige von Leon ihre Herrſchaft bis an den Tajo 
ausgedehnt hatten, von welcher Zeit an Plaſencia eine 
wichtige Gränzfeſtung gegen das mauriſche Reich wurde. 
Aus jener Zeit ſtammt auch der Biſchofsſtuhl von Pla— 
feneia, welcher jetzt unter die Diöceſe des Erzbiſchofs von 
Santiago de Compoſtela gehört. Im Mittelalter war 
Plaſencia eine ſehr blühende und mächtige Stadt; jetzt 
iſt fie ein unbedeutender Ort, indem fie blos 6000 Ein- 

24 * 


324 Lage von Plafencia. 


wohner zählt. Aber ihre Größe und ihre ſtolzen Ge- 
bäude verrathen ihren einſtigen Glanz. Plaſencia liegt 
auf einem felſigen Granithügel über dem rechten Ufer des 
von der Sierra de Gredos herabſtrömenden und ein wei— 
tes, neun Leguas langes Längenthal bewäſſernden Rio 
Jerte oder Serte, welcher ſich in halbmondförmiger 
Krümmung um den Stadtberg herumſchlingt und unter⸗ 
halb der Stadt, an deren weſtlicher Seite, in eine enge, 
mäandriſch gekrümmte, höchſt romantiſche Felsſchlucht ein— 
tritt, die er ſich durch die Granithügel, in welche ſich die 
oben erwähnte, hinter Plaſencia aufragende Bergkette 
gegen Süden zu auflöſt, gegraben hat. Drei Brücken, 
jede von ſieben Bogen, zwei derſelben wunderſchön von 
Epheu bekränzt, führen über den hellen, wilden Berg— 
ſtrom, der von vielen Wehren durchſchnitten iſt, an denen 
Mühlen liegen. Die Felsſchlucht iſt dem Thale des Tajo 
bei Toledo ganz ähnlich, doch minder großartig, aber viel 
länger, wilder und enger. In derſelben liegen noch ein— 
zelne Mühlen in romantiſcher Abgeſchiedenheit unter rie— 
ſige Granitklippen und üppige Vegetation verſteckt. Es 
iſt dieſes Felſenthal eine höchſt maleriſche und deshalb 
ſehr beſuchenswerthe Parthie. Auch nimmt ſich die alter- 
thümliche, hochgethümte, mauerumgürtete Stadt von fei- 
ner Seite ſo ſtattlich aus, wie von den Felskuppen dieſer 
Schlucht, indem hier die ernſten Granitmaſſen und der 
ſchäumende Fluß den Vordergrund des Gemäldes bilden, 


Gothiſcher Bauſtyl in Plaſencia. 325 


während hinter der ſtolz thronenden, vielthürmigen Stadt 
die impoſanten Berghäupter des Scheidegebirges mit ihren 
walderfüllten Felſenſchluchten emporſteigen. Plaſencia liegt 
ebenfalls ſehr uneben, beſitzt aber regelmäßigere Gaſſen 
und Plätze, als Toledo. Die Häuſer ſind im Allgemeinen 
ſtattlich; viele haben ein burgähnliches Ausſehen. Die 
Stadt iſt von doppelten Ringmauern umgürtet, von denen 
die innere eine bedeutende Höhe und Stärke und eine 
große Anzahl viereckiger und halbrunder Vertheidigungs— 
thürme beſitzt. Sieben Thore, meiſt von gothiſcher Bau— 
art und von dicken, zinnengekrönten Thürmen überragt, 
führen in das Innere der Stadt, welches ſieben Pfarr— 
kirchen und eben ſo viele Klöſter enthält. Die Kirchen 
ſind ſämmtlich gothiſch, aber keine bemerkenswerthen Bau— 
werke. Selbſt die ſogenannte Cathedrale oder die biſchöf— 
liche Kirche enthält wenig Sehenswürdiges. Dieſelbe iſt 
ein großes in verſchiedenen Bauſtylen ausgeführtes Ge— 
bäude mit einem unvollendet gebliebenen Thurme. Die 
Hauptfacade iſt mit gothiſchen Sculpturen überladen; 
das Innere beſteht aus drei geräumigen Schiffen von 
modern gothiſchem Geſchmack und zeichnet ſich durch Ein— 
fachheit aus, mit Ausnahme der Altäre, welche mit Sculp— 
turen und vergoldeten Zierrathen überladen ſind. Das 
Einzige, was Beachtung verdient, iſt ein in Holz aus— 
geführtes Hautrelief des ſpaniſchen Bildhauers Gregorio 
Hernandez, welches das Hochaltar ſchmückt. Es ſtellt die 


326 Umgebungen von Plaſencia. 


Himmelfahrt der Jungfrau vor. In der Sala capitular 
befinden ſich einige gute Gemälde, unter denſelben eine 
Geburt Chriſti von Velazquez und ein heiliger Auguſti— 
nus von Ribera (il Spagnoletto). — Sehr ſchön find |! 
die Umgebungen von Plaſencia, beſonders gegen Südoſt, 
Oſt und Nordoſt. Sowohl die Sohle des breiten, vom 
Jerte bewäſſerten Thales, als die Abhänge der Berge, 
beſonders die der Plaſencia gegenüber liegenden, ſind auf 
das Sorgfältigſte, in ganz valencianiſcher Weiſe, ange— 
baut. Saubere, gut gepflegte Gemüſefelder erfüllen die 
Thalebene, während die Berge vom Fuße bis zum Gipfel 
mit Reben und Oelbäumen bedeckt ſind, aus deren Grün 
die weißen Mauern und rothen Ziegeldächer einer Menge 
von Winzerhäuschen hervorſchimmern. An den Ufern des 
hier breit ſtrömenden Fluſſes ziehen ſich ſchattige Laub— 
gehölze hin; auch liegt hier, an der Oſtſeite der Stadt, 
eine große, mit Gras und Bäumen bedeckte Inſel mitten 
im Fluſſe, die ſich ſehr hübſch ausnimmt und gleichzeitig 
als Spaziergang und als Trocknenplatz für die Wäſche 
zu dienen ſcheint. Auf der Spitze des höchſten der ma— 
leriſch geformten, der Stadt gegenüber liegenden Berge 
ſteht eine Hermita, die eine prachtvolle Ausſicht auf das 
Thal, die Stadt, die Sierra und das hügliche Plateau 
von Eſtremadura darbietet. Auch von der Stadt aus 
genießt man auf der Oſtſeite ſchöne Ausſichten. Reizend 
iſt namentlich die Ausſicht gegen Nordoſt, wo man weit 


Aquäduct von Plafencia. Klima. 327 


in das maleriſche Thal des Jerte hineinſchaut, welches 
nach aufwärts von ſchön geformten und reich mit Laub— 
holz geſchmückten, immer höher anſchwellenden Granitber— 
gen eingefaßt iſt. Dieſer impoſanten Gebirgsanſicht hal— 
ber verdient die kleine und ſchlecht gehaltene Promenade 
beſucht zu werden, welche ſich außerhalb der Stadt an 
deren Nordſeite befindet. Hier kommt auch der Aquäduet 
von Plaſencia zur Stadt herein, welcher aus 80 Bogen 
beſteht und das Trinkwaſſer aus der Sierra aus einer 
Entfernung von zwei Leguas herbeileitet. Derſelbe iſt 
ein modernes Bauwerk, aber in antikem Styl ausgeführt. 
Auch Plaſencia genießt ein ſehr mildes Klima, welches 
es blos ſeiner eigenthümlichen Lage innerhalb eines gegen 
Norden und Oſten von hohen Bergen umſchloſſenen Thal— 
keſſels zu verdanken hat. Daher erklärt es ſich, daß hier 
ſogar die Pila (Agave americana L.) fortkommt. Seine 
Bewohner ſind arbeitſame und einfache Menſchen. 
Sonntags, den 13. October, ſetzte ich meinen Wan— 
derſtab weiter. Auf die vergangenen ſchönen und war— 
men Tage war trübes, regneriſches, windiges und kaltes 
Wetter gefolgt, welches uns abermals ſchlechte Tage in 
der Sierra zu bereiten drohte. Der Weg nach Sala— 
manca führt über die kahle und ſehr felſige Bergkette, 
die unmittelbar hinter Plaſencia aufragt und das Thal 
des Jerte gegen Nordweſt begränzt, und iſt bis zur näch— 
ſten, jenſeits dieſer Kette gelegenen Ortſchaft, bis Villar, 


328 Die alte via militaris der Römer. 


die alte via militaris der Römer. Dieſe Straße it 
ziemlich breit und mag vor zweitauſend Jahren ganz vor⸗ 
trefflich geweſen fein; gegenwärtig aber befindet ſich die- 
ſelbe in fo ſchlechtem Zuſtande, daß man nur im fang- 
ſamſten Schritte auf ihr reiten kann, indem der Sand 
und Mörtel, welcher die großen Granitblöcke, mit denen 
die Straße gepflaſtert iſt, urſprünglich vereinigt haben 
mag, durch die atmoſphäriſchen Wäſſer längſt herausge— 
waſchen und weggeſpült worden iſt. Die via militaris 
ſteigt in vielen Zickzacks zwiſchen Felsmaſſen bis zu dem 
Kamme der erwähnten Bergkette empor, woſelbſt eine 
große Kapelle, in der ein wunderthätiges Marienbild ver- 
ehrt wird, die Hermita de Nueſtra Senora del 
puerto, ſehr maleriſch gelegen iſt. Von den Arkaden, 
welche die Kirche umgeben, genießt man eine reizende 
Ausſicht über das grüne, baumreiche Thal des Jerte. An 
dem entgegengeſetzten Rande des rauhen Felſenkammes, 
der wie das ganze zwiſchen Eſtremadura und Leon be— 
findliche Gebirge aus Granit beſteht, wurden wir durch 
den Anblick einer weiten, gegen Weſt und Nordoſt von 
hohen Gebirgsketten umſchloſſenen Thalebene überraſcht, 
die großentheils mit Eichenwaldung bedeckt iſt und meh— 
rere Ortſchaften beherbergt. Durch dieſe mehrere Meilen 
breite Ebene ſtrömt der Rio Alagon, welcher von dem 
hohen Gebirgsſtocke der Pena de Francia herabkommt, 
weiter unten den Jerte aufnimmt und bei Alcantara in 


Lage des Fleckens el Villar. 329 


+ Tajo mündet. Die jenſeits der Ebene emporragen— 
den Gebirgsketten, deren Gipfel an jenem Tage von 
Wolken verhüllt waren, werden die Sierras de Gata 
und Jalama genannt und gränzen an Portugal“). Der 
dem Thalbecken des Alagon zugekehrte Abhang der Berg— 
kette von Plaſencia iſt weniger ſteil als der nach dem 
Thale des Jerte ſchauende, und mit Eichen (Quercus 
Tozza) bewaldet. Hier und da zeigen ſich bereits Kaſta— 
nien, welche weiter aufwärts, in den Hochgebirgsgegenden 
des zwiſchen Eſtremadura und Leon gelegenen Stückes 
der Centralkette, große Waldungen bilden. Durch Kork— 
eichenwälder gelangten wir nach dem bereits in der vom 
Alagon durchſtrömten Ebene gelegenen Flecken el Villar, 
einem ſchmuzigen, häßlich gebauten Neſt. Von fern nimmt 
es ſich recht gut aus, theils weil es von reichem Baum— 
wuchs umringt tft, theils wegen feiner rothen Ziegel- 
dächer, durch welche ſich auch hier die Gebirgslandſchaften 
von denen des Plateau's auszeichnen. Von el Villar an 
iſt der Weg gut, eine breite ungepflaſterte Fahrſtraße. 
Er läuft fortwährend in der über eine Stunde breiten, 
faft ganz ebenen Thalfläche hin, welche der Rio Ambroz, 
ein in der Sierra Negra, die das oberſte Stück des 
Jertethales gegen Norden umwallt, entſpringender Zufluß 
des Alagon, bewäſſert. In dieſer Thalfläche, welche hier 


) Plaſencia iſt blos eine Tagereiſe von der portugieſiſchen 
Gränze entfernt. 


330 Nachtlager in Aldra nueva del Camino. 


unmerklich mit der Alagonebene verſchmilzt, weiter auf— 
wärts aber durch eine Bergkette von ihr geſchieden iſt, 
bemerkt man wenig Anbau, dagegen viele Eichengehölze 
und Weideplätze. Auf letzteren weideten hier und da 
große Merinoheerden. Das zur Rechten des Weges in 
großer Nähe hinziehende Gebirge — die Bergkette von 
Plaſencia — erhebt ſich hier bedeutend und iſt mit ſchoͤ— 
ner Laubwaldung (der ſchon genannten Eichenart) dicht 
bekleidet. An ſeinem Fuße ruhen mehrere freundliche 
Ortſchaften in maleriſcher Lage. Es war bereits Nacht, 
als wir nach Aldra nueva del Camino kamen, einem 
großen, an einem ſteilen Abhange ſich hinziehenden und 
vom Ambroz durchſtrömten Flecken von ebenfalls ſehr häß— 
licher, finſterer Bauart. Die Poſada, in der wir über- 
nachteten, war nicht viel beſſer, als die von Toril; aber 
auch hier traf ich freundliche, gefällige Menſchen. Die 
Wirthin räumte mir mit größter Bereitwilligkeit ihr ei— 
genes, einziges Zimmer ein und beraubte ſich ihres eige— 
nen Bettes, um mir ein anſtändiges Lager, — „una cama 
decente“, wie es ſich für einen „caballero“ gehöre, zu 
bereiten. Das Zimmer war ſo niedrig, daß ich faſt mit 
dem Kopfe an die Decke ſtieß, an welcher noch zum Ueber— 
fluß eine Menge von Weintrauben und Maiskolben hing. 
Den folgenden Morgen war ziemlich heiteres Wetter. 
Aldranueva del Camino liegt ſehr maleriſch am Fuße der 
Kette von Plaſencia, in einem üppigen Kranze von Aepfel⸗ 


Banos de Bejar. 334 


und Nußbäumen. In ſeinen Umgebungen wird ſehr viel 
ſpaniſcher Pfeffer gebaut, deſſen Früchte eben reif waren, 
weshalb die Felder von fern ganz roth ausſahen; auch 
wächſt hier viel Wein und Gemüſe. Die Gegend iſt im 
Allgemeinen gut cultivirt, baumreich und höchſt anmuthig, 
indem ſich auf allen Seiten hohe, mit Laubholz, vorzüg— 
lich mit Kaſtanien bedeckte Berge erheben, welche in nord— 
öſtlicher Richtung die vom Ambroz durchſtrömte Ebene 
allmälig zu einem maleriſchen Thale verengen. Durch 
dieſes Thal ſteigt der Weg von Aldranueva zu dem Kamme 
der Centralkette empor. Um 10 Uhr gelangten wir nach 
dem Badeort Baños de Bejar, der erſten Ortſchaft 
der zum ehemaligen Königreiche von Leon gehörenden 
Provinz von Salamanca. Dieſe Villa liegt unbeſchreib— 
lich reizend am Ausgange einer engen, in die Kette von 
Plaſencia tief eindringenden Schlucht, deren grandioſe 
Granitfelſen auf das Maleriſchſte mit Laubholz geſchmückt 
ſind. Mitten durch den Ort tobt ein klarer Gebirgsbach 
in ſchäumenden Waſſerfällen, und zahlloſe alte Nußbäume 
und Kaſtanien erheben ſich allenthalben zwiſchen den ter— 
raſſenförmig an den Abhängen der Schlucht übereinan— 
der ſtehenden Häuſern. Letztere haben eine eigenthüm— 
liche Bauart, welche mir ſchon in Aldranueva und el 
Villar auffiel und die ich auch in den folgenden, weiter 
aufwärts gelegenen Dörfern beobachtete. Das flache Dach 
ſpringt nämlich nach der Gaſſe zu weit vor und über— 


332 Das Trocknen der Feigen und des ſpaniſchen Pfeffers. 


ſchattet eine offene, über der Hausthür befindliche Galle— 
rie, die auf hölzernen Säulen ruht und ein ebenfalls 


hölzernes Geländer von durchbrochener Arbeit beſitzt, wel- 
ches roth angeſtrichen zu fein pflegt. Dieſer an die Caſe- 


rio's der Basken erinnernde Bauſtyl ſcheint blos den 
Ortſchaften des Eſtremadura zugekehrten Abhanges des 
Scheidegebirges eigen zu ſein, denn jenſeits Bejar habe 
ich denſelben nicht wiedergefunden. Damals waren in 
jenen Ortſchaften alle Geländer der Gallerieen und häufig 


auch die vorſpringenden Dachränder mit langen Schnüren 


von Feigen und Früchten des ſpaniſchen Pfeffers, welcher 
in jenen Gegenden überall im Großen angebaut wird, 
behängt, was den Häuſern ein ganz ſeltſames Ausſehen 
verlieh. Man hängt die genannten Früchte in dieſer 
Weiſe auf, damit ſie trocknen, ähnlich, wie man es 
bei uns mit den Aepfeln thut. Baitos befigt eine hüb— 
ſche Kirche mit einem hohen Thurme, der in eine durch— 
brochene Kuppel endet. Das hier quellende Mineralwaſſer 
iſt warm und enthält Schwefelwaſſerſtoffgas. Der Boden 
iſt um Banos ſehr gut angebaut. Alle Bergabhänge ſind 
in valencianiſcher Weiſe terraſſirt und weit hinauf mit 
Reben bedeckt. Im Grunde des Thales liegen zerſtreute 
Olivengehölze, nach oben zu dagegen bemerkt man zwiſchen 
dem goldgrünen Weinlaube häufig das friſche, ſaftige Grün 
der Kaſtanien, die von hier an ſehr zahlreich auftreten 
und bald den vorherrſchenden Beſtandtheil der Laubwal— 


Orographiſche Verhältniſſe des Scheidegebirges. 333 


dung ausmachen. In Baſss beginnt eine gut chauſſirte 
Straße, welche bis Salamanca fortgeführt werden ſoll. 
Damals war ſie erſt einige Stunden weit fertig. Die— 
ſelbe führt in dem ſich hier raſch erhebenden, doch immer 
noch ziemlich breit bleibenden Thale aufwärts, welches 
die Kette von Plaſencia von der des Alagonthales ſchei— 
det und hier von einem kleinen Bache durchrauſcht wird, 
der ſich in den Ambroz ergießt, denn dieſer Fluß beginnt 
erſt unterhalb Banos, wo er aus dem Gebirge hervor— 
ſtrömt, das Thal zu bewäſſern. Durch dieſes Thal ge— 
langt man auf ein hohes, hügliches Plateau, auf dem die 
Flecken el Puerto und Tantagello liegen, durch welche 
die Straße hindurchgeht. Bevor ich aber meine Reiſe— 
route weiter ſchildere, ſei es mir erlaubt, einige Worte 
über die orographiſchen Verhältniſſe des zwiſchen Eſtre— 
madura und Leon ſich erhebenden Scheidegebirges zu 
ſagen. 

Das die Landſchaften Eſtremadura und Leon ſchei— 
dende Stück des centralen Gebirgsſyſtems iſt keineswegs 
eine in der Richtung der Streichungslinie des Syſtems, 
d. h. von NO nach SW ſich erſtreckende und ſtetig fort— 
ſetzende einfache oder doppelte Gebirgskette, wie die Sierra 
de Guadarrama, ſondern vielmehr ein hoch, aber ganz 
allmälig anſchwellendes Plateau, welches der Quere nach 
mit iſolirten, mehr oder weniger parallel laufenden Berg— 
ketten beſetzt iſt. Dieſe Bergketten erſtrecken ſich aber 


334 Orographiſche Verhältniſſe des Scheidegebirges. 


nicht ſenkrecht auf die Streichungslinie des Syſtems, 
ſondern durchſchneiden dieſelbe unter ſpitzen Winkeln, 
indem ſie, wenigſtens die Mehrzahl derſelben, von NNO 4 
nach SS W gerichtet find. Zwiſchen dieſen Gebirgsmauern, 
von denen einige bis zu Höhen von ſechs⸗-, ja fiebentau- 
ſend Fuß aufragen, während die Höhe des Plateaus, des 
eigentlichen Gebirgskammes, wohl nirgends über 4000 
Fuß beträgt, verlaufen die Fahrwege und Saumpfade, 
welche die beiden Landſchaften mit einander verbinden, 


und daher kommt es, daß man auf den Routen von Pla- 


ſencia nach Salamanca, oder von Coria nach Ciudad— 
Rodrigo gar kein wirkliches Gebirge zu überſteigen hat. 
Dieſe eigenthümliche Terraingeſtaltung, welche die Com— 
munication zwiſchen Leon und Eſtremadura außerordent— 
lich begünſtigt, iſt unbegreiflicherweiſe bis jetzt unbe— 
kannt geblieben, denn ſelbſt auf den in den Jahren 1838 
und 1839 erſchienenen Specialkarten des Atlas nacional 
de Espana findet man das Scheidegebirge zwiſchen jenen 
beiden Landſchaften noch als eine hohe, vielfach verzweigte, 
continuirlich fortſetzende Kette dargeſtellt. Um dieſen 
groben geographiſchen Irrthum endlich einmal zu befeiti- 
gen, will ich die Hauptbergketten angeben, welche quer 
über das Plateau laufen, ohne im geringſten mit einan⸗ 
der zuſammenzuhängen. Die eigenthümliche, ſchon ge— 
ſchilderte Geſtaltung des Centralgebirges beginnt mit dem 
großen Plateau der Paramera de Avila, welche das 


Orographiſche Verhältniſſe des Scheidegebirges. 335 


Guadarramagebirge von der Sierra de Gredos ſcheidet. 
Letztere erſtreckt ſich noch in der Richtung der allgemei— 
nen Streichungslinie des Gebirgsſyſtems. Auch die näch— 
ſten Gebirgszüge, die Sierra del Pico und die Sierra 
Negra, verfolgen noch dieſe Richtung, ſind aber bereits 
iſolirte, auf dem Grundplateau ſich erhebende Maſſen. 
Die weiter weſtlich gelegenen Bergketten ſtreichen in mehr 
nordſüdlicher Richtung. Es ſind von Oſten nach Weſten: 
die Sierra de Bejar, die Kette, welche das Thal des 
Alagon gegen Oſten begränzt, die Pena de Francia, 
Sierra de Gata und Sierra de Jalama, die zu— 
ſammen eine ziemlich continuirliche Kette zu bilden ſchei— 
nen, welche das Baſſin des Alagon von dem Thale des 
die Wälle von Ciudad-Rodrigo beſpülenden Rio Agueda 
trennt. Ob das Scheidegebirge noch weiter weſtwärts, in 
Portugal, dieſe eigenthümliche Geſtaltung beibehält, oder 
nicht, darüber habe ich nichts in Erfahrung bringen können. 
In meinem urſprünglichen Reiſeplane lag es, dieſe ganze 
weſtliche Hälfte des centralen Gebirgsſyſtems einer gründ— 
lichen Unterſuchung, namentlich auch einem genauen ba— 
rometriſchen Nivellement zu unterwerfen; mein Geſchick 
hatte es leider anders beſtimmt und ich mußte mich da— 
mit begnügen, einen flüchtigen Blick auf dieſe höchſt in— 
tereſſanten Gegenden zu werfen. Noch will ich bemerken, 
daß die zwiſchen den Gebirgsfetten ſich ausbreitenden 
Plateaus häufig von Thälern tief eingeriſſen ſind, in 


336 El Puerto und Gantogallo. 


denen die auf ihren Gebirgen entſpringenden Bäche und 
Flüſſe hinſtrömen. Ein ſolches Plateauthal tft der pracht⸗ 
volle Grund von Bejar, wohin ich nunmehr nach dieſer 
Abſchweifung meine Leſer geleiten will. 

Die oben genannten Dörfer el Puerto und Can— 
togallo liegen höchſt maleriſch am Abhange ſteiler Gra— 
nithügel, umringt von prachtvollen Kaſtanienhainen. Letz⸗ 
tere waren mit reifen Früchten überladen; man begann 
eben, dieſelben zu ernten. Die Maronen ſind in dieſen 
Gegenden ein Hauptnahrungsmittel der ärmern Volks⸗ 
klaſſen. Die Straße ſchlängelt ſich neben einer mulden— 
förmigen Niederung hin, welche das Plateau durchfurcht. 
Dieſe, ſowie andere Niederungen, ſind mit ſchönen Wie— 
ſen erfüllt, ein Beweis, daß man ſich hier in einer be— 
deutenden Höhe über dem Meere befindet. Die Bauern 
haben in dieſer Gegend die Gewohnheit, ihre Beſitzungen 
mit aus loſen Steinblöcken errichteten Mauern zu umge⸗ 
ben, ſowie das Heu um hohe Stangen zu großen Scho— 
bern auf den Wieſen aufzuſchichten, ganz in derſelben 
Weiſe, wie dies die Bewohner des Rieſengebirges thun. 
Von den höchſten Punkten des Plateau aus erblickt man 
gegen NO die Pena de Francia, eine der erhabenſten 
Gebirgsmaſſen der weſtlichen Centralkette, die wohl bis 
nahe an 7000 Fuß aufragen mag und ein ehedem be— 
rühmtes Kloſter an ihrem Abhange trägt. Ihre Gipfel 
ſteckten an jenem Tage in den Wolken. In der Nähe 


Sage vom Thal der Batnecas. Thal von Bejar. 337 


dieſes Hochgebirges, ſüdweſtlich davon, liegt das berühmte 
Thal der Batnecas, eine tiefe Schlucht, von der die 
Sage geht, daß ihre Bewohner Jahrtauſende lang un— 
bekannt blieben, bis ſie durch ein den Zorn der Aeltern 
fliehendes Liebespaar, welches ein Aſyl in den Einöden 
jenes Gebirges ſuchte, entdeckt wurden. Jetzt liegt ein 
Kloſter in jener Thalſchlucht, welche ſo eng iſt, daß ſie 
im Winter noch nicht vier Stunden lang während eines 
Tages von der Sonne erhellt wird. — Nach einigen 
Stunden gelangten wir an den Rand des tiefen Thales 
von Bejar, woſelbſt die Chauſſee endete. Dieſes Thal 
durchſchneidet vielfach gekrümmt das Plateau in der Rich— 
tung von NO nach SW und wird von einem wilden, 
waſſerreichen Gebirgsbache, der den ſeltenen Namen 
Cuerpo de hombre Menſchenkörper) führt, durch— 
ſtrömt. Es iſt ein tiefer und weiter, höchſt romantiſcher 
Grund, in deſſen Tiefe man ſich inmitten eines gewalti— 
gen Gebirges zu befinden wähnt, denn ungeheure Gra— 
nitmaſſen thürmen ſich allenthalben an den ſteilen Thal— 
gehängen zu gewaltigen Kuppen empor. In dieſem Thale, 
deſſen Abhänge von unten bis oben, ſo weit es ihre fel— 
ſige Beſchaffenheit erlaubt, mit Kaſtanien und Eichen 
(Quercus Tozza), ſowie mit Laubgebüſch auf das Male— 
riſchſte bekleidet und an vielen Stellen terraſſirt und mit 
Weinreben, Nuß- und Obſtbäumen, mit Gemüſe und Gar— 
tenfrüchten bepflanzt ſind, liegt die Stadt Bejar in einer 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 22 


338 Romantiſche Lage von Bejar. 


der romantiſchſten Lagen, die mir jemals vorgekommen ſind. 
Sie thront nämlich auf einem ſteilen, mit Laubholz und 
Kräuterwuchs prächtig geſchmückten Felſenberge, welcher 
auf drei Seiten von dem wild ſchäumenden Cuerpo de 
hombre umfloſſen, auf der vierten aber durch einen waſ— 
ſerloſen Barranco von der gegenüberliegenden Thalwand 
geſchieden iſt. Auf dem Gipfel dieſes langgeſtreckten, 
iſolirten Felskoloſſes, der auf allen Seiten von den viel 
höhern Bergen der Gehänge des Cuerpothales umringt 
iſt, liegen die alterthümlichen, aber ſtattlichen Gebäude 
der Stadt lang hingeſtreckt und terraſſenförmig gruppirt, 
umgürtet von hohen, alten Mauern mit gothiſchen Tho— 
ren und überragt von einem ſtolzen Schloſſe und mehre— 
ren Kirchthürmen. Die Anſicht der Stadt iſt von der 
Stelle aus, wo ich ſie zuerſt erblickte, um ſo großartiger, 
als nördlich davon eine aus nackten, grotesk geſtalteten 
Granitkuppen beſtehende Kette aus dem Plateau auf— 
ſteigt. Leider begann es zu regnen und regnete den 
ganzen Nachmittag und Abend, ſowie die ganze Nacht 
hindurch bis zum Morgen, faſt ohne Unterbrechungen. 
Von den Ufern des Cuerpo de hombre, an dem meh— 
rere moderne Tuchfabriken liegen, klimmt ein ſchmaler 
Fußweg in endloſen Zickzacks an dem Stadtberge empor. 
Bejar iſt lang, aber ſehr ſchmal. Seine Gaſſen ſind 
uneben, ſchauderhaft gepflaſtert und entſetzlich ſchmuzig. 
Ungefähr in der Mitte der Stadt erheben ſich die 


Das Innere der Stadt Bejar. 339 


himmelhohen Mauern des halbzerſtörten Schloſſes, der 
Stammburg und ehemaligen Reſidenz der Herzöge von 
Bejar. Nicht weit davon liegt der Conſtitutionsplatz, 
welcher klein, jedoch regelmäßig und auf drei Seiten von 
ſtattlichen Gebäuden umringt iſt. Auf der vierten ver— 
tritt eine Mauer, die ſich am ſchwindelnden Felſenrande 
des Berges hinzieht, die Häuſer. Von hier aus genießt 
man eine überaus prächtige Ausſicht in das romantiſche, 
herrlich bewaldete Thal. An dieſem Platze liegt auch die 
Hauptkirche, welche von gothiſcher Bauart iſt. Das Re— 
genwetter verhinderte mich leider, die Stadt und ihre 
Umgebungen genauer zu beſichtigen, und zwang mich, in 
meiner ſchmuzigen, winkligen und unwohnlichen Poſada 
zu bleiben, in der eine Menge auf dem Marſch befind— 
licher Soldaten einquartiert war, die einen Lärm verführ— 
ten, daß ich faſt die ganze Nacht kein Auge ſchließen 
konnte. 

Bereits den folgenden Tag, am Morgen des 15. Oe— 
tober, ſchied ich wieder von Bejar. Das Wetter war 
kühl und feucht; ſchweres Gewölk bedeckte den Himmel, 
auf den Bergen und ſelbſt auf den Plateau's lagerten 
Wolken. Der Weg nach Salamanca ſteigt auf der dem 
Ausgange nach Plaſencia entgegengeſetzten Seite in das 
Thal hinab und an deſſen Gehänge wieder empor zu 
dem Plateau, welches ſich von hier an ganz allmälich gen 


Norden hin zu der Hochebene der Provinz von Sala— 


340 Das Plateau von Bejar. 


manca hiuabſenkt. Von dieſem Rande des Plateau's aus 
genießt man eine beinahe noch ſchönere Anſicht von Bejar 
als von dem gegenüberliegenden. Die Höhe dieſes Pla— 
teau ſchätze ich auf 4000 par. Fuß. So hoch muß es 
wenigſtens ſein, da im Thale von Bejar die nordiſche 
Birke wächſt, die ſich mit ihren weißen Stämmen neben 
den üppig belaubten Kaſtanien ganz merkwürdig ausnimmt. 
Merkwürdig iſt es, daß in dieſem Theile des centralen 
Gebirgsſyſtems blos Laubholz wächſt, da doch das geo— 
gnoſtiſche Subſtrat ganz daſſelbe iſt, wie im Guadarrama⸗ 
gebirge, wo das Nadelholz vorberrſcht. Dieſe Verſchieden— 
heit der Waldung begründet auch eine durchgreifende 
Verſchiedenheit der landwirthſchaftlichen Phyſiognomie der 
beiden Gebirgstheile. Nichtsdeſtoweniger haben auch die 
Landſchaften des Scheidegebirgs von Eſtremadura und 
Leon mehr einen mittel- und ſüdeuropäiſchen Charakter. — 
Sobald man das Thal von Bejar aus den Augen ver— 
loren hat, befindet man ſich auf einem öden Plateau. 
Rechts wird daſſelbe von der ſchon erwähnten, im Norden 
von Bejar ſich erhebenden Kette nackter Felſenberge be— 
gränzt, an deren Fuß mehrere kleine, von Kaſtanien um⸗ 
ringte Ortſchaften liegen, links in weiter Ferne von an— 
deren, höheren Bergketten. Das Plateau ſelbſt iſt mit 
Gehölzen zerſtreuter Immergrüneichen bedeckt, an manchen 
Stellen auch mit Gehölzen der ſchmalblättrigen Eſche. 
In letzteren verloren wir den Weg und gelangten erſt 


Thal des Rio Tormes. Nachtlager in la Maya. 344 


nach vielfachem Hin- und Herreiten auf einen andern, der 
uns nach dem auf der Straße nach Salamanca liegenden 
Flecken Val de Fuentes brachte, in deſſen Nähe die 
Gebirgszüge von Bejar enden. Nachdem wir in einer 
ſehr ſchmuzigen, aber von gutmüthigen und gefälligen 
Menſchen bewohnten Poſada ein kärgliches Mittagsbrod 
eingenommen hatten, ſetzten wir unſere Reiſe weiter fort 
und gelangten über hügliche, theils mit Geſtrüpp und 
Weideplätzen, theils mit lichter Eichenwaldung bedeckte 
Plateau's in das flache von Getreideſaaten erfüllte Thal 
des von der Sierra des Gredos herabkommenden und in 
den Duero ſtroͤmenden Rio Tormes, welcher bei Sa— 
lamanca vorbeifließt. Nach Sonnenuntergang erreichten 
wir den unweit dieſes Fluſſes gelegenen Flecken la Maya, 
woſelbſt wir übernachteten. In der ärmlichen Poſada 
ging es ſehr eng zu. Ich mußte mich bequemen, in Ge— 
ſellſchaft zweier Gensd'armen und der Familie des Hauſes 
zu ſchlafen, da es blos ein einziges Gemach gab. Hier 
ſtanden drei Betten. Eins derſelben wurde mir einge— 
räumt, in dem zweiten ſchliefen die beiden Gensd'armen, 
in dem dritten die Wirthin mit zwei kleinen Kindern. 
Ich konnte die ganze Nacht nicht ſchlafen, da das junge 
Volk in den Gaſſen bis nach Mitternacht lärmend und 
fingend umherſchwärmte und meiner Wirthin, einer jungen 
Frau, Serenaden brachte, auch aller Augenblicke die bei— 
den Kinder ſchrieen. Zum Ueberfluß befanden ſich noch 


342 Alba de Tormes. 


zwei junge Katzen in dem Zimmer, welche in einem weg 
miauten und ſich damit vergnügten, von einem Bett auf 
das andere zu ſpringen. Den nächſten Morgen war das 
Wetter leidlich und wurde bald ganz ſchön. Wir ritten 
in dem Thale des Tormes hinab, welches hier mit kurz— 
begraſten Weiden erfüllt iſt. Die Gegend iſt baumlos, 
öde und triſt, und würde noch trauriger ſein, wenn nicht 
der Tormes, ein breiter Fluß mit klarem Waſſer, einiges 
Leben in dieſelbe brächte. Zur Rechten erheben ſich 
kahle Höhen, zur Linken ziehen felſige Hügel hin, die 
mit einzelnen Immergrüneichen beſtreut ſind. Nachdem 
man durch mehrere ſchmuzige und ſchlechtgebaute Ort— 
ſchaften gekommen iſt, erblickt man die kleine, aber viel— 
thürmige Stadt Alba de Tormes, welche recht ange— 
nehm am rechten Ufer des Tormes am Abhange eines 
Hügels liegt. Eine lange Steinbrücke von 26 Bogen 
führt über den breiten, doch ſeichten Fluß nach der Stadt 
hinüber, die gut gebaut zu ſein ſcheint. Hinein gekom— 
men bin ich nicht, da der Weg nach Salamanca am 
linken Ufer des Tormes hinläuft. Alba de Tormes beſitzt, 
obwohl es blos eine Stadt von etwa 5000 Einwohnern 
iſt, neun Kirchen und mehrere Klöſter. Mehr als dieſe 
zeichnet ſich der Pallaſt der Herzöge von Alba aus, die 
von dieſer Stadt ihren Titel entlehnen. Die Straße 
verläßt nun bald das Thal des Tormes und erhebt ſich 
auf die denſelben gegen Weſten begränzenden Höhen, von 


Anſicht von Salamanca. 343 


denen aus man die Thürme von Salamanca erblickt. 
Nachdem wir mehrere lichte Eichengehölze und ein kleines 
Dorf paſſirt hatten, kamen wir gegen Sonnenuntergang 
wieder an das Thal des Tormes im Angeſichte der ge— 
genüberliegenden hochberühmten Univerſitätsſtadt. Sala— 
manca bietet von hier aus einen impoſanten Anblick 
dar, deſſen Eindruck damals durch die warme duftige Be— 
leuchtung der untergehenden Sonne noch erhöht wurde. 
Jenſeits des breiten, fanft dahin ſtroͤmenden Fluſſes, über 
den eine ſteinerne Brücke von 27 Bogen führt, die zur 
Hälfte ein Werk der Römer iſt, entfaltet ſich auf einem 
flachen, lang hingeſtreckten Hügel eine große, von hohen 
Mauern umgürtete Maſſe ſtolzer Gebäude, aus der eine 
Unzahl von Thürmen und mehrere hochgeſchwungene 
Kuppeln hervorragen. Die Anſicht würde noch ſchöner 
ſein, wäre die Stadt von einer baumreichen Huerta um— 
ringt und erhöbe ſich hinter derſelben ein Gebirge. Allein 
mit Ausnahme des rechten Ufers des Tormes, wo ſich 
etwas Gartenland und einige Bäume befinden, und der 
hüglich gelegenen Stadt, iſt das Land, ſo weit man ſehen 
kann, eine baumloſe, kahle ebene Fläche. 

Salamanca hat ein nobles Anſehen, iſt aber ge— 
genwärtig ſehr entvölkert. Während zur Blütezeit der 
Univerſität die Zahl der Studenten allein nicht ſelten 
bis 8000 betrug, enthält jetzt die ganze Stadt nicht mehr 
als 14000 Einwohner. Der Bauart nach erinnert ſie 


344 Oeffentliche Plätze von Salamanca. 


an Segovia; nur ſind die Gaſſen ebener und breiter. 
Die Stadt iſt groß, rings von hohen Mauern umgeben, 


in denen ſich zehn Thore, meiſt von gothiſcher Bauart, 


befinden, enthält mehrere große Plätze und beſitzt außer 
der Cathedrale 25 Pfarrkirchen, 31 Klöſter, von denen 
jedoch mehrere in Ruinen liegen, und viele pallaſtähnliche 
Gebäude. Unter den Plätzen verdient beſonders der Con— 
ſtitutionsplatz oder die Plaza mayor hervorgehoben zu 
werden. Dieſer iſt ein regelmäßiges Viereck von ſehr 


bedeutender Größe, umgeben von drei Stockwerke hohen, 


mit drei Balconreihen geſchmückten Häuſern von ganz 
gleicher Bauart. Dieſe Häuſer ruhen auf einem Porticus 
von 90 Bogen, der rings um den Platz herumläuft und 
in den Abendſtunden als Promenade dient. Zwiſchen den 
Bogen dieſes Säulengangs ſind Medaillons angebracht 
mit den Bruſtbildern der Könige von Spanien en bas- 
relief. Vier hochgeſchwungene Thore führen aus den 
Hauptgaſſen auf dieſen impoſanten Platz, unter deſſen 
Gebäuden ſich die Casa del ayuntamiento durch eine mit 
prächtigen Sculpturen gezierte Façade auszeichnet. Auch 
die anderen Plätze, fo wie die Hauptgaſſen, find mit jtatt- 
lichen Gebäuden geſchmückt. Unter andern erwähne ich 
den Pallaſt der Herzöge von Alba, ein großes Gebäude 
von alterthümlicher, halb gothiſcher Bauart. In feiner 
Nähe liegen das Mönchskloſter von San Bernardo und 
das Nonnenkloſter de las Aguſtinas, welche beide ſchöne, 


Die Cathedrale von Salamanca. 345 


son impofanten Kuppeln überragte Kirchen beſitzen. 
deberhaupt find die meiſten Kirchen von Salamanca 
zroße, Ehrfurcht gebietende und dabei geſchmackvolle Bau— 
werfe. Meine Zeit erlaubte mir nur, die biſchöfliche 
Kirche oder die Cathedrale in Augenſchein zu nehmen. 
Sie ſteht an einer der höchſten Stellen der Stadt un— 
weit des Tormesthales und iſt ein ſehr großes modern 
gothiſches Gebäude. Die Hauptfasçade iſt mit prächtigen 
gothiſchen Steinarbeiten verziert. Daneben erhebt ſich 
der Glockenthurm, welcher eine bedeutende Höhe beſitzt 
und mit einer Kuppel endigt. Schlecht machen ſich die 
vier gothiſchen Pyramiden, die in der Peripherie der Kup— 
pel angebracht ſind, da dieſelben zum Style des Thur— 
mes gar nicht paſſen. Das Innere des Domes iſt eine 
majeſtätiſche durch zwanzig Pfeiler in drei Schiffe ge— 
ſchiedene gothiſche Halle. Was mir in dieſer großen und 
prachtvollen Kirche auffiel, war, daß in derſelben gar 
nichts aus Marmor beſteht, der doch ſonſt in den ſpani— 
ſchen Domen verſchwenderiſch angebracht zu ſein pflegt. 
Das Getäfel des Fußbodens iſt aus demſelben gelblichen 
Sandſteine verfertigt, aus welchem die ganze Cathedrale 
und die meiſten Gebäude Salamanca's erbaut ſind, und 
die Tiſche, Säulen ꝛc. der zahlreichen, meiſt mit vergol— 
deten Zierrathen überladenen Altäre ſind blos marmor— 
artig gemalt. Beachtung verdienen die in Sandſtein aus— 
geführten Sculpturen, die an den Außenwänden des Chors 


346 Die Cathedrale von Salamanca. 


angebracht find, fo wie die Schnitzereien, welche die Chor⸗ 
ſtühle der Canonici ſchmücken. Ueber dem Platze vor 
dem Hochaltare erhebt ſich eine achtſeitige Halle, welche Ni 
von einer ſchönen Kuppel von der Geſtalt einer halben 
Orange überwölbt iſt. In den zahlreichen Seitenkapellen er 
befinden fich viele Gemälde, darunter einige von Werth. 
Aus dem Schiffe der Cathedrale ſteigt man auf einer 
Treppe in eine dicht neben der Cathedrale, aber tiefer 
gelegene alte Kirche hinab, welche la Catedral vieja 
genannt wird. Dieſelbe beſteht aus drei großen Schiffen. 
von altgothiſchem Styl und zeichnet ſich durch Einfach— 
heit der Ausſchmückung aus. Sie enthält eine hiſtoriſche 
Merkwürdigkeit, nämlich ein Crucifix, welches, wenn es 
wahr iſt, der Beichtvater des Cid in den Schlachten die— 
ſes Helden gleich einer Fahne trug. Dieſes Crueifix 
ſteht auf einem der Seitenaltäre und iſt unter dem Na- 
men „el santo Cristo de las batallas“ bekannt. Am 
meiſten erregte meine Aufmerkſamkeit in dieſer alten Ca- 
thedrale das Gemälde des Hochaltars. Es iſt dies ein 
ganz altes auf Holz gemaltes Bild, welches in viele Fel— 
der zerfällt. Jedes Feld enthält eine Scene aus der 
Leidensgeſchichte Chriſti. Der linken Geitenfacade der 
Cathedrale gegenüber liegt das Colegio del Rey, ein 
ſchönes, modernes, mit einem auf ioniſchen Säulen ruhen— 
den Porticus geſchmücktes Gebäude, welches unter der 
Regierung und auf Befehl Philipp's II. erbaut wurde 


Die Univerfität von Salamanca. 374 


nd zur Univerſität gehört. Dieſe befindet ſich der Haupt— 
ısade der Cathedrale gegenüber. Sie bildet ein großes 
ziereck und iſt von gothiſcher Bauart. Das Centrum 
es Gebäudes nimmt einen viereckigen Hof ein, den ein 
othiſcher Säulengang umgiebt, aus welchem verſchiedene 
hüren und Treppen zu den in zahlreicher Menge vor— 
andenen Auditorien führen. Die Innenwand des Por— 
eus iſt mit den lebensgroßen, al fresco mit ſchwarzer 
farbe auf die Mauer gemalten Bildniſſen verſchiedener 
tönige von Spanien geſchmückt. Unter jedem befindet 
ich eine lateiniſche Inſchrift in Diſtichen. Eine ſchöne 
Treppe führt aus dieſem Hofe zu dem im erſten Stock— 
verfe gelegenen Bibliotheksſaale hinauf, in dem eine 
Bücherſammlung von circa 30000 Bänden, meiſt alten 
Werken theologiſchen und juriſtiſchen Inhalts, aufgeſtellt 
ſt. An den Wänden hingen die lebensgroßen Portraits 
Rarl's II., Karl's III., Karl's IV. und Ferdinand's VII.; 
in dem Corridor vor dem Saale die Philipp's II., Phi— 
lipp's III. und Philipp's IV. Die Hauptfagade der Uni— 
verſität, die ſich auf der dem Dome entgegengeſetzten Seite 
befindet, iſt mit Sculpturen überladen. Ein Medaillon 
über dem Portale enthält die en basrelief in Sandſtein 
ausgeführten Bruſtbilder Ferdinand's und Iſabella's der 
Katholiſchen. Vor dem Haupteingange liegt ein kleiner, 
regelmäßiger Platz, umgeben von großen, ftattlichen, zur 
Univerſität gehörenden Gebäuden. Die Univerſität von 


348 Das ehemalige Jeſuitencollegium. 


Salamanca iſt jetzt ſehr herabgekommen und blos ei 
Univerſität zweiten Ranges). Die Zahl der Studire 
den betrug damals noch nicht fünfhundert. Nicht we 
von dem Univerſitätsgebäude liegt das Semanano, da 
ehemalige Jeſuitencollegium. Dies iſt das größte u 
impoſanteſte Gebäude von Salamanca. Es bildet ei 
koloſſales Viereck und iſt in edlem florentiniſchem Style 
erbaut. Einen großen Theil deſſelben nimmt die Kirch | 
ein, an deren Hauptfagade ſich zwei ganz gleiche, mil 
eleganten Kuppeln geſchmückte Glockenthürme erheben. 
Ueber dem Crucero, — denn auch dieſe Kirche tft in Forme 
eines Kreuzes erbaut — wölbt ſich eine impoſante Kuppel 
empor. Das Innere dieſer ſchönen Kirche habe ich nicht 
geſehen, wohl aber den Kreuzgang des eigentlichen Col— 
legiums. Derſelbe beſteht aus drei übereinanderliegenden 
Säulengängen und umgiebt einen großen, mit Sandſtein⸗ 
platten belegten und mit einem ſchönen Brunnen gezier— 
ten Hof. Dem Jeſuitencollegium gegenüber bemerkt man 
einen alten finſtern Pallaſt, deſſen Außenſeite mit einer 
großen Menge von in Stein gehauenen Muſcheln ver— 
ziert iſt. Dieſes ſeltſame Gebäude, welches ſeiner eigen— 
thümlichen Ausſchmückung halber die Casa de las con- 
chas genannt wird, ſoll von einem vornehmen, glücklich 
aus dem heiligen Lande zurückgekehrten Pilger erbaut 


) S. meine erſte Reiſebeſchreibung, Band IN. W der 
Univerſität von Sevilla. 


Umgebungen von Salamanca. Rückreiſe nach Madrid. 349 


seden fein. Sehenswerth iſt auch die Kirche des Do— 
micanerkloſters, welche aus einem einzigen, gewaltig 
oßen Schiffe von modern gothiſcher Bauart beſteht, 
id eine majeſtätiſche Kuppel beſitzt. Dieſes Kloſter 
Bte zweihundert Mönche. Ueber die Umgebungen von 
alamanca iſt wenig zu bemerken. Dieſelben ſind, wie 
ſchon erwähnt habe, ganz eben und bieten auch keine 
‚önen Ausſichten dar; denn das Thal des Tormes iſt 
flach und zu baumlos, und die Gebirge liegen bereits 
fern. An der dem Fluſſe entgegengeſetzten Seite 
ehen ſich einige mit Ulmen bepflanzte Promenaden hin. 
8 find dies faſt die einzigen Bäume, welche es um 
alamanca giebt. Die Ebene iſt übrigens gut ange— 
mt und ziemlich ſtark bevölkert. Sie erzeugt vorzüglich 
etreide. 

Nach zweitägigem Aufenthalte in Salamanca trat 
Nam Vormittage des 19. Octobers meine Rückreiſe 
ich Madrid an. Salamanca iſt von Madrid 34 Leguas 
itfernt; der geradeſte Weg dahin, den ich aus Mangel 
ı Geld — ſonſt wäre ich über Valladolid gegangen — 
ählen mußte, führt über die kleinen Städte Peria- 
ında de Bracamonte und Fontiveros und über 
n Puerto de Guadarrama. Der zuerſt genannte 
rt, wo ich die erſte Nacht zubrachte, liegt ſechs Leguas 
m Salamanca an der Gränze Altceaſtiliens. Die Straße 
ihrt anfangs am linken Ufer des Tormes hin, den fie 


350 Charakteriſtik der Bewohner von Salamanca. 


bei dem Flecken Encines auf einer langen, erſt vor 
wenigen Jahren erbauten, recht eleganten hölzernen Brück 
die von fern wie eine Kettenbrücke ausſieht, überſchreitetz f 
ſodann durch hügliches mit Getreidefeldern bedecktes La 

und ein großes Immergrüneichengehölz, und kreuzt me 
rere Ortſchaften von freundlicher Bauart. Man war d 
mals mit der Erbauung einer neuen Straße beſchäftig 

die man faſt ſchnurgerade gelegt hatte. Sie wird 0 
e ZB Mr die Re und für am Bubeleut | 


windigem Wetter vor Staub halb erſtickt, bei Regenwetter 
im Kothe ſtecken bleibt. Der Mond ſchien hell und klar, 
als wir um 8 Uhr Periaranda erreichten, wo ich eine 
gute Poſada mit ſehr gefälligen und freundlichen Leuten 
fand, wie denn überhaupt ſich die Bevölkerung der Proz! 
vinz von Salamanca und ebenſo die der angränzenden 
altcaſtilianiſchen Provinzen von Avila und Segovia durch! 
Höflichkeit, Gefälligkeit und noble Uneigennützigkeit aus 
zeichnet. Penaranda iſt eine hübſche Villa mit breiten 
geraden Gaſſen, gut gebauten freundlichen Häuſern und] 
mehreren ftattlihen Kirchen. Von hier bis Fontiveros 
und noch weiter oſtwärts iſt das Land ganz eben, oft ſo 
eben wie ein Tiſch. Gegen Süden und Südoſt ziehen! 
die felſigen Bergreihen des Scheidegebirges hin, denen 
man ſich allmälig wieder nähert; nach den andern Seiten 


Gegend zwifchen Fontiveros und Villanueva de Gomer. 354 


in erſcheint die Ebene unbegränzt. Sie iſt durchgängig 
ngebaut und beherbergt eine große Menge wohlhabender 
Irtſchaften. Ich zählte wohl bis 15 Dörfer um mich her; 
llein die Landſchaft iſt dennoch höchſt langweilig und 
ionoton, weil es faſt keinen einzigen Baum in den 
Imgebungen der Ortſchaften giebt und dieſe eine erdfahle 
farbe beſitzen. Es wird in dieſer ganzen weiten Gegend 
aſt nur Weizen gebaut. Fontiveros, wo wir Mittag 
nachten, iſt ebenfalls ein hübſches Städtchen. Einige 
zeguas weiter gen Oſten erhebt ſich der Boden hier und 
da zu welligen Höhen. In den ſandigen Niederungen 
keiten ſich Piniengehölze aus. Gegen Südoſt erblickt 
nan bebuſchte Hügelreihen, hinter denen das Scheidege— 
sirge aufragt. Daſſelbe erſcheint von hier aus bei wei— 
em nicht fo impoſant, wie von der entgegengeſetzten 
Seite, weil die Oberfläche des Plateau's von Altcaſtilien 
viel höher liegt, als die des Plateau's von Neucaſtilien. 
Wir übernachteten in dem Flecken Villanueva de Gomer, 
wo ich ebenfalls eine ganz leidliche Poſada antraf. Den 
folgenden Morgen war das Wetter ſchön, wie an den 
vergangenen Tagen; es hatte ſich aber während der Nacht 
ein kalter Nordoſtwind erhoben, der immer ſtärker zu 
wehen anfing, je mehr wir uns dem Gebirge näherten, 
und bald große Wolkenmaſſen am Horizont heraufführte, 
welche ſich gegen Abend über dem Guadarramagebirge con— 
centrirten und daſſelbe verhüllten. Bald hinter Villanueva 


352 Gegend von Labajos und Villacaſtin. 


kreuzt der Weg ein ſchönes Piniengehölz und ſodann das 
flache Thal des Rio Ada ya, welcher von der Paramera 
von Avila herabkommt und in den Duero fließt. Weiter 
hin liegt das Dorf la Vega, von wo aus man in andert⸗ 
halb Stunden auf die große, ſchön gebaute und gut un- 
terhaltene caſtilianiſche Heerſtraße gelangt, welche Valla— 
dolid mit Madrid verbindet. Die Gegend wird nun 
intereſſanter, indem bald die Granitformation der Central- 
kette beginnt, die auch an dieſem ihren nördlichen Saume 
zu zahlloſen Hügeln anſchwillt. Wir machten Mittag in 
Labajos, einem großen Flecken mit ſtattlicher Kirche 
und vielen an der Chauſſee gelegenen großen Poſaden. 
Mittlerweile hatte ſich der Himmel mit Wolken bedeckt 
und der Wind war ſo heftig und kalt geworden, daß ich 
genöthigt war, den ganzen Nachmittag in den Mantel 
gehüllt zu reiten. Nach dreiſtündigem Ritt kamen wir 
nach Villacaſtin, einer ſehr hübſchen und lebhaften 

kleinen Stadt, welche in einer beckenförmigen, mit Ge⸗ 
müſefeldern und Gärten erfüllten Depreſſion am Fuße 
bebuſchter Hügel liegt, die mit großen Granitblöcken be— 
ſtreut ſind. Ueber dieſe Hügel windet ſich die Straße 
binweg, weite Ausſichten auf das im Rücken liegende, 
Flachland darbietend. Von der Höhe genießt man eine 
herrliche Ausſicht auf das romantiſche nunmehr ſehr nahe 
Guadarramagebirge, deſſen Felſenhäupter ſich eben mit 
Wolken zu bedecken anfingen, welche uns wieder ſchlechtes 


Gegend von Villacaſtin. 353 


Getter für den folgenden Tag, wo wir die Sierra paſ— 
iren mußten, verkündigten. Es war wirklich, als hätten 
ich die Geiſter des Gebirges gegen mich verſchworen. 
Eine ſehr hübſche Parthie unmittelbar hinter Villacaſtin 
ſt ein von Granitfelſen ſtarrender Grund, durch den ein 
munterer Bach ſtrömt. Eine prächtig gebaute Brücke 
rührt hoch über denſelben hinweg und bietet eine reizende 
Ausſicht in das wilde Thal, auf das Guadarramagebirge 
und das umliegende, gut angebaute und auch mit Baum— 
wuchs verſehene Land dar. Von hier gelangt man fort— 
während emporſteigend in zwei Stunden nach dem bereits 
ſehr hoch gelegenen Flecken las Navas de San An— 
ſtonio, woſelbſt wir übernachteten. 

Als ich am folgenden Morgen das Fenſter öffnete, 
um mich nach dem Wetter umzuſehen, waren die gegen 
Oſten in geringer Entfernung von las Navas ſich er— 
hebenden Granitberge, die mir den Anblick der eigent— 
lichen Sierra entzogen, über und über ſo dick mit Reif 
bedeckt, daß ſie ausſahen, als wären ſie beſchneit. Den 
Himmel verhüllte eine graue ſchwere Wolkenmaſſe, die 
ſich immer tiefer herabſenkte, der Wind war noch hef— 
tiger geworden und die Temperatur ſo ſehr geſunken, 
daß mein Thermometer in ruhiger Luft blos + 5°C. 
zeigte. Einige Arrieros, welche in einer benachbarten 
Venta übernachtet und Abends zuvor das Guadarrama— 
gebirge überſchritten hatten, brachten die Nachricht mit, 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 23 


354 Gin Schneefall. 


es ſei in der Sierra ein furchtbares Schneewetter losge— 


brochen, das die ganze Nacht angehalten habe und wahr⸗ 
ſcheinlich noch andauere. Schöne Auſpicien zur Ueber 
1 
ich konnte nicht warten, bis das Wetter ſich wieder gün⸗ 


ſteigung eines 4600 Fuß hohen Gebirgspaſſes! Indeſſen 


ſtiger geſtaltet haben würde und brach daher um 8 Uhr 
auf. Ich mußte bald vom Pferde ſteigen, da mir die 
Füße vor Kälte erſtarrten, ſo daß ich die Steigbügel 
nicht mehr zu halten im Stande war, und bin von da 
an jenen ganzen Tag zu Fuß gegangen. Die Straße 
ſteigt über einen, zwiſchen zwei der erwähnten Vorberge 
befindlichen Kamm hinweg in eine weite, mehrere Stun— 
den breite, von vielen Defilee's durchſchnittene Einſen— 
kung, welche die Kette der Vorberge von dem eigentlichen 
Hochgebirge ſcheidet. Von der Höhe aus erblickten wir 
das letztere; es war bis zur Hälfte in dicke Wolken ein— 
gehüllt und beinahe bis zum Fuße weiß von friſchgefalle— 
nem Schnee! Die Kiefernwaldung, welche auch dieſen 
Abhang des Guadarramagebirges bedeckt, ſah bepudert 
aus, wie unſere Nadelhölzer im tiefſten Winter. Am 
ſüdlichen Abhange des Kammes liegt ein großer, ſtatt— 
licher, ganz moderner Gaſthof neben einer Kapelle, die 
Venta del Criſto del Coloquio. Von hier an läuft 
die Chauſſee ſchnurgerade auf das Gebirge los. Zu bei— 
den Seiten deſſelben ſind in beſtimmten und nicht großen 
Diſtanzen hohe Granitſäulen errichtet. Dieſe haben den 


ö 


Fonda de San Rafael. 355 


Zweck, die Straße im Winter kenntlich zu machen, denn 
hier wird der Boden oft viele Wochen lang ellenhoch 
mit Schnee bedeckt. Rechts von der Straße liegt in 
geringer Entfernung der große Flecken Espinar, in 
einem maleriſchen Thalbecken hart am Fuße des kieferbe— 
waldeten Gebirges. Seine rothen Ziegeldächer erinner— 
ten mich, daß ich mich wieder im Bereich des Scheide— 
gebirges befände. Die Wolken ſenkten ſich jetzt raſch, die 
Temperatur ſank bis auf + 2“ und bald begann es heftig 
zu ſchneien. Noch ehe wir die am Fuße der Hauptkette 
gelegene Fonda de San Rafael erreichten, war die 
Gegend weit und breit in ein vollſtändiges Wintergewand 
gehüllt. Die Schneeflocken fielen ſo dicht, daß wir keine 
funfzig Schritte weit ſehen konnten. Von Froſt halb 
erſtarrt, gelangten wir zu Mittage nach dem genannten 
großen Gaſthofe, welcher nebſt einer hübſchen daneben 
ſich erhebenden Kirche auf königliche Koſten unter der 
Regierung Ferdinand's VI., welcher auch die Straße über 
den Puerto de Guadarrama bahnen ließ, erbaut wurde. 

Es ging bunt her in der Fonda de San Rafael. 
Eine Menge auf dem Marſch befindlicher Soldaten, 
Gensd'armen, Camineros (Straßenwärter), Holzſchläger, 
Steinbrecher, Arrieros, Fuhrleute, Bauern, Alles hatte 
ſich vor dem plötzlichen, in dieſer Jahreszeit unerhörten 
Schneeſturme in den Gaſthof geflüchtet und drängte ſich 
um die koloſſalen Kaminfeuer in der Küche und dem 

28 


356 Das Wehwetter auf dem Puerto. 


Speiſeſaale, welche mit großen Kiefernſcheiten unterhalten 
wurden. Nur mit Mühe konnten wir ein Mittagsmahl 
erhalten, denn alle vorhandenen Speiſen waren bereits 
von den zahlreichen Gäſten in Beſchlag genommen worden. 

Neu ankommende Arrieros, die eben das Gebirge Übers | 
ſtiegen hatten, betheuerten, es ſei lebensgefährlich, den 
Puerto zu paſſiren, denn der Sturm wehe ſo heftig, daß 
er ihnen mehrere beladene Maulthiere niedergeworfen 
habe. Nichsdeſtoweniger beſchloß ich, meine Reiſe fort— 
zuſetzen, in der Meinung, daß dieſen Südländern das 
Schneewetter wohl ſchlimmer erſcheinen möge, als es in 
der That wirklich ſei. Außerdem hing ich damals nicht 
ſehr am Leben, ſo daß es mir ſchließlich einerlei war, 
was mir paſſirte. Mein Bedienter ſträubte ſich freilich 
und wäre lieber in der Fonda geblieben. Die Straße 
läuft eine Zeit lang am Fuße des Gebirges hin und 
ſteigt dann in großen Zickzacks an dem mit lichter Kiefern— 
waldung bedeckten Abhange, der eine nur unbedeutende 
Länge beſitzt, zu dem Kamme empor. Während des Em— 
porſteigens hatten wir, durch die Waldung einigermaßen 
geſchützt, nicht ſo ſehr viel von dem Sturme und Schnee— 
fall zu leiden; auf dem Kamme aber ging es wirklich 

fürchterlich zu. Ich habe in unſerm Vaterlande im Win— 
ter ſelten ein ſchlimmeres Wehwetter erlebt, als wie hier 
herrſchte. Der Sturm war ſo heftig, daß ſowohl wir 
als die Pferde ſich nur mit Mühe auf den Füßen er⸗ 


3 — — 


— 3» C. am 22. October in Centralſpanien. 337 


halten konnten und heulte ſchauerlich durch die Klüfte 
der Felſen und Wipfel der an den Abhängen ſtehenden 
Bäume, welche geſpenſtiſch in ungewiſſen Umriſſen durch 
die wirbelnde Schneeflockenmaſſe hindurchdämmerten. Die 
Luft war ſchneidend kalt; das Thermometer zeigte ein 
Wehwetter — 39. Denſelben Abend war hier, wie 
ich am folgenden Morgen vernahm, ein armer Gallego 
erfroren, — am 22. October in Centralſpanien! — Wir 
raſteten ein paar Minuten hinter einer Felſenecke, um 
unſere Pferde etwas verſchnaufen zu laſſen. An der höch— 
ſten Stelle des Paſſes erhebt ſich in der Straße ein Denk— 
mal, welches aus einer dicken niedrigen Säule, die einen 
marmornen Löwen trägt, beſteht. Der Löwe hält eine 
Tafel in den Klauen, auf der ſich folgende Inſchrift 
befindet: 
| Ferdinandus VI. 
Pater Patriae 
Viam utrique Castellae 
superatis montibus 
fecit 
anno salutis MDCCXLIX 
regni sui IV. 

Dieſes Denkmal ſteht 4600 par. Fuß über dem Spiegel des 
Meeres. Der Kamm beſitzt eine nur geringe Breite. Der neu— 
caſtiliſche Abhang iſt viel breiter und dabei mindeſtens drei— 
mal länger, als der alteaftilifche. Das Wehwetter war 
hier furchtbar, die Sierra, ſo weit man ſehen konnte, 


weiß, wie mit einem Leichentuche bedeckt, die Zweige der 


358 Rückkehr nach Madrid. 


Kiefern beugten ſich unter der Laſt des auf ihnen liegen⸗ 
den Schnee's. Sturm und Kälte zwangen uns, in dem 
in der halben Höhe des Abhangs ſtehenden Häuschen 
eines Caminero einzukehren. Unterdeſſen ließ das Schnee— 
wetter etwas nach und ſo ſetzten wir, nachdem wir uns 
eine halbe Stunde am Heerdfeuer erwärmt hatten, un— 
ſere Wanderung weiter fort. Die Wolkendicke hatte ſich 
gehoben und geſtattete uns daher, die beſchneite Sierra 
weithin zu überblicken. Die Straße führt in großen 
Schneckenwindungen an dem rechten Gehänge des weiten 
vom Guadarrama bewäſſerten Thales hinab, an deſſen“ 
Ausgange der Flecken Guadarrama liegt, woſelbſt wir 
um 5 Uhr glücklich anlangten und die Nacht blieben. 
Hier hatte es nicht geſchneit, ſondern blos ſtark geregnet. 
Den folgenden Tag kehrte ich nach Madrid zurück. — 


Zehntes Kapitel. 


Die Silbergruben von Hiendelaeneina. 


Ich hatte mit Beſtimmtheit darauf gerechnet, daß ich 
bei meiner Rückkehr von Salamanca in Madrid Geldſen— 
dungen von meinen Subſcribenten vorfinden werde, nicht 
bedenkend, daß bei der Mehrzahl der Menſchen Verſprechen 
und Worthalten zwei ſehr verſchiedene Dinge ſind. An— 
ſtatt Geldanweiſungen in Madrid zu finden, welche mich 
in Stand geſetzt hätten, mich in eine andere Gegend der 
Halbinſel überſiedeln zu können, erhielt ich acht Tage nach 
meiner Rückkehr nach Madrid einen Brief von meinem 
Banquier in Leipzig, welcher mir meldete, daß von jenen 
Herren bis Mitte October noch keiner daran gedacht habe, 
ſeine Verbindlichkeiten gegen mich zu erfüllen, ja daß noch 
nicht einmal eine bevorſtehende Einzahlung aviſirt worden 
ſei! Ich mußte mich alſo entſchließen, meine Reiſe auf— 
zugeben und in die Heimath zurückzukehren; ein Ent— 
ſchluß, der mir in meiner damaligen trüben Stimmung 
leicht wurde, da ich alle Luſt zum Forſchen und Sammeln 


360 Geldverlegenheit. 


verloren hatte. Allein dieſer Entſchluß ließ ſich nicht ſo 
bald realiſiren, wie ich gewünſcht hätte. Da nämlich 
meine eigenen Geldmittel völlig erſchöpft waren, ſo mußte 
ich ſo lange in Madrid bleiben, bis ich Geld von meiner 
Familie erhielt. Darüber verging aber eine geraume Zeit, 
ſo daß ich die Hauptſtadt Spaniens erſt Mitte des De— 

cembers verlaſſen konnte. Während dieſer ganzen Zeit war 
ich einzig und allein auf die Unterſtützung meiner ſpani— 
ſchen und deutſchen Freunde angewieſen, denen ich noch 
hier einen herzlichen Dank für die aufrichtige Theilnahme, 
welche ſie mir wegen meines traurigen Geſchicks zollten, 
zurufe; denn die geringe Summe, die mir der nothge— 
drungene Verkauf meiner abgenutzten Pferde eingebracht 
hatte, ging vollſtändig darauf, um meinen Bedienten ab— 
zulohnen und in feine Heimath zurückzuſenden. Der gute, 
ehrliche Menſch, welcher mit der Treue eines Hundes an 
mir gehangen hatte, weinte wie ein Kind, als er von 
mir ſchied, indem er meinte, es ſei dies das erſte Mal 
ſeit ſeiner Mutter Tode, daß er Thränen vergießen müſſe! 
— Trotzdem, daß mir damals Alles gleichgültig war, 
bedauerte ich doch oft, daß meine fatale Lage mich an 
Madrid gefeſſelt hielt, da ſeit Ende des Octobers unun— 
terbrochen die ſchönſte Witterung herrſchte, die man ſich 
zu Reiſen nur wünſchen konnte. Ich wünſchte auch ſehn— 
lichſt, Madrid verlaſſen zu können, da mir der Aufenthalt 
daſelbſt wegen der atmoſphäriſchen Verhältniſſe nachgerade 


Die Temperatur von Madrid im November. 361 


läſtig, oft unerträglich wurde. Die trockne, ſcharfe, fort— 
während durch Nord- oder Oſtwinde bewegte Luft und 
die raſchen und ſchroffen Temperaturwechſel, welche während 
des Spätherbſtes und Winters in Madrid, wie überhaupt 
in dem ganzen centralen Tafellande tagtäglich eintreten, — 
denn ſeit Mitte Novembers waren täglich noch früh um 
9 Uhr im Schatten alle Bäume bereift und die Pfützen 
und Gräben mit Eis belegt, während um 1 Uhr eine 
Temperatur von + 15 und 189 herrſchte — konnten nicht 
nur nicht dazu beitragen, meine erſchütterte Geſundheit 
wieder herzuſtellen, ſondern untergruben dieſelbe immer 
mehr, ſo daß ich mich von Tage zu Tage leidender fühlte. 
Am meiſten genirte mich die Trockenheit der Luft. Den 
ganzen November regnete es auch nicht einen Tropfen. 
Dabei prangte der Himmel fortwährend im durchſichtig— 
ſten Azur, denn der meiſt heftig wehende Wind ließ keine 
Wolkenbildung zu Stande kommen. Prachtvoll war in 
jener ganzen Periode der Anblick des Guadarramagebir— 
ges, da daſſelbe bis tief hinab mit Schnee bedeckt war. 
In den Gärten des Buen Retiro, von wo aus das Gua— 
darramagebirge den Hintergrund der vielthürmigen Stadt 
bildet, glaubte ich damals, da jenes Gebirge wegen der 
im Herbſt ungemein großen Durchſichtigkeit der Luft un— 
mittelbar hinter den Gebäuden der Stadt emporzuſteigen 
ſchien, oft eine Alpenlandſchaft vor mir zu erblicken und 
mich in einer Alpenſtadt zu befinden. 


362 Reiſe nach den Silberbergwerken von Siendelaencina. 


Um nicht die Zeit ganz und gar in Unthätigkeit 
zuzubringen, unternahm ich im November einen Ausflug 
nach den in der Provinz von Guadalajara gelegenen Sit 
berbergwerken von Hiendelaéneina, welche ſeit ein 
paar Jahren wegen ihres großen Reichthums einen ſo 
bedeutenden Ruf in ganz Europa erlangt haben. Ich 
verließ Madrid am Morgen des 11. Novembers in einer 
der Diligencen, welche alltäglich zwiſchen Madrid und 
Guadalajara hin und her gehen. Man fährt von Madrid 
bis Guadalajara in fünf und einer halben Stunde. Die 
ſehr ſchön gebaute Chauſſee — die Heerſtraße nach Zara— 
goza — führt über die ehemals hochberühmte Univerſi⸗ 
tätsſtadt Alcala de Henares durch fortwährend gut 
angebaute und ziemlich bevölkerte, nur ſehr ebene und 
baumloſe Gefilde. Von der Puerta de Alcala bis zu der 
eine halbe Stunde davon entfernten Venta del Es pi— 
ritu ſanto, einem großen modernen Gaſthofe von ein— 
ladendem Aeußern, iſt die breite, vortrefflich unterhaltene, 
ſchnurgerade verlaufende Straße beiderſeits von einer Ul⸗ 
menallee eingefaßt. Es liegen an ihr mehrere Gaſthöfe, 
Weinkneipen, Schmieden, Kramladen und Vorrathshäuſer. 
Nach Ueberſchreitung eines Barranco unmittelbar hinter 
der genannten Venta erblickt man die weite, von den 
Flüſſen Jarama und Henares bewäſſerte Ebene, welche 
zur Linken von der von hier an nach Oſten zu allmälig 
niedriger werdenden und zackige Formen annehmenden 


Gegend zwiſchen Madrid und Hiendelaéneina. 363 


Scheidegebirgskette, zur Rechten dagegen von maleriſch 
durchfurchten, jedoch völlig nackten, meiſt tafelförmig ab— 
geplatteten Erdhügeln, die ſich längs des Ufers des He— 
nares hinziehen, begränzt erſcheint. Ehe man an den 
Jarama gelangt, erblickt man zur Linken ſehr nahe an 
der Straße zwei hübſche, von ſchattigen Parkanlagen um— 
gebene Schlöſſer, von denen das eine bei dem Flecken 
Canillejas de abajo gelegene dem Herzoge von Dfuna 
gehört, zur Rechten in größerer Ferne San Fernando, 
eine große, von ausgedehnten Obſtpflanzungen umringte 
königliche Domäne, deren pallaſtähnliches Hauptgebäude 
als Correctionsanſtalt für unſittliche Frauenzimmer dient. 
Ueber den Jarama, ein klares, ſchönes Gebirgswaſſer, 
führt eine lange, vielbogige Steinbrücke, Puente de 
Viveros genannt. Gleich darauf gelangt man nach dem 
Städtchen Torrejon de Aodö6z, einem freundlichen, 
gut gebauten Orte mit zwei hübſchen Kirchen, woſelbſt 
ſich das erſte Relais befindet. Von hier an läuft die 
Straße faſt ſchnurgerade durch die ebene, baumloſe Ge— 
gend nach Alcala de Henares, deſſen Thürme man 
gleich beim Austritt aus Torrejon vor ſich erblickt. Da 
die Diligencen um die Stadtmauer herumfahren, ohne 
ſich aufzuhalten, fo habe ich Alcala nicht in Augenſchein 
nehmen können. Von Außen nimmt es ſich ſehr ſtattlich 
aus, da es eine Menge von Kirchen, Klöſtern und andern 
großen Gebäuden beſitzt. Ich zählte 43 Thürme; unter 


364 Lage von Alcala. 


denſelben zeichnet ſich der der Colegiat- oder Hauptkirche 
durch bedeutende Höhe und Dicke aus. Alcala liegt auf 
dem rechten Ufer des Henares, dicht am Fluſſe in einer 
völlig ebenen, aber ſehr fruchtbaren Gegend. Jenſeits 
des Fluſſes erheben ſich, unmittelbar von deſſen Ufer aus, 
hohe, gegen den Fluß hier und da ſenkrecht abfallende Hügel 
von erdiger Beſchaffenheit (Tertiärhügel), welche von dem 
atmoſphäriſchen Gewäſſer in höchſt maleriſcher Weiſe zer— 
riſſen und durchfurcht worden ſind und deshalb einen ſehr 
intereſſanten Anblick darbieten. An der Nordſeite der 
Stadt befindet ſich die Alameda, eine lange, vierfache, 
mit Steinbänken gezierte Ulmenallee, welche ziemlich ver— 
wildert ausſah. Ihre Ulmen ſind beinahe die einzigen 
Bäume, die man in den Umgebungen von Alcala erblickt. 
Von dieſer Stadt an bis Guadalajara iſt die Gegend 
eben, wie ein Tiſch. Die Ufer des Henares, welcher fort— 
während zur Rechten der Straße am Fuße dürrer Erd— 
hügel von der ſchon geſchilderten Beſchaffenheit hinſtrömt, 
ſind ſtellenweis mit Gehölzen von Silberpappeln einge— 
faßt. Die Straße geht durch das Dorf Meco, woſelbſt 
ſich das zweite Relais befindet und überſchreitet bei Gua— 
dalajara den Henares auf einer hohen, ſchönen, neuge— 
bauten Brücke. Der genannte Fluß iſt eben ſo hell, wie 
der Jarama, aber noch waſſerreicher. Oberhalb der Brücke 
zieht ſich am rechten Ufer ein ſchöner Hain hochſtämmiger 
Silberpappeln, Eſchen und Eichen hin, welcher in jener 


Guadalajara und feine Geſchichte. 365 


baumarmen Gegend einen ſehr angenehmen Eindruck her— 


vorbringt. Das linke Ufer iſt fortwährend von ſteilen, 
oft ſenkrecht abfallenden, aller Vegetation entbehrenden 
Geſchiebehügeln eingefaßt, die eine Menge kleiner, male— 
riſcher Vorgebirge bilden. 

Guadalajara, eine Stadt von 12000 Einwohnern, 
liegt einen Büchſenſchuß vom linken Ufer des Henares 
entfernt, auf einer kahlen Anhöhe. Es ſoll gleich Alcala 
de Henares von den Römern gegründet worden ſein, ward 
aber erſt unter der Herrſchaft der Mauren, von denen der 
jetzige Name“) herrührt, ein bedeutender Ort. Die Stadt 
iſt größer, als Alcala, beſitzt jedoch bei weitem nicht fo 
viele Thürme, obwohl ſich die Zahl der Kirchen auf zehn 
und die der ehemaligen Klöſter auf dreizehn beläuft. Da— 
gegen hat Guadalajara ein freundlicheres und moderneres 
Ausſehen, als Alcala, Meine beſchränkte Zeit erlaubte 
mir nur, den dem Thale des Henares zunächſt gelegenen 
Theil der Stadt flüchtig zu durchwandern. Hier befinden 
ſich mehrere ſtattliche Kirchen und öffentliche Gebäude, 
unter andern die Academia de ingenieros, eine königliche, 
zur Heranbildung von Genieoffizieren beſtimmte Anſtalt, 
die einen großen, erſt vor wenig Jahren vollendeten Pal— 


*) Der Name Guadalajara bedeutet, wie mir ein im Gaſthofe 
zufällig anweſender maurifcher Kaufmann aus Tetuan verſicherte, 
ein ſandiges Flußbett. In der That iſt das breite Beit des Hena— 
res bei Guadalajara mit Sandbänken erfüllt. 


366 Gegend zwifchen Guadalajara und Hiendelaenceina. 


laſt von ſchönen architectoniſchen Verhältniſſen einnimmt, 
welcher ſich an einem mit Ulmen bepflanzten Platze er- 
hebt. — Schon um 3 Uhr verließ ich Guadalajara wies 
der, zu Pferde, in Begleitung eines Arriero, den ich auf 
drei Tage gemiethet hatte. Der Weg nach Hiendelaen- 
eina folgt fortwährend dem Laufe des Henares, welcher 
in den öſtlichſten Parthieen des Scheidegebirges entſpringt. 
Die Gegend iſt mehrere Leguas weit eben, ein kahles 
Ackerland; rechts, gegen Oſten, ziehen in geringer Ent— 
fernung die nackten Erdhügel des linken Henaresufers hin, 
die zwei über einander geſetzte, maleriſch geformte Terraſſen 
bilden. Nach einer zweiſtündigen Wanderung gelangten wir 
nach dem Flecken Fontanar, und eine halbe Stunde 
ſpäter nach dem Flecken Hunquera, woſelbſt wir über— 
nachteten. In den Umgebungen dieſer beiden ganz eben 
gelegenen Ortſchaften giebt es einige zerſtreute Oliven— 
plantagen, die einzigen Bäume, welche man in jener 
weiten, offenen Gegend bemerkt. Ich würde mich unter— 
wegs ſehr gelangweilt haben, hätte nicht das wechſelnde 
Farbenſpiel der untergehenden Sonne die kahle, nackte, 
graue Landſchaft wunderbar belebt. Unbeſchreiblich pracht— 
voll war namentlich die Beleuchtung der dürren Erdhügel 
des linken Henaresufers, ganz beſonders eines nordöſtlich 
von Nunquera ſich erhebenden von ausgezeichneter Tafel— 
geſtalt, indem ſeine ſchroffen, von zahlloſen Schluchten 
durchfurchten Abhänge im glühendſten Violettpurpur prang⸗ 


Gegend zwiſchen Guadalajara und Hiendelaencina. 367 


ten. Einen nicht minder pittoresken Anblick bot das den 
nördlichen Horizont begränzende Scheidegebirge dar, dem 
wir uns immer mehr und mehr näherten. Daſſelbe be— 
ſitzt hier zwar eine viel geringere Höhe, als bei Madrid, 
dagegen viel zackigere Contouren, indem es nicht mehr 
aus Granit, ſondern aus ſecundären Flözgeſteinen beſteht. 
Unter ſeinen ſchroff emporſtrebenden Gipfeln zeichnet ſich 
beſonders der Pico Oſejon, ein glockenförmig geſtalte— 
ter Berg, durch Höhe und Umfang aus. — Den folgen— 
den Tag brachen wir zeitig, noch lange vor Sonnenauf— 
gang, auf. Der Morgen war ſehr ſchön, aber empfind— 
lich kalt. Die Saaten zeigten ſich über und über mit 
Reif bedeckt, die Gräben und Pfützen mit Eis belegt. 
Unvergeßlich wird mir der prachtvolle Anblick bleiben, den 
das hier völlig kahle Scheidegebirge bei Sonnenaufgang 
gewährte. Alle vorſpringenden Felszacken waren in zar— 
tes, bald dunkleres, bald helleres Roſenroth getaucht, 
während die Schluchten und Thäler in dunkle Schatten, 
die nicht von den Strahlen der Sonne getroffenen Ab— 
hänge und Kämme in duftiges Himmelblau gehüllt er— 
ſchienen. Nach der Kreuzung eines lichten Gehölzes von 
Immergrüneichen kamen wir nach dem großen, in der 
Einſenkung gelegenen Flecken Humanes und bald dar— 
auf an den Zuſammenfluß des Henares und Rio So— 
bre, welcher am Fuße jenes hohen, tafelförmigen Hügels 
vor ſich geht, der Abends zuvor ſo wunderſchön beleuchtet 


368 Geognoſtiſche Verhältniſſe. 


geweſen war. Derſelbe beſteht, gleich allen übrigen Ter— 
tiärhügeln, die ſich längs des Henares und der andern 
vom Scheidegebirge herabkommenden Flüſſe hinziehen, aus 
völlig horizontalen Schichten theils eines gelben Sand— 
ſteines, theils eines lockern, aus abgerundeten Steinen 
und einem lehmigen Bindemittel zuſammengeſetzten Con— 
glomerats, welche durch dünnere Lagen von weißem, bläu— 
lichem und röthlichem Thone geſchieden ſind. Der Rio 
Sobre iſt ebenfalls ein ſchönes helles Gebirgswaſſer und 
beinahe eben ſo ſtark wie der Henares. Das Thal des 
letztern Fluſſes wird hier eng, indem ſich auch auf dem 
rechten Ufer ſteile Geſchiebehügel erheben, die indeſſen 
viel niedriger ſind, als die des gegenüberliegenden Ufers. 
Ueber dieſe Hügel klettert der Weg nach Ueberſchreitung 
des Sobre zu einer Hochebene empor, welche ſich bald 
in ein hügliges Terrain verwandelt, das allmälig immer 
höher anſteigend und hier und da zu geräumigen, ſanft 
gewölbten Plateau's ſich erhebend, bis an den Fuß des 
Scheidegebirges fortſetzt. Bei Cerezo, einem in Ter— 
raſſenform am Abhange eines kahlen Hügels liegenden 
Flecken, beginnt eine ſchöngeſchichtete Gypsformation!), 
welche ein wellenförmiges Terrain bildet und ſich bis zum 


) Die Gyysſchichten, desgleichen die Schichten des ſpäter ers 
wähnten Sandſteins, welcher unter dem Gyps zu ruhen ſcheint, 
ſowie die Schichten des kalkigen Geſteins in der Schlucht des Bor— 
novathales ſtreichen von O nach W und fallen unter 20° nach S ein. 


Gegend von Cogulludo. 369 


Flecken Cogulludo hinzieht. Nachdem wir den Rio 
Liendre, ebenfalls einem Zufluß des Henares, deſſen 
Thal fortwährend zur Rechten bleibt, ſowie die Flecken 
Montarrön und Fuencemillan paſſirt hatten, ge— 
langten wir gegen Mittag nach Cogulludo, wofelbft 
wir eine Stunde verweilten. Dieſer große Flecken liegt 
am Oſtabhange eines kahlen Gypskammes, um deſſen Fuß 
der Rio Liendre, ein unbedeutender, brackiges Waſſer füh— 
render Bach, herumgeht. Der Ort iſt mit alten, zum 
Theil zerſtörten Mauern umgeben, in denen ſich mehre 
alterthümliche, gothiſche Thore befinden. Außerhalb der 
Mauern, an der Südſeite des Fleckens, liegt ein großes 
Kloſter in Ruinen, innerhalb des Ortes dagegen, am 
Platze, der ebenfalls dem Zuſammenſtürzen nahe Pallaſt 
der Herzöge von Medinaceli, ein großes, wunderliches 
Gebäude von halb mauriſcher, halb gothiſcher Bauart, 
mit gothiſch geſtäbten Fenſtern und in Stein gehauenen 
mauriſchen Simsverzierungen. Bald hinter Cogulludo 
erhebt ſich der Weg in ſteilen Zickzacks zu einem hohen, 
öden, aus Sandſtein beſtehenden und mit Ciſtus- und 
Labiatenheiden“) bedeckten Plateau empor, welches faſt eine 
Stunde breit iſt und ſchöne Ausſichten nach dem Scheide— 
gebirge und in das grüne Thal des Henares darbietet. 


) Die Vegetation wird vorzüglich gebildet aus: Cistus lada- 
niferus L., C. laurifolius L., Rosmarinus officinalis L., Lavan- 
dula pedunculata Cav., und Thymus vulgaris L. 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 24 


370 Geognoſtiſche Verhältniſſe von Hiendelaéncina. 


Von hier ſtiegen wir durch eine Felsſchlucht in das ziem- 
lich enge und baumreiche Thal des Rio Borno va, 
eines ſtarken Zufluſſes des Henares, hinab, woſelbſt hier 
ein Dorf im Schatten hoher, alter Eſchen und Eichen 
recht maleriſch liegt. Eine kurze Strecke davon verengt 
ſich das Thal des Bornova, welchem der Weg folgt, zu 
einer ſchmalen, romantiſchen Felsſchlucht, indem jener Fluß 
einen Höhenkamm von kalkigem Geſtein mitten durchbrochen 
hat. Durch dieſe Schlucht gelangt man in eine keſſelar— 
tige, rings von kahlen Felshügeln umgebene Ausweitung, 
in der, dicht am ſchäumenden Bornova, ein anderes Dorf 
von armſeligem Ausſehen liegt. Es beginnt hier plötz— 
lich die erzreiche Gneisformation von Hiendelaeneing, 
welche ein hohes, wellenförmig geſtaltetes, von engen, 
maleriſchen Felſenſchluchten tief durchfurchtes Plateau bil— 
det. Gegen Norden und Weſten wird daſſelbe von dem 
Bornova durchſchnitten. Jenſeits dieſes Fluſſes beginnen 
bald Sedimentärgeſteine an der Zuſammenſetzung des 
Plateau's Theil zu nehmen, welches ſich im Allgemeinen 
bis an den Fuß des eigentlichen, nicht mehr fernen Schei— 
degebirges erſtreckt. Letzteres beſteht hier aus Geſteinen 
der ſiluriſchen und davoniſchen Periode und erhebt ſich 
in zackigen Kämmen, zwiſchen denen der ſchon genannte 
Pico Oſejön ſtolz emporragt. Die ganze Gegend hat 
ein ödes, kaltes, düſteres Anſehen, iſt jedoch nicht un— 
maleriſch. Die Bäume fehlen, mit Ausnahme der Thal⸗ 


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— 


. —————— 


Silbergruben von Hiendelaentina. 374 


ſchluchten und einiger mit Kiefern bewaldeter Gebirgsab— 
hänge, gänzlich; dagegen iſt das Plateau faſt überall mit 
niedrigem Strauchwerk (beſonders Cistus ladaniferus und 
C. laurifolius) bedeckt. Der bisher recht gute Saumpfad 
wurde nun unbequem, indem er unaufhörlich bergauf und 
bergab lief. Rechts und links vom Wege bemerkte ich 
an verſchiedenen Stellen angefangene und wieder aufge— 
gebene Grubenarbeiten. Bald zeigten ſich zur Linken, 
eine halbe Stunde von unſerm Pfade, die rothen Ziegel— 
dächer des Fleckens Congoſtrina, in deſſen Nähe kurz 
zuvor ein reicher Silbererzgang aufgefunden worden war. 
Fortwährend zwiſchen Gneisfelſen, deren Schichten oft 
ſenkrecht aufgerichtet waren, emporſteigend, gelangten wir 
endlich um 3 Uhr auf den höchſten, wohl nahe an 4000 
Fuß über das Meer erhabenen Theil des Plateau's, wel— 
cher völlig kahl und mit großen Gneisblöcken, mit Ge— 
ſchiebe und Sand bedeckt iſt. Hier liegt an dem nach 
Südoſt gekehrten Abhange der flachen Kuppe das Dorf 
Hiendelaéneina. 

Hiendelaéncina war noch vor zehn Jahren ein 
völlig unbekannter Ort und gewiß eins der elendeſten 
und ärmſten Dörfer der geſammten Halbinſel. Auf einem 
hohen, kalten Plateau gelegen, deſſen der Dammerde ent— 
behrender Gneisboden keinerlei Anbau geſtattet, mußten 
die Bewohner ihr Leben auf das Kümmerlichſte durch 
Kohlenbrennen, Steinbrechen, Verfertigung von Esparto— 

24 * 


372 Silbergruben von Hiendelasncina. 


geflechten u. dgl. m. friſten. Sie lebten in elenden Hüt⸗ 
ten, deren Mauern aus übereinandergelegten Gneisblöcken 


errichtet und deren Dächer mit dünnen Gneisplatten ge- 


deckt waren. Noch damals beſtand ein großer Theil des 
Ortes, ungefähr die untere Hälfte, aus ſolchen Stein— 
hütten. Das Elend war hier gränzenlos, beſonders im 
harten Winter, wo das Plateau von Hiendelaéneina bis— 
weilen drei Monate lang unter tiefe Schneemaſſen ver⸗ 
graben iſt. Da wurde im Sommer des Jahres 1844 


unweit des Dorfes ein zu Tage ausgehender Schwerſpath- 


gang entdeckt, welcher kleine Portionen eines bleiartig 
glänzenden Metalls eingeſprengt enthielt. Bei näherer 
Unterſuchung ergab ſich daſſelbe als ein ſehr reichhaltiges 
Silbererz. Man forſchte nun weiter und fand einen weit— 
hin fortſetzenden, gegen die Tiefe an Mächtigkeit zuneh— 
menden Gang, welcher reich an Silberverbindungen ver— 
ſchiedener Art, ja ſelbſt an gediegenem Silber war. Glück— 
licherweiſe nahm gleich anfangs ein verſtändiger, unter— 
richteter und vermögender Mann, nämlich der Bruder des 
berühmten Chemikers und Phyſiologen Orfila in Paris, 
das Unternehmen in ſeine Hand, indem er beinahe ein 
Drittheil ſämmtlicher von der zur Ausbeutung des Gan— 
ges zuſammengetretenen Geſellſchaft ausgegebenen Actien 
erwarb, die Adminiſtration der Gruben übernahm und 
dieſelben unter die Leitung tüchtiger, wiſſenſchaftlich ge— 
bildeter Bergingenieure ſtellte. Seit jener Zeit änderte 


Silbergruben von Hiendelaencina. 373 


ſich die Lage der Bewohner von Hiendelaöneina. Die 
ſich raſch folgenden Auffindungen neuer Erzgänge veran— 
laßten binnen Kurzem die Anlegung einer Menge von 
Bergwerken, ſowie der bedeutende Silbergehalt des Erzes 
die Errichtung eines großartigen Amalgamirwerkes im 
Thale des Bornova. Manche Actionäre, wie Orxfila, 
nahmen ihren bleibenden Aufenthalt in Hiendelaéneina, 
und da die elenden Hütten des Dorfes keine bewohnbaren 
Räumlichkeiten weder für dieſe, noch für die Bergwerks— 
beamten darboten, ſo wurden neue Gebäude aufgeführt. 
Auf dieſe Weiſe fanden nicht allein die Bewohner von 
Hiendelaéneina, ſondern auch die der benachbarten Ort— 
ſchaften eine dauernde und lohnende Beſchäftigung theils 
als Gruben- und Hüttenarbeiter, theils als Handlanger 
bei den Bauten, theils als Arriero's beim Transport des 
Baumaterials, der Geräthſchaften, des Erzes und der 
Lebensmittel. Neben den elenden Gneishütten erhoben 
ſich bald ſtattliche Gebäude und es ſteht zu hoffen, daß 
in einem Jahrzehnte an der Stelle der engen, krummen 
und ſchmuzigen, aus niedrigen, ſchwarzen Steinhütten 
beſtehenden Gaſſen ſich breite, regelmäßige Straßen mit 
modernen Gebäuden, daß an der Stelle des einſtigen 
elenden Dorfes ſich eine reſpectable Stadt ausbreiten werde. 
Es herrſchte damals ein ungeheuer reges Leben auf jenem 
öden Plateau. In den Gaſſen des urſprünglichen Dorfes 
konnte man vor ankommenden und abgehenden Zügen 


374 Silbergruben von Hiendeladneina. 


beladener Maulthiere und vor Menſchen kaum treten; 
oberhalb deſſelben, an ſeiner nördlichen Seite, arbeitet 
man an der Erbauung einer Kirche, welche die noch leere 
Seite eines großen regelmäßigen Platzes einnehmen ſollte. 
Ihr gegenüber erhebt ſich ein großer Gaſthof, in dem ich 
nur mit Mühe ein Unterkommen finden konnte; eine an⸗ 
dere Seite des Platzes ziert das ſtattliche Haus Orfila's, 
das mit ſeinen langen Fenſterreihen und ſeinen grünen 
Jalouſieen wie ein Schloß neben den finſtern Gneishüt⸗ 
ten erſcheint. Bi 

Ich benutzte die noch übrigen Stunden des Nach- 
mittags, um in Geſellſchaft eines ſächſiſchen Bergingenieurs, 
deſſen Bekanntſchaft ich bereits in Madrid gemacht hatte, 
ein neues, im benachbarten Bornovathale gelegenes, erſt 
im Entſtehen begriffenes Hüttenwerk zu beſuchen, welches 
auf Koſten der Actiengeſellſchaft der drei älteſten und zu— 
gleich bedeutendſten Gruben und unter Leitung eines Me— 
jicaners, Namens Ortigoſa, der in Freiberg ſtudirt hat, 
erbaut wurde. Dieſes Hüttenwerk, welches nunmehr voll— 
endet ſein dürfte, und zu deſſen künftigen Director der 
ſchon genannte Ortigoſa erwählt worden war, ſollte nach 
der neuen, von Auguſtin im Mannsfeldiſchen erfundenen 
und dort zuerſt, jo viel ich weiß, im Großen angewen- 
deten Methode, nach welcher das Silber auf naſſem Wege 
durch Präcipitation gewonnen wird, eingerichtet werden. 
Man war damals mit den Gebäuden erſt über den Grund 


Silbergruben von Hiendelaéncina. 375 


heraus und mit Anlegung eines Kanals beſchäftigt, der 
das Waſſer des Bornova nach der Hütte leiten ſollte. 
Dieſer Kanal, welcher großentheils durch den Gneis ge— 
ſprengt werden mußte, beſitzt eine Länge von 2000 Varas. 
Die Lage dieſes Hüttenwerks iſt überaus romantiſch. Das 
Thal des Bornova, welches man nicht eher gewahrt, als 
bis man an ſeinem Rande ſteht, indem es gleich einem 
Riſſe das Gneisplateau durchſpaltet, iſt ein wilder, mit 
Baum⸗, Strauch- und Kräuterwuchs auf das Maleriſchſte 
geſchmückter Felſengruns, welcher eine Menge eben ſo rei— 
zender als großartiger Parthieen einſchließt und durch die 
brauſenden, ſilberklaren Fluthen des ungeſtümen Fluſſes 
anmuthig belebt wird. Man vermuthet dieſes ſchöne Thal, 
innerhalb deſſen man ſich in ein romantiſches Gebirge 
verſetzt wähnt, gar nicht in jener ſcheinbar ſo einförmigen 
Hochebene. Ob die neue Hütte in dem Maaße rentiren 
wird, wie die Unternehmer derſelben damals hofften, iſt 
noch die Frage. Dieſelbe hat nämlich einen bedeutenden 
und gefährlichen Concurrenten in dem ſchon oben erwähn— 
ten Amalgamirwerke, welches einer engliſchen Actiengefell- 
ſchaft gehört und unter der Leitung zweier Engländer ſteht. 
Daſſelbe iſt, wenn ich nicht irre, im Jahre 1846 angelegt 
worden und conſumirte damals alle aus den Gruben zu 
Tage geförderten Erze. — Bei herrlichem Mondſchein kehr— 
ten wir über das öde Plateau nach Hiendelaéncina zurück, 
wo ich bei Ortigoſa, der, ſowie alle übrigen Bergbeamten, 


376 Ein Abend in Hiendelaencina. 


fich ſehr freundlich und gaſtfrei gegen mich zeigte, zu 
Abend ſpeiſte. Dann gingen wir ſämmtlich zum Unter- 
director der drei Hauptgruben, Don Antonio Lo renzo 
de Madarriaga, in dem ich zu meiner großen Freude 
einen jener Bergingenieure wieder erkannte, bei denen ich 
im Jahre 1845 in Almaden eine ſo außerordentlich freund— 
ſchaftliche Aufnahme gefunden hatte. Am Kaminfeuer in 
einem faſt elegant zu nennenden Zimmer ſitzend, verbrach- 
ten wir ein Stündchen unter heiterem Geſpräche, alte 
Erinnerungen auffriſchend, bei einer Taſſe Thee, worauf 
wir uns alle zu Don Antonio Orfila begaben, in 
deſſen Hauſe allabendlich eine Tertulia ſtattzufinden pflegt. 
Wir trafen hier noch mehrere Bergbeamte, ſowie die Frau 
Orfila's, eine gebildete Pariſerin, und eine junge Dame 
aus Madrid, die Schweſter eines ſpaniſchen Bergingenieurs. 
Orfila hat ſich ſehr hübſch eingerichtet; man vermißt in 
ſeinem Hauſe nichts von europäiſcher Geſittung. Es war 
mir, als träumte ich, als ich in das elegante und com— 
fortable Zimmer trat und mich in Geſellſchaft fein ge— 
bildeter Damen befand, als wäre es nicht möglich, daß 
ich in einem entlegenen, ſcheinbar von allem Verkehr 
mit der civiliſirten Welt abgeſchnittenen Winkel Neu⸗ 
caſtiliens, auf der unwirthlichen Bergebene von Hiende— 
laéncina ſei! Orfila iſt ein ſchon bejahrter Mann — er 
iſt älter, als der Pariſer — von ſehr intelligentem Aus— 
ſehen. Man kann ihn als die eigentliche Seele des gan— 


Die Silbergruben von Hiendelaencina. 377 


zen Etabliſſements betrachten, denn ohne ihn, ohne ſeinen 
Speculationsgeiſt und ſeine kluge und umſichtige Leitung 
würden die Gruben von Hiendelaéneina trotz des Reich— 
thums ihres Erzes kaum das geworden ſein, wenigſtens 
nicht in ſo geringer Zeit, was ſie bereits damals waren. 
Orfila hat ſich durch ſeine klugen Speculationen binnen 
vier Jahren ein Vermögen von einer halben Million Rea— 
len erworben! — Erſt ſpät nach Mitternacht trennte ſich 
die Geſellſchaft. Die Nacht war ſchön, aber die Luft 
eiſig kalt. 

Den folgenden Morgen nahm ich, geleitet von Herrn 
Madarriaga, die drei auf den zuerſt entdeckten und reich— 
ſten Gang bauenden Hauptgruben in Augenſchein. Die— 
ſelben liegen am nordöſtlichen Rande des Dorfes in einer 
Einſenkung, bilden mit ihren Gebäuden eine kleine, nette, 
freundliche Ortſchaft und führen die Namen Santa Ce— 
cilia, la Fortuna und la Suerte. Die erſtgenannte 
Grube iſt die älteſte von allen. Sie befindet ſich an der— 
ſelben Stelle, wo, wie eine ſteinerne Denkſäule beſagt, 
der Erzgang am 2. Juni 4844 von einem gewiſſen Goriz 
entdeckt wurde. Alle drei Gruben hängen unter ſich zuſam— 
men. Wir fuhren auf Santa Cecilia an und in der For— 
tung wieder aus. Unter allen drei Gruben erreicht Santa 
Cecilia die größte Tiefe; man arbeitete damals am fünf— 
ten Stockwerke. Im vierten Stockwerke befanden wir uns 
in einer Tiefe von 140 Varas (etwa S 430 par. Fuß). 


378 Silbergruben von Hiendelaéneina. 


Alle drei Gruben ſind nach einem wiſſenſchaftlichen Plane 
angelegt und beſchäftigten damals zuſammen gegen ſieben 
hundert Bergleute. Der in Gneis aufſetzende Erzgang 
ſtreicht von WSW nach ONO, ſchießt faſt ſenkrecht ein 
und beſitzt im Mittel eine Mächtigkeit von dreißig Zoll. 
Er iſt bis auf 250 Varas Länge recognoſcirt worden. 
Das Ganggeſtein iſt, wie ich ſchon erwähnt habe, Baryt; 
die vorkommenden Erze ſind: gediegen Silber, meiſt in 
moosförmigen Efflorescenzen; Schilfglaserz, meiſt derb, 
höchſt ſelten kryſtalliſirt; Rothgültigerz, ſilberhaltiger Blei⸗ 
glanz, Spateiſen und Kupferkies. Auch hat man Spuren 
von Chlor- und Bromſilber gefunden. Das vorherrſchende 
Erz iſt das Schilfglaserz, welches 20 bis 30 Unzen Sil— 
ber auf den Centner enthält. Die Gallerieen dieſer Gru— 


ben ſind meiſt in das Geſtein gehauen, nur wenige aus- 
gezimmert. Das Waſſer iſt nicht bedeutend und konnte daher 
damals noch durch einen Pferdegöpel bewältigt werden. 


Am Nachmittage deſſelben Tages ritt ich ganz allein nach 
dem engliſchen Amalgamirwerke. Daſſelbe liegt ebenfalls 
im Thale des Bornova, eine halbe Legua oberhalb der 
neu angelegten Hütte und eine Legua nordöſtlich von den 
Gruben von Hiendelaöneina. Von dieſen führt eine ganz 
neue, gut gebaute Straße über die Gneishochebene, welche 
hier gänzlich mit dichtem Gebüſch der beiden ſchon ge— 
nannten Ciſtusarten bedeckt iſt, bis nach dem Amalgamir⸗ 
werke, welches eine der romantiſchſten Stellen des Bor— 


Das Amalgamirwerk von Hiendelaöncina. 379 


novathales einnimmt und mit feinen Nebengebäuden ein 
kleines, nettes Dörfchen bildet. Der Neffe des eigent— 
lichen Directors, Mr. William Rea, ein ſehr gefälli— 
ger und gebildeter junger Mann, an den mir Madarriaga 
einen Empfehlungsbrief mitgegeben hatte, beauftragte einen 
der Werkführer, mir Alles zu zeigen, und bewirthete mich 
dann noch ſehr gaſtfrei. Das Amalgamirwerk von Hien— 
delaéncina iſt ſehr groß, vielleicht das größte, welches 
gegenwärtig in Europa exiſtirt. Es beſitzt 24 Amalga— 
mationstonnen, von denen 16 durch ein koloſſales Waſ— 
ſerrad von 42 engliſchen Fuß Durchmeſſer, 8 durch eine 
Dampfmaſchine in Bewegung geſetzt werden. Dieſes Amal— 
gamirwerk produeirt monatlich eine Quantität Silber von 
700 Piaſtern an Werth. Das gewonnene Silber wird 
an die königliche Münze in Madrid verkauft, welche mit 
den Eigenthümern des Amalgamirwerkes auf eine Reihe 
von Jahren einen Contract abgeſchloſſen hat. Gerade 
am Mittage jenes Tages ging ein Silbertransport von 
1500 Pfund unter ſtarker militäriſcher Eskorte von Hien— 
delaͤncina nach Madrid ab. — Es war ſchon völlig Nacht, 
als ich nach Hiendelaeneina zurückkam, wo ich noch mehrere 
Stunden bei Ortigoſa und Madarriaga verweilte. Den fol— 
genden Morgen verließ ich noch bei Nacht Hiendelaéneina 
und gelangte nach einem ermüdenden zwölfſtündigen Ritte 
nach Guadalajara, von wo ich Tags darauf per diligence 
wieder nach Madrid zurückkehrte. — 


Elftes Kapitel. 


Vergleihende Schilderung der Volksſtämme von Leon, Eſtremadura, 
Neu⸗ und Altcaſtilien. 


Die Volksſtämme, welche gegenwärtig das hohe 
Tafelland Centralſpaniens bewohnen, haben, wie ihre 
Sitten verrathen, eine gemeinſame Abſtammung. Gleich 
den Aragoneſen und den meiſten Volksſtämmen der Halb- 


inſel ſind auch ſie keine Abkömmlinge der Ureinwohner, 
ſondern Miſchlingsvölker; doch haben ſich jedenfalls in 
einigen ſchwer zugänglichen Gebirgsgegenden Reſte der 
urſprünglichen Bevölkerung ziemlich, wenn nicht ganz un- 
vermiſcht, bis auf den heutigen Tag erhalten. Dahin 


gehören die von mir bereits in meinem erſten Reiſewerke 


erwähnten Maragatos in den Gebirgen von Aſtorga 


im Königreiche von Leon, ferner die Bewohner des Valle 
de Mena in den Montafas de Burgos in Alteaftilien, 
und vielleicht auch die des nördlich von Bejar gelegene 
waldige Plateau bewohnenden Leoneſen, welche ſich ſowohl 
durch ihre Geſichtsbildung als durch ihre Trachten und 


„ 
J 
N 


Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 381 


Sitten von den übrigen Einwohnern der Provinz von 
Salamanca auffallend unterſcheiden. Doch ſcheint es mir 
beinahe noch wahrſcheinlicher, daß dieſe ein unvermiſcht 
gebliebener Reſt der eingewanderten Gothen ſind. Denn 
die Ureinwohner Spaniens, ſowohl die Celtiberer, von 
denen die Maragaten, als die Cantabrer, von denen die 
Bewohner des Thales von Mena abzuſtammen behaup— 
ten, haben ſicher ſchwarzes Haar und dunkle Augen be— 
ſeſſen, gleich den jetzigen Spaniern; die Bewohner des 
Plateau von Bejar dagegen zeichnen ſich durch blondes 
Haar und blaue Augen auffallend von allen Leoneſen aus. 
Die kleinen unvermiſcht gebliebenen Reſte früherer Na— 
tionen ausgenommen, ſind die Bewohner Centralſpaniens 
aus der Vermengung der zahlreichen fremden Volksſtämme, 
welche zur Zeit der Völkerwanderung ſucceſſive die Halb— 
inſel überſchwemmten, mit den Ureinwohnern und den 
Nachkommen der in Spanien angeſiedelten Römer her— 
vorgegangen. Auch mauriſches Blut fließt in den Adern 
der Centralſpanier, jedoch in viel beſchränkterem Maaße, 
als bei den Bewohnern des ſüdöſtlichen und ſüdlichen 
Theiles der Halbinſel. Denn obwohl die Araber ſich 
anfangs die ganze Halbinſel mit Ausnahme des cantabri— 
ſchen Gebirges unterwarfen, ſo war ihre Herrſchaft in 
der nördlichen Hälfte Spaniens doch von zu kurzer Dauer 
und ihr Einfluß wegen der nur geringen Zahl von arabi— 
ſchen Niederlaſſungen ein zu unbedeutender, als daß ein 


382 Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 


ſo inniges Zuſammenleben zwiſchen ihnen und den Ein— 
geborenen und eine daraus hervorgehende Vermengung 
beider Nationen möglich geweſen wäre. Bald wurden 
die Mauren bis jenſeits des Centralgebirges, welches 
fortan die natürliche Gränzmauer zwiſchen dem muhame— 
daniſchen und chriſtlichen Elemente war, zurückgedrängt; 
ſpäter bis jenſeits des Tajo und Guadiana und endlich 
bis an das Waldgebirge der Sierra Morena, bis an die 
hohen Felſenmauern der valencianiſchen Gebirge und bis 
an den iberiſchen Abhang des Tafellandes, ſo daß dem 
Halbmonde blos noch die vom mittelländiſchen Meere be— 
ſpülten Landſchaften und das Ebrobaſſin übrig blieben, 
allerdings die ſchönſten und geſegnetſten Theile der ge— 
ſammten Halbinſel, wo auch bekanntlich der Halbmond 
noch lange allen Angriffen des Kreuzes Trotz bot, und 
das orientaliſche Element dergeſtalt die Oberhand gewann, 
daß ſelbſt nach der Vertreibung der Mauren Land und 
Volk einen halb orientaliſchen Charakter bewahrten, wel— 
cher ſich daſelbſt noch bis auf den heutigen Tag unge— 
ſchwächt erhalten hat. Ganz anders verhält es ſich in 
Centralſpanien. Dieſſeits des centralen Scheidegebirges 
erinnert nur wenig, jenſeits deſſelben faſt nichts an die 
einſtige Herrſchaft des Islam. Es iſt mir aus Leon und 
Altcaſtilien kein Denkmal mauriſcher Baukunſt bekannt 
und auch in Eſtremadura und Neucaſtilien iſt deren Au— 
zahl ſehr beſchränkt, beſonders in dem Landſtriche zwiſchen 


Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 383 


dem Tajo und dem Scheidegebirge. Dagegen finden ſich 
in Neucaſtilien und Eſtremadura noch viele Orts- und 
Flußnamen arabiſchen Urſprungs. Jenſeits des Scheide— 
gebirges ſind dieſelben viel ſeltner; ja ich kenne aus Leon 
und Altcaſtilien keine einzigen Flußnamen, welche mit 
der Silbe Guad-Wad d. h. Fluß, anfinge. Arabiſche 
Namen, Reſte arabiſcher Architectur, wie Thore mit Huf— 
eiſenbogen, Stadtmauern mit arabiſchen Mauerzinnen, 
mauriſche Wartthürme und die winkliche Bauart von 
Städten, welche wie Toledo und Cuenca, durch die 
Mauren ihren jetzigen Umfang und Grundriß erhielten, 
ſind aber auch Alles, was in Neucaſtilien und Eſtrema— 
dura an die Herrſchaft der Orientalen erinnert; denn 
weder die Sprache, noch die Trachten, Sitten und Ge— 
bräuche der Neucaſtilianer und Eſtramanos, haben noch 
etwas mit orientaliſcher Geſittung gemein, wenn man 
einige Gebräuche orientaliſchen Urſprungs abrechnet, wie 
die ſymboliſchen Zeichen der Gaſtfreundſchaft, das nomadi— 
ſirende Leben der Hirten, beſonders der Merinohirten, 
welche ganz Centralſpanien mit ihren Heerden durchwan— 
dern, und andere Sitten, die ſich über die ganze Halb— 
inſel, ſelbſt die baskiſchen Provinzen nicht ausgenommen, 
verbreitet haben. Ganz beſonders aber fehlt das orien— 
taliſche Element in Leon und Altcaſtilien. Ich glaube 
nicht zu viel zu ſagen, wenn ich behaupte, daß in den 
Adern der Leoneſen und Altcaftilianer noch jetzt eben jo 


384 Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 


wenig arabiſches Blut fließt, wie vor der Eroberung 6 
Spaniens durch die Mauren. Auch nennen ſich beide | 
Völkerſtämme ſtolz, gleich den Basken, Aſturianern und | 
Galiciern: „eristianos viejos“. | 
Die Bewohner der verſchiedenen Landſchaften Central— 
ſpaniens haben viel weniger in ihrer Phyſiognomie und 
Körperbildung mit einander gemein, als in ihrem Charakter. 
Es iſt der ächte caſtilianiſche Charakter, welcher ſich bei 
allen Centralſpaniern geltend macht, ganz beſonders bei 
den Altcaſtilianern, Leoneſen und Eſtremafos. Die Neu— 
caſtilianer ähneln in ihrem Charakter mehr den Arago— 
neſen, ſind aber ein ungleich cultivirteres Volk als dieſe. 
Die hervorſpringenden Züge des caſtilianiſchen Charakters 
ſind ein unbegränzter aber nobler Stolz, Ehrenhaftigkeit, 
Aufrichtigkeit, Uneigennützigkeit, Genügſamkeit, ſtarres 
Feſthalten am Alten, Hergebrachten und daraus entſprin— 
gende Gleichgültigkeit gegen Neuerungen, beſonders gegen 
die Fortſchritte der Induſtrie. Der letztere Charakterzug 
kommt auch daher, daß die Bewohner Centralſpaniens 
ein ausſchließlich Ackerbau treibendes Volk ſind. Mit 
dieſen Zügen verbindet ſich ein ernſtes, gemeſſenes, förm— 
liches und ſchweigſames Weſen; dies tritt ganz beſonders 
bei den Eſtremaßos hervor, welche Stunden lang bei 
einander ſitzen können, ohne ein einziges Wort zu ſprechen, 
und nur ſelten ihre Miene zu einem Lächeln verziehen. 
Die Eſtremaſos tragen in ihrem ganzen Weſen eine 


Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 385 


Hravität zur Schau, die oft eine höchſt komiſche Wirkung 
hervorbringt. Durch dieſes gravitätiſche Benehmen glei— 
hen ſie ihren Nachbarn, den Portugieſen, auffallend; un— 
erſcheiden ſich aber von denſelben durch ihre Schweig— 
amkeit und durch ihr Fernſein von allen leeren Prahlereien 
ind hochtrabenden Redensarten, die den Portugieſen fo 
ſeläufig find. Trotz ihres großen Ernſtes, ihrer unglaub— 
ichen Schweigſamkeit und ihres förmlichen Weſens haben 
zie Eftremafios nie einen unangenehmen Eindruck auf 
nich hervorgebracht, wie die Aragoneſen; die Phyſiognomie 
her Eſtremaſos hat etwas entſchieden Guthmüthiges und 
Ehrliches, und in der That, Gutmüthigkeit und Ehrlich— 
eit find nächſt dem alteaſtilianiſchen Zuge unerſchütter— 
icher Ehrenhaftigkeit die hervorſtechendſten Eigenſchaften 
des Charakters der Bewohner von Eſtremadura. Die 
Hutmüthigkeit und Ehrlichkeit des Eſtremano äußert ſich im 
Verkehr mit dem Fremden zunächſt in einer großen Artig— 
eit und uneigennützigen Dienſtfertigkeit, zwei Eigenſchaf— 
ten, durch welche ſich der Eſtremano von dem Aragoneſen, 
dem er durch ſeine Schweigſamkeit und Unreinlichkeit 
ähnelt, ſehr vortheilhaft unterſcheidet. Der gemeinſte 
Bauer und Hirt grüßt den Reiſenden höflich; tritt man 
in eine Poſada oder ſonſt in ein Haus, ſo wird man 
mit großer Förmlichkeit begrüßt und Einem ſofort der 
beſte Seſſel am Ehrenplatze, am Heerde präſentirt. Alles 
ſtrebt, ſich dem Gaſte dienſtbar und gefällig zu erweiſen, 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 25 


386 Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 


ohne für jede Dienſtleiſtung eine Belohnung zu verlangen. 
Prellerei und Habſucht ſcheinen in Eſtremadura unbekannt 
zu fein, ebenſo in Leon und Altcaftilien, fo weit ich die 
Bewohner jener Landſchaften während meines allerdings 
nur ſehr kurzen Aufenthalts daſelbſt kennen gelernt habe. 
Ich bedauere ſehr, daß es mir nicht vergönnt war, längere 
Zeit unter den Altcaftilianern und Leoneſen zu leben und 
ihr Land nach allen Richtungen hin zu durchſtreifen; die 
wenigen Tage, die ich unter ihnen verweilte, haben in 
mir die Ueberzeugung hervorgerufen, daß beide Stämme 
ein herrliches Volk find. Sie haben den alteaftiltanifchen, 
ehernen, unbeugſamen und noblen Charakter, wie ihn 
die Romanzen des Cid ſchildern, bewahrt, mit ihm die 
ſtrenge Sittlichkeit, die edle uneigennützige Gaſtfreiheit, 
die Achtung vor fremdem Eigenthum, den Abſcheu von 
gemeinen Verbrechen. In den Dörfern, auf dem Plateau 
von Bejar beſitzen die Hausthüren keine Schlöſſer, ſon— 
dern blos hölzerne Klinken. Die Bewohner gehen aus 
und laſſen das Haus allein, unverſchloſſen, denn ein Dieb— 
ſtahl iſt unter jenen einfachen, unverdorbenen Naturmen— 
ſchen unerhört. Auch in den Provinzen von Salamanca, 
Avila und Segovia hört man ſelten von Diebſtählen, 
ebenſo in Hoch-Eſtremadura. Gleich den Eſtremaßos 
find auch die Leoneſen und Altcaſtilianer ernſt und förm— 
lich, doch bei weitem nicht ſo ſchweigſam und ungeſellig. 
Im Gegentheil liebt man es in ihrem Lande, am Heerd— 


Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 387 


euer oder vor der Hausthüre beiſammen zu ſitzen und 
ich in heiterer Weiſe zu unterhalten, wobei denn ge— 
vöhnlich auch die Guitarre, das Tambourin und die 
Saftagnetten nicht zu fehlen pflegen, obwohl Muſik und 
Tanz jenſeits des Scheidegebirges nicht ſo allgemein 
beliebt find, wie dieſſeits deſſelben in Neucaſtilien, 
deſſen Bewohner hierin große Verwandtſchaft mit ihren 
üdlichen Nachbarn, den Valencianern und Andaluſiern, 
haben. Die Neucaſtilianer unterſcheiden ſich von den drei 
bisher beſprochenen Volksſtämmen durch größere Lebhaf— 
tigkeit, welche ſich theils in Sprechluſt, theils in einem 
heftigen, auffahrenden Weſen kund giebt. Gleich den 
Aragoneſen haben die Neucaſtilianer etwas Lauerndes, 
Verſchmitztes in ihrer Phyſiognomie. Sie beſitzen viel 
Mutterwitz, und lieben, wie die Andaluſier, den Spott; 
beſonders gern machen ſie ſich über Fremde luſtig, ein Zug, 
der dem altcaſtilianiſchen Charakter ganz fremd iſt. Ueber: 
haupt habe ich den Neucaſtilianer im Allgemeinen weniger 
liebenswürdig gefunden, wie den Alteaſtilianer. Er iſt bei 
weitem nicht ſo offenherzig, ſo theilnehmend, freundlich 
und gefällig, wie ſein Nachbar jenſeits des Gebirges; ja 
oft wird dem Fremden in Neucaſtilien ebenſo grob be— 
gegnet, wie in Aragonien. Dies iſt beſonders gegen 
die aragoneſiſche Gränze hin der Fall, wo die Neu— 
caſtilianer den Aragoneſen in Allem ſehr ähneln. Ueber— 
haupt wechſelt der Charakter der Neucaſtilianer gegen die 


25 


388 Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 


Gränzen ihres Landes, was bei den Altcaſtilianern, Leo— 
neſen, Eſtremanos weniger der Fall zu fein ſcheint. So 
haben die Bewohner des hohen im Nordoſten gelegenen 
Plateau's von Siguenza, ſowie die des Guadarramage— 
birges ein ebenſo nobles, gerades, biederes Weſen, wie 
die benachbarten Altcaſtilianer; die Bewohner der Mancha 
ſind düſter, ernſt, ſchweigſam, ähnlich wie die Serranos 
(Eingeborenen der Sierra Morena) und Eſtremaños; 
während die an die Königreiche von Valencia und Murcia 
gränzenden Neucaſtilianer große Lebhaftigkeit, ein heite— 
res, aber auch heftiges und jähzorniges Temperament 
beſitzen. 

Was die geiſtige Befähigung anlangt, ſo ſind unter 
den Centralſpaniern die Neucaſtilianer die am meiſten, 
die Eſtremanos die am wenigſten Begabten. Eine Aus- 
nahme machen die Manchagos, beſonders die Bewohner 
der niedern Mancha, welche den Eſtremafos in intellec— 
tueller Hinſicht noch weit nachſtehen. Allen Centralſpaniern 
ſcheint ein gewiſſer Hang zur Trägheit angeboren zu ſein; 
am ausgeprägteſten erſcheint derſelbe bei den Manchagos, 
Eſtremanos und den Leoneſen. Wegen dieſer angeborenen 
Indolenz ſind die Centralſpanier auch wenig unternehmend 
und allem Neuen, Allem, was ihnen ungewohnt und da— 
her unbequem iſt, abhold. Zum großen Theil wurzelt 
dieſe Indolenz in dem Mangel an Unterricht; denn mit 
dem Unterrichtsweſen iſt es in Centralſpanien im Allge— 


Vergleichende Schilderung der Volksſtämme. 389 


meinen ſehr ſchlecht beſchlagen, beſonders in Leon und 
Eſtremadura, wo es eben ſo wenig Volksſchulen zu geben 
pflegt, wie in Aragonien. Daher ſind auch die Leoneſen 
und Eſtremanos unwiſſend und orthodox, jedoch keines— 
wegs bigott und fanatiſch, wie die Aragoneſen. In 
Caſtilien iſt in neueſter Zeit ziemlich viel für den Volks— 
unterricht gethan worden, beſonders in Neucaſtilien, wo 
ſich überhaupt der Einfluß der Haupt- und Reſidenzſtadt 
der Monarchie in guter wie in ſchlechter Hinſicht allmälig 
geltend zu machen anfängt. Noch vor zehn Jahren war 
dieſer Einfluß ein ſehr unbedeutender; noch damals glaubte 
man in den unmittelbar bei Madrid befindlichen Ort— 
ſchaften in einer abgelegenen, von der europäiſchen Civili— 
ſation abgeſchnittenen Gegend zu ſein, indem jene Dör— 
fer durch Elend, Armuth und Mangel an Bildung ihrer Be— 
wohner ſich auszeichneten. Mittlerweile iſt dies denn 
doch anders geworden. Wenigſtens merkt man jetzt in 
den der Hauptſtadt benachbarten Ortſchaften, welche an 
der großen Heerſtraße liegen, daß man ſich in der Nähe 
einer Weltſtadt, eines Mittelpuncts europäiſcher Geſit— 
tung, befindet. Mit dieſer größern Geiſtescultur hat ſich 
aber gleichzeitig, wie dies immer und überall zu geſchehen 
pflegt, eine größere Sittenverderbniß eingefunden. Wer 
daher die edlen, ſchönen und großen Züge des caſtilianiſchen 
Charakters, die Biederheit, Einfachheit, Uneigennützigkeit, 
Gaſtfreiheit und Ehrenhaftigkeit kennen lernen will, der 


390 Ackerbau und Induſtrie Centralſpaniens. 


gehe ja nicht in die um Madrid liegenden Dörfer und 
Flecken, am allerwenigſten in die an den großen Heer— 
ſtraßen befindlichen, ſondern begebe ſich, was Neucaſtilien 
anlangt, in die Provinzen von Guadalajara, Toledo und 
Cuenca, ſowie nach Altcaſtilien, Leon und Eſtremadura. 
Wegen der den Centralſpaniern inwohnenden Indolenz 
und Gleichgültigkeit gegen Neuerungen und Verbeſſerungen 
befinden ſich Ackerbau und Induſtrie in ihrem Lande auf 
einer ſehr tiefen Stufe. Dies gilt ganz beſonders von 
Eſtremadura, wo der Anbau des Bodens, wenige Ge⸗ 
genden ausgenommen, mit großer Nachläſſigkeit betrieben 
wird. Doch trägt die Indolenz der Bewohner nicht die 
alleinige Schuld an der ſchlechten und lüderlichen Land— 
wirthſchaft. Es iſt vor allen Dingen die Unmöglichkeit, 
die Producte des Ackerbaues zu verwerthen, welche in 
der Schwierigkeit der Communication ihre Urſache hat. 
Was hilft es dem Bauer Centralſpaniens, wenn er ſein 
Feld noch ſo ſorgfältig bearbeitet und das Zehnfache des 
gegenwärtigen Ertrags producirte. Es iſt ja kein Con— 
ſumo da, er kann ja den Ueberſchuß des Getreides nicht 
los werden, muß es umkommen laſſen. Denn die we— 
nigen Chauſſeen, welche (wenigſtens bis noch vor wenigen 
Jahren; jetzt dürfte es bereits anders ſein) jene weiten Land— 
ſchaften durchſchneiden, reichen noch lange nicht aus, um 
den Getreidemaſſen, die daſelbſt producirt werden könnten, 
einen leichten und billigen Abfluß zu verſchaffen. Aus 


Ackerbau und Induſtrie Centralſpaniens. 394 


dem Innern des Landes muß alles Getreide auf Maul— 


fthieren bis an die wenigen Landſtraßen geſchafft werden, 


wodurch der Preis des Getreides, bevor es bis an die 
zur Exportation geſchickten Plätze gelangt, welche einzig 


und allein die größern Hafenſtädte find; fo enorm ver— 
theuert wird, daß das ſpaniſche Getreide mit dem aus— 


ländiſchen durchaus nicht concurriren kann. Man baue 
erſt überall, von Ort zu Ort, fahrbare Straßen und ver— 
binde Centralſpanien durch Eiſenbahnen mit den Hafen— 
ſtädten, und man wird bald den Ackerbau daſelbſt empor— 
blühen ſehen. Anders verhält es ſich mit der Induſtrie. 
Ich möchte ſehr bezweifeln, daß Centralſpanien jemals 
ein induſtrielles Land werden dürfte. Jene weiten, größten— 
theils von Waldung entblößten, aber die Steppen Neu— 
caſtiliens ausgenommen im Allgemeinen mit fruchtbarem 
Boden begabten Landſchaften ſind durchaus vorzüglich auf 
den Ackerbau angewieſen, mehr als irgend ein anderes 
Land Europa's. Nur die Thäler des Scheidegebirges, 
der Sierra de Cuenca und der anderen in und um 
Centralſpanien ſich erhebenden Gebirge, wo Waſſer und 
Wald genug vorhanden iſt, eignen ſich zur Anlegung von 
Fabriken. Was die Vernachläſſigung des Ackerbaues an— 
langt, ſo beruht dieſelbe in manchen Gegenden auch noch 
auf anderen Urſachen, als auf dem Mangel der Communi— 
cation und der daraus entſpringenden Unmöglichkeit der 
Verwerthung der Producte und der Indolenz der Be— 


392 Ackerbau und Induſtrie Centralſpaniens. 


wohner. In vielen Landſtrichen wird der Boden nach— * 
läſſig bearbeitet, weil er ſehr fruchtbar iſt und das Ge- 


treide ſo zu ſagen von ſelbſt wächſt. So iſt es z. B. 
der Fall in den fruchtbaren Ebenen um Leon (der ſoge— 
nannten Tierra de Campos), um Burgos, Aranda 
de Duero und anderen Gegenden Alteaſtiliens, in der 
Alcarria oder dem fruchtbaren öſtlich und ſüdlich von 
Guadalajara ſich ausbreitenden Hügellande in Neu— 
caſtilien u. a. a. O. In Eſtremadura und der Mancha 
dagegen beruht die Vernachläſſigung des Bodens großen- 
theils auf dem Mangel an Menſchen und ganz beſonders 
auf dem Umſtand, daß der Boden im Beſitz weniger 
Adligen iſt, welche ſich das ganze Jahr hindurch nicht 
um ihre Güter kümmern, wohl aber bedeutende Renten 
von denſelben beziehen, welche die Bauern durch hohen 
Pacht und andere Abgaben, dadurch aufbringen müſſen, 
daß ſie die Felder ohne Grundherrn unentgeldlich oder 
gegen geringen Lohn beſtellen müſſen. Deshalb werden 
ſie verhindert, Zeit auf den Anbau ihrer eigenen Felder 
zu verwenden und beſtellen natürlich auch die Felder des 
Gutsherrn ſo ſchlecht als möglich. Doch giebt es auch 
in Eſtremadura einzelne Gegenden, wo aus den entgegen— 
geſetzten Urſachen der Bauer ſehr fleißig iſt, und daher 
der Boden ſehr ſorgfältig bearbeitet wird. Dahin gehört 
das reizende, fruchtbare Becken von Plaſencia, die 
Umgebungen von Cäceres und Talavera la vieja, 


Die fruchtbarſten Gegenden Centralſpaniens. 393 


Andere Landſtriche lagen wieder ganz brach und unan— 
gebaut, wie die weiten Ebenen Nieder-Eſtremadura's ), 
die ſich zwiſchen dem Guadiana und der Sierra Morena 
ausbreiten. In dieſen ſehr wenig bevölkerten Landſtrichen iſt 
der Boden größtentheils mit Ciſtusheiden und kurzbegraſten 
Weiden bedeckt, und darf zum Theil geſetzlich nicht ange— 
baut werden, weil jene Gegenden der Winteraufenthalt der 
Merinoheerden find ). Andere durch den Fleiß der Be— 
wohner und die dadurch erzielte Fruchtbarkeit ausgezeichnete 
Gegenden Centralſpaniens ſind das Thal von Bejar in 
Leon, die unter den Namen der Bureba und der Rioga 
bekannten Diſtricte Altcaſtiliens, fo wie die Umgebungen 
von Talavera de la Reina, Arganda del Rey, 
Valdepenas, Huete und Requena in Neucaftilien, 
In allen Landſchaften Centralſpaniens ſpielt die Viehzucht 
eine große Rolle, beſonders die Zucht des Rindviehes 
und der Schaafe. 

Die Bewohner Centralſpaniens ſind im Allgemeinen 
ein kräftiger Menſchenſchlag. Die Männer find musculös, 


) Unter dem Namen Nieder-Eſtremadura, Estremadura baja, 
verſteht man die weiten Ebenen des Guadianabeckens und die ſie 
begränzenden Gebirgsabhänge, oder die Provinz von Badajoz; 
unter Hoch-Eſtremadura, Estremadura alta, dagegen das Gebirgs— 
ſyſtem von Eſtremadura, die Mulde des Tajothales und den Süd— 
abhang des centralen Scheidegebirges, oder die Provinz von 
Caceres. 

*) S. den Anhang, I. 


394 Körperbau der Bewohner Centralſpaniens. 


aber hager, von mittler Größe, ausgenommen die Eſtre— 
manos, welche meiſt hochgewachſen zu fein pflegen; die 
Frauen meiſt ſchlank und voll, mit großer natürlicher 
Grazie begabt, beſonders die Caſtilianerinnen. Brunetter 
Teint, ſchwarzes Haar und dunkle Augen herrſchen in 
allen Landſchaften bei den Männern ſowohl als bei den 
Frauen vor; nur in einzelnen Gegenden Alteaſtiliens und 
Leons giebt es blonde blauäugige Menſchen, wie auf 
dem ſchon in dieſer Hinſicht erwähnten Plateau von Bejar 
und in einigen Thälern des cantabriſchen Gebirges. Was 
die Geſichtsbildung anlangt, ſo ähneln die Neucaſtilianer 
den Aragoneſen einigermaßen; zwiſchen den Leoneſen und 
Altcaſtilianern tft kaum ein merklicher Unterſchied wahr— 
zunehmen, wie denn überhaupt dieſe beiden Volksſtämme 
faſt ganz identiſch in Allem find. Die altaaſtilianiſche 
Phyſiognomie iſt ungefähr fo, wie man ſich die ſpaniſchen 
Geſichter bei uns gewöhnlich zu denken und auch zu 
malen pflegt: ein mehr langes als breites hageres Ge— 
ſicht mit ſpitzem Kinn, gerader Naſe, hoher Stirn und 
großen unter hochgewölbten Braunen ruhenden Augen. 
Die Eſtremanos endlich haben eine ganz eigenthümliche 
Geſichtsbildung, die ſich nicht beſchreiben läßt, ſie aber 
ſehr kenntlich macht. Es ſind hagere gebräunte Geſichter 
mit kleinen funkelnden Augen, ſtets ernſt und melancholiſch. 

Centralſpanien iſt reich an Volkstrachten ſowie an 
eigenthümlichen Sitten und Gebräuchen. Ueber letztere 


Volkstrachten in Centralſpanien. 395 


weiß ich aus eigener Anſchauung wenig zu ſagen, da ich 
zu kurze Zeit daſelbſt unter dem Volke gelebt habe. 
Volkstrachten dagegen ſind mir viele vor die Augen ge— 
kommen, theils auf meinen Reiſen in Centralſpanien, 
theils in Madrid. Die gewöhnliche, am meiſten ver— 
breitete Tracht des Landvolkes beſteht bei den Männern 
in einer kurzen einfachen Jacke und kurzen Beinkleidern 
von grobem Tuch, einer wollenen Schärpe, tuchenen oder 
ledernen Gamaſchen, ledernen Schuhen und einem ſpitzen 
breitkrämpigen Filzhut von ſchwarzer Farbe; bei den Frauen 
aus einem ärmelloſen Tuchmieder, einem bunten, kattu— 
nenen Rocke, Strümpfen und Schuhen, und einem bunten 
Buſentuche. Die Haare pflegen ſie in Flechten am Hin— 
terkopf aufgeſteckt und für's Gewöhnliche unverhüllt zu 
tragen. Bei der Meſſe, ſowie an Sonn- und Feſttagen 
bedecken ſie das Haupt mit dem Manto oder der Man— 
tilla. Von dieſer allgemeinen Männer- und Frauentracht 
giebt es nun aber ſehr viele Ausnahmen. Man ſieht oft 
ſogar ſehr ſeltſame und abenteuerliche Trachten. Die 
eigenthümliche Tracht der Maragatos habe ich bereits in 
meinem erſten Reiſewerke geſchildert. Die Frauen der 
Maragatos, von denen ich nur wenige geſehen habe, da 
ſie ebenſo ſelten, als die Männer häufig ihr abgelegenes 
Bergland verlaffen, tragen eine Art von kurzem Ueber— 
rock mit weiten aufgeſchlitzten Aermeln, um den Hals 
Ketten von Korallen mit daran hängenden Reliquien und 


396 Volkstrachten in Centralſpanien. 


Amulets, und aufgelöſtes, nach hinten und den Seiten 
über die Schultern frei herabwallendes Haar. Die ver- 
heiratheten Frauen unterſcheiden ſich von den unverhei- 
ratheten durch den „Caramiello“, eine Art Kamm von 
der Geſtalt eines halben Mondes, den ſie auf dem Kopfe 
befeſtigen. Die Frauen von Val de Fuentes und an— 
derer an dem Nordabhange des Plateau von Bejar ge— 
legener Dörfer beſitzen ebenfalls eine eigene Tracht. Sie 
tragen kurze und enge, brauntuchene, blau oder gelb ge— 
ſtreifte Röcke, ein ſchwarz- oder brauntuchenes, wohl auch 
ſammtnes Mieder mit langen, eng anliegenden Aermeln, 
welches vorn offen und mit einem durch ſilberne Schlingen 
laufenden Bande zugeſchnürt iſt; darüber einen Kragen 
von demſelben Stoffe und derſelben Farbe, welcher auf 
dem Rücken rund zugeſchnitten iſt und vorn in zwei lange 
Streifen ausläuft, die über dem Buſen gekreuzt, um den 
Leib herumgeſchlungen und hinten zuſammengeſteckt werden. 
Dieſer Kragen pflegt am Rande mit einem zwei Finger 
breiten Streifen von rothem, blauem oder grünem Tuche 
beſetzt zu ſein. Die Füße ſtecken in weit ausgeſchnittenen 
Lederſchuhen, die Strümpfe ſind gewöhnlich blau und an 
der Außenſeite des Beins mit einem Streifen weißer 
Stickerei verziert. Das meiſt hell- oder rothblonde Haar 
pflegt in einem dicken Knopf auf dem Wirbel zuſammen⸗ 
gebunden zu ſein, ein Haarputz, der auch bei den Frauen 
von Hoch-Eſtremadura beliebt iſt. Die Männer jener 


Volkstrachten in Centralſpanien. 397 


Gegend kleiden ſich gleich ihren ſüdlichen Nachbarn, den 
Eitremaiios, vom Kopf bis zum Fuß in ſchwarzes Tuch, 
bedienen ſich auch des in Eſtremadura gebräuchlichen breit— 
krämpigen ſchwarzen Filzhutes mit niedrigem, abgerun— 
detem Kopfe. Ihre Tracht unterſcheidet ſich indeſſen von 
der in dem Nachbarlande gewöhnlichen dadurch, daß 
anftatt der wollenen Schärpe, die bei den Eftremanos 
immer von dunkler, meiſt violetter oder ſchwarzer Farbe 
zu ſein pflegt, eine breite und weite, häufig mit zierlichen 
bunten Stickereien bedeckte Binde von hellfarbigem Leder 
den Leib umſchlingt, ſowie durch die eigenthümliche Weſte. 
Dieſe iſt nämlich auf der Bruſt tief viereckig ausgeſchnit— 
ten, gewöhnlich von blauem Tuche, und mit zwei Reihen 
metallener Knöpfe beſetzt. Den Ausſchnitt bedeckt das 
vielgefältelte Hemd, welches mit einem breiten Buſenſtreif 
verziert zu ſein pflegt. Das Haar iſt bei dieſen Män— 
nern meiſt lockig. Sie laſſen es wachſen, weshalb ſie, 
zumal wenn ſie in ihre braunen Mäntel gehüllt ſind, 
von fern ausſehen, wie die herumziehenden Slowacken. 
Die blonden Haare, die blauen Augen und die ganze 
Geſichtsbildung dieſes intereſſanten Menſchenſchlages er— 
innert durchaus an eine nordiſche Abſtammung. Die 
übrigen Bewohner der Provinz von Salamanca unter— 
ſcheiden ſich in ihrer Tracht wenig oder gar nicht von 
ihren öſtlichen Nachbarn, den Altceaſtilianern. Nur der 
Hut macht ſie kenntlich. Derſelbe iſt ebenſo geſtaltet, 


398 Volkstrachten in Centralſpanien. 


wie der Hut der Eſtremanos, aber mit einer breiten, 
nach hinten über den Rand hinabfallenden Quaſte von 
ſchwarzer Seide verziert, die man an den Hüten der 
Eſtremaßos und Alteaftiltaner nicht bemerkt. — Eine 
höchſt ſeltſame Tracht verführen die Landleute in der 
Gegend von Plaſencia, beſonders die von Malpartida. 
Gleich den übrigen Eſtremanos tragen auch fie Gamaſchen 
und kurze Beinkleider von ſchwarzem oder dunkelbraunem 
Tuch, aber weder eine Schärpe, noch eine Weſte, noch 
eine Jacke, ſondern an deren Stelle ein ärmelloſes Kamiſol 
aus Leder, das auf der vorderen Seite wie ein Schurzfell 
geſtaltet iſt, die Bruſt bedeckt, und vermittelſt eines gür⸗ 
telartigen Riemens um den Leib befeſtigt wird. Der 
hintere Theil dieſes Kamiſols beſteht aus einem breiten 
viereckigen Lappen, welcher frei herabhängend bis an die 
Hüften reicht, und in der Mitte mit einem Knopfe von 
nicht ſelten buntgefärbtem Leder geſchmückt zu ſein pflegt. 
Dieſes merkwürdige Kleidungsſtück, mit dem in Malpar- 
tida ſchon die kleinſten Knaben herumlaufen, wird über 
den Kopf genommen, indem es ein rundes Loch beſitzt, 
um den Kopf hindurchſtecken zu können. Ueber den Hoſen 
tragen jene Leute häufig eine Art von Schienen oder 
Schurzfell von Leder oder auch von Schaafpelz (im letz— 
teren Falle iſt die Wolle nach Außen gekehrt), welche ver— 
mittelſt Riemen um die Schenkel geſchnallt werden. Solche 
Beinſchienen habe ich auch in Andaluſien häufig bemerkt, 


Volkstrachten in Centralſpanien. 399 


beſonders bei den Hirten. Weniger Eigenthümlichkeiten 
in der Tracht ſcheint es in Neucaſtilien zu geben. Die 
Neucaſtilianer kleiden ſich meiſt in braunes Tuch, tragen 
rothe Schärpen und ſpitze Hüte oder auch, beſonders in 
den öſtlichen Gegenden der Provinzen von Guadalajara 
und Cuenca, die aragoneſiſche Redecilla. In der Mancha 
ſind die ärmelloſen Wamſe aus Merinofellen, welche über 
die Weſte gezogen werden, und die „Montera“, jene 
eigenthümliche Klappenmütze von Tuch oder Fell, welche 
ich in meinem erſten Reiſewerke bei der Schilderung der 
Bewohner von Oſtgranada beſchrieben habe, beliebt. Mit 
einer ſolchen Montera pflegen auch die Frauen der Mon— 
tañas de Burgos in Alteaſtilien den Kopf zu bedecken. 
Dieſe beſitzen überhaupt eine höchſt eigenthümliche Tracht, 
welche offenbar aus einer ſehr fernen Vergangenheit her— 
rührt. Sie tragen nämlich dunkle Tuchkleider mit langem, 
faſt ſchleppendem Rocke und einem glatten ſich feſt an 
den Körper anſchmiegenden Leibchen, welches bis an den 
Hals reicht. Die Aermel ſind weit, an den Handgelenken 
zugebunden und von den Schultern an bis zum Ellen— 
bogen aufgeſchlitzt. Um die Taille ſchlingt ſich ein leder— 
ner Gürtel, von dem auf der rechten Seite eine lederne 
Taſche herabhängt. Das Haar flechten jene Frauen 
ebenſowenig wie die Eſtremanos, ſondern binden fie blos 
am Hinterkopfe zuſammen, von wo aus ſie dann frei 
über die Schultern herabwallen, wie bei den Maragatas. 


400 Erwerbszweige in Centralſpanien. 


Dieſe ganz mittelalterliche Tracht ſteht namentlich jungen 
Mädchen ſehr hübſch. 

Ich habe ſchon erwähnt, daß der Ackerbau der vor— 
herrſchende Erwerbszweig in Centralſpanien iſt. Viele 
leben auch von der Viehzucht und der Arrieria oder dem 
Transportiren der Waaren und Erzeugniſſe vermittelſt 
Maulthieren und Karren. Die armen Leute verdienen ſich 
als Tagelöhner bei den Grundbeſitzern, als Köhler, Berg— 
leute und Hirten ihr Brod. Unter letzteren führen die 
Merinohirten eine ganz eigenthümliche Lebensweiſe, welche 
ſie zu einer eigenen Menſchenklaſſe macht. Sie wandern 
nämlich das ganze Jahr mit ihren Heerden herum und 
kommen nur ſelten in ihre Heimath, welche Altcaſtilien 
zu ſein pflegt, da ſich in dieſer Landſchaft die meiſten 
und bedeutendſten Merinozüchter befinden. Gleich den 
altcaſtiliſchen Merinohirten find auch die neucaſtiliſchen 
Karrenführer faſt immer auf der Reiſe begriffen. Die 
Neucaſtilianer pflegen nämlich ihre Erzeugniſſe, als Ge— 
treide, Oel, Wein und Baumaterial auf zwei- oder vier— 
räderigen Karren, welche von Ochſen gezogen werden, zu 
transportiren. Es giebt viele Perſonen, die ſich einzig 
und allein mit dieſem Geſchäft abgeben und deshalb faſt 
ununterbrochen unterwegs find. Die neucaſtilianiſchen 
Karren verurſachen beinahe einen eben ſo großen und ab— 
ſcheulichen Lärm, wie die baskiſchen. Zwar drehen ſich 
hier die Räder um die Are, allein dieſelben ſtoßen fort— 


Die neucaſtilianiſchen Karrenführer. 1401 


während an einen loſen, am Ende der Axe befindlichen 
Ring von Eiſen, welcher das Herabrutſchen des Rades 
verhindern ſoll, wodurch ein höchſt ſchrillender Ton her— 
vorgebracht wird. Die Karrenführer pflegen nie einzeln, 
ſondern in Geſellſchaft, in förmlichen Karawanen zu rei— 
ſen. Man begegnet nicht ſelten Zügen von hundert und 
mehr Karren. Wenn ſo viele beiſammen ſind, ſo pflegen 
dieſelben in zwei parallelen Reihen zu fahren, eine an 
jeder Seite der Straße, ſo daß die Mitte der Straße 
frei bleibt. Dieſe Ochſenkarren ſind ein ſehr langſames 
Transportmittel, indem ſie täglich nicht leicht mehr als 
vier Leguas zurücklegen. Wenn ganze Karawanen zuſam— 
men reiſen, ſo bringen dieſelben die Nächte im Freien in 
der Nähe eines bewohnten Ortes zu. Die Karren wer— 
den dann in einen Halbkreis oder in einen vollkommen 
geſchloſſenen Kreis zuſammengeſtellt und die ausgeſpann— 
ten Ochſen innerhalb deſſelben um einen großen Haufen 
Heu zuſammengetrieben. Neben denſelben lagern ſich die 
Fuhrleute um ein Feuer, über dem ſie in einem Keſſel 
ihr Abendbrod zu bereiten pflegen. Ich bin auf meinen 
Reifen in Neucaſtilien und ſchon in Niederaragonien mehr— 
mals auf dergleichen Bivouacs geſtoßen. Dieſe neucaſti— 
lianiſchen Karrenführer find, gleich den altceaſtilianiſchen 
Merinohirten, ein roher, grober, jedoch ehrlicher Men— 
ſchenſchlag. 

Unangenehm iſt für den in Centralſpanien reiſenden 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 26 


402 Unreinlichkeit der Bewohner von Centralſpanien. 


Ausländer die geringe Reinlichkeit des Volkes. In den 
beiden Caſtilien geht es mit dem Schmuze noch an; da— 
gegen in Leon, wenigſtens in der Provinz von Sala⸗ 
manca, und zumal in Eſtremadura überſteigt die Unrein⸗ 
lichkeit alle Begriffe. Dennoch findet man ſelbſt in Eftre- 
madura, ſogar in den ſchlechteſten Poſaden, reinliche Betten 
und reines Geſchirr, zwei Dinge, deretwegen Eſtremadura 
immer noch den Vorzug vor Portugal verdient. Die 
Poſaden ſind in Eſtremadura, ſoweit ich dieſelben kennen 
gelernt habe, überall ſchlecht, ſelbſt an der großen Heer— 
ſtraße und in Städten wie Plaſencia. Dagegen findet 
man in den beiden Caſtilien und in Leon, in den Städten 
ſowohl, als in den kleinern, an den großen Landſtraßen 
gelegenen Ortſchaften, leidliche, mitunter ſogar recht gute 
Gaſthäuſer. Auf den großen Straßen iſt das Reiſen für 
Denjenigen, welcher die Diligencen und königlichen Poſten 
benutzen kann, jetzt ſehr bequem, indem die Directionen 
der Diligencen und Poſten in den Relais ſehr gut für 
die Paſſagiere geſorgt haben. Man findet faſt in allen 
ein vortreffliches Table d’höte und gute Betten. Auch 
von den Räuberbanden, welche früher die Straßen in den 
entvölkerten Landſtrichen beider Caſtilien, Leons und be⸗ 
ſonders Eſtremadura's oft unſicher machten, hat man jetzt 
wenig zu befürchten, da die Straßen fortwährend von 
den Guardias civiles (Gensd'armen) begangen werden, 
von denen eine Anzahl in jedem der an der Straße lie⸗ 


Die gebräuchliche Sprache in Gentralfpanien. 403 


genden Orte ſtationirt iſt. Dieſe lobenswerthe Einrich— 
tung, welche die Bildung, oder wenigſtens das Fortbe— 
ſtehen einer Räuberbande faſt unmöglich macht, erſtreckt 
ſich jetzt über ganz Spanien. 

Was endlich die Sprache der Bewohner Central— 
ſpaniens anlangt, fo wird in allen Landſchaften nur Gafti- 
lianiſch geſprochen. Das beſte, reinſte Caſtilianiſch ſpricht 
man in Neucaſtilien, ganz beſonders in der Provinz von 
Toledo. 


26 * 


Zwölftes Kapitel. 


Winterreiſe von Madrid nach run. Abſchied von Spanien. 


Am 14. December konnte ich endlich Madrid ver: 
laſſen und meine Rückreiſe in die Heimath antreten. Es 
war noch finſtere Nacht, als ich von meiner Wohnung 
ſchied und mich durch die einſamen Straßen der großen 
Stadt nach dem Bureau der Diligencen begab, wo wir 
um 5 Uhr abfuhren. Der anbrechende Morgen zeigte mir 
eine öde, baumloſe, graue, wellenförmige Ebene. Wir 
hatten bereits den Flecken Chamartin, Napoleons be— 
rühmtes Hauptquartier während ſeines Aufenthaltes in 
Neucaſtilien, paſſirt und näherten uns raſch der Cueſta 
de San Pedro, unweit deren öſtlichem Fuße die Chauſ— 
ſee hinführt. Die Gegend iſt bis dahin ein hügliges, 
ſandiges Plateau, welches wenig Ausſicht gewährt. Der 
Himmel war bewölkt, wie auch die folgenden Tage, doch 
das Wetter ſchön und viel milder, als die vergangenen 
Wochen, ſo daß ich ſelbſt während der zwei Nächte, die 


Reife von Madrid nah Yrun. 405 


ich im Wagen zubringen mußte, nicht gefroren habe. Bis 
Burgos wurde die Diligence fortwährend von Gensd'ar— 
men eskortirt, da einige Tage zuvor eine andere Dili— 
gence in der Ebene Altcaftiliens zwiſchen dem Gebirge 
und Aranda de Duero von einer Räuberbande überfallen 
worden war. Während des Ueberfalles waren indeſſen 
acht Gensd'armen den Paſſagieren zu Hülfe gekommen, 
welche nach einem blutigen Scharmützel die Bande zer— 
ſprengt, mehrere Räuber gefangen genommen und den 
Paſſagieren die bereits geraubten Gegenſtände wieder ver— 
ſchafft hatten. Dem Reſte der zerſprengten Bande wurde 
damals eifrig nachgeſpürt, weshalb die ganze Gegend von 
Guardias civiles wimmelte. Nachdem wir bei der Cueſta 
de San Pedro, welche auf dieſer Seite einen ſehr im— 
poſanten und maleriſchen Anblick darbietet, vorüber waren, 
gelangten wir nach einem kleinen, ſchlechten Orte, Namens 
Lo zoyela, wo wir in dem ſehr gut eingerichteten Para— 
dor der Diligencen zu Mittage ſpeiſten. Bald hinter die— 
ſem Orte eröffnet ſich zur Linken das weite Thal des 
Lozoya mit ſeinen vielen Ortſchaften und hohen Wald— 
bergen. Doch kann man wegen der vielen Krümmungen, 
welche der untere Theil des Thales beſchreibt, und wegen 
der vielen von den Thalgehängen vorſpringenden Berg— 
kuppen nicht weit im Thale aufwärts ſehen. Es dauert 
nicht lange, ſo biegt die Straße in einen maleriſchen, faſt 
rings von Bergen umſchloſſenen Keſſel ein, woſelbſt die 


406 Gegend vom Puerto de Somoſierra. 


alte, aber kleine Stadt Buitrago am Fuße eines mit 
einer ſtolzen Burg gekrönten Hügels ſehr maleriſch gele- 
gen iſt. Es war hier eben Jahrmarkt und daher die 
ſchmuzigen Gaſſen und der Platz mit Menſchen überfüllt. 
Am Nordrande des Städtchens fließt der Lozoya, hier 
ein ſtattlicher Fluß, vorbei. Von Buitrago an beginnt 
die Straße an dem ſanft geneigten Südabhange des 
Scheidegebirges zum Puerto de Somoſierra empor⸗ 
zuſteigen. Auch hier beſteht das Gebirge blos aus einem 
hochgewölbten Plateau, welches mit einzelnen Bergkuppen 
beſetzt iſt. Faſt auf dem höchſten Punkte dieſes öden und 
kalten, von Wald entblößten und nur ſtellenweis mit nie⸗ 
drigem Gebüſch (vorzüglich mit Adenocarpus hispanicus 
Lam.) bedeckten Plateau liegt das durch Napoleons Sieg 
berühmt gewordene Dorf Somoſierra in einer Depreſ— 
ſion links von der Straße 4637 par. Fuß über dem Meere. 
Die Gräben und Vertiefungen waren hier noch mit Schnee 
erfüllt, auch an den Abhängen der Bergkuppen breiteten 
ſich noch einzelne Schneefelder aus; ſonſt aber war der 
im October und November gefallene Schnee wieder gänz— 
lich geſchmolzen. Hinter Somoſierra beginnt der Nord— 
abhang des Gebirges. Dieſer iſt ſteiler, und von Thälern 


durchfurcht, welche zum Theil mit Kiefernwaldung erfüllt 


find. Die Straße ſteigt in vielen Zickzacks in ein weites 
Thal hinab, welches ſich bald in die Ebene Alteaſtiliens 
öffnet. Auch hier bezeugen zahlreiche Schneeſäulen, daß 


Ankunft in Burgos. 407 


das Land im Winter oft lange und tief mit Schnee be— 

deckt wird. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen, 
der Himmel hatte ſich aufgehellt und der Mond beſchien 
hell und klar die weite, graue, baumloſe und wenig be— 
völkerte Ebene. Das Centralgebirge entſchwand allmälig 
meinen Blicken; wohin ich auch die Augen richtete, ſah 
ich nichts als graue, öde Flächen. Um halb 14 Uhr hielt 
die Diligence in Aranda de Duero, einer großen, al— 
terthümlichen und ſchlecht gebauten Villa, woſelbſt das 
Abendeſſen unſerer wartete. In der Vorſtadt überſchrei— 
tet die Straſſe den Duero, welcher ſchon hier ein be— 
deutender Fluß iſt, auf einer langen Brücke. 

Um Mitternacht brach die Diligence wieder auf. Die 
Gegend iſt um Aranda ſehr eben, ſpäter, gegen Burgos 
hin, wird ſie hüglig. Das Land iſt kahl, doch ſieht man 
wenigſtens um die Ortſchaften mehr Bäume, als in Neu— 
caſtilien. Gegen Tagesanbruch entſtand ein dichter Nebel, 
welcher alle Ausſicht verhinderte, und auch ſpäter, bis 
zum Nachmittag, war das Wetter unfreundlich. Um halb 
8 Uhr rollte die Diligence in die holprigen Straßen von 
Burgos hinein, von dem ich aus der Ferne wegen des 
Nebels wenig geſehen habe. Die Leute ſtrömten eben 
nach dem Dome zur Meſſe, da es ein Sonntag war. Auch 
ich begab mich dahin, da die Diligence drei Viertelſtun— 
den in Burgos verweilte, um wenigſtens Etwas von die— 
ſer großen und merkwürdigen Stadt zu ſehen. Die welt— 


408 Die Cathedrale von Burgos. 


berühmte Cathedrale von Burgos iſt eine der wenigen 
gothiſchen Domkirchen, welche bei einer ſehr bedeutenden 
Größe zur Vollendung gelangt ſind und, was die äußere 
Verzierung, überhaupt die äußere Erſcheinung anlangt, 
das ſchönſte Denkmal gothiſcher Baukunſt, welches Spa— 
nien, ſoweit ich dieſes Land kenne, befikt*). Sein In— 
neres dagegen ſteht dem der Dome von Toledo und Se— 
villa, ſowohl an Größe, als an Schönheit, weit nach. 
Die Domkirche von Burgos erhebt ſich am Abhange einer 
Höhe auf einer Terraſſe, zu der auf der Seite der Haupt— 
facade eine breite Treppe von 38 Stufen emporführt. 
Sie imponirt durch die beiden hoch emporſtrebenden, voll— 
kommen ausgeführten Glockenthürme, welche in hohe, durch— 
brochene, prachtvoll verzierte Pyramiden auslaufen, ſowie 
durch das mit ächt gothiſchen Thürmchen von unbeſchreib— 
lich ſchöner und zarter Architectur geſchmückte Cimborio 
oder die gothiſche Kuppel, welche ſich über dem Cruzero, 
— denn auch dieſer Dom iſt eine Kreuzkirche, — aus 
dem Gewölbe der Kirche erhebt. Letztere beſteht nur aus 
drei Schiffen, von denen die beiden Seitenſchiffe um die 
Hälfte niedriger ſind, als das Hauptſchiff. Mit Aus— 
nahme des Cimborio und einer in der halben Höhe her— 
umlaufenden Gallerie von durchbrochener Arbeit entbehrt 


*) Der Dom von Leon bietet vielleicht einen noch ſchönern 
Aublick dar. Wenigſteus gilt derſelbe in Spanien für das zierlichſte 
gothiſche Bauwerk. 


Burgos und feine Gegend. 409 


das Innere des Domes aller Verzierungen mit gothiſchen 
Sculpturen. Die Kirche iſt mit Marmor getäfelt und 
enthält eine große Anzahl von Seitenkapellen, in denen 
ſich viele Gemälde von Werth befinden ſollen. Meine 
beſchränkte Zeit erlaubte mir es nicht, dieſelben genau 
zu beſichtigen. Auch war an jenem Morgen wegen des 
Nebels die Kirche ſo wenig erhellt, daß man von den 
Gemälden in den an und für ſich dunkeln Kapellen we— 
nig oder gar nichts ſehen konnte. Nach 9 Uhr verließen 
wir Burgos wieder. Dieſe Stadt iſt keineswegs ſo al— 
terthümlich, wie man gewöhnlich glaubt und auch ich 
erwartet hatte, ſondern zum großen Theil von ſehr mo— 
dernem Ausſehen. Sie beſitzt einen ſchönen großen Platz 
und hübſche Promenaden. Trotz ihrer ziemlich bedeuten— 
den Größe beträgt ihre gegenwärtige Einwohnerzahl nur 
zwölftauſend Seelen. Sie iſt der Sitz eines Erzbiſchofs, 
deſſen Diöceſe nicht weniger als 1693 Kirchſpiele umfaßt. 

Die Gegend nördlich von Burgos tt einige Leguas 
weit bis zu den Hügelreihen der Brujula ſehr eben. 
Auf einem in geringer Entfernung ſich erhebenden Höhen— 
zuge im Oſten bemerkt man die berühmte Karthauſe Mi— 
raflores, weiter hin auf einem andern Hügel das Dorf 
Vibar, den Geburtsort des gefeiertſten ſpaniſchen Hel— 
den, des Cid. Der Nebel hatte ſich mittlerweile geho— 
ben und bald brach die Sonne dann und wann durch das 
dicke Gewölk und beleuchtete ſtreifenweis die weiten, ebe— 


1410 Bribiesca und ſeine Gegend. 


nen Gefilde. Dieſelben ſind gut angebaut und ſtark be— 
völkert, aber ſehr baumarm. Doch iſt die Straße, was 
in andern Gegenden Spaniens nicht der Fall zu ſein 
pflegt, von Burgos an bis Vitoria, ja ſelbſt bis Guipuz⸗ 
coa hinein, mit Bäumen, meiſt Ulmen, bepflanzt. Einige 
Leguas hinter Burgos erhebt ſich dieſelbe zu den kahlen 
Kämmen der Brujula (Bruſſole), eines aus tertiärem 
Kalk zuſammengeſetzten Hügelſyſtems, deſſen Gipfel irriger— 
weiſe“) für den höchſten Punct Spaniens (ſoll wohl hei— 
ßen, des centralen Tafellandes, nämlich des Plateau's) 
ausgegeben wird. Auf einer der höchſten Kuppen ſteht 
ein Telegraphenthurm. Bald nachdem man die Brujula 
paſſirt hat, kommt man nach dem Städtchen Bribies ca, 
welches durch ſeine baumreiche Huerta einen ſehr ange— 
nehmen Eindruck hervorbringt. Vor Bribiesca erblickt 
man gegen Oſten eine hohe Bergkette, die damals mit 
Schnee bedeckt war, wahrſcheinlich die Sierra de Oca, 
ſowie gegen Norden die ſüdlichſten Ketten des cantabri— 
ſchen Gebirges, welche ſich durch grotesk geſtaltete, über 
die Kämme emporragende Felsmaſſen auszeichnen, und 
daher einen ſehr maleriſchen Anblick gewähren. Von 
Bribiesca bis Pancorvo iſt das Land ganz eben, wenig 
bevölkert und angebaut und deshalb ſehr öde und mono— 


) Die Poſtſtation Quintanapalla am Südabhange der 
Brujula liegt blos 2868 par. Fuß über dem Meere, während das 
Plateau von Soria eine Höhe von mehr als 4000 Fuß erreicht. 


Das Felſenthal Garganta de Pancorvo. 114 


ton. Wir näherten uns allmälig dem cantabriſchen Ge— 
birge immer mehr, bis wir daſſelbe gegen Sonnenunter— 
gang bei Pancorvo erreichten. Dieſer Flecken iſt einer 
der am maleriſchſten und romantiſchſten gelegenen Orte, 
welche ich in Spanien geſehen habe. Er liegt am Ein— 
gange eines tiefen und engen Felſenthales in einem Win— 
kel oder Keſſel zwiſchen hohen, zackigen, aus Kalk zuſam— 
mengeſetzten Felſenbergen. Die vorderſten Kuppen find 
mit den Ruinen einer caſtilianiſchen Burg maleriſch ge— 
ſchmückt. Das unter dem Namen der Garganta de 
Pancorvo bekannte Felſenthal, in deſſen Grunde die 
Straße am Ufer des Baches hinläuft, durchſetzt faſt recht— 
winklig die ſüdlichſte Kette des cantabriſchen Gebirges, 
die in der Richtung von WNW nach 080 verlaufend, 
das Becken des obern Ebro gegen Süden begränzt. Es 
iſt vielfach hin und her gebogen, zu beiden Seiten von 
thurmartigen Felsmaſſen eingefaßt, an den Abhängen mit 
Buxbaumgeſträuch geſchmückt und bietet wildromantiſche 
Anſichten dar. Dieſer Engpaß war in allen Kriegen der 
Schauplatz blutiger Kämpfe und früher berüchtigt als einer 
der unſicherſten Puncte des geſammten Königreichs. Ge— 
genwärtig hat man auch hier von Räuberanfällen nichts 
mehr zu fürchten. Auf der Sohle der Schlucht breiten 
ſich ſchöne Wieſen aus; auch liegen in derſelben am Bache 
mehrere von Gemüſefeldern und Obſtbäumen umgebene 
Gehöfte und Mühlen. Von der Schlucht von Pancorvo 


412 Plateau von Alava. 


an wird die Gegend recht anmuthig, indem der Boden 
ſich zu Hügeln erhebt, gut angebaut iſt und viele Ort- 
ſchaften und Laubgehölze in ſeinen Thälern und Niede— 
rungen beherbergt. Die Straße ſenkt ſich fortwährend 
ſanft abwärts bis an das Ufer des Ebro, den man eine 
kurze Strecke hinter dem Städtchen Miranda de Ebro, 
dem letzten zum Diſtrict der Rioja und der Provinz von 
Logrofio gehörenden Orte Altcaſtiliens, paſſirt. Er iſt 
hier ein munterer Gebirgsbach. Nahe am jenſeitigen Ufer 
beginnt der Abhang des hohen Plateau von Alava, in 
welche Landſchaft man ſehr bald eintritt. Es war unter- 
deſſen Nacht geworden, der Himmel jedoch ganz heiter 
und die Gegend vom Mondſchein hell beleuchtet. Nur 
der kalte Nordwind, der deſto heftiger zu wehen begann, 
je höher wir uns erhoben, ſtörte den Genuß der ſchönen 
Nacht. Das Plateau von Alava iſt anfangs von niedri— 
gen, meiſt kahlen Höhenkämmen durchzogen, zwiſchen de— 
nen hier und da ein koniſcher Hügel emporragt; ſpäter, 
gegen Vitoria hin, wird es ganz eben. Es birgt eine 
große Menge von Ortſchaften in ſeinen Ebenen, beſon— 
ders in der weiten durch die Schlacht vom 21. Juni 1813 
berühmt gewordenen Ebene von Vitoria und iſt gut an— 
gebaut, beſitzt jedoch wenig Bäume. Gegen Norden er- 
blickt man fortwährend das cantabriſche Gebirge, unter 
deſſen hervorragenden Kuppen ich die Pena Gorveya leicht 
an ihrer Form erkannte. Es ſchlug gerade 8 Uhr, als 


Gegend zwifchen Vitoria und Mondragon. 413 


wir nach Vitoria hineinfuhren. Leider hielten wir uns 
hier nur ſo lange auf, als nöthig war, um zu Abend 
zu ſpeiſen, weshalb ich die Stadt nicht beſichtigen konnte. 
So viel ich von der Diligence aus beim Fahren durch 
die vom Mondſchein erhellten Gaſſen ſehen konnte, iſt 
die Hauptſtadt von Alava ein reinlicher Ort mit hüb— 
ſchen modernen Häuſern und breiten, freundlichen Gaſſen. 
An der Reinlichkeit und comfortablen Einrichtung des 
Gaſthofs, in welchem wir einkehrten, und an dem freund— 
lichen und gefälligen Weſen ſeiner Bewohner erkannte ich, 
daß ich mich abermals im Lande der Basken befand. 
Bei prächtigem Mondſchein verließen wir um 9 Uhr 
Vitoria wieder. Der Wind hatte nachgelaſſen, die Luft 
war warm und die Fahrt ganz angenehm. Nachdem wir 
einige Stunden lang durch eine ganz ebene, offene Ge— 
gend gefahren waren, begann die Straße ſich bergab zu 
ſenken, indem ſie in ein Thal einbog, welches anfangs 
von niedrigen Höhen, bald aber von immer höher an— 
ſchwellenden und mit Laubholz bewaldeten Hügeln und 
Bergen eingeſchloſſen iſt. Durch dieſes Thal, durch wel— 
ches der Zadorra herabbrauſt, gelangt man in das rei— 
zende Thal von Vergaria. Es liegen in demſelben meh— 
rere Ortſchaften, unter andern der Flecken Salines, ein 
am Thalgehänge terraſſenförmig ſich hinziehender Ort von 
alterthümlicher, ächt baskiſcher Bauart, und die Stadt 
Mondragon, durch welche die Straße hindurchführt. 


414 Der ewige Frühling in den baskiſchen Provinzen. 


Aus der Länge des Zadorrathales und der ſtarken Nei— 
gung ſeiner Sohle kann man auf die bedeutende Höhe 
der Ebene von Vitoria ſchließen. Schade, daß es Nacht 
war und ich daher die Schönheit dieſes Thales, welches 
jedenfalls zu den reizendſten Thälern von Guipuzcoa ge— 
hört, nicht genießen konnte. Um 2 Uhr gelangten wir 
nach Vergara. Als wir zum Paß von Descarge hin— 
anfuhren, ging eben der Mond unter, ein Umſtand, der 
mich des gehofften Genuſſes, mich noch einmal an der 
großartigen Ausſicht, welche die Höhe jenes Paſſes dar— 
bietet, zu ergötzen, beraubte. Bei Tagesanbruch ſah ich 
mich von grünen, blumigen Fluren umringt. Wie ſieben 
Monate früher, im Mai, ſo prangten auch jetzt, im De— 
cember, Niederungen und Bergabhänge im üppigſten Grün, 
denn in den baskiſchen Provinzen herrſcht ein ewiger Früh— 
ling! Ich kann nicht beſchreiben, wie wohl meinen Augen 
das friſche Grün der Wieſen und Saaten nach den öden, 
grauen, winterlichen Gefilden Centralſpaniens, und meiner 
Bruſt die laue, milde, feuchte Seeluft nach der trocknen, 
kalten Atmoſphäre Caſtiliens that! Hätte ich es nicht ge— 
wußt, daß wir den 16. December ſchrieben, ich würde 
geglaubt haben, durch einen Zauberſchlag in die erſten 
Frühlingsmonate zurückverſetzt worden zu ſein, denn auf 
den Wieſen blühten Maaslieb, Ehrenpreis, Primeln, 
Butterblumen, Löwenzahn und andere unſerer gewöhnlich- 
ſten Frühlingsblumen und das Gebüſch der Bergabhänge 


Abſchied von Spanien. 445 


war bereits geſchmückt mit den großen gelben Schmetter— 
lingsblumen des Ulex europaeus und den weißen Blü— 
thenrispen der Erica scoparia, Ja, um Prun ſtanden 
die zahlreichen Monatsroſengebüſche, welche dort die Gär— 
ten ſchmücken und nicht ſelten ganze Hecken bilden, in 
vollſter Blüthe! Noch hatte es in dieſem Zauberlande 
weder geſchneit, noch gefroren, und nur die blattloſen 
Zweige der Bäume erinnerten daran, daß Winter ſei. 
Um 7 Uhr Morgens kamen wir nach Toloſa, um halb 
1 Uhr nach San Sebaſtian, um JT Uhr nach Prun, 
woſelbſt ich mit eben ſolcher Herzlichkeit, wie ſieben Mo— 
nate früher, aufgenommen wurde. Es hatte ſich dort ſeit— 
dem nichts verändert; Alles war mir ſo bekannt, als wäre 
ich erſt geſtern da geweſen; nur mit mir ſelbſt war in der 
Zwiſchenzeit eine gewaltige Veränderung vorgegangen! — 

Nach anderthalbtägigem Aufenthalte in Prun über— 
ſchritt ich am Morgen des 18. December den Bidaſſoa— 
fluß zum zweiten Male, um auf demſelben Wege, den 
ich im Frühling mit einem hoffnungsreichen Herzen ge— 
kommen war, jetzt erfüllt mit dem Schmerze bitterer Ent— 
täuſchungen der nordiſchen, winterlichen Heimath entgegen— 
zueilen. 


Anhang. 


l. 
Ueber die wandernden Heerden Centralſpaniens. 


Ich habe in den vorſtehenden Schilderungen der 
Merinoſchaafe öfter Erwähnung gethan und bereits be— 
merkt, daß dieſelben fortwährend im Umherwandern be— 
griffen find. Ich erlaube mir hier einige genauere No— 
tizen über dieſe Thiere, welche eine ſo große Berühmtheit 
erlangt und in früherer Zeit Spanien Unſummen Geldes 
eingebracht haben, und über ihre Hirten anhangsweiſe 
beizufügen. 

Ich bemerke zunächſt, daß man in Spanien zweierlei 
Racen von Schaafen oder von Wollvieh (ganado lanar) 
unterſcheidet, nämlich das gemeine Wollvieh (ganado 
lanar comun, ovejas de lana comun, manadas do- 
mesticas) und das feine oder edle Wollvieh (ga— 
nado lanar noble, ovejas de lana fina, merinos — ein 
wenig gebräuchlicher Name —, manadas trashumantes). 


Die Merinoheerden, 447 


Das gemeine Wollvieh kehrt jeden Abend in den Stall 
zurück, oder bleibt wenigſtens nur kurze Zeit von ſeiner 
Heimath entfernt, und wird im Winter, wenigſtens in 
jenen Gegenden, wo es, wie in Nordſpanien, in jener 
Jahreszeit keine Weide giebt, mit Heu und gedörrten 
Futterkräutern gefüttert. Die Wolle dieſer Schaafe iſt 
häufig braun gefärbt und pflegt kurz, kraus und grob zu 
ſein, denn die Länge und Feinheit der Wolle beruht, wie 
die ſpaniſchen Schaafzüchter behaupten, — ich habe hier— 
über kein Urtheil —, ſowohl auf einem geregelten Wech— 
ſel der Weideplätze und folglich auch der zur Nahrung 
dienenden Kräuter, als auf einer ununterbrochen fortge— 
ſetzten grünen Fütterung, und vor Allem auf dem Wech— 
ſel des Klima's. Deshalb wandern die Heerden der zwei— 
ten Race, des feinen Wollvieh's, oder die Merinos, welche 
weiße und feine Wolle beſitzen, die nicht ſelten anderthalb 
Fuß lang wird, das ganze Jahr umher und bleiben nur 
ſo lange an einer und derſelben Stelle, als daſelbſt Weide 
vorhanden iſt. Dieſe Merinoheerden und ihre Hirten 
ſind vollkommen organiſirte Corporationen und ihr Um— 
herwandern, ſowie das Abweiden der für ſie geeigneten 
Ländereien geſchieht nach feſten, ſeit undenklicher Zeit 
beſtehenden Regeln und Vorſchriften, die unter dem Na— 
men der „Mesta“ bekannt ſind und von den Arabern her— 
rühren ſollen. Eine Heerde (manada) pflegt aus 10000 
Stück Schaafen zu beſtehen und einem Oberhirten (mayoral 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 27 


418 Die Hirten der Merinoheerden. 


oder capataz) anvertraut zu fein, dem die Führung der 
Heerde, die Auswahl der Weideplätze, die Ueberwachung 
des Geſundheitszuſtandes der Schaafe, die Heilung der 
kranken Thiere, die Vermehrung der Schaafe, die Leitung 
der Wollſchur u. ſ. w. obliegt, und welcher deshalb ein 
mit den Localitäten, den Kräutern, den Krankheiten der 
Schaafe, den Witterungsverhältniſſen u. a. m. wohl ver⸗ 
trauter und in jeder Hinſicht erfahrener Mann ſein muß. 
Jeder Mayoral pflegt funfzig Unterhirten (pastores) un- 
ter ſeinem Befehl zu haben, ſo daß auf je zweihundert 
Stück Schaafe ein Hirte kommt. Zur Ueberwachung und 
zum Schutze der Heerde find jedem Mayoral noch funfzig 
Hunde beigegeben, welche meiſt einer großen und ſtarken, 
Spanien eigenthümlichen Race von Wolfshunden (perros 
de presa) angehören und zu ihrer eigenen Vertheidigung 
eiſerne, mit langen Stacheln bewaffnete Halsbänder tra- 
gen. Jeder Hirt führt einen mannslangen Hakenſtock 
oder Hirtenſtab von gebeiztem Weißdornholze, und ge— 
wöhnlich auch eine Percuſſionsflinte. Die Kleidung die— 
fer Hirten pflegt aus Wämſern, kurzen Hoſen und Ga— 
maſchen von Bockleder zu beſtehen. Häufig ziehen ſie 
darüber noch kurze Jacken von Merinofellen, deren Wolle 
nach Außen gekehrt iſt, ſowie ſchurzfellartige, den Unter⸗ 
leib und die vordere Seite der Schenkel bedeckende Bein- 
kleider von demſelben Stoffe, die vermittelſt Riemen um 
die Beine und den Leib geſchnallt werden. Unförmliche 


Die Hirten der Merinoheerden. 419 


Schuhe von Ochſenleder, oder Espartoſandalen und ein 
breitkrämpiger ſpitzer Filzhut, oder blos eine Montera aus 
Tuch, oder noch häufiger aus Merinofell, vollenden die 
Kleidung dieſer ſonnenverbrannten, bärtigen, halbwilden 
Menſchen, welche Banditen ähnlicher ſehen, als Hirten, 
und doch meiſt ganz gutmüthige und harmloſe Leute ſind. 
Die Mavyorals pflegen ein Reitpferd, ſowie einige Maul— 
thiere oder Eſel zum Transport der Lebensmittel, des 
Salzes für die Schaafe, der Kochgeräthe, der Zelte und 
anderer Utenſilien zu ihrer Dispoſition zu haben und vier— 
bis ſechstauſend Realen Jahresgehalt zu bekommen. Die 
Unterhirten werden je nach ihrer Brauchbarkeit bezahlt, 
erhalten jedoch nicht über 150 Realen Jahreslohn. Außer— 
dem erhält jeder Hirt täglich zwei Pfund Weizenbrod und 
jeder Hund eine gleiche Menge eines ſchlechteren Brodes. 

Die meiſten Merinoheerden gehören Grundbeſitzern 
von Altcaſtilien und Leon an; auch gilt die caſtilianiſche 
und leoneſiſche Wolle für die beſte. Ueber die Zahl der 
gegenwärtig in jenen Landſchaften oder überhaupt in Spa— 
nien vorhandenen Merinoſchafe habe ich nichts in Erfah— 
rung bringen können; in der zweiten Hälfte des vorigen 
Jahrhunderts betrug ſie nach Bowles ungefähr fünf Mil— 
lionen. Die gegenwärtige jährliche Ausfuhr von Merino— 
wolle aus Alteaſtilien ſchätzt man im Durchſchnitt auf 
30,000 Centner. Vom April bis Juni pflegen die Heerden 
in den genannten Landſchaften zu weiden, ſpäter ziehen die 

27? 


120 Vorrechte der wandernden Merinoheerden. 


Hirten mit ihnen in die benachbarten Gebirge und auf die 
hohen Plateau's von Soria, Molina de Aragon und Cuenca, 
wo es, beſonders in den feuchten Niederungen und Thälern, 
ſelbſt im hohen Sommer nicht an kurzem Graswuchs und 
zarten Kräutern mangelt. Auch die Steppengegenden Neu— 
caſtiliens und Niederaragoniens beſuchen die Hirten nicht 
ſelten, halten ſich jedoch daſelbſt nie lange Zeit auf, weil 
der Genuß der Salzpflanzen, die von den Schaafen ſehr 
begierig gefreſſen werden, dieſen ſchadet oder wenigſtens 
die Wolle verdirbt, wie die Hirten behaupten. Gegen 
das Ende des September beginnen die Wanderungen nach 
den Winterquartieren, welche ſich in den Ebenen Eſtre— 
madura's und Niederandaluſiens befinden, woſelbſt die 
Heerden bis zum März bleiben, worauf ſie wieder nach 
dem nördlichen Centralſpanien zurückkehren. Den Vor⸗ 
ſchriften der Meſta gemäß müſſen die Heerden auf be— 
ſtimmten Routen nach den genannten Landſchaften wan— 
dern, und paſſiren frei, ohne irgend eine Art von Abgaben 
entrichten zu dürfen, durch das Gebiet der Ortſchaften. 
Da, wo ihr Marſch ſie durch angebautes Land führt, 
müſſen die Grundbeſitzer für einen Weg von 90 Fuß Breite 
ſorgen, folglich ein nicht unbedeutendes Stück ihres Bo— 
dens unangebaut laſſen. Auch dürfen jene Gegenden, wo 
die Merinos zu weiden pflegen, nicht angebaut werden. 
Aus dieſem Grunde ſind die wandernden Heerden dem 
Aufſchwunge des Ackerbau's in Centralſpanien und Ans 


Nachtheilige Folgen der Meſta. 1424 


daluſien ſehr hinderlich. Eben ſo nachtheilig ſind ſie in 
forſtlicher Beziehung. Die Meſta ermächtigt nämlich die 
Hirten, da, wo ſie den Winter zubringen und auch wäh— 
rend ihrer Wanderungen, von jedem Waldbaum einen 
Aſt abzuhauen, um Holz zur Errichtung ihrer Hütten, 
der Hürden für die Schaafe u. a. m., ſowie Brennmate— 
rial zur Bereitung der Speiſen zu haben. Auf dieſe 
Weiſe gehen oft die ſchönſten Bäume zu Grunde, indem 
ſie in Folge der vielen Verſtümmelungen kernfaul werden. 
In den Weidegegenden Eſtremadura's findet man ſelten 
einen Baum, der nicht verſtümmelt wäre.“) 

*) Ueber die Behandlung der Merinoſchaafe, wenigſtens wie 
dieſelbe in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts betrieben wurde, 
finden ſich ausführliche Nachrichten bei Bowles (franzöſiſche Ueber— 
ſetzung, S. 469 — 478.) Ich ſelbſt habe keine Gelegenheit gehabt, 


Erkundigungen über die gegenwärtige Art und Weiſe der Meriuo— 
zucht einzuziehen. 


Ip 
Spanien im Jahre 1850. 


Sch habe an vielen Stellen der Schilderung meiner _ 
zweiten Reife in Spanien Gelegenheit gefunden, zu be- 
merken, daß dieſes Land ſeit der Mitte der vierziger Jahre, 
wo ich mich zum erſten Male daſelbſt befand, bedeutende 
Fortſchritte gemacht habe. In der That iſt nicht zu ver— 
kennen, daß gegenwärtig und ſchon ſeit einer Reihe von 
Jahren daſelbſt ein gewaltiger materieller Aufſchwung 
ſtattfindet, welcher für die Zukunft dieſes herrlichen, von 
der Natur ſo außerordentlich begünſtigten Landes zu den 
ſchönſten Erwartungen berechtigt. Aber auch in intellee⸗ 
tueller Hinſicht hat Spanien ſeit einem Jahrzehent und 
länger Fortſchritte gemacht, die der Beachtung wohl werth 
ſind. Ich halte es daher nicht für unpaſſend, am Schluſſe 
dieſes Werkes eine gedrängte überſichtliche Darſtellung der 
gegenwärtigen Verhältniſſe Spaniens zu geben, ſoweit 
ich über dieſelben durch eigne Anſchauung und Studien 
ein Urtheil erlangt habe. Der Ueberſichtlichkeit halber 
will ich dieſe Schilderung in rubricirter Form geben. 


Eintheilung Spaniens. 1423 


Adminiſtration Spaniens. Spanien iſt gegen— 
wärtig, und ſchon ſeit langer Zeit in Provinzen einge— 
theilt, welche hinſichtlich ihrer Verwaltung den franzöſi— 
ſchen Departements ſehr ähnlich ſind. Es giebt deren im 
Ganzen 47. Nichtsdeſtoweniger wird die alte Einthei— 
lung der Königreiche, Fürſtenthümer u. ſ. w. noch bei— 
behalten, beſonders von dem Volke, dem dieſe viel ge— 
läufiger iſt, als die neue. Es giebt demnach in Spanien 
folgende Landſchaften oder Reiche und Provinzen: 

1) Das Fürſtenthum Catalonien. Zerfällt in die Pro- 
vinzen von Lerida, Gerona, Barcelona und Tarragona. 
2) Das Königreich Aragonien: Provinzen von Huesca, 

Zaragoza und Terueél. 

3) Das Königreich Valencia: Provinzen von Caſtellon 
de la Plana, Valencia und Alicante. 

4) Das Königreich Murcia: Provinzen von Murcia 
und Albacete. 

5) Andaluſien. 


a. Das Königreich Granada: Provinzen von) 2 | 
Almeria, Granada und Malaga. 8 8 
b. Das Königreich Jaen: Provinz von Jaen. S 
c. Das Königreich Cordoba: Provinz von 3 
Cordoba. =: 
d. Das Königreich Sevilla: Provinzen von ag 
Sevilla, Cadiz und Huelva. & 


6) Eftremadura: Provinzen von Badajoz und Gäceras, 


42% Eintheilung und Adminiſtration Spaniens. 


7) Das Königreich Leon: Provinzen von Salamanca, 
Zamora und Leon. 

8) Neucaſtilien: Provinzen von Madrid, Toledo, 
Ciudad-Real, Cuenca und Guadalajara. 

9) Alteaſtilien: Provinzen von Soria, Segovia, 
Avila, Valladolid, Burgos, Logrono, Palencia und 
Santander. 

10) Das Königreich Navarra: Provinz von Pamplona. 
11) Die baskiſchen Provinzen: Avila, Guipuzcoa, 
Vizeaya. N 
12) Das Fürſtenthum Aſturien: Provinz von Oviedo. 
13) Das Königreich Galicien: Provinzen von Lugo, 

Orenſa, Pontevedra und la Coruna. N 

Jede Provinz zerfällt wieder in Diftriete (distritos) 
oder Wahlbezirke. Es giebt Provinzen erſter, zweiter 
und dritter Klaſſe. Provinzen erſter Klaſſe ſind die von 
Madrid, Zaragoza, Barcelona, Valencia, Granada, Se— 
villa und la Coruna. Von der Adminiſtration der bas— 
kiſchen Provinzen iſt bereits die Rede geweſen. In allen 
übrigen Provinzen beſtehen neben einander eine militäri— 
ſche und eine civile Verwaltung. Die Militärverwaltung 
ſteht in den Provinzen erſter Klaſſe unter einem Gene— 
ralcapitän, in den Provinzen zweiter und dritter Klaſſe 
unter einem Generalcommandanten, welcher dem 
militäriſchen Range nach mindeſtens Generalmajor (Mari- 
sal de campo) ſein muß. Der Generalcapitän oder 


Adminiftration Spaniens. 425 


Generalcommandant reſidirt in der Provinzialhauptſtadt; 
in den Diſtrictshauptſtädten (cabezas de pastido) ſteht 
ein Commandante de armas an der Spitze des 
Militärweſens. Die oberſte Leitung der Civilverwaltung 
hat in jeder Provinz der Geke politico. Unter ſei— 
nem Befehl ſtehen die Alcaldes mayores und Al- 
caldes der Diftriete und einzelnen Ortſchaften, welche 
das eigentliche Verwaltungsweſen, ſowie die Commis 
sarios und Celadores de policia, welche das Po— 
lizeiweſen unter ſich haben. In den kleinern Ortſchaften 
liegen dem Alcalde gleichzeitig die Verwaltung und das 
Polizeiweſen ob. Die Gefes politicos, Alcaldes mayores 
und Polizeicommiſſäre find königliche, die Alcalden und 
ihre Untergebenen (in den großen Städten giebt es Te- 
nientes de Alcalde, Alcalden-Lieutenants) ſtädtiſche oder 
Municipalbeamte. Die Unterpolizeikommiſſäre (Celadores 
de barrio), ſowie die Polizeidiener (Agentes de policia) 
werden durch den politiſchen Chef ernannt. Schon aus 
dieſen Bemerkungen wird meinen Leſern zur Genüge ein 
leuchten, daß Spanien ein vollſtändiger Militär- und 
Polizeiſtaat iſt. Die geſammte Adminiſtration der Mon— 
archie ſteht unter dem Miniſterium des Innern (Ministe- 
rio de la gobernacion del Reino). 

Rechtspflege. Der oberſte Gerichtshof der ſpani— 
ſchen Monarchie, gegen deſſen Sentenzen keine Appellation 
mehr ftattfinden kann, iſt das Tribunal supremo de 


426 Die Rechtspflege Spaniens. 


Justicia, welches ſich in Madrid befindet. Derſelbe 
zerfällt in drei Abtheilungen oder „Säle“ (alas), von 
denen eine ſich einzig und allein mit den juridiſchen An⸗ 
gelegenheiten der ſpaniſchen Colonien beſchäftigt (das 
Tribunal de Indias). Dieſer oberſte Gerichtshof beſteht 
aus einem Präſidenten, 16 Gerichtsräthen (ministero) 
und zwei Fiscalen, und führt den Titel „Alteza“. Außer 
dem beſtehen mehrere Appellationsgerichtshöfe, Kudie n- 
clas territoriales, nämlich in der Hauptſtadt einer 
jeden Provinz erſter Klaſſe einer. An dieſe Gerichtshöfe, 
deren jeder aus einem Präſidenten (regente), 13 Ges 
richtsräthen und zwei Fiscalen zuſammengeſetzt iſt und 
den Titel „Escelencia“ beſitzt, wird von den Juzga- 
dos de primera instancia, deren es in einem jeden 
Diſtrict mindeſtens einen, in den größeren Städten meh- 
rere giebt, appellirt; gegen ihre Ausſprüche kann blos an 
das Tribunal supremo de justicia appellirt werden. 
Jeder Gerichtshof erſter Inſtanz beſteht aus dem „Juen 
de primera instancia‘“, einem „Promotor fiscal“ und 
vier Secretären (escribanas del crimen). Unter dieſen 
Richtern erſter Inſtanz ſtehen die „Regidores de justicia“ 
oder Dorfrichter der kleinen Ortſchaften. Dieſe, ſowie 
die Richter erſter Inſtanz, haben eine Anzahl Gerichts— 
diener (alguaziles) zu ihrer Dispoſition. Für Preßver⸗ 
gehen beſteht in jeder Provinzialhauptſtadt ein Geſchwo— 
renengericht (Tribunal jurado). Die Zahl der jedes— 


Die Rechtspflege Spaniens. 427 


aligen Geſchworenen (jurados) beläuft ſich auf neun. 
ieſelben werden durch das Loos gewählt. Geſchworener 
un ein jeder anſäſſige und unbeſcholtene Mann ſein, 
elcher eine beſtimmte Summe Steuer entrichtet. Die 
erhandlungen der Geſchworenengerichte ſowie der Appel— 
tionsgerichtshöfe ſind öffentlich. Sowohl der oberſte 
zerichtshof, als die Appellationsgerichtshöfe und die 
uzgados de primera instancia find königlich und wer— 
en daher ihre Beamten von der Regierung ernannt. 
Außer dieſen königlichen Gerichten beſtehen aber noch eine 
Nenge Patrimonialgerichte, von denen an den oberſten 
zerichtshof des Königreichs appellirt wird. Noch find 
inige beſondere Gerichtshöfe zu erwähnen, welche ſich 
immtlich in Madrid befinden, nämlich: das Tribunal 
special de Orderos, welches in allen Civil- und 
Friminalſachen der Ritter der vier militäriſchen Orden 
on Santiago, Alcantara, Calatura und Monteſa erkennt, 
ind gegen deſſen Ausſprüche allein an das Tribunal 
le la Rota, oder das geiſtliche Gericht, appellirt werden 
ann. Letzteres iſt der oberſte Appellations-Gerichtshof in 
len kirchlichen Angelegenheiten, und beſteht aus ſechs Ineces 
cclesiasticos. Sein Präſident tft der päbſtliche Nuntius. 
Zwei andere befondere Gerichtshöfe find das Tribunal 
supremo de Guerra y Marina, welches ſeit dem 
Jahre 1834cbbeſteht, und aus einem Präſidenten und zwölf 
ſtimmberechtigten Beiſitzern, die ſtets Generale fein müſſen, 


428 Das Unterrichtsweſen Spaniens. 


zuſammengeſetzt iſt, und das oberſte Appellationsgericht 
in Militärſachen bildet; und das Tribunal mayor de l 
Cuentas, welches 1826 ins Leben trat und die oberſte | 
Gerichtsbehörde in allen finanziellen Angelegenheiten if.) 
Dieſer Gerichtsſal gehört zum Departement des Finanz- 
miniſteriums, wie der vorher genannte zu dem des Kriegs⸗ 
miniſteriums; die ganze übrige Rechtspflege tft mit Aus⸗ 
nahme der kirchlichen, welche unabhängig daſteht, vom 
Juſtizminiſterium (Ministerio de Gracia y Justicia) ab- 
hängig. 4 
Unterrichtsweſen. Mit Ausnahme der baskiſchen 
Provinzen iſt bis jetzt in Spanien noch nirgends der 
Schulzwang eingeführt. Erſt in den letzten Jahren hat 
man angefangen, Elementarſchulen, Escuelas de pri- 
meras letras, auch in den kleinen Ortſchaften zu er— 
richten. In den Städten haben dergleichen ſchon lange 
beſtanden. In vielen Ortſchaften giebt es auch Freiſchulen, 
Escuelas gratuitas. Für die Fortbildung der erwachſe— 
nen Jugend beiderlei Geſchlechts ſind die Colegios be— 
ſtimmt, deren ſich faſt in allen Städten welche befinden. 
Außerdem exiſtirt in jeder Provinzialhauptſtadt ein Insti- 
tuto, unter welchem Namen man eine höhere zur Vorberei- 
tung auf die Univerſitätsſtudien beſtimmte Bildungsanſtalt 
für die männliche Jugend verſteht. Dieſe Institutos, welche 
erſt vor wenigen Jahren auf königlichen Befehl in's 
Leben getreten find, entſprechen jo ziemlich unſern Gym⸗ 


Die Unterrichtsanſtalten Spaniens. 129 


aſien. In Madrid und andern großen Städten beſtehen 
uch Handelsſchulen, Escuelas de Comercio und 
ealſchulen, Escuelas de artes. Univerſitäten giebt 
s gegenwärtig neun, nämlich: Madrid, Sevilla, Va— 
Imeia, Barcelona, Santiago de Compoſtela, Zaragoza, 
Föranada, Salamanca und Oviedo. Die erſten fünf find 
niverſitäten erſten, die übrigen zweiten Ranges. Außer 
ieſen bisher angeführten Unterrichtsanſtalten exiſtiren 
och einige beſondere, nämlich: Die Escuela especial 
le Ingenieros de caminos oder Bildungsanſtalten für 
eodäten und Civil-Ingenieure, die Escuela especial 
le Ingenieros de minar oder die Bergacademie, das 
solegiomilitar general oder das allgemeine Kadetten— 
aus, die Escuela normal seminario de maestres 
der das Schullehrerſeminarium, die Escuela de far- 
nacia oder Apotheker-Schule, das Conservatorio 
le musica, die Academia de nobles artes de 
zan Fernando oder die Maleracademie, die Es- 
zuela de sordomudos oder die Taubſtummenanſtalt, 
die Escuela normal de viegos oder die Blinden— 
chule, (alle bisher genannten Anſtalten befinden ſich in 
Madrid), die Escuela especial de selvicultura 
oder die Forſtacademie zu Villavicioſa, die Real Aca- 
demia de Ingenieros oder die Bildungsanſtalt der 
Militäringenieure zu Guadalajara, die Escuela de 
Artilleria zu Segovia und die Escuela de guar- 


430 Die Unterrichtsanftalten Spaniens. 


dias marinas oder Marinefchule in San Fernando 
auf der Isla de Leon bei Cadix. Die Mehrzahl dieſer 
Unterrichtsanſtalten find königlich. Von den verſchiedenen 
Academien, welche es in Madrid giebt, tft ſchon in mei: 
nem erſten Reiſewerke die Rede geweſen. Ich bemerke 
hier nur, daß durch ein königliches Deeret vom 25. Februar 
1847 die Academia de ciencias naturales aufgehoben und 
an ihrer Stelle eine Academia de ciencias nach dem 
Muſter der pariſer Academie der Wiſſenſchaften gegründet 
worden iſt, welche bereits ſehr Achtenswerthes geleiſtet 
hat. Im Jahre 1850 erſchien der erſte Band ihrer 
„Memorias“ (Verhandlungen), in denen ſich ſehr intereſ— 
ſante Aufſätze aus dem Gebiete der mathematiſchen, phyſt— 
kaliſchen und Naturwiſſenſchaften befinden. Noch exiſtiren 
ſowohl in Madrid als in den größeren Provinzialhaupt— 
ſtädten eine Menge von ſpeciellen Unterrichtsanſtalten, 
welche theils von den ſtädtiſchen Behörden, theils von 
philantropiſchen und gelehrten Geſellſchaften (beſonders 
von den Sociedades economicas de amigos del pais), 
theils von Privatleuten gegründet worden ſind, als: Zeich— 
nenſchulen, mathematiſche und nautiſche Schulen, Anſtalten 
zur Unterrichtung der Handwerkslehrlinge u. dgl. m. Die 
oberſte Behörde in dem geſammten Unterrichtsweſen iſt 
das Ministerio de Comercio, Instruccion y 
Obras publicas. 

Heer und Flotte. Der gegenwärtige Beſtand der 


Das ſpaniſche Militärweſen. 434 


ſpaniſchen Landarmee und der Kriegsflotte iſt mir nicht 
bekannt. Die Armee befindet ſich, ſoweit ich es beur— 
theilen kann, auf einem brillanten Fuße. Ganz beſonders 
ausgezeichnet ſind die Cavallerie und Artillerie, desgleichen 
das Geniecorps. Letzteres iſt ſeit dem Jahre 1850 nach 
preußiſchem Zuſchnitt, mit Waffenröcken und Pickelhauben 
equipirt. Unter das Kriegsminiſterium (Ministerio de 
la guerra) gehört auch das Corps der Guardias ci- 
viles oder königlichen Gensd'armerie, eine Schöpfung 
des Generals Narvaséz, welches eine ganz vortreffliche 
Truppe iſt und aus lauter ausgedienten und ausgewähl— 
ten Soldaten beſteht. Es giebt berittene Gensd'armen 
und Gensd'armen zu Fuß. Sie ſind equipirt und aus— 
gerüſtet, wie die franzöſiſchen Gensd' armen. Die Ge— 
ſammtzahl derſelben beläuft ſich, wenn ich nicht irre, 
auf 15000. Sie bilden ein vollſtändig organiſirtes mili— 
täriſches Corps, haben ihre Generale, ihre Oberſten, Haupt— 
leute u. ſ. w. In allen an den Chauſſeen und frequen— 
tirteren Fahr- und Reitwegen gelegenen Ortſchaften ſind 
gegenwärtig Guardias eiviles ſtationirt. Sie bewohnen 
ein beſonderes Haus, welches den Namen Casa-cuartel 
de Guardias eiviles führt, und haben die Verpflichtung, 
die Wege zu begehen, für deren Sicherheit zu ſorgen 
und auf alle verdächtige Perſonen zu achten, und die 
Diebe, Räuber, entſprungene Sträflinge, Deſerteure u. ſ. w. 
zu arretiren und an die betreffenden Behörden abzulie— 


132 Das ſpaniſche Militärweſen. Die Flotte. 


fern. Sie pflegen die Straßen immer paarpeiſe zu bes 
gehen. Dieſen Gensd'armen verdankt man vorzugsweiſe 
die gegenwärtige Sicherheit des Reiſens in Spanien. 
Freilich werden ſie den Reiſenden oft läſtig, da ſie das | 
Recht haben, Jedermann, wo und wenn es ihnen beliebt, 
die Legitimationen abzufordern und Denjenigen, der ſich 
nicht legitimiren kann, zu arretiren. Die Guardias ei- 
viles bekommen einen ſehr hohen Sold (ein Gensd'arm 
zu Fuß 10 Realen = 20 Silbergroſchen täglich, ein bes 
rittener das Doppelte) und ſind daher die zuverläſſigſte 
Truppe, welche die Regierung beſitzt. Von den Migue le- 
tes der baskiſchen Provinzen, Cataloniens und Valencia's 
iſt bereits die Rede geweſen. Dagegen muß ich hier noch 
die ſtädtiſche Municipalgarde von Madrid erwähnen 
(Guardia municipal), welche erſt ſeit vorigem Jahre be— 
ſteht. Es iſt dies eine brillant equipirte Cavallerie, der 
die Aufrechterhaltung der Ordnung auf den Plätzen und 
in den Gaſſen von Madrid obliegt. Die Municipalgar⸗ 
diſten tragen dunkelgrüne Waffenröcke, graue Hoſen, 
Kanonenſtiefeln und Stahlhelme mit Roßhaarſchweifen. 
Sie ſind mit einem langen, geraden Schwerte, einem 
Karabiner und zwei Piſtolen bewaffnet. — Auch die Flotte 
hat in dem letzten Jahrzehnt einen ſehr bedeutenden Auf— 
ſchwung genommen. Die ſpaniſche Armada beſitzt gegen— 
wärtig über zwanzig Kriegsdampfer, darunter mehrere 
Fregatten; von Segelſchiffen drei Linienſchiffe, einige 


Das Forſtweſen Spaniens. 1433 


Fregatten, mehrere Corvetten, viele Briggs und eine große 
Zahl kleinerer Fahrzeuge. Jetzt eben baut man in den 
Arſenalen der Carraca von Ferrol und Cartagena an 
mehreren Fregatten. Das Arſenal von Cartagena wel— 
ches ſich noch 1846 in einem ſo traurigen Zuſtande be— 
fand, wird jetzt wieder vollſtändig rehabilitirt. Das See— 
weſen iſt Sache des Marineminiſteriums (Ministerio de 
la Marina, Comercio y Gobernacion del Ultramar.) 

Forſtweſen. Seit einiger Zeit hat die Regierung 
auch angefangen, den Waldungen, deren Erhaltung und 
Wiederherſtellung, eine größere Aufmerkſamkeit zu ſchen— 
ken, als in früherer Zeit. Zu dem Zwecke iſt ganz 
Spanien in Forftdiftricte, ich weiß nicht, wie viele, 
eingetheilt worden. Jedem Forſtdiſtricte ſteht ein In— 
ſpector vor, welcher ein wiſſenſchaftlich gebildeter Forſt— 
mann ſein muß. Jeder Diſtrict zerfällt in Unterdiſtricte, 
von denen ein jeder der Sorge eines Guardamonte 
mayor (Oberförſters) anvertraut iſt, welcher wiederum 
eine Anzahl Guardamontes (Korfthüter, keine wiſſen— 
ſchaftlich gebildeten Förſter) zu ſeiner Dispoſition hat. 
Die im Jahre 4847 gegründete Academie zu Villavicioſa 
hat den Zweck, tüchtige Forſtbeamte heranzubilden. Das 
Forſtweſen ſteht unter dem Finanzminiſterium (Ministerio 
de la Hacienda). 

Bergweſen. Kein Zweig der Induſtrie hat in 
Spanien in den letzten Jahrzehnten einen ſo raſchen und 


Willkomm, Wanderungen durch Spanien. II. 28 


434 Adminiſtration des Bergweſens. 


bedeutenden Aufſchwung genommen, wie der Bergbau. 
Urſachen davon waren vorzugsweis die Entdeckungen der 
reichen Silbergänge der Sierra Almagrera und von;, 
Hiendelaéncina. Es würde mich zu weit führen, wollte 
ich hier nur eine gedrängte Ueberſicht der jetzt im Gange 
befindlichen Gruben in Spanien geben. Ich beſchränke 
mich daher nur darauf, einige Notizen über das Adminiſtra⸗ 
tive des Bergweſens hier niederzulegen. Ganz Spanien iſt 
gegenwärtig in 27 Bergdiſtricte oder Inſpectionen 
(distritos mineros, inspecciones de minas) eingetheilt, 
nämlich: Aſturien und Galicien, Catalonien, Granada 
und Almeria, Linaras, Mancha, Madrid, Marbella, Rio— 
Tinto, Sierra Almagrera, Valencia, Alava, Albacete, 
Badajoz, Burgos, Cäaceras, Cadiz, Cuenca, Guipuzcoa, 
Leon, Logruna, Palencia, Pamplona, Salamanca, San— 
tander, Soria, Vizcaya und Zamora. Jeder Didſtrict ſteht 
unter einem Inſpector, welcher ein gelernter und er— 
probter Bergingenieur ſein muß. Die Inſpectoren ſtehen 
wieder unter den Befehlen dreier Inspectores generales. 
Die Leitung des geſammten Bergweſens tft dem Direc- 
tor general del Cuerpo facultativo de Ingenieros de 
minas, welcher zugleich der Director der Bergacademie 
zu Madrid iſt, anvertraut. Alle dieſe Beamten, des— 
gleichen die Bergingenieure, ſind königliche Beamte. Auch 
das Bergweſen gehört zu dem Departement des Finanz 
miniſteriums. 


Ackerbau und Induſtrie. 1435 


Ackerbau, Induſtrie, Handel und Gewerbe. 
Trotz der lobenswerthen Bemühungen der ökonomiſchen 
| Geſellſchaften hat der Ackerbau im Allgemeinen noch keine 
ſolchen Fortſchritte gemacht, wie zu wünſchen wäre. Na— 
mentlich befindet ſich derſelbe in Centralſpanien, in Ara— 
gonien und Niederandaluſien noch auf einer ziemlich tiefen 
Stufe, aus Urſachen, welche ich bereits angegeben habe. 
In einem beſſeren Zuſtande befindet ſich die Bodencultur 
| in Galicien, Aſturien, Granada und Murcia; in einem 
ö 


blühenden in den baskiſchen Provinzen, in Navarra, Cata— 
lonien und vor Allem in Valencia). — Mehr als der 
Acekerbau haben ſich in den letzten Jahren die Induſtrie 
und das Fabrikweſen gehoben. Die fabrikthätigſten Theile 
Spaniens ſind Catalonien und die baskiſchen Provinzen. 
Die hauptſächlichſten Gegenſtände der Fabrication ſind 
Papier, Leder, Seiden, Baumwollen- und Schaafwollenge— 
webe, Eiſenwaaren, blanke Waffen und Schießgewehre, 
Taue und andere Seilerfabricate, Geflechte und Gewebe 
aus Esparto, Palmenbaſt, Pita und Hanf u. ſ. w. Von 
allen dieſen Artikeln war eine ziemlich reiche Aus— 
wahl, und von vielen in vortrefflicher Qualität auf der 
Induſtrieausſtellung zu Madrid im Herbſte 1850 
zu ſehen. — Hand in Hand mit dem Aufblühen der In⸗ 


) Ausführliche Nachrichten über den ſpaniſchen Ackerbau babe 
ich in Dr. Hamm's Agronomiſcher Zeitung von dieſem Jahre 
mitgetheilt. 

28 


436 Handel und Gewerbe. Straßenbau. 


duſtrie geht ſtets das Aufblühen des Handels. Derſelbe 
hat ſich gegen früher bedeutend vergrößert und iſt fort— 


während im Wachſen begriffen. Die Haupthandelscentra 


ſind Barcelona, Valencia, Malaga, Sevilla, Cadiz, la 
Coruna, Santander, Bilbao und Madrid. Die Impor⸗ 
tation iſt durch bedeutende Zollerniedrigungen erleichtert, 
der Schmuggelhandel dagegen durch Vermehrung und 
beſſere Beſoldung der Zollbeamten und Gränzaufſeher und 
durch Einrichtung doppelter Zolllinien längs der franzö— 


ſiſchen Gränze bedeutend erſchwert worden. Unter den 


Gewerben will ich nur eines erwähnen, welches in neuerer 
Zeit eine ziemlich große Bedeutung erlangt hat. Es iſt 
dies die Bierbrauerei. Faſt in allen größeren Städten 
giebt es gegenwärtig große Brauereien (die meiſten ſind 
von Deutſchen, beſonders Bayern errichtet), welche ſehr 
ausgebreitete und einträgliche Geſchäfte machen, da die 
Spanier das Bier als Erfriſchung, beſonders im Sommer, 
ſehr lieben. 

Straßen, Canäle, Eiſenbahnen. Seit meiner 
erſten Reiſe in Spanien iſt für die Communication im 
Innern des Landes ſehr viel gethan worden. Es ſind 
mehrere neue Chauſſeen gebaut worden und viele waren, 
wie ich bei den vorhergehenden Schilderungen zu bemerken 
Gelegenheit gehabt habe, damals im Baue begriffen. Auch 
iſt jetzt für die Erhaltung der Straßen trefflich geſorgt 
durch die Errichtung des Corps der Camineros (Ötraßen- 


Straßen, Kanäle und Eiſenbahnen. 437 


wärter). Dieſelben ſind vollkommen militäriſch organiſirt 
und uniformirt. Von Legua zu Legua iſt ein maſſives 
Häuschen an den Straßen errichtet worden, welches die 
Aufſchrift trägt: „Casa de los piones camineros de la 
legua „und zur Wohnung der Straßenwärter bes 
ſtimmt iſt. Letztere tragen braune Röcke mit rothen 
Aufſchlägen, glanzlederne Hüte mit Meſſingſchildern, auf 
denen die Nummer des Caminero ſowie das königliche 
Wappen eingegraben ſteht, und ſind zu ihrer Vertheidigung 
und zum Schutze des Weges mit kurzen Bajonnettflinten 
und Seitengewehren bewaffnet. Jetzt ſollen die Straßen 
auch mit Bäumen bepflanzt werden. Desgleichen will man 
die Camineros zur Hebung der Forſtcultur benutzen, indem 
fie laut eines königlichen Decrets von dieſem Sommer 
(1852) ermächtigt worden find, Anpflanzungen von Wald— 
bäumen in der Nähe ihrer Wohnungen zu machen, deren 
Nutznießung ſie haben ſollen. — Seit vorigem Jahre iſt 
auch die Anlegung eines ſchiffbaren Canals von Cordova 
nach Sevilla in Angriff genommen worden. Desgleichen 
ſoll der Ebro vom Ende des Canals von Aragonien bis 
zur Mündung ſchiffbar gemacht werden. — Eiſenbahnen 
exiſtiren zwei, allerdings von geringer Länge, nämlich von 
Madrid nach Aranjuez und von Barcelona nach Mataro. 
Projectirt ſind Eiſenbahnlinien von Aranjuez nach Valencia 
und Sevilla, ſowie von Madrid nach Santander. 
Poſten- und Telegraphenweſen. Früher konnten 


438 Das Poften- und Telegraphenweſen. 


blos Briefe per Poſt befördert werden. Während meines 
erſten Aufenthalts in Spanien wurden die erſten Sillas- 


Correas, königliche den franzöſiſchen Malle-postes ent- 


ſprechende Eilfahrpoſten eingeführt. Gegenwärtig gehen 
ſolche auf allen von Madrid nach den größern Provinzial⸗ 
hauptſtädten laufenden Straßen. Die Sillas-Correas neh- 
men blos Paſſagiere mit wenig Gepäck auf und befördern 
leichte Packereien. Sie gehen ebenſo raſch, wie die er— 
wähnten franzöſiſchen Poſten. Das Briefporto iſt in neuerer 
Zeit ſehr ermäßigt worden durch die Einführung der Fran— 
comarken. Dieſelben ſind in Spanien bereits ſeit dem 
Jahre 1849 üblich. Es giebt blos eine Klaſſe von Mar— 
ken, indem das Porto für einen einfachen Brief, gleichviel, 
ob derſelbe blos einige Leguas weit oder von einem Ende 
der Monarchie bis zum andern geht, auf 6 Cuartos (etwa 
— 15 Pf.) feſtgeſetzt worden iſt. — Etwas ganz Neues 
ſind die Telegraphen, deren Einrichtung ich im erſten 
Theile dieſer Schilderungen beſchrieben habe. Es exiſtiren 
gegenwärtig Telegraphenlinien von Madrid nach der fran— 
zöſiſchen Gränze (über Burgos und Vitoria), nach Valla⸗ 
dolid, Leon und la Coruna, nach Zaragoza und Barcelona, 
nach Valencia, nach Granada und Malaga, ſowie nach 
Cordova, Sevilla und Cadiz. Die Telegraphen und ihre 
Beamten ſtehen unter der Aufſicht des Miniſteriums des 
Innern und des Miniſteriums der auswärtigen Angele— 
genheiten (Ministerio de Estado). 


Transportmittel. 439 


Transportmittel. Auch die Transportmittel ha— 
ben ſich gemehrt. Früher exiſtirten nur wenige Galeros, 
Carros de Ordinerias und Diligencias, welche Güter 
und Perſonen beförderten; jetzt giebt es deren eine große 
Anzahl. Die Diligencias generales de Espana exiſtiren 
noch, die Diligencias peninsolares dagegen haben ſich 
in drei Diligencencompagnieen verwandelt, in Diligencias 
del Norte, Oriente und Mediodia de Espana. Außer 
| diefen find noch viele andere Diligencen eingerichtet wor— 
| den. Die ſpaniſchen Diligencen befördern Perſonen und 
Güter aller Art, gleich den franzöſiſchen, und fahren auch 
eben ſo ſchnell. Die Fahrpreiſe ſind auch bedeutend er— 
| mäßigt worden. Außer den Diligencencompagnieen haben 
ſich Geſellſchaften zur Transportirung von Gütern gebildet. 
| Dahin gehören die Trasportes acelerados de la Union, 
| deren Sitz in Prun iſt und welche den Gütertransport 
von dort nach Madrid, Bilbao und Pamplona beſorgen. 
Zwiſchen den großen Heerſtraßen muß im Innern des 
Landes allerdings noch Alles auf Maulthieren und Eſeln 
fortgeſchafft werden. Indeſſen auch in jenen Gegenden 
dürfte die Communication gewiß ſehr bald durch Anlegung 
von Fahrſtraßen erleichtert werden. Was die Communi— 
cation zur See betrifft, ſo gehen jetzt nicht blos Dampf— 
ſchiffe längs der Küſte des mittelländiſchen Meeres hin 
und her, ſondern es findet auch eine regelmäßige Dampf— 
ſchifffahrtsverbindung zwiſchen Havre de Grace, Santan— 


440 Armenhäuſer und Correctionsanftalten. Wiſſeuſchaften 


der, Gijon, la Coruna, Viga, Oporto, Liſſabon und Cadiz 
ſtatt. Es ſind theils franzöſiſche, theils engliſche, theils 
ſpaniſche Dampfer, welche den Dienſt auf dieſer Linie 
verſehen. 
Armenhäuſer und Correctionsanſtalten. Faft | 
in allen größern Städten find in den letzten Jahren for 
genannte Asilos de la Mendicidad Gufluchtsorte für 
Bettler) errichtet worden. In denſelben hat man die 
Bettler verſammelt und beſchäftigt dieſelben durch ange— 
meſſene Arbeiten. In Madrid ſieht man faſt keinen ein— 
zigen Bettler mehr. — Auch an Correctionsanſtalten iſt 
kein Mangel. Es befinden ſich dergleichen für beiderlei 
Geſchlecht in vielen großen Städten. Die Mehrzahl der 
ſelben datirt ebenfalls aus der neueſten Zeit. 
Wiſſenſchaften, Künſte, Literatur. Schon in 
meinem erſten Reiſewerke habe ich, wie ich hoffe, nach— 
gewieſen, daß die Literatur, die Künſte und Wiſſenſchaften 
damals in einem neuen Aufblühen begriffen waren. In 
demſelben iſt ſeitdem glücklicherweiſe kein Stillſtand oder 
Rückſchritt eingetreten; im Gegentheil haben dieſelben 
bedeutende Fortſchritte gemacht. Die Tagesliteratur hat 
allerdings, beſonders in neueſter Zeit, durch die bedeu— 
tende Beſchränkung der Preßfreiheit abgenommen; deſto 
mehr iſt dafür in künſtleriſcher und wiſſenſchaftlicher Be— 
ziehung geleiſtet worden. Selbſt die Naturwiſſenſchaften 
beginnen neu aufzuleben. Man gebe Spanien nur noch 


und Künſte. 1441 


zehn Jahre Friede und Ruhe — und dazu ſind die ſchön— 
ſten Hoffnungen vorhanden — und dieſes Land wird auch 
auf dem Gebiete des Wiſſens, der Intelligenz bald eine 
würdige Stelle neben den übrigen Staaten Europa's ein— 
nehmen, denn — ich wiederhole hier am Schluſſe meines 
zweiten Reiſewerkes, was ich in meinem erſten oft aus- 
geſprochen habe — die Spanier ſind ein hochbegabtes 
und urkräftiges Volk! 


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Willkomm, Heinrich Moritz 
Wanderungen durch die 
nordostlichen und centralen 

Provinzen Spaniens 


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